Direkt zum Inhalt

Hohe Zustimmung zu bedingungslosem Grundeinkommen – vor allem bei den möglichen Profiteur*innen

DIW Wochenbericht 21 / 2023, S. 245-253

Marius R. Busemeyer, Adrian Rinscheid, Jürgen Schupp

get_appDownload (PDF  321 KB)

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  2.6 MB - barrierefrei / universal access)

  • Studie analysiert zwei repräsentative Befragungen zu Einstellungen über Höhe und Ausgestaltung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland
  • Ergebnisse aus dem Sommer 2022 bestätigen die seit Jahren hohe Zustimmung einer Mehrheit zum bedingungslosen Grundeinkommen
  • Je höher das Grundeinkommen, desto größer ist die Zustimmung: 1200 Euro im Monat stimmen die meisten zu
  • Gegenfinanzierung über höhere Einkommen- und Vermögensteuern für Reiche findet höchste Unterstützung; Mehrwertsteuererhöhung ist hingegen unbeliebt
  • Grundeinkommen sollte in Debatten über Transformation der Sozialsysteme berücksichtigt werden, denn die Zustimmung in der Bevölkerung ist hoch

„Ein garantiertes Grundeinkommen könnte die Menschen in die Lage versetzen, aus einer stärkeren ökonomischen Position heraus künftige Herausforderungen wie den Klimawandel oder technische Umwälzungen am Arbeitsplatz besser zu meistern.“ Jürgen Schupp

Eine repräsentative Befragung aus dem August 2022 bestätigt die hohe Popularität in der Bevölkerung für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE). Zwischen 45 und 55 Prozent der Befragten stimmen für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens mit dem vermeintlichen Versprechen von finanzieller Sicherheit ohne Verpflichtungen. Wer genau die Unterstützer*innen eines BGE sind und welches Modell sie bevorzugen, zeigen zwei repräsentative Befragungen aus dem August 2022. Sie belegen, dass vor allem jüngere Altersgruppen sowie Personen mit geringen Einkünften und mit großen Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens unterstützen. Eine der in diesem Wochenbericht analysierten Erhebungen zeigt, dass die meisten Befragten sich ein Grundeinkommen von 1200 Euro ohne Restriktionen wünschen. Zur staatlichen Finanzierung eines Grundeinkommens findet der Vorschlag die meiste Unterstützung, die Einkommen- und Vermögensteuern für Reiche anzuheben.

Die politische Debatte zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) hat in den vergangenen Jahren an Intensität zugenommen. Nachdem die Idee eines solchen Grundeinkommens, bei dem allen Bürger*innen ein fester monatlicher Geldbetrag ohne Bedingungen ausbezahlt wird, zunächst eher als radikales Projekt von Utopist*innen betrachtet wurde, kommt es nun zunehmend im Mainstream der politischen und akademischen Debatten an.infoVgl. hierzu beispielhaft Philippe Van Parijs und Yannick Vanderborght (2017): Basic Income: A Radical Proposal for a Free Society and a Sane Economy. Cambridge: Harvard University Press sowie Rutger Bregman (2017): Utopien für Realisten. Reinbek: Rowohlt. So sprach sich Bündnis 90/Die Grünen 2020 im GrundsatzprogramminfoSiehe Bündnis 90/Die Grünen (2020): Grundsatzprogramm, 89 (online verfügbar, abgerufen am 21. März 2023. Dies gilt auch für alle Online-Quellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben). für die Weiterentwicklung des Sozialstaats in Deutschland aus. Perspektivisch sollte die „Leitidee eines Bedingungslosen Grundeinkommens“ als Orientierung dienen und auch im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021infoVgl. Bündnis 90/Die Grünen (2021): Deutschland. Alles ist drin. Bundestagswahlprogramm 2021, 112 (online verfügbar). sprach sich die Partei für Modellprojekte zu den Wirkungen eines BGE aus. An der Universität Freiburg wurde im Herbst 2019 das Freiburg Institute for Basic Income Studies (FRIBIS) als interdisziplinärer Kompetenzverbund gegründet, der sich der akademischen Erforschung des BGE widmet und den Grundeinkommensdiskurs in Öffentlichkeit und Politik wissenschaftlich zu untermauern sucht.infoWebsite des Freiburg Institute for Basic Income Studies (online verfügbar).

