DIW Wochenbericht 18 / 2023, S. 203-209
Marco Schmandt, Constantin Tielkes, Felix Weinhardt
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„Der aktuelle Königsteiner Schlüssel, der sich vermeintlich an der Wirtschaftskraft der Länder orientiert, ist ein reiner PR-Stunt, der zwar Fairness suggeriert, dies aber nicht einhält. Besser wäre statt der Verwendung eines solchen ungeeigneten Formelkompromisses eine ehrliche Diskussion über eine bedarfsgerechte Verteilung von Lasten und Hilfen zwischen den Ländern.“ Felix Weinhardt
Mit dem Königsteiner Schlüssel werden Ausgaben und Aufgaben zwischen den Ländern in Deutschland verteilt. Zur Berechnung des Schlüssels wird der Bevölkerungsanteil zu einem Drittel und die Wirtschaftskraft der Länder zu zwei Dritteln angesetzt. Als Wirtschaftskraft werden die Steuereinnahmen der Länder herangezogen. Jedoch wird zur Berechnung des Königsteiner Schlüssels das Steueraufkommen nach Umverteilung zwischen den Ländern zugrunde gelegt. Da dadurch die Einnahmen nahezu ausgeglichen sind, hat die tatsächliche wirtschaftliche Stärke eines Bundeslandes im Endeffekt für den Königsteiner Schlüssel so gut wie keine Relevanz. Letztendlich verteilt der Königsteiner Schlüssel fast ausschließlich nach Bevölkerungsanteil. Für die vielfältigen Verwendungen des Königsteiner Schlüssels, etwa die Verteilung geflüchteter Menschen oder von Bildungsbeteiligungen des Bundes, ist es äußerst fraglich, ob diese Verteilung zielführend oder politisch gewollt ist. Bei der Verteilung Geflüchteter wird der Schlüssel ohnehin nicht eingehalten. Eine bedarfsgerechte Verteilung macht je nach konkretem Anwendungsfall einen durchdachten und transparenten Verteilmechanismus notwendig. Der Königsteiner Schlüssel kann das nicht leisten.
Die Geburtsstunde des Königsteiner Schlüssels war das Königsteiner Staatsabkommen von 1949, in dem die Länder die Aufteilung der Kosten bei der Finanzierung überregionaler Forschungseinrichtungen geregelt haben. Bis heute wird der Schlüssel, den die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) bis 2019 regelmäßig aktualisiert hat,Vgl. Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (2021): Bekanntmachung des Königsteiner Schlüssels für das Jahr 2019. Bundesanzeiger, 6. Mai 2021, BAnz AT 06.05.2021 B8 (online verfügbar; abgerufen am 24. April 2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). verwendet, um die Kosten für Forschungseinrichtungen (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft) auf die Länder zu verteilen.Vgl. Deutscher Bundestag (2020): Verteilungsschlüssel bei Bund-Länder-Finanzierungen. Bundestags-Drucksache 118/20, 10 ff. (online verfügbar). Der Schlüssel übernimmt aber noch weitere Aufgaben – die wohl prominenteste und am kontroversesten diskutierte davon ist die Verteilung geflüchteter Menschen.Vgl. beispielsweise Herbert Brücker et al. (2022): Ein Vorschlag zur Verteilung von Geflüchteten aus der Ukraine. IAB-Forschungsbericht 5/2022, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB); Wido Geis und Anja K. Orth (2016): Flüchtlinge regional besser verteilen. Ausgangslage und Ansatzpunkte für einen neuen Verteilungsmechanismus. Institut der deutschen Wirtschaft.
Die auch in den Medien immer wieder hervorgehobene Grundprämisse des Königsteiner Schlüssels ist, dass die Aufteilung von Aufgaben (Integrationsaufgaben, Finanzierung von Bildung) gemäß der Wirtschaftskraft beziehungsweise „Wirtschaftsstärke“ der einzelnen Länder erfolgt.Für diese Prämisse gibt es unzählige Artikel in allen einschlägigen Medien, darunter Der Spiegel, Die Zeit, Stern, Süddeutsche Zeitung, Deutsche Welle, MDR und Tagesschau. Zur Messung der Wirtschaftskraft wird dabei das Steueraufkommen in den Ländern herangezogen. Das Steueraufkommen geht zu zwei Dritteln in die Berechnung ein, der Schlüssel basiert also im Wesentlichen auf diesem Maß der Wirtschaftskraft der einzelnen Länder.
