DIW Wochenbericht 24 / 2023, S. 287-321
Timm Bönke, Geraldine Dany-Knedlik, Guido Baldi, Hella Engerer, Pia Hüttl, Konstantin A. Kholodilin, Frederik Kurcz, Theresa Neef, Laura Pagenhardt, Werner Roeger, Marie Rulliere, Jan-Christopher Scherer, Teresa Schildmann, Ruben Staffa, Kristin Trautmann, Jana Wittich
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„Weniger stark steigende Preise, zunehmende Realeinkommen und höhere Konsumausgaben dürften der Schlüssel für die konjunkturelle Erholung sein.Das Inflationsrisiko ist nicht vollends gebannt – eine weiterhin hohe Inflation und nochmals anziehende Zinsen könnten die Erholung abwürgen.“ T. BönkeG. Dany-Knedlik
Nach der leichten Rezession im Winter ist die deutsche Wirtschaft mittlerweile auf Erholungskurs. Zwar haben der Krieg in der Ukraine, die Rekordinflation und die befürchtete Gasmangellage ihre Spuren hinterlassen und die deutsche Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Ein drastischer Wirtschaftseinbruch blieb aber aus. Mit einer lediglich leichten Rezession im Winterhalbjahr, also zwei aufeinanderfolgenden Quartalen mit rückläufigem Bruttoinlandsprodukt (um 0,5 und 0,3 Prozent), kam sie glimpflich davon. So konnten ein milder Winter sowie die entschlossenen finanzpolitischen Maßnahmen wie die Strom- und Gaspreisbremse die wirtschaftlichen Verwerfungen der Energiekrise abmildern. Die vorliegende Prognose geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft auch im Gesamtjahr 2023 leicht schrumpfen wird, um 0,2 Prozent. Diese Zahl verdeckt jedoch, dass es derzeit wieder leicht aufwärts geht – die deutsche Wirtschaft ist auf Erholungskurs. Im ersten Vierteljahr dominierten noch die hohe Inflation und die Unsicherheit, ob und wie schnell sich die Teuerung verlangsamen würde. Auch konnten viele Menschen nicht absehen, wie sich ihre Löhne entwickeln würden. Nun löst sich die Unsicherheit aber nach und nach auf: Die Preise steigen deutlich langsamer als noch zuletzt und erste größere Tarifabschlüsse, beispielsweise bei der Post und im öffentlichen Dienst, lassen die Arbeitnehmer*innen auch in anderen Branchen hoffen. Spätestens ab der zweiten Jahreshälfte dürften die realen Einkommen erstmals seit drei Jahren wieder steigen. Davon profitiert der private Konsum, der zum Jahresauftakt noch die Achillesferse der deutschen Wirtschaft und maßgeblich dafür verantwortlich war, dass sie in die Rezession rutschte.
Das Risiko Inflation ist aber nicht vollends gebannt. Verharrt sie deutlich oberhalb der hier prognostizierten Werte von 5,9 Prozent in diesem und 2,5 Prozent im nächsten Jahr, könnte sich die wirtschaftliche Erholung deutlich verzögern – zumal die Europäische Zentralbank dann wohl gezwungen wäre, die Zinsen noch weiter zu erhöhen als bereits unterstellt. Das würde vor allem die Investitionen, die bereits deutlich unter dem aktuell hohen Zinsniveau leiden, weiter dämpfen. Wenn alles gut geht, wird der private Konsum die deutsche Wirtschaft aber auch im nächsten Jahr tragen, die dann um solide 1,5 Prozent wachsen dürfte. Die Erholung der deutschen Wirtschaft hängt derzeit mehr von heimischen Faktoren ab als vom Außenhandel. Zwar werden die Exporte „Made in Germany“ vor allem im kommenden Jahr wieder zulegen, die Importe aber ebenso, sodass der Außenhandel insgesamt kaum zum Wirtschaftswachstum beiträgt beziehungsweise dieses sogar dämpft. Dass sich die Ausfuhren nicht dynamischer entwickeln, liegt daran, dass die fortgeschrittenen Volkswirtschaften in diesem Jahr langsamer wachsen. So erholt sich die Wirtschaft im Euroraum nur nach und nach von der Energiekrise, wenngleich die Situation in den meisten Mitgliedstaaten etwas besser ist als in Deutschland. In den USA kündigt sich für die zweite Jahreshälfte 2023 eine merkliche Abkühlung an. Das weltwirtschaftliche Wachstum – die Prognose sagt für dieses Jahr 3,5 Prozent und für das kommende Jahr 4,1 Prozent voraus – wird neben China auch von anderen Schwellenländern gestützt. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften bremsen hingegen hohe Inflationsraten und steigende Zinsen die wirtschaftliche Erholung.
Eine kräftige Wirtschaftsexpansion in den Schwellenländern hat der Weltwirtschaft zu Jahresbeginn Aufschwung verliehen. In China holten nach Abkehr von der Null-Covid-Politik vor allem die privaten Haushalte verpassten Konsum nach, so dass die Wirtschaft im ersten Quartal 2023 um 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorquartal wuchs. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften dämpfen weiterhin starke Verteuerungen von Gütern und Dienstleistungen sowie ein hohes Zinsniveau die Kauf- und Investitionstätigkeit der privaten Haushalte und Unternehmen. So expandierte die Wirtschaft vielerorts nur zaghaft und schrumpfte in einigen Ländern sogar. Der Euroraum rutschte laut neuesten Zahlen überraschend in eine technische Rezession – zeigte also negative Wachstumszahlen in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen. Auch in den Vereinigten Staaten kühlte die Wirtschaft weiter ab und verzeichnete einen Zuwachs von lediglich 0,3 Prozent. Besser lief es in Japan, wo das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,7 Prozent zulegte. Das lag wohl vor allem an den vergleichsweise moderaten Verbraucherpreissteigerungen und der weiterhin expansiv ausgerichteten Geldpolitik. Insgesamt erhöhte sich das Weltwirtschaftswachstum im ersten Quartal 2023 um 1,6 Prozent. Im vierten Quartal 2022 hatte das Plus nur bei 0,5 Prozent gelegen (Abbildung 1).
Im laufenden zweiten Quartal wird die Weltwirtschaft wieder etwas an Schwung verlieren. Zum einen steckt der Einkaufsmanagerindex für China seit drei Monaten in Folge an der Expansionsschwelle fest, während die Konsumentenzuversicht im letzten verfügbaren Monat (März) schon wieder an Momentum verloren hat. Gleichzeitig dürfte es weiterhin nur geringe Wachstumsimpulse aus den fortgeschrittenen Volkswirtschaften geben; darauf deutet die vielerorts verhaltene Entwicklung der Industrieproduktion und der Einzelhandelsumsätze hin. Angesichts anhaltend hoher Inflationsraten, der vielerorts zunehmend restriktiven Geldpolitik sowie den geopolitischen Unsicherheiten trübte sich die Stimmung vieler Unternehmer*innen zuletzt ein. Die Einkaufsmanagerindizes für das Verarbeitende Gewerbe haben sich in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften verschlechtert und liegen größtenteils unterhalb der Expansionsschwelle von 50. Auch die Dienstleister*innen blickten weniger zuversichtlich auf die künftige Entwicklung. Die Stimmung der Konsument*innen hellte sich zuletzt zwar etwas auf. Da die Verbraucherpreissteigerungen nur allmählich zurückgehen, ist ihre Stimmung aber noch deutlich schlechter als zu Beginn des vergangenen Jahres.
Auch im laufenden Quartal dürfte die Last der noch starken Teuerung und hohen Zinsen zu einem verhaltenen Wachstum in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften führen: In den meisten Schwellenländern ist mit einer kräftigen Erholung zu rechnen, obgleich Chinas Nachholeffekte wieder etwas abflauen dürften. Der Euroraum wird wohl um 0,2 Prozent im Vergleich zum Vorquartal expandieren. Im Vereinigten Königreich, wo der Anstieg der Lebenshaltungskosten im vergangenen Jahr bereits einen erheblichen Teil der privaten Haushalte näher an das Existenzminimum brachte, dürfte das BIP nur ein Wachstum von 0,1 Prozent im laufenden Quartal verzeichnen. In den Vereinigten Staaten wird die Wirtschaft trotz kontraktiver Geldpolitik und Unruhe im Bankensektor um 0,2 Prozent ähnlich leicht expandieren. Dafür ausschlaggebend sind wohl vor allem die historisch gute Arbeitsmarktlage und über die Corona-Pandemie kumulierte zusätzliche Ersparnisse, die den Konsum stützen. Da die Zuwächse bei den Verbraucherpreisen nur langsam zurückgehen, bleibt die Geldpolitik in vielen Volkswirtschaften zunächst restriktiv. Die Preise für Erdöl und Erdgas sind seit den Höchstständen im vergangenen Sommer deutlich gesunken (Kasten 1). Gleichzeitig sind in der Europäischen Union dank dem eher milden Winter und den energetischen Sparanstrengungen von Unternehmen und Haushalten die Füllstände der Gasspeicher höher als üblich. Jedoch wird 2023 die Teuerung vielerorts immer noch sehr deutlich über den Zielwerten der jeweiligen Notenbanken liegen. Vor diesem Hintergrund haben die Zentralbanken der meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften ihre Leitzinsen in den vergangenen Monaten weiter schrittweise erhöht. Die straffere Geldpolitik hat allerdings im März dazu beigetragen, dass einzelne Banken in den USA – darunter die Silicon Valley Bank und die Regionalbank First Republic – in Schieflage gerieten. Im Euroraum ist es bislang zu keinen Problemen bei Geschäftsbanken gekommen. In Japan blieben die Leitzinsen bislang unverändert, obwohl die Inflation deutlich über der Zielmarke lag. Im Vergleich zu anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften ist die Teuerung jedoch auch niedriger und weniger in der Breite angekommen. Generell verlangsamen die straffere Geldpolitik und die Unsicherheiten im Bankensektor wohl die Erholung auf den großen Aktienmärkten.
Dieser Prognose liegen die folgenden Annahmen über den weiteren Verlauf von Leitzinsen, Wechselkursen und Rohstoffpreisen zugrunde (Tabelle). Sie wurden auf Basis der bisherigen Entwicklung, Preisen an den Terminmärkten sowie Schlussständen zum Stichtag dieser Prognose am 25. Mai 2023 getroffen. Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt ihre aufgrund der anhaltend hohen Inflationsraten begonnene Straffung der Geldpolitik fort. Nachdem der Hauptrefinanzierungssatz bereits auf 3,75 Prozent angehoben wurde, dürfte die EZB die Leitzinsen weiter in gemäßigtem Tempo erhöhen. In dieser Prognose werden drei weitere Zinsschritte mit jeweils 0,25 Prozentpunkten angenommen, die den Leitzins Ende 2023 auf 4,5 Prozent steigen lassen. Zuletzt verlor die Inflation bereits an Dynamik und die Zinserhöhungen scheinen erste Spuren in der Realwirtschaft zu hinterlassen. Es ist damit zu rechnen, dass die EZB als Reaktion auf fallende Verbraucherpreise im Euroraum zum Ende 2024 eine Zinswende einleiten wird.
2022 | 2023 | 2024 | ||
---|---|---|---|---|
EZB-Leitzins | Prozent | 0,6 | 3,8 | 4,5 |
Geldmarktzins | EURIBOR-Dreimonatsgeld in Prozent | 0,7 | 3,6 | 3,4 |
Kapitalmarktzins | Rendite für Staatsanleihen im Euroraum mit 10-jähriger Restlaufzeit | 2,3 | 3,0 | 2,5 |
Kapitalmarktzins | Rendite für Staatsanleihen in Deutschland mit 10-jähriger Restlaufzeit | 1,7 | 2,4 | 2,0 |
Wechselkurs | US-Dollar/Euro | 1,05 | 1,09 | 1,09 |
Erdölpreis | US-Dollar/Barrel | 98,6 | 77,9 | 72,8 |
Gaspreis | Euro/MWh | 133,9 | 40,3 | 46,8 |
Anmerkung: Jahresdurchschnittswerte
Quelle: Europäische Zentralbank, Eurex Exchange, Deutsche Bundesbank, Federal Reserve, Intercontinental Exchange (ICE), CME Group, DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
Im Einklang mit der Erhöhung der Leitzinsen wird bis zum Jahresende 2023 mit einem weiteren, wenn auch weniger starken Anstieg der Geldmarktzinsen gerechnet, bevor diese im weiteren Prognosezeitraum leicht sinken. Auch die Finanzierungsbedingungen werden im Zuge der strafferen Geldpolitik restriktiver. Die Renditen für Staatsanleihen sind infolge der Leitzinserhöhungen der EZB im Laufe des vergangenen Jahres stark angestiegen. Auch für die Kapitalmarktzinsen ist im Prognosezeitraum nur mit leichten Rückgängen zu rechnen.
Infolge der Straffung der Geldpolitik in der Eurozone hat der Euro gegenüber dem US-Dollar zuletzt deutlich aufgewertet. Für den Prognosezeitraum wird angenommen, dass der Wechselkurs des Euro gegenüber dem US-Dollar auf dem zum Datenschluss erreichten Niveau von 1,09 US-Dollar pro Euro verbleibt.
Der Preis für Brent-Rohöl ist nach einem Anstieg in der ersten Jahreshälfte 2022 wieder gesunken. Ausgehend von Brent-Öl-Futures werden leichte Preissenkungen für den Prognosezeitraum erwartet. Im Durchschnitt des Jahres 2023 dürfte der Preis bei 77,9 US-Dollar pro Barrel liegen, bevor er im Jahr 2024 auf durchschnittlich 72,8 US-Dollar sinkt.
Die Großhandelspreise für Gas (TTF) haben ihre Höchststände vom Sommer 2022 ebenfalls überwunden und sinken seit September vergangenen Jahres kontinuierlich, so dass sich ein Jahresdurchschnitt von 133,9 Euro für 2022 ergibt. Für das laufende Jahr wird von weiteren Preisrückgängen ausgegangen, die einen durchschnittlichen Gaspreis von 40,3 Euro je Megawattstunde nahelegen. Im kommenden Jahr wird mit einem Preis von 46,8 Euro je Megawattstunde gerechnet.
Der Krieg in der Ukraine birgt erhöhte politische und wirtschaftliche Risiken. Dieser Prognose liegt die Annahme zugrunde, dass der Konflikt im Prognosezeitraum andauern wird und die westlichen Sanktionen gegenüber Russland bestehen bleiben. Menschen werden weiterhin vor dem Krieg in der Ukraine in die EU fliehen. Es wird davon ausgegangen, dass die Zahl der Geflüchteten in diesem Jahr zunimmt, wenn auch in verlangsamtem Tempo.
Im weiteren Verlauf der Prognose dürften die Inflationsraten aufgrund von rückläufigen Energie- und Nahrungsmittelpreisen weiter abklingen. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass die Kernraten vor allem in den Vereinigten Staaten und in der Europäischen Union aufgrund stark wachsender Nominallöhne auf einem hohen Niveau verharren. Die Reallöhne sind derzeit auf einem sehr niedrigem Niveau und sinken teilweise noch. Mit dem Abflachen der Verbraucherpreisteuerung und anziehenden Nominallöhnen dürften die Reallöhne vielerorts bis Ende 2024 zwar an das Vor-Pandemie-Niveau anknüpfen. Mit einer Kompensation der Reallohnverluste ist aber bis zum Prognosehorizont nicht zu rechnen.
