DIW Wochenbericht 13 / 2023, S. 158
Lorenz Meister, Erich Wittenberg
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Herr Meister, Sie haben untersucht, ob das Homeoffice einen Einfluss auf den Aktienbesitz von Privatanlegern hat. Warum ist dieses Thema von wirtschaftspolitischem Interesse? Das Thema ist von wirtschaftspolitischem Interesse, weil Aktien sehr hohe Erträge bieten, allerdings nur wenige Menschen Aktien halten. Deshalb ist es interessant herauszufinden, wer die Menschen sind, die von Aktienbesitz profitieren, und durch welche Veränderungen Aktienbesitz beeinflusst wird. Hier können bestimmte Schocks maßgeblich sein, zum Beispiel technologische, politische oder ökonomische Veränderungen und wir betrachten hier einfach einen weiteren Schock, nämlich die Arbeit von zu Hause aus.
Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? Hat das Homeoffice dazu geführt, dass Privatanleger mehr Aktien kaufen? Ja. Wir haben beobachtet, dass Menschen zwischen 2019 und 2020 sich erstmals Aktien angeschafft haben, wenn sie ganz oder teilweise von zu Hause aus gearbeitet haben. Wir sehen sogar einen kausalen Effekt vom Homeoffice auf Aktienbesitz, allerdings haben wir nicht untersucht, wie viele Aktien die Menschen halten, sondern einfach nur, ob jemand Aktien hält oder nicht.
Wie ist der Zusammenhang zwischen Aktienkauf und Homeoffice zu erklären? Wir vermuten, dass der Zusammenhang durch Zeiteinsparungen begründet ist, die dadurch entstehen, dass die Leute ja den Arbeitsweg einsparen und ihre Zeit flexibler einteilen können. Was dafür spricht ist, dass der Effekt vor allem bei Menschen ohne Kinder zu beobachten ist und weniger bei Menschen mit Kindern, die ihre eingesparte Zeit eher für die Kinderbetreuung verwenden.
Könnte es nicht auch andere Gründe für das gestiegene Aktieninteresse geben? Ja, ein anderer potentieller Grund ist die vermehrte Nutzung von Neobrokern, also Onlineplattformen für niedrigschwelligen Aktienhandel, auf denen es teilweise sehr geringe Transaktionskosten gibt. Weitere Gründe könnten sein, dass damals die Aktienkurse teilweise sehr niedrig waren, also ein guter Einstiegsmoment oder auch der Anstieg der Sparquote und die resultierende Durchsetzung von Verwahrungsentgelten. Dadurch entstanden Anreize, weg von festverzinslichen Anlagen und hin zu Risikoanlagen zu gehen.
Bei welchen Personengruppen steigt der Anteil von Aktienbesitzer*innen durch die Nutzung von Homeoffice am meisten? Der Effekt ist am größten für Menschen mit niedrigem Einkommen, das in den untersten 25 Prozent der Einkommensverteilung liegt. Er ist immer noch sichtbar bei Menschen mit mittlerem Einkommen. Für die Menschen mit den höchsten Einkommen spielt Homeoffice für Aktienbesitz gar keine Rolle mehr.
Welche wirtschaftspolitische Handlungsempfehlung könnte man aus Ihren Ergebnissen ableiten? Natürlich kann man jetzt nicht alle Menschen ins Homeoffice schicken, damit sie sich Aktien zulegen, und es muss auch respektiert werden, wenn Menschen aus persönlichen oder moralischen Gründen Aktienhandel prinzipiell ablehnen. Doch unsere Studie hat gezeigt, dass die Reduktion von Kosten, im Sinne von Aufwand und Zeit, den Aktienmarkt für mehr Menschengruppen zugänglich macht. Der Staat könnte also die Barriere zum Aktienbesitz weiter herab senken, zum Beispiel durch die Einführung der Aktienrente oder die Förderung von finanzieller Bildung. Diese hilft Menschen, die neu am Aktienmarkt sind und oft nicht ausreichend Wissen über Risiken und Anlagestrategien besitzen. Zudem zeigen unsere Ergebnisse die Vorteile flexibler Zeiteinteilung. Hier könnte der Staat überlegen, wie er weiter Anreize für Arbeitgeber*innen schafft, flexible Arbeitsbedingungen anzubieten.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-13-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/271752