Zudem läuft derzeit deutschlandweit ein Pilotprojekt des Vereins Mein Grundeinkommen in Kooperation mit mehreren wissenschaftlichen Instituten, darunter dem DIW Berlin, zu den individuellen Wirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens in Höhe von 1200 Euro pro Monat für die Dauer von drei Jahren.infoNach Abschluss der letzten von sechs Befragungen der Studienteilnehmenden im Frühjahr 2024 werden die zentralen Ergebnisse der Studie veröffentlicht; Projektdetails (online verfügbar); zu methodischen Details sowie zur Anlage des Feldexperiments vgl. Rolf G. Heinze und Jürgen Schupp (2022): Grundeinkommen – Von der Vision zur schleichenden sozialstaatlichen Transformation. Wiesbaden: Springer VS, 52ff. International sorgte ein wissenschaftliches Feldexperiment in Finnland für Interesse, bei dem 2017 und 2018 insgesamt 2000 Erwerbslosen ein BGE ausgezahlt wurde. Die Ergebnisse hatten jedoch keine Folgen für Sozialreformen.infoOlli Kangas et al. (Hrsg.) (2021): Experimenting with Unconditional Basic Income: Lessons from the Finnish BI Experiment 2017–18: Edward Elgar.

Auch in der Sozialpolitikforschung findet das Thema vermehrt Aufmerksamkeit. Die sozialen Sicherungssysteme sollten in Deutschland und anderen Industrieländern neu gestaltet und verdeckte Armut in Wohlfahrtsstaaten abgebaut werden. Bürokratieärmere Reformalternativen wie auch garantierte Transferzahlungen finden daher steigende Beachtung.infoZum Beispiel Hillary Hoynes und Jesse Rothstein (2019): Universal Basic Income in the United States and Advanced Countries. In: Annual Review of Economics 11, 929–958. Ein Großteil der Forschung zum Grundeinkommen befasst sich mit Fragen der Finanzierbarkeit,infoDer wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen legte ein Gutachten vor, in dem vier Varianten eines bedingungslosen Grundeinkommens mithilfe von Mikrosimulationsstudien präsentiert wurden (online verfügbar). der Ausgestaltung verschiedener Modelle oder der philosophisch-normativen Begründung für die Notwendigkeit eines Grundeinkommens.infoVgl. Van Parijs und Vanderborght, a.a.O., für eine gute Einführung und Übersicht sowie aus der Perspektive der deutschen Debatte vgl. Heinze und Schupp, (2022) a.a.O. In den Reformdebatten zum Sozialstaat steht häufig die Frage im Mittelpunkt, wie die Bevölkerung zur Einführung eines Grundeinkommens steht. Die im Frühjahr 2019 vorgelegten Ergebnisse repräsentativer Befragungen belegen, dass rund die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ein bedingungsloses Grundeinkommen befürworten würde.infoVgl. hierzu Jule Adriaans, Stefan Liebig und Jürgen Schupp (2019): Zustimmung für ein bedingungsloses Grundeinkommen ist eher bei Jungen, besser Gebildeten sowie in unteren Einkommensschichten anzutreffen. DIW Wochenbericht Nr. 15, 264–270 (online verfügbar). Die Analysen basieren auf der achten Welle des European Social Survey (ESS) von 2016/17, das erstmals eine Frage zum BGE in einer international vergleichenden Meinungsumfrage aufnahm. Neben dem hohen Grad an Zustimmung von teilweise mehr als 50 Prozent in vielen Ländern Europas belegen die Auswertungen, dass die Unterstützung für ein BGE unter Jüngeren, Anhängern von Linksparteien und ärmeren Schichten besonders hoch ist. Vgl. hierzu Femke Roosma und Wim van Oorschot (2020): Public opinion on basic income: Mapping European support for a radical alternative for welfare provision. Journal of European Social Policy 30 (2), 190–205; sowie Hanna Schwander und Tim Vlandas (2020): The Left and universal basic income: the role of ideology in individual support. Journal of International and Comparative Social Policy 36 (3), 237–268. Sowohl die Corona-Pandemie als auch die 2022 inflationsbedingt gestiegenen Energie- und Mobilitätskosten in Deutschland haben zu erheblichen finanziellen Belastungen für private Haushalte geführt, verbunden mit großer Verunsicherung sowie Abstiegsängsten in Teilen der Mittelschicht. Auch vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die generelle Zustimmung zu einem Grundeinkommen noch so hoch wie in der Zeit vor Ausbruch der Pandemie ist oder sogar noch gestiegen ist.