Auch in vielen Schwellenländern ist die Geldpolitik restriktiv ausgerichtet, obgleich die meisten weniger von der Energiekrise betroffen waren als viele fortgeschrittene Volkswirtschaften. In Indien, Brasilien und Mexiko dürften die Zinsen aber allmählich ihren Höhepunkt erreicht haben. In China kam es bislang zu keinem Teuerungsschub, da bis vor Kurzem die Null-Covid-Politik und die schwelenden Immobilienkrise auf der Binnennachfrage lasteten. Die Öffnung dürfte aber demnächst die Inflation etwas steigen lassen.
Für den Prognosezeitraum sind zwar finanzpolitische Impulse zu erwarten, aber insgesamt dürfte die Finanzpolitik nur leicht expansiv ausgerichtet sein. Zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise wurden im vergangenen Winter, insbesondere in Europa, umfangreiche finanzpolitische Maßnahmen beschlossen. Diese sind zu einem Großteil bereits bei den Unternehmen und privaten Haushalten angekommen. Zudem sind einige Unterstützungsmaßnahmen, die während der Corona-Pandemie beschlossen wurden, ausgelaufen. Stimulierende Effekte auf die Konjunktur gehen wohl von mittelfristig ausgerichteten Investitionspaketen aus, die in der EU (NextGenerationEU) und den USA (Inflation Reduction Act sowie andere Infrastrukturmaßnahmen) beschlossen wurden, um insbesondere die ökologische Transformation zu beschleunigen. Des Weiteren einigten sich Anfang Juni Demokraten und Republikaner, die Schuldengrenze in den Vereinigten Staaten anzuheben und wendeten damit einen Zahlungsausfall auf US-amerikanische Schuldtitel ab. Im Fiskaljahr 2024, das im Oktober dieses Jahres beginnt, sollen viele der ungebundenen Staatsausgaben in etwa konstant bleiben. Da also wesentliche Bereiche fiskalischer Ausgaben von den Kürzungen ausgenommen sind, dürfte der Effekt auf die Konjunktur begrenzt sein.
Angesichts der nur langsam abnehmenden Verbraucherpreisinflation, einer restriktiven Geldpolitik und geringen finanzpolitischen Impulsen wird die Weltwirtschaft ihre gegenwärtige Schwächephase nur langsam hinter sich lassen. Das Weltwachstum 2023 dürfte zum Großteil von den Zuwächsen in den Schwellenländern getragen werden. Diese werden wohl in diesem Jahr um 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr wachsen, verglichen mit mageren 0,8 Prozent der fortgeschrittenen Volkswirtschaften. 2024 dürfte die Dynamik auch in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften etwas zulegen. Zuträglich dafür ist vielerorts die günstige Lage auf den Arbeitsmärkten. Die Beschäftigung legt in vielen Ökonomien weiterhin zu. Die meisten Menschen müssen sich momentan keine Sorgen um einen Arbeitsplatzverlust machen. Mit anziehenden Reallöhnen vor allem im nächsten Jahr wird auch die Kaufkraft der Haushalte gestärkt. Investitionen dürften vor allem von finanzpolitischen Maßnahmen wie den in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften beschlossenen mittelfristig ausgerichteten Investitionspaketen angeregt werden.
Der Welthandel wird weiterhin mit soliden Raten expandieren. Immerhin haben sich die Lieferengpässe, die in den vergangenen Jahren auftraten, deutlich entspannt (Abbildung 2). Des Weiteren kommt es wegen der Sanktionen gegen Russland auch zu sich verändernden Handelsströmen: Der chinesische und türkische Handel mit Russland gewinnt an Bedeutung, während der europäische Handel mit Russland zum Erliegen gekommen ist (Kasten 3).
Russland hat mit Beginn des Kriegs in der Ukraine die statistische Berichterstattung eingeschränkt. Zudem ist die Glaubwürdigkeit der veröffentlichten Daten zu hinterfragen. Im Folgenden werden offizielle Daten zur wirtschaftlichen Lage vorgestellt und mit alternativen Daten kontrastiert.
Die offiziellen Daten zeichnen das Bild eines Einbruchs der Wirtschaftsleistung nur direkt nach Kriegsbeginn gefolgt von einer „Normalisierung“ bis zum Schlussquartal. Nach offiziellen Angaben des russischen statistischen Amtes ist das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2022 um 1,6 Prozent gesunken. Zurückzuführen ist dies den Angaben zufolge auf das starke Minus im zweiten Quartal von 4,6 Prozent im Vergleich zum Auftaktquartal, als der Krieg in der Ukraine begann. In der Folge kam es im zweiten Quartal zu einer starken Kontraktion der Exporte und in etwas geringerem Ausmaß der Importe. Im Inland war der private Verbrauch rückläufig. In den Folgequartalen ist nach diesen Angaben die Wirtschaftsleistung um jeweils 0,5 Prozent gestiegen, auch der private Verbrauch hat zugelegt. Dabei sind zunächst die Importe und im Schlussquartal auch die Exporte wieder gestiegen (Abbildung).
Aus der offiziellen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in konstanten Preisen und saisonbereinigt ergibt sich ein Rückgang zunächst der Importe, der offenbar direkt nach Kriegsbeginn noch im Februar 2022 einsetzte. Zeitlich versetzt im zweiten Quartal kam es mit der Ausweitung von Sanktionen auch zu einem Rückgang der Exporte. Bereits im Laufe des Sommers kehrt sich der Trend um, wobei die Importe zum Jahresende fast wieder das Vorjahresniveau erreichen. Die Exporte blieben etwas unter dem vorherigen Niveau. Diese Entwicklung würde die Annahme unterstützen, dass Russland die Umgehung von Handelssanktionen (teilweise) gelungen ist.
Die Entwicklung des unbereinigten, nominalen russischen Außenhandels wurde bereits im Jahr 2022 anhand von Spiegelstatistiken nachgezeichnet.Vgl. Zsolt Darvas et al. (2023): Russian foreign trade tracker. Bruegel data tracker (online verfügbar) sowie Heli Simola: The shift in Russian trade during a year of war. Bank of Finland (BOFIT), Policy Paper No. 9 (online verfügbar). Die russische Zentralbank stellte erst im Frühjahr 2023 wieder Daten zur Zahlungsbilanz (Balance of Payments, BoP) zur Verfügung. Der Vergleich von BoP-Daten und Spiegelstatistiken zeigt: Der Tracker, der 37 wichtige Handelspartner umfasst, unterzeichnet den Handel im Vergleich zu den BoP-Daten naturgemäß, aber nur leicht. Er bestätigt insbesondere den Verlauf der Importe. Bei den Exporten zeigen die noch vorläufigen BoP-Daten im ersten Quartal 2023 einen stärkere Abwärtsdynamik als der Tracker.
Anhand von Spiegelstatistiken wurde auch die Änderung der Struktur des russischen Außenhandels nachgebildet. Vor allem aufgrund der drastisch reduzierten Energielieferungen an die EU ist die Rolle von Ländern wie China und Indien, die zusätzliche Mengen an Mineralöl aus Russland mit Abschlägen erhalten, gestiegen. Auch der Anteil der Türkei und der GUS-Länder hat zugenommen. Bei den russischen Importen hat sich ebenfalls die regionale Handelsstruktur zugunsten asiatischer Lieferanten verändert. Zusammen ergeben Spiegelstatistiken und russische BoP-Daten einen grundsätzlich ähnlichen Verlauf von Exporten und Importen und eine deutliche regionale Verschiebung des Handels hin zu nichtsanktionierenden Drittstaaten. Allerdings erfassen auch die Spiegelstatistiken nicht die Lieferströme, die auf die Umgehung von Sanktionen ausgerichtet sind. Vor diesem Hintergrund relativiert sich die Aussagekraft der veröffentlichen Außenhandelsdaten. Es steht sogar zu vermuten, dass die offiziell gemeldeten Daten der Zahlungsbilanz nicht zufällig den Daten der Spiegelstatistiken entsprechen beziehungsweise diese sogar widerspiegeln.
Ein alternativer Tracker für die binnenwirtschaftliche Entwicklung bestätigt zwar den in der offiziellen Berichterstattung gemeldeten Rückgang des BIP nach Kriegsbeginn, nicht aber die „Normalisierung“ in den Folgequartalen, insbesondere nicht des privaten Verbrauchs.Adrian Schmith und Hanna Sakhno (2023): The recession in Russa deepens: Evidence from an alternative tracker of domestic economic activity (online verfügbar). Der sichtbar gedämpfte private Konsum korrespondiert dabei mit dem Rückgang von Importen. Für die Unternehmenstätigkeit zeigt der Tracker eine nur vorübergehende Stabilisierung im Sommer 2022 und eine Verschlechterung im weiteren Verlauf. Laut den Autoren könnte sich hier ein zunehmender Effekt der Sanktionen zeigen. Zudem dürfte sich die durch die Teilmobilisierung verringerte Zahl an Arbeitskräften negativ auf die Produktionskapazitäten auswirken.
Allerdings zeigt die offizielle Statistik ein eher optimistisches Bild des Arbeitskräfteangebots. So ist auffallend, dass offiziell nur eine vorübergehende Abnahme der Erwerbspersonen vor allem im September 2022 gemeldet wird, also im Zuge der Teilmobilisierung. Danach und insbesondere im ersten Quartal 2023 nimmt die Zahl der Beschäftigten um etwa eine halbe Million zu. Dieser Zuwachs ist nur teilweise auf einen Rückgang der als arbeitslos gemeldeten Erwerbspersonen zurückzuführen, so dass neue Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt eingetreten sein müssen. Gleichzeitig ist aber eher davon auszugehen, dass immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen und sich die Lage am Arbeitsmarkt zunehmend anspannt.Hierzu passen auch Meldungen des britischen Verteidigungsministeriums., wonach staatlich unterstützte russische Medien und Unternehmensgruppen das Wirtschaftsministerium ersucht haben, eine Sechs-Tage-Woche offenbar ohne zusätzlichen Lohn einzuführen, 28. Mai 2023. Hierzu trägt auch die gestiegene Abwanderung insbesondere junger Russen ins Ausland bei. Umgekehrt werden mit dem Abzug ausländischer Unternehmen zwar grundsätzlich die dort bislang beschäftigten russischen Arbeitskräfte freigesetzt. Dies dürfte aber erst mit Verzögerung wirksam werden, da ausländische Unternehmen teilweise russische Mitarbeiter*innen weiterbeschäftigt und sogar Gehalt gezahlt haben.
Der Rückzug ausländischer Unternehmen verursacht in einzelnen Branchen erhebliche Produktionsausfälle. So dürfte der starke Rückgang der PKW-Produktion auch darauf zurückzuführen sein, dass ausländische Automobilkonzerne ihre Produktion an russischen Standorten eingeschränkt haben. Insgesamt haben nach Angaben der russischen Zentralbank im Zeitraum von März 2022 bis März 2023 ausländische Investoren 36 Milliarden US-Dollar abgezogen.Russland Zentralbank: Ausländische Investoren ziehen 36 Mrd. US-Dollar ab. Handelsblatt, Liveblog zum Ukrainekrieg vom 29.05.2023 um 8.38 Uhr Produktionsrückgänge bei zivilen Gütern werden von russischen Produzenten wohl kaum rasch kompensiert werden können. Hinzu kommt die Umstellung der Produktion von zivilen auf militärische Zwecke und die Ausweitung der Rüstungsindustrie, was der Berichterstattung allenfalls teilweise unterliegen dürfte, aber rein rechnerisch die gesamtwirtschaftliche Produktion steigert.
Alles in allem dürfte die Weltwirtschaft 2023 mit einer Wachstumsrate von 3,5 Prozent rechnen. 2024 wird sie wohl dank der stärkeren Binnennachfrage in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften um 4,1 Prozent zulegen (Abbildung 3, Tabelle 1).
In Prozent
Bruttoinlandsprodukt | Verbraucherpreise | Arbeitslosenquote in Prozent | ||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent | ||||||||||||
2021 | 2022 | 2023 | 2024 | 2021 | 2022 | 2023 | 2024 | 2021 | 2022 | 2023 | 2024 | |
Europa | ||||||||||||
Europäische Union | 5,4 | 3,6 | 0,8 | 1,6 | 2,9 | 9,2 | 7,0 | 3,8 | 7,0 | 6,1 | 6,1 | 6,2 |
Euroraum | 5,3 | 3,5 | 0,5 | 1,3 | 2,6 | 8,4 | 5,7 | 2,8 | 7,7 | 6,7 | 6,7 | 6,7 |
ohne Deutschland | 6,4 | 4,1 | 0,7 | 1,2 | 2,4 | 9,0 | 5,6 | 3,0 | 9,2 | 8,1 | 8,1 | 8,2 |
Frankreich | 6,8 | 2,6 | 0,6 | 1,3 | 2,1 | 5,9 | 5,5 | 2,7 | 7,9 | 7,3 | 7,3 | 7,4 |
Italien | 7,0 | 3,8 | 0,9 | 0,8 | 1,9 | 8,7 | 6,9 | 3,2 | 9,5 | 8,1 | 8,0 | 8,2 |
Spanien | 5,5 | 5,5 | 1,9 | 1,4 | 3,0 | 8,3 | 4,2 | 2,8 | 14,8 | 12,9 | 12,9 | 12,8 |
Niederlande | 4,9 | 4,5 | 0,7 | 1,0 | 2,8 | 11,6 | 6,0 | 3,8 | 4,2 | 3,5 | 3,7 | 3,9 |
Vereinigtes Königreich | 7,6 | 4,1 | 0,3 | 0,7 | 2,6 | 9,1 | 7,6 | 3,7 | 4,5 | 3,7 | 4,0 | 4,8 |
Schweiz | 4,2 | 2,1 | 0,7 | 1,5 | 0,6 | 2,8 | 2,4 | 1,4 | 5,1 | 4,3 | 4,2 | 4,4 |
Mittel− und Osteuropa | 6,1 | 4,7 | 1,3 | 3,1 | 4,7 | 13,5 | 12,4 | 8,0 | 3,9 | 4,5 | 4,6 | 4,7 |
Türkei | 11,6 | 5,4 | 2,7 | 3,3 | 19,6 | 72,3 | 45,5 | 41,1 | 12,0 | 10,5 | 10,2 | 10,1 |
Russland1 | 4,6 | −1,6 | −1,1 | 1,0 | 6,7 | 13,8 | 6,3 | 5,5 | 4,8 | 3,9 | 3,6 | 3,5 |
Amerika | ||||||||||||
USA | 5,9 | 2,1 | 1,2 | 1,3 | 4,7 | 8,0 | 4,0 | 2,0 | 5,4 | 3,6 | 3,9 | 4,2 |
Mexiko | 4,9 | 3,1 | 2,4 | 1,9 | 5,7 | 7,9 | 5,6 | 3,8 | 4,1 | 3,3 | 3,1 | 3,4 |
Brasilien | 5,3 | 3,0 | 0,9 | 1,6 | 8,3 | 9,3 | 4,5 | 4,2 | 13,5 | 9,5 | 8,8 | 8,7 |
Asien | ||||||||||||
Japan | 2,2 | 1,0 | 1,4 | 1,3 | −0,2 | 2,5 | 2,4 | 2,0 | 2,8 | 2,6 | 2,6 | 2,5 |
Südkorea | 4,1 | 2,6 | 1,3 | 2,4 | 2,5 | 5,1 | 2,7 | 2,3 | 3,6 | 2,9 | 3,0 | 3,2 |
China | 8,8 | 3,0 | 5,3 | 5,2 | 0,9 | 2,0 | 2,3 | 2,3 | 5,1 | 5,6 | 5,5 | 5,4 |
Indien | 8,7 | 6,6 | 5,0 | 6,7 | 5,1 | 6,7 | 4,7 | 4,2 | 7,8 | 7,6 | 7,3 | 7,2 |
Total | ||||||||||||
Fortgeschrittene Volkswirtschaften | 5,3 | 2,4 | 0,8 | 1,1 | 3,8 | 7,3 | 4,4 | 2,0 | 5,7 | 4,6 | 4,7 | 4,8 |
Schwellenländer | 8,2 | 3,8 | 4,5 | 5,0 | 7,1 | 9,2 | 3,6 | 4,0 | 6,5 | 6,3 | 6,1 | 6,1 |
Welt | 7,2 | 3,4 | 3,5 | 4,1 | 6,5 | 9,2 | 4,3 | 4,4 | 6,3 | 5,9 | 5,8 | 5,8 |
Nachrichtlich: | ||||||||||||
Exportgewichtet2 | 5,8 | 2,6 | 1,4 | 1,8 | ||||||||
BIP in US−Dollar gewichtet3 | 6,7 | 2,8 | 2,6 | 3,4 |
1 Die für Russland prognostizierten Daten sind mit großen Unsicherheiten behaftet. Russland hat nur geringes Gewicht in der Gesamtprognose.
