DIW Wochenbericht 13 / 2023, S. 160
Kerstin Bernoth, Sara Dietz
get_appDownload (PDF 234 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 3.3 MB - barrierefrei / universal access)
Wie fragil unser Finanzsystem ist, wird uns aktuell lehrbuchartig vor Augen geführt: Die Silicon Valley Bank und weitere US-Banken gehen pleite, die angeschlagene Schweizer Bank Credit Suisse wird in einer Hauruck-Aktion von der UBS übernommen, und die Börsen brechen massiv ein. Innerhalb weniger Tage ist die Angst vor einer erneuten Bankenkrise wieder präsent.
Die Notenbanken der USA und der Schweiz sprangen den angeschlagenen Instituten mit Notkrediten und Garantien bei. Dabei sind sie an dieser Entwicklung nicht ganz unbeteiligt: Die aufgrund der viel zu hohen Inflation eingeleitete Zinswende hat dazu geführt, dass Wertpapiere, die Geschäftsbanken in großen Mengen in ihren Bilanzen halten, wie etwa Staatsanleihen, an Wert verlieren. Die Banken müssen diese Verluste mit ihrem Eigenkapital auffangen und möglicherweise auch Wertpapiere vor Fälligkeit mit Verlust verkaufen.
Im Wissen, dass Banken nie genug Liquidität halten, um alle Bankeinlagen auszahlen zu können, kann sich eine solche Situation zu einem „Bank Run“ ausweiten. Ist so ein Herdenverhalten erst einmal losgetreten, kann selbst eine solvente Bank in den Ruin getrieben werden. Dazu kommt, dass auch die Banken zueinander das Vertrauen verlieren. Sie sind nicht mehr bereit, sich gegenseitig auf dem Interbankenmarkt Geld zu leihen.
Wie soll sich eine Zentralbank verhalten, die einerseits mit hoher Inflation konfrontiert ist und andererseits die strauchelnden Banken vor Augen hat? Gespannt warteten die Märkte daher auf die Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB): Beugt sie sich dem Stress im Bankensektor und erhöht die Leitzinsen geringer als angesichts der Inflationsentwicklung angezeigt, oder ist das vorderste Ziel nach wie vor, die Inflation zu dämpfen?
In diesem Spannungsfeld hält die EZB nun mit ihrer kräftigen Leitzinserhöhung um 50 Basispunkte zunächst an ihrer Preisstabilitätsorientierung als Primat fest. Dieses Bekenntnis tut der EZB gut. Ihre vielfach als zu spät kritisierte geldpolitische Straffung hatte ihre Glaubwürdigkeit merklich angekratzt.
Doch was passiert, wenn sich die Panik im Finanzsektor im Euroraum ausbreitet? Neben der Gewährleistung von Preisstabilität ist es Aufgabe der EZB – wenn auch nur sekundär –, zur Stabilität des Finanzsystems beizutragen. Solange sich keine deutlichen Rezessionsrisiken abzeichnen, muss und soll die EZB von ihrer bisherigen Leitzinspolitik auch nicht abweichen. Sie verfügt über andere geldpolitische Instrumente, um eine systemische Bankenkrise zu verhindern. Die EZB kann den Banken über Offenmarktgeschäfte so viel Geld zu festen Zinssätzen zur Verfügung stellen, wie diese nachfragen, und so Liquiditätsengpässen entgegenwirken.
Sollten einzelne Banken trotzdem in Zahlungsschwierigkeiten geraten, kann das Europäische System der Zentralbanken diesen Notfallliquiditätshilfe (Emergency Liquidity Assistance) anbieten. Einen Anspruch darauf hat eine angeschlagene Bank jedoch nicht – vielmehr entscheidet jede nationale Zentralbank, ob und in welcher Höhe Notfallkredite ausgegeben werden. An dieser „konstruktiven Ambiguität“ sollte das Europäische System der Zentralbanken auch trotz etwaiger Panik an den Finanzmärkten festhalten, um zu verhindern, dass Banken ihr Risikomanagement mit der Aussicht auf eine stets rettende Zentralbank vernachlässigen.
Die EZB erhielt Unabhängigkeit, um ihre primäre Aufgabe der Gewährleistung von Preisstabilität zu erfüllen, nicht jedoch für ihre Aufgaben im Bereich der Finanzstabilität und zur Bankenrettung. Auch wenn die EZB dank ihres mächtigen geldpolitischen Instrumentariums und ihrer Fähigkeit zur Geldschöpfung die Krisenretterin sein kann, ist sie bei weitem nicht der einzige Akteur, der in der Verantwortung steht. Und das ist auch gut so, damit sie nicht zur Geisel des Bankensektors wird. Für die Wahrung der Finanzstabilität sind vielmehr auch die Regierungen der Mitgliedstaaten und andere europäische Institutionen und Einrichtungen zuständig, die für potenziell verlustträchtige Rettungsmaßnahmen auch über die notwendige demokratische Rückbindung verfügen.
Dieser Beitrag ist am 24. März 2023 im Handelsblatt erschienen.
Themen: Finanzmärkte, Europa
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-13-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/271753