Vor dem Hintergrund des hohen Gewichts, das die am Steueraufkommen gemessene Wirtschaftskraft bei der Berechnung hat, ist es überraschend, dass der Königsteiner Schlüssel für alle Flächenländer im Wesentlichen weitgehend den Bevölkerungsanteilen entspricht (Abbildung 1 und Tabelle 1).Alle hier genannten Zahlen beziehen sich auf den letzten berechneten Königsteiner Schlüssel des Jahres 2019, der bis heute verwendet wird. Vgl. Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (2021), a. a. O. Das Steueraufkommen scheint den Schlüssel trotz seines hohen Gewichts kaum zu beeinflussen oder fast identisch zur Bevölkerung zu sein. Noch überraschender ist, dass die Schlüsselwerte aller westdeutschen Flächenländer, insbesondere der besonders wirtschaftsstarken Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, kleiner als der Bevölkerungsanteil sind. Bei den Stadtstaaten ist es umgekehrt, hier sind die Anteile gemäß Königsteiner Schlüssel deutlich größer als die Bevölkerungsanteile. Für die ostdeutschen Flächenländer entspricht der Schlüssel fast exakt der Bevölkerung und liegt mit Ausnahme Sachsen-Anhalts leicht höher als der Bevölkerungsanteil. Diese Abweichungen stehen in krassem Widerspruch zur medialen und politischen Zuschreibung des Königsteiner Schlüssels als Verteilmechanismus, der die regionale wirtschaftliche Stärke der Länder berücksichtige.
In Prozent
Bundesland | Bevölkerungsanteil | Steueraufkommen nach Umverteilung | Königsteiner Schlüssel | Abweichung Königsteiner Schlüssel von Bevölkerungsanteil |
---|---|---|---|---|
Nordrhein-Westfalen | 21,65 | 20,79 | 21,08 | −2,64 |
Bayern | 15,70 | 15,49 | 15,56 | −0,87 |
Baden-Württemberg | 13,29 | 12,91 | 13,04 | −1,90 |
Niedersachsen | 9,63 | 9,28 | 9,40 | −2,46 |
Hessen | 7,54 | 7,39 | 7,44 | −1,30 |
Sachsen | 4,93 | 5,01 | 4,98 | 1,01 |
Rheinland-Pfalz | 4,92 | 4,77 | 4,82 | −2,14 |
Sachsen-Anhalt | 2,70 | 2,70 | 2,70 | −0,04 |
Schleswig-Holstein | 3,49 | 3,36 | 3,41 | −2,48 |
Thüringen | 2,61 | 2,65 | 2,63 | 1,04 |
Brandenburg | 3,02 | 3,03 | 3,03 | 0,27 |
Mecklenburg-Vorpommern | 1,95 | 2,00 | 1,98 | 1,64 |
Saarland | 1,20 | 1,20 | 1,20 | −0,50 |
Berlin | 4,35 | 5,61 | 5,19 | 19,44 |
Hamburg | 2,20 | 2,80 | 2,60 | 18,19 |
Bremen | 0,82 | 1,02 | 0,95 | 16,11 |
Anmerkung: Das Steueraufkommen beziehungsweise die Wirtschaftskraft geht zu zwei Dritteln in die Berechnung des Königsteiner Schlüssels ein, der Bevölkerungsanteil zu einem Drittel. Zahlen gerundet.
Quellen: Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Statistisches Bundesamt, Bundesministerium der Finanzen; eigene Berechnungen.
Bei Betrachtung der Berechnungsweise des Königsteiner Schlüssels (Kasten) wird deutlich, weshalb die tatsächlichen Schlüsselwerte so weit von den aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftskraft erwarteten Werten abweichen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den Königsteiner Schlüssel des Jahres 2019, der auf dem Bevölkerungsstand zum 30. Juni 2017 und dem Steueraufkommen des Jahres 2017 beruht. Seitdem wurde der Königsteiner Schlüssel nicht mehr neu berechnet.