2 Gewichtung der Welt mit den Anteilen an der deutschen Ausfuhr über das Jahr 2022 aus deStatis.
3 Gewichtung der Welt mit dem Bruttoinlandsprodukt in US-Dollar über 2021–2024.
Anmerkungen: Die schwarzen Zahlen sind abgerechnete Zahlen. Die Werte der Ländergruppen sind ein gewichteter Durchschnitt, wobei für die Gewichtung des BIP und der Verbraucherpreise das jeweilige Bruttoinlandsprodukt in Kaufkraftparitäten aus IMF World Economic Outlook für die Jahre 2021–2024 verwendet wird. Für die Gewichtung der Arbeitslosenzahlen in den Ländergruppen wird die Erwerbsbevölkerung (15–64 Jahre) des jeweiligen Landes für das Jahr 2022 verwendet. MOE besteht aus: Polen, Rumänien, Tschechische Republik und Ungarn.
Quellen: Nationale statistische Ämter; DIW Konjunkturprognose Sommer 2023.
Dieser Prognose liegen mehrere Unsicherheitsfaktoren zugrunde. Ein Risiko besteht darin, dass vor allem die Inflationsraten auf einem hohen Niveau verharren, zum Beispiel aufgrund stärker ausfallender Nominallohnsteigerungen als angenommen oder nochmals ansteigender Rohstoffpreise, so dass die Zentralbanken zu deutlich restriktiveren Maßnahmen gezwungen werden könnten. Dies könnte Verwerfungen auf den Finanzmärkten auslösen, die die Tragfähigkeit der Schulden der privaten und öffentlichen Haushalte gefährden und somit zu realwirtschaftlichen Einbußen führen könnten. Ein zusätzlicher Risikofaktor ist die weitere Eskalation des Krieges in der Ukraine, was die geopolitische Unsicherheit und die Rohstoffpreise wieder stärker ansteigen lassen könnte. Das Risiko geopolitischer Krisen oder sogar bewaffneter Konflikte ist auch in anderen Regionen der Welt erhöht. So schwelen etwa in Asien weiterhin Konflikte rund um Taiwan und die koreanische Halbinsel. In diesem Zusammenhang sind auch die politischen Spannungen zwischen China und den westlichen Ländern, insbesondere den USA, zu erwähnen. Gleichzeitig setzt das G7- Kommuniqué im Mai 2023 aber ein erstes Zeichen, das zu einer Entspannung beitragen könnte. Die G7 will China demnach wirtschaftlich nicht schaden oder behindern, was den Welthandel wieder stärker beleben könnte, als in der vorliegenden Prognose unterstellt ist.
Der Euroraum hat die Energiekrise und die stark steigende Inflation im vergangenen Winterhalbjahr zwar besser überwunden als erwartet, die Wirtschaft in der Währungsunion schrumpfte aber im Schlussquartal 2022 sowie im ersten Quartal 2023 marginal um 0,1 Prozent. Somit rutscht die Eurozone in eine technische Rezession – zeigt also negative Wachstumsraten in zwei Folgequartalen auf. Dieser schwache Jahresauftakt lässt sich vor allem mit einem Rückgang der Investitionen und des Staatskonsums erklären.
Die Nachfrage wurde auch stark durch Lagerstände bedient, was zu einem negativen Beitrag des Lagerbestandes führte. Auch ein Abbau der Lagerbestände, um die Nachfrage zu bedienen, hat einen negativen Beitrag. Somit fordern die durch die hohe Inflation verursachten Reallohnverluste und eine restriktivere Geldpolitik ihren Tribut und der Euroraum durchläuft eine technische Rezession. Ein positiver Außenbeitrag verhinderte, dass die Wirtschaft noch weiter schrumpfte.
Aktuelle Frühindikatoren zeigen auch weiterhin ein durchwachsenes Bild für den Euroraum. So hat sich das Konsumentenvertrauen zwar von dem starken Einbruch zu Beginn des Kriegs in der Ukraine erholt, jedoch blickt ein Großteil der Verbraucher*innen weiterhin pessimistisch auf die aktuelle Lage. Die Einkaufsmanagerindizes erholten sich um die Jahreswende weitaus deutlicher, aber die Lage trübte sich insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe wieder ein. Die Dynamik im Dienstleistungssektor verlor ebenfalls an Fahrt, dennoch verblieb der Gesamtindex im Mai mit 53,3 Punkten im Expansionsbereich.
Die Industrieproduktion zeigte sich insgesamt robuster als erwartet und war im Schlussquartal 2022 und ersten Quartal 2023 nur leicht rückläufig. Darüber hinaus erweist sich der Arbeitsmarkt weiterhin als sehr robust. Die Beschäftigung im Euroraum wuchs im ersten Quartal 2023 überraschend stark um 0,6 Prozent gegenüber dem Vorquartal, während die Arbeitslosenquote im April auf ein neues Allzeittief von 6,5 Prozent fiel. Alles in allem dürfte der Euroraum nach rückläufigen Expansionsraten im ersten Quartal 2023 leicht um 0,2 Prozent zulegen.
Nach einem schwachen ersten Halbjahr 2023 wird die Konjunktur im Euroraum im weiteren Prognosezeitraum voraussichtlich wieder in Fahrt kommen. Gestiegene Zinsen und eine hohe Kerninflation sowie die daraus resultierenden sinkenden Reallöhne lasten wohl weiterhin auf der wirtschaftlichen Erholung vor allem im Jahr 2023. Vor diesem Hintergrund wird der Euroraum in den Jahren 2023 und 2024 wohl eine moderat negative ProduktionslückeVgl. Europäische Kommission, Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen AMECO – ECFIN annual macroeconomic database (2023). [Potential Gross Domestic Product at Constant Prices] (online verfügbar). aufweisen, die den Inflationsdruck voraussichtlich eindämmt. Ende 2024 dürften die Wachstumsraten wieder leicht über den langfristigen Trend steigen und damit die Produktionslücke allmählich schließen.
Wegen des Kriegs in der Ukraine, der Rekordinflation und den befürchteten Energieengpässen ließ das historisch eingebrochene Konsumentenvertrauen im vergangenen Herbst noch eine tiefe Rezession erwarten. Dank der fiskalischen Unterstützungsmaßnahmen in zahlreichen Mitgliedstaaten, einer hohen Substituierbarkeit und Einsparpotenzials im Energieverbrauch von Konsument*innen und FirmenVgl. Rüdiger Bachmann et al. (2022): What if? The economic effects for Germany of a stop of energy imports from Russia. Wirtschaftsdienst 102, 251–255. sowie eines milden Winters fiel die Rezession milder aus als erwartet. Obwohl der Einzelhandel im vergangenen Winterhalbjahr schwächelte, erwies sich der breite private Konsum als kräftiger, als das Konsumentenvertrauen erwarten ließ. Dieses hat sich bis Mai 2023 wieder etwas stabilisiert, wenn auch noch auf niedrigem Niveau (Abbildung 4).
Dabei war die Binnennachfrage einiger Länder stärker betroffen. Während sie in Italien und den Niederlanden im Winterhalbjahr wuchs, konnten Frankreich und vor allem Spanien nur dank eines positiven Außenbeitrags auch positive BIP-Wachstumszahlen ausweisen. Insbesondere die Situation in Spanien fällt, verglichen mit Frankreich, Italien und den Niederlanden, mit einer schwachen Entwicklung seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine aus der Reihe. Sowohl die Investitionen als auch der private Konsum sind seit Mitte 2022 rückläufig und liegen nun weit abgeschlagen um fünf Prozent unter dem Niveau des vierten Quartals 2019. Dementsprechend lag Spaniens Inflationsrate im Mai 2023 bei vergleichsweise niedrigen 3,2 Prozent, nach 4,1 Prozent im April.
Die Binnennachfrage dürfte im Prognosezeitraum allmählich wieder anziehen. So wird die weiterhin robuste Lage auf den Arbeitsmärkten die Konjunktur im Euroraum wohl stützen. In den meisten EU-Mitgliedstaaten lag die Beschäftigung zuletzt leicht über dem langfristigen Potenzialniveau. Daher dürfte die Arbeitslosenquote in den meisten Mitgliedstaaten nur geringfügig steigen. Lediglich in Spanien ist noch eine Unterauslastung zu verzeichnen. Die Arbeitslosenquoten werden sich daher über den Prognosehorizont wieder dem Potenzial annähern, aber weit unter dem Vorkrisenniveau bleiben.
Obwohl sinkende Energie- und Strompreise die Energieinflation zurückgehen lassen, dürften die Kerninflation (Verbraucherpreisinflation ohne Energie und Lebensmittel) und die Lebensmittelinflation nur langsam fallen. Im Verlauf des Jahres 2023 wird sich die Kerninflation wohl aufgrund des ausgelasteten Arbeitsmarktes in den meisten Mitgliedsländern der Währungsunion hartnäckig auf hohem Niveau halten. Die Lohnsteigerungen dürften ausreichen, im Verlauf des Jahres ein Reallohnwachstum einzuleiten. Innerhalb des Prognosehorizonts dürfte das Wachstum der Nominallöhne weiter anziehen, jedoch werden die Reallohnzuwächse nicht den Wachstumspfad von vor der Pandemie erreichen. Die Verbraucherpreise dürften im Jahr 2023 auf 5,7 Prozent sinken und im Jahr 2024 dann 2,8 Prozent betragen.
Die Konjunktur im Euroraum wird im laufenden Jahr wohl nicht vom Wachstum wichtiger Handelspartner profitieren können. Aus den USA, Japan und Südkorea ist mit keiner großen Nachfrage zu rechnen, wenngleich der Außenbeitrag im Euroraum leicht positiv bleibt. Obwohl China nach der Abkehr der Null-Covid-Strategie wieder den Wachstumskurs einschlägt, dürfte die Währungsunion davon nur begrenzt Impulse erwarten, da sich der Aufschwung zunächst auf die Binnennachfrage konzentriert. Im Jahr 2024 werden jedoch die Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen nach Nordamerika und dem größeren asiatischen Raum wieder in Schwung kommen.
Die EZB verfolgt weiterhin entschlossen ihren Kurs der Inflationsbekämpfung, indem sie den Hauptrefinanzierungssatz Anfang Mai um 25 Basispunkte auf 3,75 Prozent anhob. Die Turbulenzen im Bankensektor der USA und der Schweiz bewirkten im Euroraum keinen größeren Finanzmarktstress, ließen die EZB im März aber von einer genauen Forward Guidance abrücken. Dieser Prognose liegt die Annahme zugrunde, dass die EZB noch weitere Zinsschritte gehen wird, um ihr Mandat der Preisstabilität mit einer mittelfristigen Inflation von zwei Prozent zu erreichen (Kasten 1).
Der bisherige Kurs der EZB zur Eindämmung der Inflation zeigt trotzdem erste Wirkung, wie langsam sinkende längerfristige Inflationserwartungen nahelegen. Der Realzins – also der Nominalzins abzüglich der Inflationserwartungen – erreicht damit ein höheres und schrittweise restriktiveres Niveau, das die Kerninflation langsam eindämmen dürfte. Die Zinsen lasten auf dem privaten Konsum, der Investitionstätigkeit und dem Bau. Dass die zu diesem Zeitpunkt erwarteten langfristigen Realzinsen jedoch nicht restriktiv genug wirken, um die Inflation im Euroraum maßgeblich zu senken, dürfte angesichts des robusten Arbeitsmarktes über den Prognosezeitraum ein wesentliches Risikoszenario darstellen. In diesem Fall sähe sich die EZB zu einer strikteren Zinspolitik gezwungen.
Die Finanzpolitik bleibt eine Stütze der binnenwirtschaftlichen Aktivität. So dürften finanzpolitische Maßnahmen der einzelnen Mitgliedsländer im Zuge der Energiekrise den privaten Verbrauch und die Unternehmensinvestitionen stützen. Letztere werden auch durch die finanzpolitische Reaktion der EU auf die Corona-Krise begünstigt (Kasten 2). In einigen Ländern werden Instrumente wie Energiepreisdeckel dank fallender Energiepreise weniger zum Tragen kommen müssen, was den finanzpolitischen Spielraum entlasten sollte. Die Fiskalpolitik vieler Mitglieder der Eurozone bleibt jedoch trotz des Inflationsdrucks und der restriktiven Geldpolitik expansiv, insbesondere infolge der Verlängerung bestimmter Energiestützungsmaßnahmen (zum Beispiel in Frankreich und Spanien).
Die Europäische Union (EU) hat im Juli 2020 das NextGenerationEU-Programm (NGEU) verabschiedet. Ziel ist es, die negativen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzufedern und dabei den ökologischen und digitalen Wandel der betroffenen Volkswirtschaften zu fördern.
Der NextGenerationEU-Fonds wurde mit einem Volumen von insgesamt 807 Milliarden Euro ausgestattet und stellt damit das größte Konjunkturprogramm dar, das jemals aus dem EU-Haushalt finanziert wurde. Es ergänzt den langfristigen Haushalt der Europäischen Union in Höhe von rund 1,2 Billionen Euro. Das NGEU-Programm soll wesentlich durch die Ausgabe von Anleihen der EU-Kommission im Namen der EU am Kapitalmarkt finanziert werden. Die Mitgliedstaaten haften gemeinschaftlich für Schulden des Fonds.
Das zentrale Element des Fonds ist die Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF), die im Februar 2021 in Kraft trat und für die 724 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Die finanzielle Unterstützung wird in Zuschüsse (338 Milliarden Euro) und Darlehen (386 Milliarden Euro) zur Unterstützung von Reformen und Investitionen aufgeteilt.Die restlichen Mittel des NGEU-Programms werden im Rahmen verschiedener bereits bestehender EU-Programme an die EU-Mitgliedstaaten ausgezahlt. Die ARF-Mittel sollen zwischen 2021 und 2026 in jährlichen Tranchen ausgeschüttet werden.Vgl. für weitere Details zum NGEU-Ptogramm Gutachten der Gemeinschaftsdiagnose: Krise wird allmählich überwunden – Handeln an geringerem Wachstum ausrichten, Herbst 2021 (online verfügbar). Um Mittel aus dem Fonds zu erhalten, müssen die Mitgliedstaaten der Kommission einen Erstattungsantrag vorlegen, in dem dargelegt wird, wie weit die Realisierung der Reformprojekte fortgeschritten ist. Die Kommission bewertet dann, ob die Etappenziele und Zielwerte zufriedenstellend erreicht wurden, um die Auszahlung freizugeben.
