Der Emissionshandel braucht ein starkes Klimaschutzgesetz: Kommentar

DIW Wochenbericht 19 / 2023, S. 230

Karsten Neuhoff, Mats Kröger

get_appDownload (PDF  121 KB)

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  2.49 MB - barrierefrei / universal access)

Nach der Entscheidung des Koalitionsausschusses gegen jährliche Emissionsziele für einzelne Sektoren wie Verkehr, Industrie und Gebäude, werden wieder alte Stimmen laut. Sie fordern, Klimapolitik solle vor allem mit Emissionshandel umgesetzt werden. Ihr Grundgedanke lautet: Wenn Minderungsziele nicht erreicht werden, steige der CO2-Preis und Deutschland könne mit der unsichtbaren Hand des Marktes die Ziele von Treibhausgasminderung und Klimaschutz erreichen.

Das funktioniert jedoch nicht. Die Gaspreiskrise hat gezeigt, dass Kostenanstiege im Energiesektor Risiken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bergen. Während hohe Energiepreise für wohlhabende Haushalte nicht mehr als eine Unannehmlichkeit sind, belasten sie einkommensschwache Haushalte in schlecht gedämmten Wohnungen oder Pendler*innen ohne Nahverkehr. Einen moderaten Kostenanstieg kann die Bundesregierung mit einem Klimageld abfedern. Doch bei hohen CO2-Preisen können Pauschalzahlungen keinen ausreichenden Ausgleich für die besonders betroffenen Haushalte leisten.

Die Politik hat in der Gaspreiskrise daher zurecht eingegriffen, als die Preisanstiege Bevölkerung und Wirtschaft zu stark belasteten. Langfristig entstehen so jedoch keine ausreichenden Investitionsanreize. Eine ähnliche Intervention wäre auch bei steigenden CO2-Preisen zu erwarten. Der Emissionshandel ist daher allein kein glaubwürdiges Instrument, um Investitionen in den Klimaschutz anzureizen. Die Lenkungswirkung sehr hoher CO2-Preise findet sich vermutlich eher in ökonomischen Modellen als in der Realität. Eine Überbetonung des Potenzials von CO2-Preisen ohne flankierende Maßnahmen birgt das Risiko, dass effektiver Klimaschutz weiter aufgeschoben wird.

Das Aufgeben der verbindlichen Sektorenziele ist ein fatales Signal. Die Bundesregierung beschädigt die Glaubwürdigkeit ihrer klimapolitischen Maßnahmen und Ziele. Ohne diese Glaubwürdigkeit wird die Wirtschaft nicht in die Produktion von klimaschützenden Technologien investieren. Denn Unternehmen tätigen transformative Investitionen nur, wenn es für die grünen Produkte auch Absatzmärkte gibt. Das zeigt sich im Gebäudebereich: Die Politik spricht seit mehr als einem Jahrzehnt von einer Steigerung der energetischen Modernisierungsrate, machte die Ziele jedoch nie verbindlich – und die Wirtschaft hat die notwendigen Produktions- und Handwerkerkapazitäten nicht aufgebaut.

Für die Transformation sind verbindliche Ziele notwendig, damit Investoren Vertrauen in die Umsetzung von Programmen haben. Kurzfristig gehören dazu vor allem drei Punkte. Erstens ein klarer regulatorischer und finanzieller Rahmen für den Ausbau erneuerbarer Energien und damit die Verbraucher*innen gegen hohe Strompreise absichern. Zweitens müssen regulatorische Rahmen für den Ausbau von Wasserstoff-, Strom- und Wärmenetzen und die öffentlichen Verkehrsnetze gesetzt werden und Unternehmen im Aufbau einer klimaneutralen Produktion unterstützt werden. Und drittens muss der Staat eine ausreichende Anschubförderung von energetischen Gebäudesanierungen auf den Weg bringen und das Mietrecht weiterentwickeln, um einen Anstieg der Warmmieten zu vermeiden.

Das Klimaschutzgesetz setzt den klaren Rahmen, in dem diese Maßnahmen wirken können. Monitoring und Transparenz ermöglichen zugleich der Zivilgesellschaft, den Medien und allen anderen Akteur*innen, die Wirksamkeit politischer Maßnahmen zu kontrollieren. Sollte die Regierung diese Kontrolle ersatzlos streichen und gleichzeitig ihre selbstgesteckten Ziele verfehlen, schwächt das die Glaubwürdigkeit der klimapolitischen Ziele und damit den Rahmen für Investitionen in die Transformation.

Die Ampelregierung deckt die gesellschaftliche Vielfalt ab, die für Zustimmung und Akzeptanz der Modernisierung von Wirtschaft und Infrastruktur notwendig ist. Der Emissionshandel allein kann die dafür notwendigen politischen Entscheidungen nicht ersetzen. Der Emissionshandel ist allein nicht glaubwürdig, sondern nur gemeinsam mit einem starken Klimaschutzgesetz wirksam.

Dieser Beitrag ist am 3. Mai im Tagesspiegel Background erschienen

Karsten Neuhoff

Abteilungsleiter in der Abteilung Klimapolitik

keyboard_arrow_up