Ein wichtiger Nachteil der bisherigen Studien, insbesondere der Daten des European Social Survey (ESS),infoDer European Social Survey (ESS) ist eine länderübergreifende, auf wissenschaftlichen Standards beruhende Erhebung, die seit 2001 alle zwei Jahre durchgeführt wird. Der ESS erhebt Daten über Einstellungen und Verhaltensmuster der Bevölkerung in mehr als 30 europäischen Ländern (online verfügbar). ist, dass sie nur die Zustimmung zu einem bestimmten Modell eines BGE abfragen können, was durch die technischen Machbarkeitsbedingungen einer international vergleichenden Umfragestudie bedingt ist. Sowohl in der nationalen wie internationalen Debatte zum BGE werden aber sehr unterschiedliche Umsetzungsmodelle diskutiert, die sich teils erheblich unterscheiden, zum Beispiel in der Höhe des Grundeinkommens, den Bezugsberechtigten, der Finanzierung oder in der Frage, ob es vollkommen bedingungslos oder doch an Bedingungen geknüpft sein soll. Die Verschiedenartigkeit der Modelle trägt auch dazu bei, dass die Idee eine BGE Unterstützende aus unterschiedlichen politischen Milieus mobilisieren kann – denn unterschiedliche Unterstützerkreise haben in der Regel auch unterschiedliche Umsetzungsmodelle im Kopf. Allerdings liegen bislang wenige Studien vor, die die Komplexität der unterschiedlichen Modelle mit Hilfe von experimentellen Umfragemethoden erfassen können. Mit spanischen Umfragedaten konnte gezeigt werden, dass die Unterstützung für ein BGE tendenziell steigt, wenn nicht alle Bewohner*innen Spaniens zu den Bezugsberechtigten gehören, sondern nur Staatsangehörige.infoVgl. hierzu Leire Rincon (2021): A Robin Hood for All: A Conjoint Experiment on Support for Basic Income. Journal of European Public Policy 30 (2), 375–99. Die Unterstützung steigt ebenfalls, wenn die Finanzierung über progressive Einkommen- und Vermögensteuern erfolgt. In einer vergleichenden Studie mit Daten aus Finnland und der Schweiz konnte belegt werden, dass ein höheres Niveau des Grundeinkommens die öffentliche Unterstützung erhöht und auch in diesen Ländern die Befragten für Grundeinkommensmodelle sind, die vor allem den jeweiligen Staatsangehörigen zu Gute kommen.infoVgl. hierzu Isabelle Stadelmann-Steffen und Clau Dermont (2020): Citizens’ Opinions About Basic Income Proposals Compared – a Conjoint Analysis of Finland and Switzerland. Journal of Social Policy 49 (2), 383–403.

Trotz Krieg und Krise ist mehr als die Hälfte der Deutschen für ein Grundeinkommen

Die bisherigen Ergebnisse aus Befragungen in Deutschland belegen, dass seit der Jahreswende 2016/17 bis Herbst 2018 die Zustimmungsrate zur Einführung eines BGE weitgehend stabil sowie tendenziell steigend war und einen Wert zwischen 45 und 55 Prozent erreichte.infoVgl. Jürgen Schupp (2020): Bedingungsloses Grundeinkommen: sowohl viel Zustimmung als auch große Ablehnung. Wirtschaftsdienst 100 (2), 112–116. Bei der im Rahmen des SOEP-InnovationspanelsinfoZufallsbasierte Stichprobe der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren, die im Rahmen des SOEP-IS Bus-Moduls zum BGE durchgeführt wurde. Das SOEP ist eine im DIW Berlin angesiedelte Forschungsdateninfrastruktur für die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Zu Ergebnissen siehe Schupp (2020), a.a.O. Zu methodischer Anlage sowie Inhalten des SOEP-Innovationspanels vgl. David Richter und Jürgen Schupp (2015): SOEP-Innovation Panel (SOEP-IS) Schmollers Jahrbuch 135 (3), 389–399. durchgeführten Erhebung im Herbst 2019 lag die Zustimmungsrate zu einem BGE einige Prozentpunkte niedriger als im Jahr zuvor bei nunmehr 48 Prozent.infoAdriaans, Liebig und Schupp (2019), a.a.O.