Nach dem jetzigen Stand der bewilligten Mittel dürften absolut gesehen Spanien und Italien mit jeweils knapp 70 Milliarden Euro die höchsten Zahlungen erhalten. Italien wird zusätzlich ein Darlehen von fast 123 Milliarden Euro erteilt. Relativ zur WirtschaftsleistungBasierend auf den 2021 BIP-Daten. sind Griechenland und Rumänien mit 16,68 Prozent beziehungsweise 12,15 Prozent die am stärksten Begünstigten, gefolgt von Kroatien (11,01 Prozent).
Rund ein Drittel der gewährten Mittel sind bereits ausgezahlt. Abgesehen von der Vorfinanzierung, die für die meisten Länder ab 2021 erfolgte, erhielt nur Spanien im Jahr 2021 eine erste Auszahlung in Höhe von zehn Milliarden Euro. Am 31. Mai 2023 waren bereits 153,4 Milliarden Euro (inklusive Vorfinanzierungen) ausgezahlt worden, was 21 Prozent des Gesamtvolumens der ARF entspricht.Der Rat der EU hat den nationalen Aufbau- und Resilienzplänen der 27 Mitgliedsstaaten für einen Betrag von knapp über 500 Milliarden Euro zugestimmt, das heißt 70 Prozent der gesamten ARF-Mittel. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass nur wenige Länder (Italien, Griechenland, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien und Zypern) bisher Interesse an einem Darlehen bekundet haben, weil für die meisten Länder die Aufnahme von Krediten über die EU voraussichtlich keine Finanzierungsvorteile bietet. Legt man nur diese 500 Milliarden zu Grunde, sind bereits 31 Prozent der Mittel ausgezahlt.
Die Umsetzung von Reformen und Investitionen und damit einhergehende Auszahlungen schreiten jedoch in den Mitgliedstaaten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit voran (Abbildung 1). Die Mehrheit der Mitgliedstaaten hat bislang nur eine erste Auszahlung, fünf Länder hingegen schon zwei Auszahlungen erhalten (Kroatien, Griechenland, Italien, Portugal und die Slowakei). Spanien hat im April 2023 sogar schon eine dritte Runde Fördermittel eingestrichen und somit schon die Hälfte der angedachten Fördermittel bekommen (37 Milliarden Euro). Absolut gesehen erhielt Italien mit fast 67 Milliarden Euro (29 Milliarden Euro als Zuschüsse und 38 Milliarden Euro als Darlehen) den bislang höchsten Betrag. Im Gegensatz dazu haben fünf Länder nur eine Vorfinanzierung erhalten (Belgien, Deutschland, Estland, Finnland und Luxemburg). Weitere fünf Länder warten noch auf die Auszahlung, nämlich Schweden, die Niederlande, Irland, Polen und Ungarn – bei den beiden letztgenannten aufgrund des Streits mit der Europäischen Union über die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit.
Wie sich die EU-Auszahlungen auf die Volkswirtschaften auswirken, ist aufgrund der Unterschiede zwischen den damit finanzierten Programmen schwer abzuschätzen. Der EZB zufolge könnte das NGEU-Programm das reale BIP der Eurozone ab 2022/2023 durch fiskalische Anreize um etwa 0,5 Prozent und 2026 insgesamt um rund 1,5 Prozent im Vergleich zu einem kontrafaktischen Szenario ohne NGEU-Investitionen erhöhen.Vgl. Krzysztof Bankowski et al. (2022); The economic impact of next generation EU: A euro area perspective, EZB Occasional Paper, No 291 (online verfügbar). Öffentliche Investitionen würden die Aktivität kurzfristig stützen, während Strukturreformen ihre Wirkung längerfristig entfalten würden.
In einigen der wirtschaftlich größten Länder des EuroraumsDeutschland, Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande, gemessen an ihrem BIP 2021 in US-Dollar. haben die ARF-Mittel den Bruttoanlageinvestitionen Schwung verliehen. Nach einem coronabedingten Einbruch und einer anschließenden deutlichen Erholung lag das Investitionswachstum über dem Vorkrisentrend,Geschätzt für den Zeitraum 2014–2019. wobei Deutschland eine Ausnahme bildete. Das NGEU-Programm unterstützt insbesondere Investitionen in geistiges Eigentum/Forschung und Entwicklung sowie Baugewerbe, was sich in der Analyse auch widerspiegelt (Abbildung 2). Der Anteil der Investitionen in geistiges Eigentum ist in Frankreich, den Niederlanden und in geringerem Maße in Spanien deutlich gestiegen, während Bauinvestitionen in Italien stark zum Wachstum der Anlageinvestitionen beigetragen haben.Im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Krise heben die Beiträge des Investitionswachstums insbesondere ein größeres Gewicht der Investitionen hervor, die von den nationalen Aufbau- und Resilienzplänen unterstützt werden (insbesondere Bauinvestitionen, Investitionen in geistiges Eigentum/F&E). Die Auszahlung der restlichen beantragten Mittel in den kommenden vier Jahren dürfte die Konjunktur der EU, insbesondere die Anlageinvestitionen, stützen.
Weitere finanzpolitische Maßnahmen, die bereits in Kraft getreten oder geplant sind, dürften den privaten Konsum und die Investitionen in der kurzen Frist unterstützen (etwa Abschaffung einer Produktionssteuer in Frankreich, Reduzierung der Mehrwertsteuer auf die Grundnahrungsmittel in Spanien, Reduzierung der Einkommensteuer für gezielten Gruppen in Spanien und Italien). Des Weiteren wird der Arbeitsmarkt durch die Rentenreform in Frankreich, eine Erleichterung der befristeten Beschäftigung in Spanien und Italien sowie Anreize für die Beschäftigung von Jugendlichen in Italien langfristig gestärkt.
Durch die nur allmählich zunehmenden Realeinkommen der Haushalte und steigende Zinsen durchläuft der Euroraum im laufenden Jahr 2023 eine Schwächephase, erholt sich allerdings über das Jahr 2024 mit leicht ansteigenden Raten. So ist mit einem Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent in diesem Jahr und 1,3 Prozent im nächsten Jahr zu rechnen (Abbildung 4).
In den Vereinigten Staaten ist das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2023 nur um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal gewachsen (annualisiert 1,3 Prozent). Der private Konsum legte zwar um fast ein Prozent zu, die höhere Nachfrage wurde aber wohl auch über einen starken Lagerabbau der privaten Unternehmen bedient. Bei den Wohnungsbauinvestitionen setzt sich die Talfahrt fort. Vom Außenhandel kamen im ersten Quartal positive Impulse für die US-Wirtschaft; die Exporte zogen stärker an als die Importe.
Im zweiten Quartal 2023 dürfte sich die Expansionsdynamik der US-Wirtschaft weiter abschwächen. Besonders der private Konsum wird wohl die Konjunktur weniger stützen, darauf deutet die gedämpfte Entwicklung bei den Einzelhandelsumsätzen hin. Zudem ist die Stimmung der Konsument*innen weiterhin trüb. Die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen verschlechtern sich wegen der höheren Zinsen, was die Investitionsneigung belastet. Die Unternehmen sind pessimistischer geworden: Der Einkaufsmanagerindex für die Industrie ist im Mai wieder leicht unter die Expansionsschwelle von 50 gefallen (Abbildung 5).
Weil sich der Konsum weiter abschwächt und die Unternehmensinvestitionen stagnieren, dürfte die US-Wirtschaft im zweiten Halbjahr sogar leicht schrumpfen. Die Lage am Arbeitsmarkt ist gegenwärtig zwar noch äußerst gut. Frühindikatoren deuten aber auf eine schrittweise Abkühlung hin. Während der Pandemie zurückgelegte zusätzliche Ersparnisse gehen insbesondere bei Haushalten mit niedrigen Einkommen zur Neige.Vgl. Hamza Abdelrahman und Luiz E. Oliviera, L.E. (2023): The Rise and Fall of Pandemic Excess Savings, FRSBF Economic Letter (online verfügbar). Auch die Probleme im Bankensektor werden noch ein wenig auf der US-Wirtschaft lasten. Die Kreditvergabe dürfte sich etwas stärker verringern, als dies durch die Zinserhöhungen ohnehin zu erwarten war. Daher werden sich die Unternehmensinvestitionen wohl weiter schwach entwickeln. Die nachlassende Binnenkonjunktur dämpft auch die Importe. Da aufgrund der schwächelnden Weltwirtschaft auch die Exporte nur moderat zulegen dürften, wird das Handelsbilanzdefizit aber nur leicht zurückgehen. Über das Jahr 2024 dürften dann die Investitionen wieder etwas anziehen. Auch der Konsum wird wieder stärker zur Expansionsdynamik beitragen.
Von der Wirtschaftspolitik gehen kaum positive Impulse für die US-Konjunktur aus. Die parteiübergreifende Einigung zur Anhebung der Schuldenobergrenze sieht leichte Kürzungen im Bereich der ungebundenen Ausgaben vor. Für den Prognosezeitraum dürften die konjunkturellen Auswirkungen wohl gering ausfallen. Spürbare positive konjunkturelle Effekte sind immerhin von dem im Sommer 2022 beschlossenen Inflation Reduction Act zu erwarten, mit dem Investitionen für Klimaschutz-Technologien gefördert werden sollen.
Die Geldpolitik ist seit dem Frühjahr 2022 rasch restriktiver geworden. Die Inflation hat sich zwar auch angesichts sinkender Energie- und Lebensmittelpreise schrittweise reduziert. Aber die Kerninflation verharrt in einem Bereich, der deutlich über dem durchschnittlichen Zwei-Prozent-Ziel der Federal Reserve liegt. Die Zinsen werden vor diesem Hintergrund wohl im Juni noch einmal um 25 Basispunkte angehoben, dürften dann aber bis Herbst 2023 konstant bleiben. Danach ist mit leichten Zinssenkungen zu rechnen, so dass die Inflation im laufenden Jahr mit vier Prozent zwar noch deutlich erhöht sein wird, im Jahr 2024 aber auf zwei Prozent sinken dürfte.
Alles in allem wird die US-Wirtschaft im laufenden Jahr wohl um 1,2 Prozent wachsen. Im Jahr 2024 ist mit einem etwas dynamischeren Wirtschaftswachstum zu rechnen, der Zuwachs dürfte 1,3 Prozent betragen (Abbildung 5).
Die Wirtschaft im Vereinigten Königreich hat sich im ersten Quartal 2023 mit 0,1 Prozent schwach entwickelt. Getragen wurde das Wachstum vor allem von anziehenden Unternehmensinvestitionen, der private Verbrauch stagnierte hingegen. Zudem stieg die Lagerhaltung, während der Außenbeitrag negativ war. Im laufenden Quartal dürfte die Wirtschaft nur leicht expandieren. Zwar blieb die befürchtete technische Rezession aus, jedoch belastet die immer noch sehr hohe Teuerung die Kaufkraft der privaten Haushalte. Die Inflationsraten des Vereinigten Königreichs übersteigen die Raten anderer entwickelter Volkswirtschaften. Im Vergleich zum Vorjahresmonat sind die Preise seit September jeweils im zweistelligen Bereich gestiegen. Ursache dafür war vor allem die starke Verteuerung von Nahrungsmitteln und Energie. Zwar fiel die Inflationsrate im April auf 8,7 Prozent, da Energiepreise deutlich nachgaben. Die Kerninflationsrate zog allerdings leicht an und lag im April bei 6,8 Prozent. Die Stimmung der Verbraucher*innen hellte sich im Zuge der fallenden Energiepreise bis zuletzt auf, in den Einzelhandelsumsätzen, die sich nur schleppend entwickelten, schlug sich dies allerdings nicht nieder. Auch der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe ist durchwachsen und verbleibt mit 47 Punkten im Mai unter der Expansionsschwelle von 50. Die Industrieproduktion legte mit 0,75 Prozent im März etwas schwungvoller im Vergleich zu den bisherigen Wintermonaten zu.
Starke Lohnzuwächse von sechs Prozent im ersten Quartal und eine nur graduelle abflauende Inflation dürften zu ersten Reallohnzuwächsen gegen Ende des Jahres führen. Die Folge ist wohl eine schleppende Erholung des privaten Verbrauchs. Die anhaltend hohe Inflation und eine entsprechend restriktive Geldpolitik dürfte die Investitionen dämpfen. Die Zentralbank reagierte mit kräftigen Zinsschritten und erhöhte zuletzt im Mai 2023 die Zinsen um 0,25 Prozentpunkte auf 4,5 Prozent. Über den Prognosezeitraum wird die Inflation wohl den beobachteten Trend fortsetzen und 2023 auf 7,6 Prozent und 2024 auf 3,7 Prozent sinken. Somit dürfte auch gegen Ende des Prognosehorizontes das Inflationsziel von zwei Prozent noch nicht erreicht werden.
Die Finanzpolitik wird die britische Konjunktur wohl nur leicht stützen. So beinhaltet der im März beschlossene Haushaltsplan für das Frühjahr eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels und der Investititionsschwäche. Um das Arbeitskräfteangebot auszuweiten, wurden Reformen bei Kinderbetreuung, Renten, Invaliditäts- und allgemeinen Kreditleistungen sowie Kompetenzzentren durchgeführt. Sie dürften allerdings aufgrund einer verzögerten Umsetzung erst ab 2027 greifen und das Angebot um rund 60 000 Personen erhöhen.Vgl. Office for Budget Responsibility (2023) Economic and Fiscal Outlook, March, 2023 (online verfügbar). Die wichtigste Reform zur Stützung der Unternehmensinvestitionen ist die Einführung vorübergehender Kapitalfreibeträge zur Deckung der Kosten für Investitionen in Anlagen und Maschinen, die zwischen 2023 und 2024 sowie 2025 getätigt werden. Die Effekte dieser Maßnahmen dürften in den Jahren 2023 bis 2024 mit jeweils 0,1 Prozentpunkten nur leicht zum BIP-Wachstum beitragen. Die ausländische Nachfrage wird in den Folgequartalen wohl aufgrund der graduellen weltwirtschaftlichen Entwicklung moderat ausfallen und erst im Jahr 2024 wieder an Fahrt aufnehmen, was die britischen Exporte stützen dürfte.
Wegen der anhaltenden Belastung der Haushalte durch die hohen Preise und der angespannten Situation am Arbeitsmarkt dürfte die britische Wirtschaft auch im zweiten Quartal 2023 nur schwach wachsen. Ab der zweiten Jahreshälfte ist mit einem leicht stärkeren Aufschwung zu rechnen, wobei die wirtschaftliche Aktivität im Vereinigten Königreich wohl auch bis Ende 2024 durch geringes Wachstum geprägt sein wird. Somit ist mit einer schwachen Erholung von 0,3 Prozent im Jahr 2023 und einem leichten Plus von 0,7 Prozent im Jahr 2024 zu rechnen (Abbildung 6).
