DIW Wochenbericht 16 / 2023, S. 186
Lars Felder, Erich Wittenberg
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Herr Felder, für Menschen, die in Grundsicherung leben, werden die tatsächlich anfallenden Heizkosten übernommen, für die Stromausgaben hingegen gibt es eine Pauschale. Es gibt also einen Anreiz, Strom zu sparen, nicht aber Heizenergie? Grundsicherung bezeichnet hier Arbeitslosengeld II oder Grundsicherung im Alter. Es gibt für diese Personen auch einen gewissen Anreiz, Heizenergie zu sparen, weil nur angemessene Kosten für die Heizenergie übernommen werden. Wenn also ein Haushalt sehr hohe Heizausgaben hat, wird der Betrag nicht vollständig übernommen. Beim Strom hingegen gibt es nur eine Pauschale als Teil des Regelsatzes und jeder Euro, der über diese Pauschale hinaus ausgegeben wird, ist ein Euro, der für andere Ausgaben nicht zur Verfügung steht. Das ist ein eindeutig stärkerer und auch viel sichtbarerer Sparanreiz für Haushalte.
Wie reagieren die Haushalte in der Grundsicherung auf diese unterschiedlichen Anreize? Für diese Analyse haben wir die Haushalte in Grundsicherung mit Haushalten verglichen, die nicht in der Grundsicherung sind, aber ansonsten ähnliche Haushaltsmerkmale aufweisen. Wir stellen fest, dass Haushalte in Grundsicherung rund fünf Euro mehr im Monat für Heizenergie ausgeben und rund neun Euro mehr für Strom. Wir sehen hier also bei beiden Posten höhere Ausgaben, aber bei Strom ist diese Erhöhung noch einmal deutlich stärker. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir aufgrund der Anreizstruktur eigentlich erwarten würden.
Wie ist es zu erklären, dass die Ausgaben für Strom höher sind als erwartet? Es könnte unter anderem an einem schlechteren Standard der Elektrogeräte liegen, die diese Haushalte haben. Die Geräte sind wahrscheinlich älter und ineffizienter. Es kann aber auch auf das Nutzungsverhalten zurückzuführen sein, weil den Haushalten Informationen fehlen und ihnen die Kosten für den Stromverbrauch nicht klar sind.
Inwieweit hängen die Ausgaben für Heizung und Strom vom Haushaltstyp ab? Wir haben die Haushalte noch einmal nach bestimmten Charakteristika aufgeteilt und unter anderem herausgefunden, dass Haushalte, in denen Rentner*innen oder sehr alte Personen leben, noch einmal deutlich höhere Heizenergieausgaben haben als vergleichbare Haushalte. Das könnte daran liegen, dass diese Personen deutlich mehr Zeit zu Hause verbringen und auch eine wärmere Wohnung benötigen. Dabei fallen dann eine schlechtere Isolierung der Wohnung und eine ineffizientere Heizung noch einmal stärker ins Gewicht.
Was bedeuten Ihre Ergebnisse für die Klimapolitik, die ja Sparanreize setzen möchte? In der Klimapolitik werden Sparanreize durch eine Bepreisung des CO2-Ausstoßes gesetzt, also durch eine Verteuerung von CO2-intensiven Energieträgern. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Haushalte, die in Grundsicherung leben, auf diese Anreize teilweise nicht reagieren können oder es zumindest nicht tun. Hier besteht die Gefahr, dass die Klimapolitik bei Grundsicherungsempfänger*innen nicht so funktioniert, wie wir es bei anderen Haushalten kennen oder uns erhoffen.
Menschen, die sowieso sehr wenig Geld haben, können kaum noch sparen. Ist es dennoch denkbar, auch hier Energie einzusparen? Denkbar und auch notwendig wäre es, die Anschaffung von neuen und effizienteren Elektrogeräten stärker finanziell zu fördern. Solche Geräte, beispielsweise ein neuer Kühlschrank, müssen grundsicherungsbeziehende Haushalte normalerweise aus ihren Regelsätzen begleichen. Eine Beantragung der Kostenübernahme ist aufwändig und oft nicht möglich. Eine flankierende Maßnahme könnte eine Aufklärungs- oder Informationskampagne sein, um über die tatsächlichen Verbräuche und Kosten von Strom und Heizenergie zu informieren.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Klimapolitik, Energiewirtschaft
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-16-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/271758