Auf diesen Befunden bauen die beiden in diesem Wochenbericht präsentierten Studien aus der Compass-Befragung und der Konstanzer Befragung auf. Die repräsentative Compass-Befragung hat im August 2022 zufällig ausgewählte deutsche Staatsbürger*innen online nach ihrer Einstellung zum bedingungslosen Grundeinkommen befragt (Kasten). Die zweite, von der Universität Konstanz durchgeführte Studie basiert auf einer ebenfalls im August 2022 durchgeführten Befragung von 4500 Personen, die die Wohnbevölkerung von 18 bis 84 Jahren in Deutschland in Bezug auf Alter, Geschlecht und Bildungsniveau repräsentieren.

Datenbasis der Compass-Befragung

Die Compass-Befragung wurde vom 8. bis 17. August 2022 durchgeführt. Eine Zufallsauswahl unter den rund 25 Millionen Mitgliedern des Kundenbindungsprogramms Payback bildet die Basis der Compass-Erhebung, die das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap als Corona Online Meinungs Panel Survey Spezial erstmals im März 2020 zur Abbildung von kurzfristigen Stimmungstrends genutzt hatte. Infratest dimap gewichtet die Daten so, dass sie für die in Deutschland lebenden Wahlberechtigten (Deutsche ab 18 Jahre) mit einem Online-Zugang repräsentativ sind. Die Gewichtung der per Zufall erhobenen Stichprobe basiert auf Daten des amtlichen Mikrozensus (Alter, Geschlecht, Bildung, Haushaltsgröße, Bundesland und Gemeindegrößenklassen).

Die präsentierten Ergebnisse zur Akzeptanz eines bedingungslosen Grundeinkommens beruhen bei der Compass-Befragung auf Fragen, die denen der deutschen Bevölkerung im Rahmen des European Social Survey (ESS) 2016/17 folgt. Den Befragten wurden zunächst Einzelheiten zur Ausgestaltung des BGE gegeben:

  • Der Staat zahlt jedem ein monatliches Einkommen, das alle grundlegenden Lebenshaltungskosten deckt.
  • Dadurch werden viele bestehenden Sozialleistungen ersetzt.
  • Das Ziel ist, jedem einen minimalen Lebensstandard zu garantieren.
  • Alle erhalten den gleichen Betrag, egal ob man arbeitet oder nicht.
  • Man kann zudem das Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder anderen Quellen behalten.
  • Das Grundeinkommen wird über Steuern finanziert.

Im Anschluss wurden sie gefragt, ob sie für oder gegen ein solches BGE seien. Die Befragten konnten den Grad ihrer Zustimmung oder Ablehnung anhand der vierstufigen Skala „sehr dagegen“, „dagegen“, „dafür“, „sehr dafür“ einordnen. Als Folgefrage wurde im Anschluss die Frage nach einer vermuteten finanziellen Besser- oder Schlechterstellung gestellt.

Datenbasis der Konstanzer Befragung

Bei der Konstanzer Befragung handelt es sich um eine deutschlandweite Umfrage der Arbeitsgruppe Vergleichende Politische Ökonomie an der Universität Konstanz. Das Umfrageinstitut Bilendi hat vom 9. bis 17. August 2022 dafür insgesamt 4500 Personen im Rahmen eines Online-Access-Panels befragt. Die Erhebung repräsentiert die Wohnbevölkerung von 18 bis 84 Jahre in Deutschland in Bezug auf Alter, Geschlecht und Bildungsniveau.

Die Befragten wurden unter anderem mit Hilfe eines sogenannten Vignetten-Designs zu ihren Einstellungen zu unterschiedlichen Varianten eines bedingungslosen Grundeinkommens gefragt. In einem Vignetten-Design werden den Befragten nacheinander unterschiedliche Modelle (in dieser Befragung drei Modelle eines Grundeinkommens) vorgelegt, die sich jeweils anhand einer Reihe von Merkmalen oder Design-Elementen voneinander unterscheiden.infoSiehe dazu auch Tabelle 2 in diesem Bericht. Die Ausprägungen dieser Merkmalsdimensionen werden nach dem Zufallsprinzip variiert. Im Anschluss an jede gezeigte Variante eines Grundeinkommens wurde die relative Zustimmung oder Ablehnung der Befragten erhoben. Zusätzlich wurde abgefragt, ob die Befragten selbst von der Einführung des jeweiligen BGE-Modells profitieren würden (analog zur Compass-Befragung).

