DIW Wochenbericht 21 / 2023, S. 254
Jürgen Schupp, Erich Wittenberg
get_appDownload (PDF 70 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 2.6 MB - barrierefrei / universal access)
Herr Schupp, zum bedingungslosen Grundeinkommen gibt es bereits verschiedene Umfragen. Auf welche Befragungen beziehen Sie sich in Ihrem aktuellen Wochenbericht? In unserem Bericht präsentieren wir die Ergebnisse von zwei repräsentativen Studien aus dem Sommer 2022. Die erste Befragung ist dabei eine Wiederholungsstudie zum Grad der Zustimmung oder Ablehnung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland. Die zweite Studie wurde von der Arbeitsgruppe für vergleichende politische Ökonomie an der Universität Konstanz verantwortet. Hier wurden die Einstellungen zum Grundeinkommen in Abhängigkeit verschiedener Varianten eines Grundeinkommens abgefragt.
Wie viele der Befragten plädieren für ein Grundeinkommen? Eine Mehrheit von 53 Prozent der Deutschen stimmt einem bedingungslosen Grundeinkommen eher zu und 36 Prozent lehnen es eher ab. Im Vergleich zu früheren Erhebungen des DIW Berlin aus den Jahren 2016 bis 2019 zeigt sich eine erstaunlich hohe Konstanz im Grad der Zustimmung. Die damaligen Zustimmungsraten lagen zwischen 45 und 55 Prozent, also etwa auch in dem Bereich, den wir im August 2022 ermittelt haben.
Wodurch unterscheidet sich die Gruppe der zustimmenden von der Gruppe der nicht zustimmenden Personen? Jüngere Befragte haben ein bedingungsloses Grundeinkommen eher als Ältere befürwortet. Interessanterweise konnten wir bei dieser Befragung keine Unterschiede hinsichtlich des Bildungsniveaus identifizieren, auch stimmen Männer einem Grundeinkommen etwa gleich häufig zu wie Frauen. Den stärksten Effekt einer Ablehnung konnten wir bei den Personen ermitteln, die vermuten, dass es ihnen nach der Einführung des Grundeinkommens wegen der Gegenfinanzierung materiell schlechter geht.
Welche Art der Gegenfinanzierung erhält die meiste Zustimmung? Hierzu haben wir in der Konstanzer Studie vier unterschiedliche Finanzierungsmöglichkeiten zufällig variiert. Eine der Möglichkeiten war, die Finanzierung allein durch Kürzungen anderer Leistungen des Sozialstaats durchzuführen; die anderen Alternativen waren eine Anhebung der Einkommen- und Vermögensteuer, eine stärkere Besteuerung von CO2-Emissionen oder eine Finanzierung mit Hilfe einer Anhebung der Mehrwert- und Umsatzsteuer. Den deutlich höchsten Grad an Zustimmung erfährt die Finanzierung eines Grundeinkommens mit Hilfe einer Anhebung der Einkommen- und Vermögensteuer. Deutlich abgelehnt wird hingegen die Idee einer Finanzierung durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer.
Welche Rolle spielt die Höhe des Grundeinkommens für die Zustimmung? Den höchsten Grad an Zustimmung erfuhr ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 1200 Euro. Ein Betrag von lediglich 400 Euro wird hingegen im Vergleich zu 800 Euro deutlicher abgelehnt.
Was bedeuten Ihre Ergebnisse für künftige politische Weichenstellungen? In der öffentlichen Debatte ist das Thema eines bedingungslosen Grundeinkommens höchst umstritten, deswegen steht eine Einführung kurzfristig auch nicht auf der politischen Tagesordnung. Gleichwohl könnte dies künftig gerade in krisenanfälligeren Zeiten eine Option zur Reform des Sozialsystems sein, denn ein garantiertes Grundeinkommen könnte die Menschen in die Lage versetzen, aus einer stärkeren ökonomischen Position heraus künftige Herausforderungen wie den Klimawandel oder technische Umwälzungen am Arbeitsplatz besser zu meistern. Deshalb plädieren wir gerade in Zeiten wachsender Transformationsprozesse für eine breite, empirisch gehaltvolle, aber auch ergebnisoffene Behandlung des komplexen Themenfeldes eines bedingungsloses Grundeinkommens in Wissenschaft, Politik, wie auch in gesellschaftlichen Debatten.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Verteilung, Ungleichheit
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-21-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/273596