Der aktuell verwendete Königsteiner Schlüssel von 2019 berechnet sich zu einem Drittel aus dem Bevölkerungsanteil und zu zwei Dritteln aus dem Steueraufkommen der Länder:
Königsteiner Schlüssel = ⅓ × Bevölkerung + ⅔ × Steueraufkommen
Das Steueraufkommen berechnet sich wiederum aus den Steuereinnahmen der Länder und den damals vorgenommenen Ausgleichszahlungen über den Umsatzsteueranteil der Länder sowie den Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich in der bis Ende des Jahres 2019 geltenden Rechtslage.
Steueraufkommen (im Königsteiner Schlüssel) = Steuereinnahmen der Länder + Umsatzsteueranteil der Länder + Zuweisungen Länderfinanzausgleich
Die Berechnung des Steueraufkommens für den Königsteiner Schlüssel ist in einem Aspekt besonders: Sie bezieht zwar Zahlungen beziehungsweise Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich mit ein, nicht aber Einnahmen aus Gemeindesteuern. Diese kommunalen Einnahmen aus der Gewerbe- und Grundsteuer sind ähnlich ungleich verteilt wie die Steuereinnahmen der Länder und werden bei der Ermittlung der Steuerkraft im Rahmen des Länderfinanzausgleichs zu 64 Prozent (Stand 2019) berücksichtigt. Im Ergebnis wird das Steueraufkommen von Ländern mit unterdurchschnittlichen Einnahmen auf der Gemeindeebene im Königsteiner Schlüssel höher als im Länderfinanzausgleich eingeschätzt.
Würden die Gemeindesteuern voll berücksichtigt, würde sich das Bild bereits etwas ändern.Die Autoren dieses Wochenberichts danken Arthur Metzger für die Unterstützung bei diesbezüglichen Recherchen und Berechnungen. Die reichen westdeutschen Flächenländer wiesen auch nach Umverteilung zwischen den Ländern noch ein um zwei bis drei Prozent höheres Steueraufkommen als der Bundesdurchschnitt auf, die ostdeutschen Flächenländer hingegen ein um fünf bis sieben Prozent niedriges Steueraufkommen. Ein entsprechend korrigierter Königsteiner Schlüssel würde für westdeutsche Flächenländer einen höheren Anteil als den Bevölkerungsanteil ausweisen und für die ostdeutschen Flächenländer einen niedrigeren. Bei den Stadtstaaten (Ausnahme Hamburg) wäre die Abweichung zum Steueraufkommen nicht sehr stark.
Offensichtlich spiegelt das im Königsteiner Schlüssel zugrunde gelegte Steueraufkommen die Wirtschaftskraft nicht wider. Die Frage ist, ob wirtschaftsstarke Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen tatsächlich über weniger Steuereinnahmen pro Kopf verfügen als beispielsweise die ostdeutschen Flächenländer. Dabei kommt es darauf an, welches Steueraufkommen herangezogen wird: Die kassenmäßigen Steuereinnahmen der Länder sind im Wesentlichen ähnlich verteilt wie das Bruttoinlandsprodukt der Länder oder das verfügbare Einkommen in den Ländern laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (VGR).Der Korrelationskoeffizient zwischen kassenmäßigem Steueraufkommen und Bruttoinlandsprodukt beträgt ρ = 0,91, zwischen Steueraufkommen und verfügbarem Einkommen ρ = 0,92 sowie zwischen Steueraufkommen und Arbeitnehmerentgelt ρ = 0,88. Zu diesen Einnahmen zählen Ländersteuern wie die Erbschaftsteuer und die Grunderwerbsteuer, vor allem aber die Anteile der Länder an den Einnahmen aus den Einkommensteuern. Diese Einnahmen verteilen sich nicht bevölkerungsproportional auf die Länder, sondern fließen überdurchschnittlich in die Kassen wirtschaftsstarker Länder. Daher sind die Steuereinnahmen in Baden-Württemberg um 17 Prozent höher als im Durchschnitt aller Länder, in Hessen um 25 Prozent und in Bayern sogar um 29 Prozent (Abbildung 2). In den ostdeutschen Flächenländern sind die Steuereinnahmen hingegen zwischen 31 und 45 Prozent niedriger als im bundesdeutschen Durchschnitt. Bei den Stadtstaaten verfügt Hamburg über sehr stark überdurchschnittliche Steuereinnahmen, Berlin und Bremen über leicht unterdurchschnittliche.