Statistische Analysemethoden

Die Berechnung der ausgewiesenen Koeffizienten erfolgte mit Hilfe logistischer Regressionsmodelle. Als abhängige Variable diente die Zustimmung zum BGE (ja/nein) ohne Berücksichtigung der Fälle „weiß nicht/ohne Angabe“. Ausgewiesen sind die durchschnittlichen marginalen Effekte (zu interpretieren in Prozentpunkten). Aufgrund der vergleichsweise kleinen Samples können bei etlichen Merkmalen nur breite Konfidenzbänder geschätzt werden. Die Einkommensgruppen werden personenbezogen berechnet auf der Grundlage der verfügbaren Haushaltsnettoeinkommen (inklusive Sozialtransfers) ausgewiesen.

Die weiteren ausgewiesenen Koeffizienten beruhen auf Mehr-Ebenen-Modellen (random intercept models) mit den aufgelisteten Ausprägungen als unabhängige Variablen. Die abhängige Variable (Grad der Zustimmung zum jeweiligen BGE-Modell) wurde auf einer Skala von 0 bis 10 gemessen. Die Ergebnisse von drei separaten Analysen zeigen die Zustimmung zum BGE in Abhängigkeit von den Erwartungen über den Einfluss eines BGE auf die eigene finanzielle Situation.

Geschätzte Vorhersagewerte (predicted values) ermöglichen es, für jede Kombination von Merkmalsausprägungen einen prozentualen Zustimmungswert zu erhalten. Für die Darstellung wurde nur eine kleine Auswahl besonders relevanter Merkmalskombinationen berücksichtigt – insbesondere die Verknüpfungen der beliebtesten und am wenigsten beliebten Ausprägungen sowie ausgewählte weitere Kombinationen. Diese Vorgehensweise zeigt die Spannbreite der möglichen Unterstützung für verschiedene BGE-Modelle.

Die Ergebnisse der Compass-Erhebungen zeigen auch nach dem Ende der Corona-Pandemie sowie dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreise einen hohen Grad an Zustimmung zu einem BGE. Im August 2022 haben laut der Umfrage 53 Prozent der deutschen Bevölkerung mit Online-Zugang für die Einführung eines GrundeinkommensinfoDiese Verallgemeinerung der Studienergebnisse auf die deutsche Bevölkerung mit Onlinezugang sind der zufallsbasierten Stichprobenbildung der Compass-Erhebung geschuldet. Siehe dazu auch den Kasten in diesem Bericht. plädiert, 36 Prozent waren dagegen und ein im Vergleich zu früheren Befragungen höherer Anteil von elf Prozent kann oder will die Frage nicht beantworten (Abbildung 1).

Je stärker die Befragten profitieren könnten, desto größer ist der Grad der Zustimmung: 36 Prozent der Befragten erwarten nach Einführung eines BGE finanziell etwas oder deutlich besser gestellt zu sein, während 23 Prozent der Befragten davon ausgehen, finanziell etwas oder deutlich schlechter gestellt zu sein. Rund 30 Prozent gehen davon aus, dass sie nach Einführung eines BGE finanziell in etwa gleichgestellt wären (Tabelle 1).

Tabelle 1: Vermutete finanzielle Besser- oder Schlechterstellung nach Zustimmung/Ablehnung eines BGE

Gehen Sie davon aus, dass Sie nach der Einführung eines derartigen Grundeinkommens persönlich dann finanziell … Insgesamt (Prozent) Davon:
Zustimmung zu BGE (Prozentpunkte) Ablehnung eines BGE (Prozentpunkte) Weiß nicht (Prozentpunkte)
… deutlich bessergestellt wären? 14 12 2 0
… etwas bessergestellt wären? 22 17 4 1
… etwa gleichgestellt wären? 30 18 9 3
… etwas schlechter gestellt wären? 12 2 8 1
… deutlich schlechter gestellt wären? 11 1 9 1
Weiß nicht 12 3 4 4
Insgesamt 100 53 36 11

Anmerkung: Cramer’s V = 0,3640.

Quelle: Compass – Online-Befragung; nach Gewichtung repräsentativ für deutsche Wahlberechtigte mit Onlinezugang; N = 2117; Feldzeit vom 8. bis 17. August 2022.