Japans Bruttoinlandsprodukt wuchs im ersten Quartal 2023 um 0,7 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Die Maßnahmen zur Eindämmung von Corona wurden im Oktober 2022 endgültig aufgehoben. So öffnete Japan zum Beispiel seine Grenzen wieder für ausländische Reisende. Die Konsumentenstimmung verbesserte sich zwar leicht, aber die Investitionsbereitschaft der japanischen Unternehmen schwächelt weiterhin, obwohl Lieferengpässe kaum noch eine Rolle spielen.
Im weiteren Prognosezeitraum expandiert die japanische Wirtschaft voraussichtlich in moderatem Tempo. In der zweiten Jahreshälfte dürfte die Öffnung Chinas auch Japans Auslandsnachfrage und damit das Wirtschaftswachstum positiv beeinflussen. Nach einem eher schwachen Jahresauftakt wird sich die Erholung des privaten Verbrauchs im weiteren Prognoseverlauf fortsetzen. Nicht nur die zusätzlichen finanzpolitischen Maßnahmen, sondern auch eine verbesserte Lage auf dem Arbeitsmarkt dürften die Einkommen der Haushalte stärken und die Binnennachfrage ankurbeln. Die Arbeitslosenquote verändert sich dabei kaum – von voraussichtlich 2,6 Prozent im Jahr 2023 auf 2,5 Prozent im Jahr 2024.
Die Inflation hat sich in den vergangenen Monaten beschleunigt, wobei sie hauptsächlich auf die Weitergabe der gestiegenen Importpreise zurückzuführen ist. Die Kerninflation (Inflation ohne frische Lebensmittel) lag 2022 auf dem höchsten Stand seit vier Jahrzehnten (2,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr). In diesem Jahr könnte die Inflation weiterhin auf diesem Niveau verharren, bevor sie bis Ende 2024 allmählich auf zwei Prozent sinkt, sofern die Importpreise nachgeben. Gleichzeitig zeigen japanspezifische Faktoren aber Risiken für die Inflation im Prognosezeitraum: Die verzögerten Auswirkungen der Wechselkursabwertung, die Wiedereröffnung der Grenzen, Zweitrundeneffekte der importierten Inflation und ein höher als erwartetes Lohnwachstum könnten die Teuerung antreiben. Dabei hat eine der wichtigsten Gewerkschaften des Landes in jährlichen Verhandlungen sehr große Lohnerhöhungen durchgesetzt, wodurch sich der Druck auf die Zentralbank erhöht, langsam aus ihrer ultraakkommodativen Geldpolitik auszusteigen. In den vergangenen Monaten hat die Zentralbank weiterhin im großen Umfang japanische Staatsanleihen gekauft und hält mit Stand Ende April fast 80 Prozent der ausstehenden zehnjährigen Staatsanleihen des Landes. Diese Käufe haben die Liquidität auf dem Anleihen-Markt verringert und die Renditekurve verzerrt. Kazuo Ueda, der neue Chef der Zentralbank seit April 2023, könnte einen Politikwechsel einleiten, auch wenn er bis zuletzt den ultraexpansiven geldpolitischen Kurs weiterführt.
Der Yen stieg Ende 2022 gegenüber dem Dollar auf ein Sechsmonatshoch – ein Anzeichen auf eine Korrektur der bisherigen Unterbewertung des Yen. Die Zentralbank intervenierte im September und Oktober 2022 das erste Mal seit 1998, um den Wechselkurs des Yen zu stützen, was sich positiv auf die japanischen Exporte auswirken dürfte.Eine solche Intervention wurde durch einen Verkauf von US-Dollar realisiert, was zu einer Aufwertung des Yen führte.
Das Bruttoinlandsprodukt dürfte im laufenden Jahr um 1,4 Prozent zulegen. Im Jahr 2024 wird sich die Wirtschaft mit einer Wachstumsrate von 1,3 Prozent wohl noch etwas stärker erholen. Rückenwind bekommt sie dabei von den fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Erwähnenswert ist dabei auch die lang erwartete Annäherung Japans und Südkoreas Anfang 2023, die eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder fördern (Abbildung 7).
Dank dem Ende aller Covid-19-Beschränkungen im Dezember 2022 und dem raschen Rückgang der Krankheitsfälle ist die chinesische Wirtschaft in diesem Jahr im ersten Quartal um starke 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorquartal gewachsen. Dabei kurbeln Konsumausgaben, die während der Pandemie unter anderem wegen umfangreicher Quarantäne-Maßnahmen nicht möglich waren (sogenanntes revenge shopping), als auch die neugewonnene Reisefreiheit der Bevölkerung die Binnennachfrage an. Gleichzeitig trüben aber fallende Einkaufsmanagerindizes für das Verarbeitende Gewerbe im April 2023 die Aussicht. Daher bleibt die Nachfrage nach deutschen Industriegütern zunächst gedämpft. Das chinesische Bruttoinlandsprodukt dürfte im zweiten Quartal 2023 um 0,9 Prozent zulegen; über das Jahr werden die Wachstumsraten wohl ähnlich verlaufen.
In diesem und im kommenden Jahr wird die chinesische Wirtschaft voraussichtlich solide Zuwächse verzeichnen, wenngleich die Wachstumsraten geringer ausfallen dürften als noch vor der Pandemie. China verzeichnet sehr niedrige Inflationszahlen, die auf die bis vor kurzem geltenden Null-Covid-Strategie und eine schwelende Immobilienkrise zurückzuführen sind. Die Verbraucherpreisinflation fiel auf 0,1 Prozent im April, gegenüber 0,7 Prozent im März. Im März hat die Zentralbank weitere Liquidität zur Verfügung gestellt und den Mindestreservesatz gesenkt – alles in allem Signale, die Marktzinsen zu senken. Die wichtigsten Leitzinsen der Zentralbank wurden jedoch im vergangenen Monat unverändert gelassen. Über den Prognosehorizont dürfte die Inflationsrate im Zuge der wirtschaftlichen Erholung des Binnenmarktes weiter leicht ansteigen. Sie wird in diesem und im kommenden Jahr jeweils 2,3 Prozent betragen. Auf der fiskalischen Seite umfassten die wichtigsten Maßnahmen der chinesischen Regierung eine Reihe von Steuer- und anderen Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie vorangegangene Infrastrukturinvestitionsprojekte, die das Potenzialwachstum Chinas langfristig anheben dürften. Auch für den Immobiliensektor haben die Behörden die Unterstützungsmaßnahmen kontinuierlich verstärkt, die dringend benötigte Umstrukturierung der hochverschuldeten Bauträger kommt aber weiterhin nur langsam voran.
In diesem und im kommenden Jahr dürfte Chinas Wirtschaft jeweils um 5,3 Prozent und um 5,2 Prozent wachsen und damit annähernd den Zielvorgaben der Regierung entsprechen, die im vergangenen Jahr verfehlt wurden. Unter dem Strich verlief der Jahresauftakt stärker als erwartet – trotz schwacher Außenhandelsnachfrage. Bis Ende 2023 dürften auch die Exporte Richtung fortgeschrittene Volkswirtschaften wieder anziehen, während jetzt schon Exporte Richtung Russland aufgrund der westlichen Sanktionen an Bedeutung gewonnen haben. Einige mittelfristige Risiken sind zu bedenken. Zum einen könnte der Wirtschaftsaufschwung von kurzer Dauer sein, da sich der Immobiliensektor langsamer erholt als erwartet. Viele Bauträger sind noch hoch verschuldet und die Nachfrage stagniert weiterhin. Zum anderen besteht die Gefahr eines weiteren Ausbaus der staatlichen Kontrolle der Wirtschaft unter Präsident Xi Jinping, der im März 2023 für eine dritte Amtsperiode wiedergewählt wurde. Das kann den Investitionsappetit ausländischer Firmen zügeln und somit langfristig das Potenzialwachstum Chinas senken. Gleichzeitig kann die engere Zusammenarbeit zwischen Russland und China aufgrund des die Beziehungen zum Westen weiter verschlechtern. Dabei kann das Kommuniqué der G7-Länder aber als ein Zeichen in Richtung Entspannung der schwierigen Handelssituation interpretiert werden (Abbildung 8).Dabei haben die G7-Länder unterstrichen, dass „ein wachsendes China, das sich an die internationalen Regeln hält, von globalem Interesse wäre.“ Vgl. Kommuniqué der Staats- und Regierungschefs der G7 von Hiroshima vom 20.5.2023 (online verfügbar)
Das Bruttoinlandsprodukt der mittel- und osteuropäischen Länder legte im Gesamtjahr 2022 deutlich zu. Nach einem zumeist noch geringen oder sogar rückläufigen Wachstum im Schlussquartal 2022, das insbesondere auf einem schwachen privaten Verbrauch beruhte, stieg die Wirtschaftsleistung im Auftaktquartal 2023 wieder. Dies deutet indes noch keinen dynamischen Aufschwung im laufenden Jahr an.
So entwickeln sich die Einzelhandelsumsätze in den meisten Ländern zumeist noch verhalten. Auch wenn sich die Konsumentenzuversicht, die im Herbst 2022 in der Region einen Tiefpunkt erreichte, im Frühjahr 2023 weiter verbesserte und die Lage am Arbeitsmarkt gut ist, wird der private Verbrauch im weiteren Verlauf wohl zunächst noch von der hohen Teuerungsrate belastet bleiben. Die Preise in der Region steigen unterschiedlich stark, von derzeit 25 Prozent in Ungarn bis 14 Prozent in Tschechien, wo traditionell eine eher konservative Geldpolitik vorherrscht. Die Teuerungsraten dürften im weiteren Verlauf zwar sinken, aber bis Ende des Prognosezeitraums die jeweiligen Zielvorgaben der nationalen Zentralbanken von zwei bis vier Prozent noch nicht erfüllen.
Auf einen zunächst gedämpften Wachstumskurs deutet zudem der Einkaufsmanagerindex im Verarbeitenden Gewerbe hin. Der Index unterschreitet in Polen und Tschechien die Expansionsschwelle und war im April rückläufig. Die Auftragslage hat sich zuletzt sogar verschlechtert. Dies betrifft auch die Aufträge aus dem Ausland. Die verhaltende Auslandsnachfrage spiegelt sich vorübergehend in einer verminderten Außenhandelsaktivität der Region wider. Einzelne Länder müssen zudem nach dem Rückgang beziehungsweise Stopp russischer Energielieferungen ihre Energieversorgung diversifizieren. Darüber hinaus werden Sanktionen in den Handelsbeziehungen mit Russland eine weitere Verlagerung von Handelsströmen nach sich ziehen. Die Länder in der Region haben im Zuge der angespannten Lage auf den Energiemärkten und gestiegenen Energiekosten teilweise die Energieausgaben für den privaten Sektor gedeckelt, so dass die öffentlichen Haushalte vorübergehend Mehrausgaben zu schultern haben. Weitere Mehrausgaben entstehen durch die teilweise hohe Zahl an Geflüchteten aus der Ukraine. Allein Polen hat seit Kriegsbeginn 1,6 Millionen Ukrainer*innen aufgenommen, denen vorübergehend finanzielle Unterstützung gewährt wird.Grundsätzlich erhalten die Geflüchteten in Polen Unterstützung in Form von Einmalzahlungen und Kindergeld. Die Unterbringung wird für eine Übergangszeit finanziert. Danach müssen sich die Geflüchteten an den Kosten beteiligen. Sie haben die Möglichkeit zu arbeiten. Ein Großteil der Geflüchteten hat einer Studie zufolge Arbeit gefunden, die aber nicht ihrer ursprünglichen Qualifikation entspricht. Vgl. TVP Word (2023); Nearly 80 % of Ukraine refugees in Poland are employed: survey (online verfügbar). Auch die Verteidigungsausgaben werden wohl weiter steigen. Abgesehen von Ungarn haben die mittelosteuropäischen Länder angesichts ihrer vergleichsweise geringen öffentlichen Verschuldung perspektivisch noch finanzielle Spielräume. Im Konflikt um Rechtsstaatlichkeit hat die Europäische Kommission für Polen und Ungarn Mittelzuweisungen eingefroren. Im Falle von Polen sind 35,4 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds blockiert.Dies entspricht insgesamt fünf Prozent des polnischen BIP (2022). Die Mittel sollten ursprünglich von 2021 bis 2023 ausgezahlt werden. Anfang Juni hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die polnische Justizreform gegen EU-Recht verstößt. Ein Einlenken der polnischen Regierung und eine Lösung des Konflikts zeichnen sich derzeit nicht ab.
Das Bruttoinlandsprodukt in den mittel- und osteuropäischen Ländern dürfte sich mit einem Zuwachs von 1,2 Prozent im Jahr 2023 zunächst schwach entwickeln. Im Folgejahr ist eine Erholung mit einem Wachstum von 3,1 Prozent zu erwarten (Abbildung 9).
Die deutsche Konjunktur präsentierte sich Ende des vergangenen Jahres zunächst deutlich robuster als noch im Herbst erwartet worden war, trotz Rekordinflation. Dennoch ging die Wirtschaftsleistung im Winterhalbjahr in beiden Quartalen zurück; Deutschland befand sich in einer leichten Rezession. Dass das Bruttoinlandsprodukt auch im ersten Quartal 2023 weiter zurückging, lag vor allem am privaten Konsum, der um 1,2 Prozent einbrach. Die positiven Beiträge des Außenhandels, der Ausrüstungsinvestitionen sowie die zu Jahresbeginn unerwartet starken Bauinvestitionen konnten diesen Rückgang nicht wettmachen, so dass das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal des Jahres in Summe um 0,3 Prozent zurückging (Abbildung 10).
Der bestimmende Faktor war im ersten Vierteljahr die weiterhin hohe Inflation der Verbraucherpreise und die Unsicherheit, ob und wie schnell sich die Teuerung verlangsamen würde. Zwar verringerte sich der Preisauftrieb der Energiekomponente bereits seit letztem Herbst, aber der im vergangenen Jahr durch die Energiekrise ausgelöste Preisschock hatte sich zu Jahresbeginn in sämtlichen Wirtschaftsbereichen niedergeschlagen und die Preise auf breiter Front steigen lassen. Die Preise für Nahrungsmittel nahmen zudem im ersten Quartal noch einmal kräftig zu, was viele Verbraucher*innen zusätzlich Kaufkraft kostete – insbesondere Haushalte mit geringen bis durchschnittlichen Einkommen, die einen höheren Anteil davon für Lebensmittel aufwenden müssen.
Die Löhne konnten nicht mit den starken Zuwächsen der Verbraucherpreise mithalten – vor allem deshalb sind die Realeinkommen erneut gesunken. Zudem bestanden größere Unsicherheiten über die künftige Lohnentwicklung. Beides hat den privaten Konsum stark belastet. Staatliche Entlastungsmaßnahmen wie die Strom- und Gaspreisbremse konnten den privaten Verbrauch zwar stützen, aber den Rückgang nicht vollständig auffangen.
Positive Impulse kamen im ersten Quartal hingegen vom Außenhandel und den Investitionen. Die nach wie vor hohen Auftragsbestände konnten dank der Entspannung der Lieferketten verstärkt abgearbeitet werden und stützten somit die heimische Produktion, die im ersten Quartal zulegen konnte. Neben der Bauproduktion stieg insbesondere auch die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe. Vor allem die energieintensiven Wirtschaftszweige konnten von den zurückgehenden Energiepreisen profitieren.