Allerdings wird in dem für die Berechnung des aktuellen Königsteiner Schlüssels relevanten Jahr 2017 mit dem Länderfinanzausgleich (LFA, seit 2020 abgelöst durch den Finanzkraftausgleich) ein Ausgleichmechanismus zur Angleichung der Finanzkraft der Länder angewendet. Beim Königsteiner Schlüssel werden neben den oben beschriebenen Steuereinnahmen der Länder auch die im Rahmen des damaligen LFA an einkommensschwächere Länder verteilten Mittel berücksichtigt. Dabei wurden in einem ersten Schritt das den Ländern zustehende Umsatzsteueraufkommen verteilt und in einem zweiten Schritt dann Ausgleichszahlungen zwischen einkommensstarken und einkommensschwachen Ländern vorgenommen, um die Steuerkraft weitgehend anzugleichen.Diese Ausgleichszahlen werden auch als LFA im engeren Sinne bezeichnet. Mit der seit 2020 praktizierten Regelung, dem Finanzkraftausgleich, entfallen diese Direktzahlungen. Stattdessen wird die Steuerkraft komplett über die ungleiche Verteilung des Umsatzsteueraufkommens ausgeglichen. Implizit gibt es damit weiterhin Zahlungen zwischen Ländern, was erneut für Diskussionen sorgt, siehe zum Beispiel Süddeutsche Zeitung (2023): Söder kündigt Klage gegen Länderfinanzausgleich an. Bericht vom 5. März 2023 (online verfügbar).
Nach all diesen Zuweisungen sind die Einnahmen der Länder tatsächlich in hohem Maße angeglichen. Nur die Stadtstaaten verfügen über ein deutlich überdurchschnittliches Steueraufkommen. Das liegt daran, dass sie im LFA bevorzugt wurden, um abzugelten, dass sie Aufgaben für das Umland übernehmen (sogenannte „Einwohnerveredelung“).Auch die Einwohner*innen in den neuen Bundesländern werden „veredelt“, jedoch in deutlich geringerem Maße. Das führt zu einem überdurchschnittlichen Steueraufkommen pro Kopf und daher folgerichtig zu einem Anteil des Königsteiner Schlüssels, der deutlich über dem jeweiligen Bevölkerungsanteil liegt.
Zieht man das Steueraufkommen der Länder vor der beschriebenen Umverteilung zwischen den Ländern bei der Berechnung des Königsteiner Schlüssels heran, so wie es im öffentlichen Verständnis oft suggeriert wird, ändert sich der Verteilschlüssel erheblich (Abbildung 3 und Tabelle 2): Für die wirtschaftsstarken Flächenländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen steigt der Anteil im Vergleich zum herkömmlichen Königsteiner Schlüssel um 13 bis 20 Prozent. In den ostdeutschen Flächenländern sinkt der Anteil gleichzeitig um 21 bis 30 Prozent, in Bremen und Berlin um ebenfalls gut 20 Prozent.
In Prozent
Bundesland | Bevölkerungsanteil | Steueraufkommen vor Umverteilung | Alternativer Königsteiner Schlüssel | Abweichung alternativer Königsteiner Schlüssel von aktuellem Schlüssel |
---|---|---|---|---|
Nordrhein-Westfalen | 21,65 | 20,72 | 21,03 | −0,21 |
Bayern | 15,70 | 20,21 | 18,71 | 20,21 |
Baden-Württemberg | 13,29 | 15,49 | 14,76 | 13,18 |
Niedersachsen | 9,63 | 8,28 | 8,73 | −7,05 |
Hessen | 7,54 | 9,42 | 8,79 | 18,25 |
Sachsen | 4,93 | 2,95 | 3,61 | −27,50 |
Rheinland-Pfalz | 4,92 | 4,61 | 4,71 | −2,22 |
Sachsen-Anhalt | 2,70 | 1,52 | 1,91 | −29,02 |
Schleswig-Holstein | 3,49 | 3,14 | 3,26 | −4,30 |
Thüringen | 2,61 | 1,43 | 1,82 | −30,81 |
Brandenburg | 3,02 | 2,08 | 2,39 | −21,03 |
Mecklenburg-Vorpommern | 1,95 | 1,11 | 1,39 | −29,84 |
Saarland | 1,20 | 0,90 | 1,00 | −16,27 |
Berlin | 4,35 | 4,00 | 4,11 | −20,72 |
Hamburg | 2,20 | 3,39 | 3,00 | 15,10 |
Bremen | 0,82 | 0,73 | 0,76 | −20,03 |
Flächenländer Ostdeutschland | 15,21 | 9,09 | 11,13 | −27,36 |
Anmerkung: Das Steueraufkommen beziehungsweise die Wirtschaftskraft geht zu zwei Dritteln in die Berechnung des Königsteiner Schlüssels ein, der Bevölkerungsanteil zu einem Drittel. Zahlen gerundet.