Geringes Einkommen und Sorgen erhöhen Zustimmung zum Grundeinkommen

In einem weiteren Schritt wurde die Gruppe der Zustimmenden für ein BGE differenzierter analysiert. Mit Hilfe von multivariaten Schätzverfahren wurde ermittelt, anhand welcher soziodemografischen Merkmale sich die Gruppe der Zustimmenden von den Nicht-Zustimmenden unterscheidet (Abbildung 2). Die Analysen zeigen, dass sich viele der soziodemografischen Effekte wieder bestätigten, die sich bereits in der Vor-Corona-Studie 2016/17 als bedeutsam erwiesen haben.infoVgl. Adriaans, Liebig und Schupp (2019), a.a.O., 267. Demnach befürworten jüngere Befragte ein BGE tendenziell eher als Ältere. Auch hinsichtlich der Höhe des Haushaltsnettoeinkommens sind die Tendenzen deutlich erkennbar. Personen mit einem Haushaltsnettoeinkommen von 1500 bis 3500 Euro tendieren signifikant eher dazu, sich für ein BGE auszusprechen, als Personen ohne Angaben zum Einkommen.

Interessant sind auch einige Präferenzen sowie Sorgen der Befragten im Zusammenhang mit der Zustimmung zu einem BGE. So befürworten vor allem Personen ein BGE, die sich entweder große Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation oder um den Schutz von Umwelt und Klima machen. Die Sorge um die wirtschaftliche Situation dürfte mit dem Einkommenseffekt korrelieren; die Sorge um den Schutz von Umwelt und Klima hängt eher mit einer spezifischen Wertedisposition zusammen.

Die Gruppe der mit dem eigenen Leben Unzufriedenen neigt eher dazu, einem BGE zuzustimmen. Der mit Abstand größte Effekt kommt der vermuteten finanziellen Schlechterstellung nach der Einführung eines BGE zu (Tabelle 1). Dieses Ergebnis macht unmittelbar deutlich, dass die Höhe eines Grundeinkommens sowie eine mögliche Finanzierung eine besondere Bedeutung für die Akzeptanz besitzt.

Zustimmung hängt von der Höhe des Grundeinkommens ab

Die zweite Befragung aus Konstanz hat die verschiedenen Präferenzen je nach Ausgestaltung eines BGE analysiert. Für die Ausgestaltung eines BGE gibt es viele Modelle (Tabelle 2). Neben der Höhe des Grundeinkommens kann der Kreis der Bezugsberechtigten unterschiedlich festgelegt werden. Gleiches gilt für die Finanzierung und eine mögliche Verknüpfung der Auszahlung an bestimmte Bedingungen.

Tabelle 2: Ausgestaltung unterschiedlicher BGE-Modelle

Dimensionen Ausprägungen
1 Höhe des Grundeinkommens

400 Euro pro Monat

800 Euro (Referenz)

1200 Euro

1600 Euro

2 Empfangsberechtigte

Personen aller Altersgruppen (von Säugling bis Rentner*in)

Erwachsene Personen ab 18 Jahren

Gesamter Haushalt (Referenz)

3 Staatsbürgerschaft

Deutsche Staatsbürgerschaft

Unabhängig von der Staatsbürgerschaft Aufenthalt von mindestens fünf Jahren in Deutschland (Referenz)

Unabhängig von der Staatsbürgerschaft Aufenthalt von mindestens einem Jahr in Deutschland

4 Bedingungen

Keine weiteren Einschränkungen

Auszahlung nur an Arbeitslose und -suchende (Referenz)

Auszahlung nur an Personen, die sich im Gegenzug verpflichten, eine Aus- oder Weiterbildung durchzuführen

Auszahlung nur an Personen, die sich im Gegenzug verpflichten, sich ehrenamtlich und sozial zu engagieren

5 Finanzierung

Kürzung anderer Leistungen des Sozialstaats (Referenz)

Anhebung der Einkommen- und Vermögensteuern für Reiche

Stärkere Besteuerung von CO2-Emissionen

Anhebung der Mehrwert- und Umsatzsteuern

Quelle: Eigene Darstellung.