Im laufenden zweiten Quartal dürfte sich der private Konsum wieder erholen, wenn auch nur behutsam, denn die Preisanstiege und Lohnzuwächse dürften sich ungefähr die Waage halten (Abbildung 11). Die Unsicherheiten sowohl über die weitere Entwicklung der Löhne als auch der Inflation haben sich gegenüber dem Jahresbeginn deutlich verringert. So liegen mittlerweile erste Tarifabschlüsse mit deutlichen Lohnsteigerungen vor und ein kontinuierlicher Rückgang der Inflationsraten ist, vor allem aufgrund der weiter nachlassenden Teuerung der Energie und Nahrungsmittel sowie der Basiseffekte,Der Vorjahresvergleich bezieht sich mittlerweile auf Monate, in denen die Preise infolge des Krieges in der Ukraine bereits im vergangenen Jahr stark gestiegen waren. absehbar. Beides dürfte die Konsumzurückhaltung aus dem Winterhalbjahr größtenteils auflösen.
Kleine positive Beiträge dürften zudem vom Außenhandel kommen. Zwar werden die Exporte voraussichtlich mit robusten Raten zulegen, aber mit anziehendem privaten Verbrauch werden wohl auch die Importe wieder steigen. Dagegen gehen von den Investitionen leicht dämpfende Effekte aus. Insgesamt wird das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal mit 0,3 Prozent wohl wieder deutlich ausgeweitet werden (Tabelle 2).
In Prozent (jeweils gegenüber dem Vorquartal, saison- und kalenderbereinigt)
2022 | 2023 | 2024 | ||||||||||
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I | II | III | IV | I | II | III | IV | I | II | III | IV | |
Privater Verbrauch | 1,4 | 0,2 | 1,2 | −1,7 | −1,2 | 0,3 | 0,6 | 0,7 | 0,8 | 0,7 | 0,6 | 0,5 |
Öffentliche Konsumausgaben | 0,8 | 0,4 | −1,1 | 0,2 | −4,9 | 2,0 | 0,7 | 0,5 | 0,0 | −0,3 | −0,4 | −0,4 |
Bruttoanlageinvestitionen | 2,3 | −1,2 | 1,3 | −2,6 | 3,0 | −1,0 | −0,2 | 0,3 | 0,4 | 0,6 | 0,8 | 0,7 |
Bauten | 3,5 | −3,1 | −1,0 | −3,2 | 3,9 | −1,8 | −1,0 | −0,2 | 0,4 | 0,6 | 0,7 | 0,8 |
Ausrüstungen | 1,8 | 1,1 | 5,4 | −3,6 | 3,2 | −0,5 | 0,6 | 1,1 | 0,4 | 0,7 | 1,0 | 0,6 |
Sonstige Investitionen | −0,1 | 0,8 | 1,0 | 0,7 | 0,1 | 0,6 | 0,6 | 0,6 | 0,7 | 0,7 | 0,7 | 0,7 |
Lagerveränderung1 | −0,3 | 0,7 | 0,2 | 0,4 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 0,0 |
Inländische Verwendung | 1,1 | 0,6 | 0,9 | −1,0 | −1,0 | 0,3 | 0,4 | 0,5 | 0,5 | 0,4 | 0,4 | 0,4 |
Außenbeitrag1 | 0,0 | −0,7 | −0,4 | 0,5 | 0,7 | 0,1 | 0,0 | −0,1 | 0,0 | −0,1 | −0,1 | −0,1 |
Export | 0,3 | 0,6 | 1,5 | −1,3 | 0,4 | 0,5 | 0,8 | 0,9 | 0,9 | 0,8 | 0,8 | 0,8 |
Import | 0,4 | 2,3 | 2,5 | −2,4 | −0,9 | 0,4 | 0,9 | 1,1 | 1,1 | 1,1 | 1,1 | 1,0 |
Bruttoinlandsprodukt | 1,0 | −0,1 | 0,5 | −0,5 | −0,3 | 0,3 | 0,4 | 0,5 | 0,5 | 0,4 | 0,3 | 0,3 |
Bruttowertschöpfung | 1,3 | −0,6 | 1,4 | −1,1 | 0,9 | 0,3 | 0,4 | 0,5 | 0,5 | 0,4 | 0,3 | 0,3 |
Verarbeitendes Gewerbe | −0,3 | −0,1 | 0,8 | −0,3 | 2,0 | −0,1 | 0,4 | 0,4 | 0,5 | 0,6 | 0,5 | 0,4 |
Baugewerbe | 1,3 | −2,6 | −1,8 | −2,8 | 6,1 | −1,5 | −0,8 | −0,1 | 0,0 | 0,2 | 0,3 | 0,4 |
Handel, Gastgewerbe, Verkehr | 2,0 | −1,7 | 2,9 | −2,6 | 0,1 | 0,8 | 0,8 | 0,9 | 0,8 | 0,6 | 0,6 | 0,5 |
Unternehmensdienstleister | 1,7 | 0,5 | −0,1 | 0,0 | −0,4 | 0,4 | 0,6 | 0,7 | 0,6 | 0,5 | 0,4 | 0,4 |
Öffentliche Dienstleistungen, Erziehung, Gesundheit | 2,4 | −1,4 | 3,1 | −0,3 | 0,3 | 0,4 | 0,3 | 0,2 | 0,2 | 0,2 | 0,2 | 0,2 |
1 Wachstumsbeitrag in Prozentpunkten.
Anmerkung: Prognose ab dem zweiten Quartal 2023.
Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
Die Erholung des privaten Verbrauchs wird sich in der zweiten Jahreshälfte wohl weiter fortsetzen. Maßgeblich dafür ist, dass die Verbraucherpreisinflation im Jahresverlauf weiter spürbar zurückgehen dürfte. Die Verlangsamung der Energie- und Nahrungsmittelinflation hat sich deutlich in Preisindizes wie Produzenten- und Importpreisen niedergeschlagen, die nur noch sehr schwach gestiegen oder bereits wieder gefallen sind. Diese Entwicklung wird sich, zusammen mit den Basiseffekten, weiter auf die Verbraucherpreise übertragen und die Inflation merklich verlangsamen. Gleichzeitig wird die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen annahmegemäß weiter erhöhen, um der nach wie vor vergleichsweise hohen Verbraucherpreisinflation im Euroraum zu begegnen (Kasten 1). Die Kerninflationsrate dürfte aufgrund der steigenden Löhne und des dadurch entfalteten Preisdrucks indes langsamer zurückgehen als die Inflation insgesamt. War der Preisauftrieb im vergangenen Jahr durch Nahrungsmittel und insbesondere Energie weitestgehend importiert, dürften nun die Preissteigerungen der anderen Komponenten des Warenkorbs die Inflation insgesamt antreiben.
Mit den sinkenden Inflationsraten, den bereits vereinbarten Lohnsteigerungen und Inflationsausgleichsprämien in vielen Branchen sowie bevorstehenden weiteren kräftigen Lohnsteigerungen in Branchen mit auslaufenden Tarifverträgen dürften die realen Einkommen ab der zweiten Jahreshälfte erstmals wieder mit soliden Raten steigen. Der private Konsum wird dann wieder stärker zur wirtschaftlichen Expansion beitragen (Tabelle 3). Zwar dämpft der Außenhandel leicht, da die Importe zum Jahresende stärker steigen werden als die Exporte, und auch die Bauinvestitionen entwickeln sich aufgrund hoher Baupreise und stark gestiegener Hypothekenzinsen schwach. Doch die insgesamt robuste inländische Verwendung stützt die anziehende konjunkturelle Dynamik. Dabei kommt die Wertschöpfung insbesondere aus den Dienstleistungsbereichen. Die Dynamik in der Industrie dürfte in der zweiten Jahreshälfte eher schwach sein, wie die sich eintrübenden Frühindikatoren andeuten. Die Geschäftsaussichten im Verarbeitenden Gewerbe sowie Auftragseingänge und Produktionsaktivität haben sich zuletzt eingetrübt (Abbildung 12). Dazu kommt, dass die Bauproduktion nach dem Zwischenhoch im ersten Quartal den Abwärtstrend des vergangenen Jahres fortsetzen dürfte.
In Prozentpunkten (preisbereinigt)
Veränderungsbeiträge1 | |||
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2022 | 2023 | 2024 | |
Konsumausgaben | 2,7 | −1,2 | 1,5 |
Private Haushalte | 2,4 | −0,6 | 1,4 |
Staat | 0,3 | −0,6 | 0,2 |
Bruttoanlageinvestitionen | 0,1 | 0,0 | 0,2 |
Bauten | −0,2 | −0,2 | 0,0 |
Ausrüstrungen | 0,2 | 0,2 | 0,2 |
Sonstige Anlagen | 0,1 | 0,1 | 0,1 |
Vorratsveränderungen | 0,4 | 0,4 | 0,0 |
Inländische Verwendung | 3,1 | −0,7 | 1,8 |
Außenbeitrag | −1,3 | 0,5 | −0,2 |
Exporte | 1,6 | 0,4 | 1,5 |
Importe | 2,9 | −0,1 | 1,7 |
Bruttoinlandsprodukt2 | 1,8 | −0,2 | 1,5 |
1 Verwendungsaggregate abzüglich ihres Importgehalts.
2 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent; Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen.
Anmerkung: Prognose ab dem Jahr 2023.
Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
Auch im Jahr 2024 wird der private Konsum die wirtschaftliche Erholung wohl maßgeblich tragen, obgleich der private Verbrauch im Vergleich zum laufenden Jahr wohl wieder etwas an Dynamik verlieren wird. Verhalten positive Beiträge kommen dann auch von den Investitionen, da sich sowohl die Ausrüstungs- als auch Bauinvestitionen im Jahresverlauf leicht erholen werden. Der Außenhandel hingegen dürfte im Zuge robust steigender Importe die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts erneut eher dämpfen.
Insgesamt dürfte die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Jahr 2023 aufgrund des schwachen Winterhalbjahres preisbereinigt um 0,2 Prozent zurückgehen und im nächsten Jahr dann um solide 1,5 Prozent steigen. Aufgrund der Rezession hat sich die Produktionslücke zuletzt nach unten ausgeweitet. Bis zum Ende des kommenden Jahres dürfte sie zwar wieder abnehmen, aber noch nicht geschlossen sein (Kasten 4). Die Inflation wird in diesem Jahr im Schnitt wohl 5,9 Prozent betragen. 2024 wird sie dann noch bei jahresdurchschnittlich 2,5 Prozent liegen und zum Ende des Jahres wieder in etwa die Zielmarke der EZB von zwei Prozent erreichen (Tabelle 4). Die Energiekomponente wird die Inflation insgesamt bereits dämpfen, während die Kernrate wohl noch länger hoch bleibt; sie dürfte im Jahresdurchschnitt 2023 bei 5,6 Prozent und 2024 bei 2,8 Prozent liegen.
2020 | 2021 | 2022 | 2023 | 2024 | |
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Bruttoinlandsprodukt1 | −3,7 | 2,6 | 1,8 | −0,2 | 1,5 |
Erwerbstätige2 (1000 Personen) | 44914 | 44980 | 45573 | 45948 | 46052 |
Arbeitslose (1000 Personen) | 2695 | 2613 | 2418 | 2573 | 2550 |
Arbeitslosenquote BA3 (in Prozent) | 5,9 | 5,8 | 5,3 | 5,6 | 5,5 |
Verbraucherpreise4 | 0,5 | 3,1 | 6,9 | 5,9 | 2,5 |
Lohnstückkosten5 | 2,8 | 0,6 | 3,3 | −4,8 | −0,9 |
Finanzierungssaldo des Staates6 | |||||
in Prozent des nominalen BIP | −4,3 | −3,7 | −2,6 | −2,4 | −1,4 |
Leistungsbilanzsaldo | |||||
in Milliarden Euro | 238,7 | 265,0 | 145,1 | 214,8 | 229,5 |
in Prozent des nominalen BIP | 7,0 | 7,4 | 3,7 | 5,3 | 5,4 |
1 Preisbereingt. Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent.
2 Inlandskonzept.
3 Arbeitslose in Prozent der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß der Bundesagentur für Arbeit).
4 Veränderung gegenüber dem Vorjahr.
5 Im Inland entstandene Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmerstunde bezogen auf das reale Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde.
6 In Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG).
Anmerkung: Prognose ab dem Jahr 2023.
Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
Die Berechnung des Produktionspotenzials basiert auf dem Verfahren der Europäischen Kommission.Für eine ausführliche Beschreibung dieser Methode siehe Karel Havik et al. (2010): The Production Function Methodology for Calculating Potential Growth Rates and Output Gaps. Europäische Kommission in ihrer Reihe European Economy – Economic Papers Nr. 420. Demografische Effekte werden durch ein Alterskohortenmodell berücksichtigt.Siehe Ferdinand Fichtner et al. (2017): Deutsche Wirtschaft bleibt gut ausgelastet: Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung im Herbst 2017. DIW Wochenbericht Nr. 36, 715–736 (online verfügbar).
Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wird im Wesentlichen anhand der 2021 aktualisierten Bevölkerungsprojektion (mittleres Szenario zwischen „moderater Wanderungssaldo” und „hoher Wanderungssaldo”) fortgeschrieben.Statistisches Bundesamt (2021): Ausblick auf die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und den Bundesländern nach dem Corona-Jahr 2020 – Erste mittelfristige Bevölkerungsvorausberechnung 2021 bis 2035. Diese Projektion geht von einem Anstieg der Nettozuwanderung auf 335000 Personen im Jahr 2023 aus, bevor diese Zahl bis Ende 2026 wieder langsam zurückgeht. Diese Annahme muss infolge der hohen Zuwanderung Geflüchteter im Jahr 2022, vor allem aus der Ukraine, angepasst werden. Denn im Jahr 2022 erreichte die Nettozuwanderung eine Rekordhöhe seit 1950 und betrug knapp 1,46 Millionen Personen.Statistisches Bundesamt (2023): Tabelle „Wanderungen zwischen Deutschland und dem Ausland, Zugezogene, Fortgezogene und Saldo. Wanderungen zwischen Deutschland und dem Ausland 1991 bis 2022“ (online verfügbar). Unter diesen Bedingungen wird die Erwerbsbevölkerung in Deutschland insgesamt noch bis zum Jahr 2024 zunehmen, danach aber im Zuge der Alterung allmählich sinken. Für den Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung bei den Erwerbszuwander*innen und den Nicht-Erwerbszuwander*innen werden die Werte aus dem Ausländerzentralregister angesetzt.Rund 90 Prozent der aus der EU Zugewanderten sind im erwerbsfähigen Alter. Bei der Nicht-EU-Zuwanderung beträgt der Anteil 71 Prozent. Siehe Statistisches Bundesamt – Genesis-Online. Die Partizipationsquoten werden für Geflüchtete und die übrige Bevölkerung getrennt geschätzt und anschließend zu einer gewichteten Quote zusammengefasst. Angefangen mit 74,5 Prozent im Jahr 2021 geht sie über die mittlere Frist zurück. Auch die natürliche Erwerbslosenquote ergibt sich als gewichteter Durchschnitt der entsprechenden Werte für Geflüchtete und der übrigen Bevölkerung. Sie liegt im Jahr 2023 bei 3,2 Prozent und geht 2025 auf 2,9 Prozent zurück. Auf diesem Niveau bleibt sie bis 2027.