Quellen: Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), Statistisches Bundesamt, Bundesministerium der Finanzen; eigene Berechnungen.
Wäre solch ein alternativer Königsteiner Schlüssel, der die regionale Wirtschaftskraft widerspiegelt, also der bessere Verteilmechanismus? Das kommt darauf an. Bei der Finanzierung gemeinsamer Projekte, dem ursprünglichen Anwendungszweck des Schlüssels, ist es sinnvoll, die verfügbaren finanziellen Ressourcen unter Berücksichtigung aller Umverteilungsmechanismen zugrunde zu legen. Die wirtschaftsstarken Länder müssten sonst nämlich „doppelt zahlen“: bei der Umverteilung der Mittel per Länderfinanzausgleich und dann nochmal bei der Beteiligung an den gemeinsamen Projekten. Das wird durch die Berechnungslogik des Königsteiner Schlüssels verhindert. Damit erfüllt er aus fiskalischer Sicht seine ureigenste Aufgabe.Nur könnte dann eigentlich auch genauso gut auf die Miteinbeziehung des Steueraufkommens in den Königsteiner Schlüssel verzichtet werden. Andere Aufgaben, für deren Aufteilung der Königsteiner Schlüssel verwendet wird, sind jedoch nicht in erster Linie fiskalischer Art. Zwei prominente Beispiele sind die Verteilung von Fördermitteln im Bildungsbereich und die Verteilung geflüchteter Menschen auf die Länder.
Viele Akteure lehnen die Verwendung des Königsteiner Schlüssels bei der Verteilung von Bildungsbeteiligungen des Bundes ab, da die Orientierung an der „Wirtschaftsstärke“ dafür sorge, dass Geld entgegen den Bedarfen verteilt werde. Diese seien jedoch gerade in wirtschaftsschwachen Regionen besonders hoch, da hier mehr einkommensschwache Haushalte leben.Vgl. Silke Fokken (2022): Warum Bayern beim Geld für Bildung absahnt – und Bremen abhängt. Spiegel Online vom 7. September 2022 (online verfügbar). So entfielen beispielsweise von den Mitteln aus dem „DigitalPakt Schule“ auf jedes in einer Bedarfsgemeinschaft lebende Kind in Bayern rund 910 Euro, in Bremen aber lediglich rund 228 Euro.Vgl. Detlef Fickermann, Jörg-Peter Schräpler und Horst Weishaupt (2022): Verteilung von Bundesmitteln im Rahmen von Bund-Länder-Vereinbarungen im Schulbereich – Alternativen zum Königsteiner Schlüssel. Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Stoßrichtung dieses Arguments ist natürlich richtig, die resultierende Verteilung der Mittel ist nicht bedarfsgerecht. Das liegt aber nicht daran, dass der Königsteiner Schlüssel sich an der Wirtschaftsstärke orientieren würde. Im Gegenteil, er geht sogar tendenziell in die „richtige Richtung“: Tatsächlich werden – da ja das Steueraufkommen nach Umverteilung zwischen den Ländern per LFA für den Schlüssel herangezogen wird – die wirtschaftsschwächeren ostdeutschen Länder mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt, insbesondere aber die Stadtstaaten bei der Verteilung dieser Gelder überproportional (gemessen an der Bevölkerung) bedacht. Demgegenüber werden die wirtschaftsstärkeren Flächenländer in unterdurchschnittlichem Maße berücksichtigt. Befürworter*innen einer stärkeren Berücksichtigung wirtschaftsschwacher Regionen müssten also eigentlich schlussfolgern, dass der Königsteiner Schlüssel in diesem Bereich „nicht weit genug geht“, statt eine falsche Stoßrichtung zu beklagen. Die Zuschreibung des dem Schlüssel zugrunde gelegten Steueraufkommens als „Wirtschaftsstärke“ verschleiert diese Tatsache.Der Kritik wurde nun zumindest symbolisch Rechnung getragen: Fünf Prozent der Mittel für das neue Startchancen-Programm sollen anhand der Bedarfe der Länder verteilt werden. Vgl. Heike Schmoll (2023): Kultusminister einigen sich auf Verteilung für Startchancen-Programm. Frankfurter Allgemeine Zeitung Online vom 17. März 2023 (online verfügbar).