Systematisches Wissen zu den Präferenzen der deutschen Bevölkerung zu den genannten Design-Elementen fehlte bislang. Die Konstanzer Arbeitsgruppe für Vergleichende Politische Ökonomie hat daher im August 2022 eine entsprechende Befragung mit 4500 Personen durchgeführt (Kasten). Hierbei wurden den Befragten in Form sogenannter Vignetten mehrere denkbare Modelle eines BGE vorgelegt und anschließend der Grad an Zustimmung oder Ablehnung abgefragt. Die statistische Analyse der Antwortmuster erlaubt, die Auswirkung einzelner Design-Elemente eines BGE auf die Gesamtunterstützung zu schätzen. Zudem kann ermittelt werden, wie ein BGE gestaltet sein sollte, das die Zustimmung unter den Befragten vergrößert.

Ein erster Befund der Konstanzer Befragung ist, dass die Unterstützung für das Grundeinkommen von dessen Höhe abhängt (Abbildung 3). So nimmt die Unterstützung bis zu einer Höhe von 1200 Euro pro Monat zu. Ein noch höherer Betrag von 1600 Euro erfährt ein leicht geringeres Maß an Unterstützung. Möglicherweise nehmen unter den Befragten ab dieser Höhe die Sorgen über die Finanzierbarkeit oder schwächere Arbeitsanreize zu. Ebenfalls recht klar ist der Befund, dass die Befragten Modelle bevorzugen, in denen das Grundeinkommen nur an Erwachsene (und nicht an Kinder) sowie an Einzelpersonen und nicht an Haushalte ausgezahlt werden sollte. Das Kriterium der Staatsbürgerschaft scheint im deutschen Fall weniger gewichtig zu sein als in den oben erwähnten Studien zu Spanien, Finnland und Schweden: Die Befragten unterscheiden nicht klar zwischen Bezugsberechtigten, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, und solchen, die länger als fünf Jahre in Deutschland leben. Es zeigt sich allerdings eine sinkende Unterstützung, wenn die Bezugsberechtigten erst ein Jahr lang in Deutschland leben.

Besonders interessant zur Frage der Bezugsbedingungen ist, dass die Zustimmung am höchsten ist, wenn das Grundeinkommen nicht an Bedingungen geknüpft ist. Am wenigsten beliebt hingegen sind Modelle, in denen das Grundeinkommen nur an Arbeitslose und -suchende ausgezahlt würde, was dem jetzigen System der Mindestsicherung relativ nahe käme. Die Unterstützung für ein Grundeinkommen steigt zwar signifikant an, wenn die Beziehenden entweder an Aus- oder Weiterbildung teilnehmen oder sich ehrenamtlich engagieren müssten, aber die Unterstützung für ein im wörtlichen Sinne bedingungsloses Grundeinkommen ist dennoch am höchsten. Auch bei der Frage der Finanzierung zeigt sich ein deutliches Muster: Am stärksten ist die Unterstützung für eine Finanzierung über höhere Einkommen- und Vermögensteuern für Reiche; am wenigsten beliebt ist ein Finanzierungsmodell, das über höhere Mehrwertsteuern Einnahmen generieren würde.

Die Studie hat auch ermittelt, ob die Befragten erwarten, nach der Einführung hypothetischer BGE-Modelle finanziell besser, gleich oder schlechter gestellt zu sein. Differenziert man zwischen diesen verschiedenen Erwartungshaltungen, ergeben sich interessante Muster hinsichtlich der Konditionalität eines BGE (Abbildung 4). Befragte, die meinen, dass sie durch ein BGE gleich oder schlechter gestellt würden, unterstützen Modelle, die eine Teilnahme an Aus- oder Weiterbildung oder ehrenamtliches Engagement voraussetzen, signifikant stärker als Modelle, in denen das Grundeinkommen nur an Arbeitslose und -suchende ausgezahlt würde. Personen, die eine eigene Besserstellung vermuten, machen zwischen diesen Varianten hingegen keinen Unterschied.

Die höchste Unterstützung von knapp über 60 Prozent erhalten zwei recht großzügige Modelle, nach denen 1200 Euro pro Monat bedingungslos an deutsche Staatsbürger*innen oder lang in Deutschland Lebende ausgezahlt würden und über höhere Einkommen- und Vermögensteuern für Reiche finanziert würden (Abbildung 5). Diese Modelle kommen dem sowohl von linker wie auch liberaler Seite favorisierten Modell eines BGE recht nah. Am wenigsten beliebt mit rund 26 Prozent Unterstützung ist hingegen ein Modell, das geringe Leistungen von 400 Euro mit einer Finanzierung über eine Mehrwertsteuererhöhung, einer Auszahlung an Haushalte statt Individuen und einem sehr kleinen Kreis von Bezugsberechtigten kombiniert.