Die durchschnittliche Wachstumsrate des Arbeitsvolumens dürfte bis 2027 bei −0,4 Prozentpunkten liegen. Bis 2023 wird sie hauptsächlich durch die wachsende Erwerbsbevölkerung getrieben, danach durch einen Abwärtstrend bei der Arbeitszeit. Die Partizipationsquote geht bis 2027 zurück. Außerdem wird auch die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in den Jahren 2024 bis 2027 einen negativen Wachstumsbeitrag leisten. Alles in allem dürfte das potenzielle Arbeitsvolumen in Stunden bis 2027 damit einen Wachstumsbeitrag von durchschnittlich −0,2 Prozentpunkten leisten.
Zusammen mit dem Wachstumsbeitrag des Kapitalstocks in Höhe von 0,4 Prozentpunkten und der totalen Faktorproduktivität in Höhe von 0,5 Prozentpunkten ergibt sich, dass das reale Produktionspotenzial bis 2027 um jahresdurchschnittlich 0,7 Prozent zunehmen wird, wobei die Raten demografisch bedingt von Jahr zu Jahr sinken werden (Tabelle).
Erwerbstätige (Inland) | beschäftigte Arbeitnehmer*innen (Inland) | Arbeitszeit je Erwerbstätigen | Bruttoinlandsprodukt | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
preisbereinigt, verkettete Volumenwerte | ||||||||
insgesamt | je Erwerbstätigen | je Erwerbstätigenstunde | in jeweiligen Preisen | Deflator | ||||
in Tausend | in Tausend | in Stunden | in Milliarden Euro | in Euro | in Euro | in Milliarden Euro | 2015 = 100 | |
2017 | 44251 | 39978 | 1389 | 3023 | 70114 | 50 | 3026 | 100 |
2022 | 45573 | 41665 | 1340 | 3255 | 71429 | 53 | 3870 | 119 |
2027 | 45868 | 42028 | 1346 | 3403 | 74187 | 55 | 4410 | 130 |
Jahresdurchschnittliche Veränderung in Prozent | ||||||||
2022/2017 | 0,93 | 1,23 | −0,74 | 1,24 | 0,31 | 1,05 | 4,18 | 2,89 |
2027/2022 | 0,16 | 0,22 | 0,11 | 1,11 | 0,95 | 0,84 | 3,32 | 2,23 |
Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt bleibt günstig und dürfte die konjunkturelle Erholung stützen. Die Nachfrage nach Personal ist zuletzt wohl etwas zurückgegangen, aber aus Mangel an qualifizierten Arbeitskräften dürften die Unternehmen in vielen Bereichen ihren Personalbestand halten und in einigen Branchen wie Information und Kommunikation, Unternehmensdienstleistungen und Gesundheit die Erwerbstätigkeit ausbauen.
Nur von einigen der umfangreichen finanzpolitischen Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise dürften deutliche positive Impulse für die weitere konjunkturelle Entwicklung ausgehen. Viele Maßnahmen wie die Strom- und Gaspreisbremse dürften den Großteil ihrer Wirkung bereits entfaltet haben. Es ist damit zu rechnen, dass die Staatsausgaben über den Prognosezeitraum moderater als in den Jahren zuvor ansteigen werden, da pandemiebedingte Programme und Maßnahmen aus den Entlastungspaketen im Rahmen der Energiekrise auslaufen. Insgesamt dürfte das Defizit in diesem und im kommenden Jahr auf 2,4 und 1,4 Prozent in Relation zum nominalen BIP sinken.
Das größte Risiko für die deutsche Konjunktur bleibt eine anhaltend hohe Inflation. Dadurch könnten die realen Einkommen erst später wieder steigen, was die Erholung des privaten Konsums verlangsamen und die konjunkturelle Erholung somit gefährden oder zumindest verzögern würde. Zudem könnte, sollte dies für den gesamten Euroraum gelten, die Geldpolitik in diesem Fall mittels restriktiverer Maßnahmen gegensteuern, was weitere negative Folgen für die Realwirtschaft hätte.
Nachdem sich der Beschäftigungsaufbau in der zweiten Jahreshälfte des vergangenen Jahres etwas verlangsamt hatte, war das erste Quartal 2023 trotz konjunktureller Abschwächung von mehr Dynamik geprägt. So stieg die Zahl der Erwerbstätigen saisonbereinigt um durchschnittlich 51700 Personen pro Monat auf insgesamt 45,9 Millionen Beschäftigte (Abbildung 13). Der Großteil dieses Anstiegs dürfte auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zurückgehen. Doch auch die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten setzte ihren seit Mitte des letzten Jahres andauernden Aufwärtstrend fort. Dagegen ging die Zahl der Selbständigen weiter zurück, wenngleich mit abgeschwächter Dynamik. Insgesamt dürfte die positive Beschäftigungsentwicklung auf die in zahlreichen Branchen nach wie vor hohe Nachfrage nach Fachkräften zurückzuführen sein.
Parallel zum kontinuierlichen Beschäftigungsaufbau steigt seit Mitte des vergangenen Jahres die Zahl der Arbeitslosen.Ein simultaner Anstieg der Arbeitslosenzahl und der Erwerbstätigenzahl ist möglich, wenn die Zahl der Erwerbspersonen insgesamt zunimmt, zum Beispiel durch höhere Partizipationsraten oder Zuwanderung. Vor allem letzterer Effekt treibt die aktuellen Entwicklungen, auch hinsichtlich des Erwerbstätigenzuwachses. Überwiegend liegt dies an der erstmaligen Erfassung ukrainischer Geflüchteter – so nahm seit Juni 2022 die Arbeitslosigkeit nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II stark zu. Zum Jahresende kam dieser Zuwachs zum Erliegen und die Zahl stagnierte im ersten Quartal dieses Jahres auf einem Niveau von 1,7 Millionen Personen. Dass die saisonbereinigte gesamte Arbeitslosenzahl seit Jahresbeginn leicht um 51000 auf 2,57 Millionen Personen (Stand Mai) gestiegen ist, ist somit zu einem größeren Teil der konjunkturabhängigen Zahl der Arbeitslosen in der Arbeitsförderung (nach SGB III) zuzuschreiben.
Frühindikatoren deuten im laufenden Quartal auf eine leichte Abschwächung der Beschäftigungsdynamik hin: So fiel laut ifo-Beschäftigungsbarometer die Einstellungsbereitschaft im Dienstleistungsgewerbe im Mai im Vergleich zum Vormonat deutlich – die Beschäftigungserwartungen im Handel waren schon seit März negativ und verschlechterten sich weiter. In der monatlichen Betrachtung wird deutlich, dass die konjunkturelle Abschwächung sich im März in einem leichten Rückgang der ausschließlich geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer*innen im Vergleich zum Vormonat geäußert hat. Dieser wird sich wohl auch im laufenden Quartal fortsetzen. Aufgrund des weiterhin ausgeprägten Fachkräftemangels ist allerdings nicht davon auszugehen, dass der Beschäftigungsaufbau in der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zum Erliegen kommt. Wahrscheinlich ist jedoch, dass deren Wachstum und somit auch das der Zahl der Erwerbstätigen insgesamt im laufenden Quartal zunächst schwächer ausfällt. Bis Ende 2024 wird sich zunehmend der negative Effekt der demografischen Alterung auf das Erwerbspersonenpotenzial auswirken. Zwar kann dieser Effekt durch Zuwanderung zunächst noch ausgeglichen werden, im späteren Prognoseverlauf dürfte sich das Wachstum der Erwerbstätigenzahl dann aber deutlich abschwächen.
Im Zuge des schwachen Jahresauftakts dürfte die konjunkturabhängige Arbeitslosigkeit im Frühjahr und Sommer 2023 weiter leicht steigen. Mit einsetzender Erholung ist jedoch damit zu rechnen, dass dieser Anstieg ab Herbst abklingt und die registrierte Arbeitslosenzahl im Jahr 2024 wieder rückläufig sein wird. Im aktuellen Jahr ist somit ein Anstieg der Arbeitslosenquote von 5,3 auf 5,6 Prozent zu erwarten.Hier schlägt sich in Teilen der Effekt des statistischen Überhangs nieder: Da die Zahl der registrierten Arbeitslosen zum Jahresende 2022 auf einem höheren Niveau lag als im Jahresdurchschnitt, würde selbst bei keiner Veränderung im laufenden Jahr im Jahresdurchschnitt ein Zuwachs der Arbeitslosen und somit ein Anstieg der Arbeitslosenquote im Vorjahresvergleich registriert. Im kommenden Jahr dürfte diese dann wieder auf 5,5 Prozent sinken (Tabelle 5).
In Tausend Personen (sofern nicht anders angegeben)
2021 | 2022 | 2023 | 2024 | |
---|---|---|---|---|
Arbeitsvolumen (Mill. Stunden) | 60282 | 61078 | 61598 | 62117 |
Erwerbstätige Inland | 44980 | 45573 | 45948 | 46052 |
Arbeitnehmer*innen | 41022 | 41665 | 42076 | 42212 |
darunter: | ||||
SV Beschäftigte | 33922 | 34526 | 34818 | 34934 |
Geringfügig Beschäftigte | 4100 | 4128 | 4204 | 4221 |
Selbstständige | 3958 | 3908 | 3873 | 3840 |
Pendler*innensaldo | −114 | −139 | −140 | −141 |
Erwerbstätige Inländer*innen | 44866 | 45434 | 45809 | 45911 |
Arbeitslose | 2613 | 2418 | 2573 | 2550 |
Arbeitslosenquote BA1 (in Prozent) | 5,7 | 5,3 | 5,6 | 5,5 |
Erwerbslose2 | 1538 | 1343 | 1305 | 1281 |
Erwerbslosenquote3 (in Prozent) | 3,3 | 2,9 | 2,8 | 2,7 |
1 Arbeitslose in Prozent der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß der Bundesagentur für Arbeit).
2 Definition der ILO.
3 Erwerbslose in Prozent der inländischen Erwerbspersonen (Erwerbstätige Inländer*innen plus Erwerbslose).
Anmerkung: Prognose ab dem Jahr 2023.
Quellen: Statistisches Bundesamt, Bundesagentur für Arbeit; DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
Trotz stark steigender Verbraucherpreisinflation sind die Tarifverdienste im vergangenen Jahr nominal nur um 2,2 Prozent gestiegen. Deutlich stärker erhöhten sich die nominalen Effektivverdienste, also die tatsächlich von den Arbeitgeber*innen gezahlten Bruttoverdienste, und zwar um 4,1 Prozent. Grund für die hohe LohndriftMit der Lohndrift wird der Abstand zwischen den jährlichen Wachstumsraten der Effektiv- und der Tariflöhne bezeichnet. dürfte der Abbau der Kurzarbeit, die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns sowie die Auszahlung nicht tariflich festgelegter Inflationsausgleichsprämien gewesen sein.
Vor dem Hintergrund hoher realer Einkommensverluste der Arbeitnehmer*innen fielen die Tarifabschlüsse wichtiger Branchen wie der Metall- und Elektroindustrie Ende letzten Jahres und des öffentlichen Dienstes des Bundes und der Kommunen im laufenden Jahr höher aus als in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres: Neben deutlichen tabellenwirksamen Tariflohnsteigerungen wurde auch die Maximalsumme von 3000 Euro steuer- und abgabenfreier Sonderzahlungen zum Ausgleich der Inflation voll ausgeschöpft. Mit nur allmählich sinkender Teuerung und anhaltenden Arbeitsangebotsknappheiten dürften weitere Branchen nachziehen; dabei ist mit weiterhin erheblichen Tariflohnsteigerungen im laufenden und kommenden Jahr zu rechnen. Insgesamt wird für die Jahre 2023 und 2024 ein Tariflohnzuwachs von 4,9 beziehungsweise 4,6 Prozent und eine Steigerung der Effektivverdienste um 6,3 beziehungsweise 4,8 Prozent erwartet (Tabelle 6). Die höheren Raten für das laufende Jahr ergeben sich dadurch, dass der Wachstumseffekt der Inflationsausgleichsprämien vornehmlich in diesem Jahr zu Buche schlägt. Die Reallöhne dürften damit in der zweiten Jahreshälfte dieses Jahres erstmals seit 2019 wieder steigen. Die unterstellte positive Lohndrift im Jahr 2024 hat ihren Ursprung vornehmlich in der weiterhin hohen Arbeitskräfteknappheit.
In Prozent (jeweils gegenüber dem Vorjahr)
2020 | 2021 | 2022 | 2023 | 2024 | |
---|---|---|---|---|---|
Durchschnittliche Arbeitszeit je Erwerbstätigen | −3,88 | 1,61 | 0,01 | 0,02 | 0,61 |
Verdienst je Arbeitnehmer*in | −0,09 | 3,27 | 4,12 | 6,27 | 4,80 |
Verdienst je Stunde der Arbeitnehmer*innen | 3,35 | 1,56 | 4,27 | 5,45 | 3,99 |
Lohndrift (Arbeitnehmer*in) | −2,25 | 1,95 | 1,94 | 1,41 | 0,20 |
Tariflohn (Monat) | 2,15 | 1,32 | 2,18 | 4,86 | 4,60 |
1 Inlandskonzept.
Anmerkung: Prognose ab dem Jahr 2023.
Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
Die Verbraucherpreisinflation in Deutschland ist zuletzt spürbar zurückgegangen. Mit den starken Preisanstiegen vor allem bei Energie, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine, war die Teuerungsrate bis auf 8,8 Prozent im Oktober vergangenen Jahres gestiegen und ist auch zu Beginn des Jahres 2023 hartnäckig hoch geblieben (Abbildung 14). Seitdem haben sich die Beiträge der Energiekomponente zur Inflation verringert, sodass der Anstieg der Verbraucherpreise in Deutschland zuletzt langsamer verlief und im Mai bei 6,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat lag. Neben den Energiepreisen haben auch die Nahrungsmittelpreise seit dem Krieg in der Ukraine wesentlich zu den hohen Inflationsraten beigetragen. Am aktuellen Rand deutet sich eine Entspannung an. Der Verbraucherpreisindex für Nahrungsmittel war im April und Mai zum ersten Mal seit fast zwei Jahren (zuletzt im Juni 2021) im Vergleich zum Vormonat rückläufig. Teilweise hat sich der starke Preisauftrieb in den Dienstleistungsbereich verlagert, so dass die Dienstleistungskomponente zunehmend zur Inflationsrate beiträgt. Da auch die Güterpreise von Nicht-Energiegütern weiterhin positiv zur Inflation beitragen, lag die Kernrate der Inflation, die die Energiekomponente und Nahrungsmittel ausklammert, im Mai mit 5,4 Prozent weiterhin auf historisch hohem Niveau.
Auch wenn der Preisdruck noch hoch ist, dürften die Inflationsraten in den nächsten Monaten zunehmend geringer ausfallen, da insbesondere die Energiekomponente die Gesamtinflation sogar dämpfen wird. Vorlaufende Indizes wie Import-, Erzeuger- oder Großhandelspreise deuten an, dass über den Prognosehorizont auch die Güterkomponente für deutlich weniger Preisauftrieb sorgen dürfte, als dies im vergangenen Jahr der Fall war. Hinzu kommt die Politik der Europäischen Zentralbank, die der gestiegenen Inflation mit deutlichen Leitzinserhöhungen entgegentritt. Über den Prognosehorizont dürfte die restriktive Geldpolitik zunehmend Wirkung entfalten und die Preise industrieller Güter dämpfen. Es ist zu erwarten, dass aktuelle Tarifverhandlungen sowie vereinbarte und weitere Nominallohnzuwächse die Preise für Dienstleistungen ansteigen lassen und somit der Rückbildung der Kernrate entgegenwirken. Die Verbraucherpreisinflation insgesamt dürfte zum Ende des Prognosezeitraums wieder zum geldpolitischen Ziel der EZB von rund zwei Prozent zurückkehren.