Die prominenteste und kontroverseste Aufgabe des Schlüssels ist die Verteilung geflüchteter Menschen, bei der es zwar Vorschläge für mögliche Änderungen gibt, aber bisher wenig Bestrebungen, diese umzusetzen.Vgl. Linda Schildbach (2023): Königsteiner Schlüssel: Warum Mitteldeutschland an Verteilungsformel für Flüchtlinge festhält. MDR aktuell vom 12. Januar 2023 (online verfügbar). Dem liegt der Grundgedanke zugrunde, dass die mit der (Erst-)Verteilung anfallenden Ausgaben (eigentlich) in die Hoheit der Länder und Kommunen fallen. Diese fiskalische Perspektive beachtet jedoch in keiner Weise, wo Integration besser gelingen kann. Es ist bekannt, dass vielfältige regionale Faktoren Integrationserfolge beeinflussen, die eine andere Verteilung als die (bevölkerungsproportionale) des Königsteiner Schlüssels begründen können.Vgl. für die relevanten Faktoren zum Beispiel Brücker et al. (2022), a.a.O. sowie Geis und Orth (2016), a.a.O.
Darüber hinaus wird der Königsteiner Schlüssel bei der Erstverteilung geflüchteter Menschen sowieso nicht eingehalten. In der Praxis unterbieten insbesondere Bayern und Baden-Württemberg ihre zumindest mit Blick auf die Wirtschaftskraft bereits unterproportionalen Quoten nochmal deutlich. In Bayern wurden in den Jahren 2014 bis 2022 in jedem Jahr weniger Asylanträge gestellt als der Königsteiner Schlüssel vorsieht. In der Summe lag die Abweichung über diesen Zeitraum bei knapp 16 Prozent (Abbildung 4).Typischerweise liegt die Quote dabei rund zwei Prozentpunkte niedriger, vgl. dazu Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2023): Das Bundesamt in Zahlen 2022 (online verfügbar) sowie die vorangegangenen Publikationen der Reihe. Zusammen mit Sekundärwanderungen führt das dazu, dass in den süddeutschen Ländern die Anteile geflüchteter Menschen an der Bevölkerung weit unterproportional sind.Vgl. Albert Landsberger (2022): Die Wohnsitzauflage für Geflüchtete: Ein starker Eingriff mit unklarem Ergebnis. ifo Dresden berichtet, 29(6), 36–40.
Der Königsteiner Schlüssel wird immer vor dem Hintergrund einer vermeintlich „fairen“ Verteilung etwa von Integrationsaufgaben verteidigt. Fair wird dabei im öffentlichen Diskurs oftmals verstanden als: gemessen an der regionalen Wirtschaftsstärke. Die Grundlage für die Berechnung der Wirtschaftsstärke ist jedoch das Steueraufkommen der Länder, das nach den Umverteilungsmechanismen des Länderfinanzausgleichs zugrunde gelegt wird und daher nicht die tatsächliche Wirtschaftsstärke der Länder widerspiegelt.
Letztendlich verteilt der Königsteiner Schlüssel fast nur nach Bevölkerung, wobei die Einwohner*innen der Stadtstaaten höher gewichtet werden. Deshalb weist ihnen der Schlüssel beispielsweise überproportional viele Geflüchtete zu. Aufgrund seiner vielfältigen Anwendungen ist fraglich, ob diese Art der Verteilung von Aufgaben und Geldern sinnvoll ist. Zudem wird der Königsteiner Schlüssel bei der Verteilung geflüchteter Menschen ohnehin nicht eingehalten. Er ist hier also ein reiner PR-Stunt, der zwar Fairness suggeriert, in diesem Aspekt aber keinen Mehrwert hat. Besser wäre statt der Verwendung eines solchen ungeeigneten Formelkompromisses eine ehrliche Diskussion über eine bedarfsgerechtere Verteilung von Lasten und Hilfen zwischen den Ländern.
JEL-Classification: H75;H76;H30
Keywords: regional inequality, fiscal policy
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-18-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/273588