Fazit: Grundeinkommensmodelle müssen konkretisiert werden

Die Einführung eines BGE ist politisch höchst umstritten. Die Umfragedaten aus der Compass- und der Konstanzer Studie deuten darauf hin, dass eine politische Unterstützung verschiedener BGE-Modelle aus Präferenzerhebungen durchaus abgeleitet werden kann. Gleichwohl sind im Herbst 2022 aber auch die Grenzen der Zustimmung deutlich geworden, als in Berlin ein Volksbegehren für einen Modellversuch an fehlenden Unterschriften scheiterte.infoDie Initiative „Expedition Grundeinkommen“ hatte nicht etwa eine Einführung des Grundeinkommens gefordert, sondern lediglich für einen wissenschaftlich begleiteten drei Jahre dauernden Modellversuch mit 3500 Teilnehmer*innen und Kosten von rund 70 Millionen Euro geworben. Der Volksentscheid scheiterte jedoch an geringer Beteiligung und einem Viertel ungültiger Stimmen. Vgl. Pressemitteilung des Landeswahlleiters für Berlin vom 20. September 2022: Volksbegehren Grundeinkommen – Endgültiges Ergebnis ermittelt: Volksbegehren nicht zustande gekommen (online verfügbar).

Vor dem Hintergrund der wachsenden sozialen Problemlagen infolge der aktuellen Krise, einer hohen Inflation sowie der erforderlichen Transformationsprozesse zu einer klimaverträglichen Lebensweise bleibt das Thema bedingungsloses Grundeinkommen auf der Agenda. Dafür werden auch die sozialen Medien sorgen, die allerdings zugleich dazu beitragen, dass die Debatte sehr polarisiert geführt wird. Überwinden können die mitunter scharf geführten Auseinandersetzungen am ehesten differenzierte und auch multidisziplinäre wissenschaftliche Expertisen zu Vor- und Nachteilen eines Grundeinkommens. Eine solche multidisziplinäre Betrachtung könnte auch die Perspektiven eines Gutachtens des Beirats beim Bundesministerium der FinanzeninfoVgl. hierzu Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2021): Bedingungsloses Grundeinkommen. Gutachten 02/2021 vom 21. Juli (online verfügbar). erweitern und dabei die Präferenzen und damit einhergehende sozioökonomische Sicherheit und Resilienz berücksichtigen. Denn ein garantiertes Grundeinkommen könnte die Bürger*innen in die Lage versetzen, aus einer stärkeren ökonomischen Position und größerer Verlässlichkeit künftige Herausforderungen zu bewältigen, die etwa in den Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels oder der technologischen Umwälzungen am Arbeitsplatz ihre Ursachen haben.infoSiehe zu einer solchen differenzierten Einordnung von Vor- wie Nachteilen eines Grundeinkommens vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen Philippe van Parijs (2021): Climate change and the COVID-19 pandemic: crucial pushes or deadly blows for basic income? In: Dorothee Rodenhäuser et al. (Hrsg.): Soziale Sicherungssysteme im Umbruch, Marburg: Metropolis-Verlag, 193–211 (online verfügbar).

Die Ergebnisse bestätigen darüber hinaus, dass die Unterstützung für ein Grundeinkommen ganz wesentlich von den Spezifika der institutionellen Ausgestaltung abhängen. Die größte Unterstützung erhalten Modelle, die keine Restriktionen und ein vergleichsweise großzügiges Einkommen vorsehen. Inwiefern solche Modelle finanzierbar wären, ist eine andere, aber wichtige Frage. Die politische Unterstützung ist jedenfalls vorhanden. Vermutlich wird die Einführung eines BGE nicht kurz- oder mittelfristig auf der Tagesordnung stehen. Dennoch wird das Sozialsystem schleichend transformiert, wie die Debatte um eine Kindergrundsicherung zeigt. Die Zukunft des Sozialsystems in krisenanfälligen Zeiten sollte im Mittelpunkt einer breiten, empirisch gehaltvollen sowie ergebnisoffenen gesellschaftlichen Debatte stehen und dabei auch die Perspektive eines bedingungslosen Grundeinkommens als Reformoption in den Blick nehmen.

Jürgen Schupp

Wissenschaftler in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel



JEL-Classification: D63;I38;H23
Keywords: SOEP, Basic income-Preferences, Survey
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-21-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/273595

keyboard_arrow_up