DIW Wochenbericht 19 / 2023, S. 226
Adriana Silva Cardozo, Erich Wittenberg
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Frau Cardozo, Sie haben die Erwerbschancen von geflüchteten Frauen in Deutschland untersucht. Wie hat sich ihre Erwerbsbeteiligung in den letzten Jahren entwickelt? Die Erwerbsbeteiligung von geflüchteten Frauen ist immer noch niedrig, stieg aber zwischen 2017 und 2020 allmählich an. Tatsächlich hat sich der Anteil der Frauen, die angeben, erwerbstätig zu sein, in diesem Zeitraum sogar verdoppelt.
Wie ist dieser Anstieg zu erklären? Es gibt mehrere Gründe. Unter anderem haben sich die Sprachkenntnisse verbessert, was ein wichtiger Schlüssel zur Teilhabe am deutschen Arbeitsmarkt ist. Gleichzeitig ist der Anteil junger geflüchteter Frauen, die an Bildungsprogrammen teilgenommen haben, gestiegen.
Wie hoch sind im Durchschnitt Bildungsniveau, Berufserfahrung und Sprachkenntnisse der geflüchteten Frauen? Fast die Hälfte der Frauen mit Fluchthintergrund hat nur einen Grundschulabschluss. Weitere 20 Prozent verfügen über einen Abschluss, der im deutschen System ungefähr einem Hauptschulabschluss oder einem Realschul- oder Gymnasialabschluss bis zur zehnten Klasse entspricht. Somit hat ein großer Teil der geflüchteten Frauen ein niedriges Bildungsniveau im Vergleich zum deutschen Durchschnitt. Auch berichten nur knapp ein Drittel der Frauen über Berufserfahrung vor der Flucht. In Bezug auf Sprachkenntnisse gaben im Jahr 2020 etwa 26 Prozent der Frauen an, ein hohes Sprachniveau zu haben, 35 Prozent gaben an, ein mittleres und 37 Prozent ein niedriges Sprachniveau zu haben. Bemerkenswert ist, dass die Zahl der Frauen mit geringen Deutschkenntnissen seit 2016 deutlich zurückgegangen ist, was sehr positiv ist. Allerdings erschwert die Kombination von niedrigem Bildungsniveau, geringer Berufserfahrung und niedrigen bis mittleren Sprachkenntnissen den Zugang zum Arbeitsmarkt.
Wie wirken sich traditionelle Rollenmuster aus den Heimatländern auf die Beschäftigung von geflüchteten Frauen in Deutschland aus? Traditionelle Rollenmuster führen dazu, dass geflüchtete Frauen überdurchschnittlich viel Zeit für Kinderbetreuung und Hausarbeit aufwenden, wodurch weniger Zeit für Spracherwerb, Bildung und Beschäftigung bleibt. Auf diese Weise bleiben sie dem Arbeitsmarkt länger fern und verzichten auch manchmal auf Sprachkurse, die für ihre Integration wichtig sind.
Wie schätzen Sie die zukünftigen Chancen der geflüchteten Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt ein? Es ist ein langsamer Prozess, der aber vorankommt. Wenn sich die Bedingungen für den Spracherwerb, die externe Kinderbetreuung und der Zugang zu Arbeitsmarktintegrationsprogrammen weiter verbessern, haben geflüchtete Frauen eine Chance, ihre Beteiligung am Arbeitsmarkt zu erhöhen. Insbesondere junge Frauen und solche, die als Minderjährige nach Deutschland gekommen sind, werden besser in das Bildungssystem integriert. Somit sind ihre Zukunftschancen durchaus positiv zu betrachten.
Was könnte noch getan werden, um das Potenzial der geflüchteten Frauen zu heben und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern? Es gibt Integrationsprogramme die spezifisch auf Frauen mit kleinen Kindern konzipiert worden sind. Allerdings gibt es Hürden, die die Teilnahme erschweren. Die liegen manchmal innerhalb der Familie. Es ist daher wichtig, die bestehenden Bildungsmaßnahmen für geflüchtete Frauen zu erweitern und gegebenenfalls neue Programme zu konzipieren. Besonderes Augenmerk sollte auf das Potenzial von Frauen gerichtet werden, deren Kinder bereits älter sind und die daher keine intensive Betreuung mehr benötigen. Gerade für sie sollten spezielle Bildungs- und Integrationsprogramme ausgebaut und geschaffen werden.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-19-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/273590