Alles in allem werden die Verbraucherpreise in diesem Jahr noch um voraussichtlich 5,9 Prozent steigen und im Jahresdurchschnitt 2024 um 2,5 Prozent, vor allem aufgrund der dann negativen Beiträge der Energiekomponente (Tabelle 4). Die Kernrate wird sich wegen der steigenden Löhne und höherer Nachfrage entsprechend langsamer verringern und auch Ende 2024 noch leicht erhöht bleiben. Im Jahresdurchschnitt dürfte sie im Jahr 2023 bei 5,6 Prozent und im Jahr 2024 bei 2,8 Prozent liegen.
Trotz der infolge des Krieges in der Ukraine gestiegenen Energiepreise bestimmten im vergangenen Jahr zunächst pandemiebedingte Nachholeffekte den privaten Konsum. Zum Jahresende ließen dann aber die merklichen Kaufkraftverluste durch die Rekordinflation sowie Rezessionsängste die Konsumausgaben einbrechen (Abbildung 11). Zwar zeichnete sich Ende letzten Jahres ab, dass die Rezession deutlich milder verlaufen würde als zunächst befürchtet. Doch die stark gestiegenen Verbraucherpreise und die Unsicherheit über deren weiteren Verlauf sowie über die zu erwartenden Lohnsteigerungen belasteten den privaten Konsum auch Anfang dieses Jahres immer noch sehr stark. Die finanzpolitischen Maßnahmen, die zur Abfederung der Energiepreiskrise getroffen wurden, konnten die Belastung der Verbraucher*innen allenfalls abmildern (Kasten 5). Der private Konsum ging im ersten Quartal im Vergleich zum Vorquartal erneut deutlich um 1,2 Prozent zurück und zog die gesamte deutsche Wirtschaft ins Minus. Diese Entwicklung war maßgeblich getrieben durch einen Rückgang bei den Ausgaben für langlebige Konsumgüter. Da die Ausgaben für Konsumgüter des täglichen Bedarfs, allen voran Lebensmittel, stark gestiegen sind, haben viele Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen ihre Ausgaben für langlebige Konsumgüter eingeschränkt, um den Konsum von Gütern des täglichen Bedarfs aufrecht zu erhalten, beziehungsweise weniger gespart, um diesen nicht zu sehr einschränken zu müssen. Hingegen haben diejenigen Haushalte, denen es aufgrund ihrer höheren Einkommen möglich war, wohl Vorsichtsersparnisse wegen der hohen Ausgaben- und Lohnunsicherheit gebildet. Im Mittel sank die Sparquote daher leicht um 0,1 Prozentpunkte und lag im ersten Quartal 2023 bei 11,2 Prozent.
Im Zuge des Krieges in der Ukraine und der daraus resultierenden Energiekrise hat die Bundesregierung seit dem Frühjahr 2022 umfangreiche fiskalpolitische Maßnahmen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen beschlossen. Da höhere Energie- und Strompreise vor allem Haushalte mit geringeren Einkommen belasten und den privaten Konsum dieser Haushalte besonders drosseln, ist es aus konjunktureller und verteilungspolitischer Sicht besonders wichtig, dass die beschlossenen Maßnahmen der ungleichen Haushaltsbelastung Rechnung tragen. Im Folgenden werden Ergebnisse der Wirkungssimulationen der Entlastungspakete und des wirtschaftlichen Abwehrschirms auf den privaten Verbrauch verschiedener Einkommensquintile anhand eines Heterogenen-Agenten-Modells vorgestellt. Die Berechnungen sind Teilergebnisse des vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) beauftragten und unter anderem von der Abteilung Makroökonomie des DIW Berlin erstellten Kurzgutachtens „Makroökonomische Effekte der finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Entlastungspakete I – III sowie des wirtschaftlichen Abwehrschirms“. Zur Analyse der Auswirkung der Energiekrise und zur Bewertung der makroökonomischen Wirkung der Maßnahmen wird ein sogenanntes Zwei-Länder-Dynamisch-Stochastisches-Gleichgewichts-Modell des Euroraums mit heterogenen Agenten und Energiesektor herangezogen.
Der Großteil der Maßnahmen ist in den drei Entlastungpaketen und dem wirtschaftlichen Abwehrschirm enthalten. Die drei Entlastungspakete (ohne Strom- und Gaspreisbremse) umfassen in den Jahren 2022 bis 2025 rund 279 Milliarden Euro und der wirtschaftliche Abwehrschirm (inklusive Finanzierung der Gas- und Strompreisbremse) rund 195 Milliarden Euro. Dabei entfallen 45 Prozent der Gesamtausgaben auf die Jahre 2022 und 2023 (Tabelle). Steuerentlastungsmaßnahmen haben einen Anteil von rund 50 Prozent an den Gesamtausgaben und die Gas- und Strompreisbremse einen Anteil von rund 22 Prozent.
In Milliarden Euro
2022 | 2023 | 2024 | 2025 | 2026 | Gesamt | |
---|---|---|---|---|---|---|
Entlastungspakete 1–3 (ohne Strom- und Gaspreisbremse) | 44,6 | 58,6 | 63,5 | 58,9 | 53,6 | 279,2 |
Wirtschaftlicher Abwehrschirm | 35,1 | 121,2 | 25 | 7 | 7 | 195,3 |
Anmerkung: Für das Jahr 2023 ist der Stand das Haushaltsgesetz 2023, für die restlichen Jahre handelt es sich um technische Annahmen.
Quelle: DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
Um die Wirkungsweise der vielfältigen Maßnahmen der Entlastungspakete und des Abwehrschirms zu modellieren, werden die Maßnahmen in fünf Kategorien eingeordnet: steuerliche Entlastungsmaßnahmen (143,5 Milliarden Euro), Transferzahlungen für den Gas- und Energieverbrauch (118 Milliarden Euro), soziale Transfers (72 Milliarden Euro), Stabilisierung des Gasmarktes (48,1 Milliarden Euro) sowie Subvention des Gas- und Energieverbrauchs (32,1 Milliarden Euro).
Bei Betrachtung der aggregierten Auswirkungen der Maßnahmen auf den privaten Verbrauch zeigt sich, dass die steuerlichen Maßnahmen sowie die sozialen Transfers den größten Effekt haben, gefolgt von den Transferzahlungen für Energieverbrauch (Abbildung). In der Summe stützen die fiskalpolitischen Maßnahmen den Konsum im ersten Wirkungsjahr um 2,3 Prozentpunkte.
Zudem lässt sich die Wirkung der fünf Maßnahmenkategorien auf den privaten Verbrauch entlang der Einkommensverteilung analysieren: Vor allem die sozialen Transferleistungen, die Transferzahlungen für den Energieverbrauch und die Maßnahmen zur Stabilisierung des Gasangebots können die Unwucht der Belastung ausgleichen und stützen den privaten Verbrauch der Haushalte in den unteren Quintilen der Einkommensverteilung deutlich mehr als den der Haushalte mit höherem Einkommen. Die Energiesubventionen haben zwar auch eine umverteilende Wirkung, sind aber weniger bedeutend für den privaten Verbrauch. Die steuerlichen Entlastungsmaßnahmen sind hingegen wirkungsstark, aber begünstigen die Haushalte mit höherem Einkommen etwas mehr.
Gleichwohl deutet sich ab dem laufenden Quartal eine zunächst schleppende, aber robuste Erholung des privaten Konsums an. Für eine leichte Erholung sprechen auch die Umsätze im Einzelhandel im April, die zuletzt im Monatsvergleich zulegen konnten (Abbildung 12). Diese Entwicklung wird maßgeblich gestützt von den deutlichen Rückgängen bei der Verbraucherpreisinflation. Zusammen mit den kräftigen Lohnzuwächsen zum Jahresauftakt reduzieren sich damit auch die Unsicherheiten über die Inflations- und Lohnentwicklung substanziell. In Kombination mit weiterhin merklich steigenden Löhnen und Gehältern – auch durch die gezahlten Inflationsausgleichsprämien – dürfte dies dazu führen, dass die Reallöhne ihren Abwärtskurs der vergangenen drei Jahren beenden und ab der zweiten Jahreshälfte wieder deutlich zunehmen. In der Folge dürften auch die realen verfügbaren Einkommen und damit die Kaufkraft der privaten Haushalte zunächst schleppend, aber ab der zweiten Jahreshälfte mit zunehmendem Tempo zulegen.
Im Laufe des Jahres dürften die privaten Konsumausgaben dann mit zurückgehenden Inflationsraten, steigenden Realeinkommen und der sich belebenden Binnenkonjunktur etwas stärker zulegen. Zudem dürften die ergriffenen staatlichen Maßnahmen wie die Strom- und Gaspreisbremse die Sorgen der Haushalte über die Kosten zukünftiger Anstiege der Energie- und Strompreise deutlich verringert haben. Damit wird sich die Sparquote dem Durchschnittswert des Vorpandemiejahres 2019 von 10,8 Prozent wohl weiter graduell annähern. Insgesamt dürften die privaten Konsumausgaben in diesem Jahr wegen des sehr schwachen Jahresauftakts noch um deutliche 1,2 Prozent zurückgehen,Da das letzte Quartal 2022 von einem deutlich niedrigeren privaten Konsumniveau geprägt war als der Jahresdurchschnitt des gleichen Jahres, entsteht ein statistischer Überhang: Demnach würde sich selbst bei gleichbleibendem Konsum in allen Quartalen des Jahres 2023 eine negative Wachstumsrate im Vorjahresvergleich ergeben – allein aufgrund des niedrigeren Ausgangsniveaus, des negativen Überhangs aus 2022. bevor sie im nächsten Jahr dann wohl kräftig um 2,7 Prozent ausgeweitet werden (Tabelle 2).
Der Staatskonsum ist im ersten Quartal dieses Jahres gegenüber dem Vorjahr stark zurückgegangen. Maßgeblich verantwortlich dafür ist das Auslaufen vieler Maßnahmen, die im Zuge der Corona-Pandemie aufgesetzt wurden, zur Jahresmitte 2022. Durch das Zurückfahren weiterer pandemiebezogener Programme wird der Staatskonsum im laufenden Jahr insgesamt gegenüber 2022 sinken und im Jahr 2024 wieder auf seinen langfristigen Wachstumstrend zurückkehren.
Nach einem Dämpfer zum Jahresende 2022 (minus 3,6 Prozent) machten die Anschaffungen von Maschinen, Geräten und Fahrzeugen im ersten Quartal einen deutlichen Sprung nach oben und stiegen um 3,2 Prozent. Sie konnten die deutsche Wirtschaft zum Jahresende somit zumindest teilweise stützen. Grund dafür dürfte vor allem die merkliche Entspannung der Lieferketten gewesen sein, die zu einem Nachholeffekt bei der Produktion führte: Im Durchschnitt stieg die Investitionsgüterherstellung im Vergleich zum vierten Quartal um 1,7 Prozent. Die schwache Auslandsnachfrage setzte darüber hinaus Kapazitäten für die Abarbeitung heimischer Aufträge frei. Dabei wurde die Dynamik von den privaten Investor*innen bestimmt, die ihre Anschaffungen um fünf Prozent ausweiteten und damit erstmals wieder knapp das vorpandemische Level erreichten. Die öffentlichen Ausrüstungsinvestitionen gingen dagegen um gut 18 Prozent zurück.
Die insgesamt starke Dynamik dürfte sich im laufenden Quartal aber schon wieder abschwächen. Zwar sind die Auftragsbestände mit einer Reichweite von gut sieben Monaten weiterhin hoch, allerdings ging die Investitionsgüterproduktion im April im Monatsvergleich bereits zum zweiten Mal in Folge zurück. Auch Neuaufträge und Stimmungsbild waren zuletzt gedämpft; Investitionsgüterhersteller klagten laut aktueller Umfragen des ifo-Instituts im Mai vor allem über die schlechte Auftragslage und sinkende Produktion – viele Unternehmen beschränken sich in Anbetracht des sich nur allmählich erholenden weltwirtschaftlichen Umfelds darauf, ihre Maschinen instandzuhalten und wo nötig zu ersetzen. Eine Ausweitung der Kapazitäten steht aber vielerorts derzeit nicht auf dem Plan. Auch die weiterhin hohen Energie- und Rohstoffpreise sowie die stark gestiegenen Zinsen dämpfen die Investitionsfreude. Somit dürften die Ausrüstungsinvestitionen im zweiten Quartal leicht sinken.
Über den weiteren Prognosezeitraum ist mit einem erneuten Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen zu rechnen. Im Zuge der welt- und binnenwirtschaftlichen Erholung dürften Unternehmen zumindest einige aufgeschobene Projekte in Auftrag geben. Zudem stützen weiter nachlassende Lieferengpässe die Produktion. Ein starker Investitionsschub ist dabei zunächst jedoch nicht zu erwarten, denn auch wenn der Höhepunkt der Zinsentwicklung wohl bald erreicht ist, dürften die hohen Zinsen weiterhin bremsend auf die Investitionstätigkeit wirken. Positive Impulse dürften ab der zweiten Jahreshälfte von den Militärausgaben der öffentlichen Hand kommen.
Insgesamt werden die Ausrüstungsinvestitionen in diesem Jahr dank des starken Jahresauftakts um voraussichtlich 2,9 Prozent zunehmen. Für das kommende Jahr ist mit einem Wachstum von 2,3 Prozent zu rechnen (Tabelle 7).
In Prozent (konstante Preise)
2023 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | 2024 | |
---|---|---|---|---|---|---|
Anteile in Prozent | Veränderung gegenüber dem Vorjahr | |||||
Wohnungsbau | 61,6 | 4,6 | 0,6 | −2,1 | −2,5 | −0,7 |
Nichtwohnungsbau | 38,4 | 2,8 | −0,9 | −1,3 | −0,7 | 0,9 |
Gewerblicher Bau | 26,3 | 0,8 | 0,1 | −1,9 | −0,9 | 0,7 |
Öffentlicher Bau | 12,1 | 7,2 | −2,9 | 0,2 | −0,2 | 1,1 |
Bauinvestitionen | 100,0 | 3,9 | 0,0 | −1,8 | −1,9 | −0,1 |
Ausrüstungen | −11,0 | 3,5 | 3,3 | 2,9 | 2,3 |
Anmerkung: Prognose ab dem Jahr 2023.
Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
In Zeiten einer sehr angespannten Lage am Bau brachte das erste Quartal ein kurzes Zwischenhoch: In allen Sparten wurden die Investitionen deutlich ausgeweitet. Vor allem der Wohnungs- (plus 4,2 Prozent) sowie der öffentliche Bau (plus 4,5 Prozent) konnten kräftige Zuwächse verzeichnen. Dabei profitierte insbesondere das Ausbaugewerbe, das seine Produktion im ersten Quartal um knapp acht Prozent gegenüber dem Vorquartal ausweiten konnte. Nach einem schwachen Jahr 2022 blieben die Bauinvestitionen dennoch deutlich hinter den Höchstwerten der Jahre 2020 und 2021 zurück. Im laufenden Quartal dürfte das Zwischenhoch bereits wieder beendet sein und sich der Abwärtstrend des vergangenen Jahres fortsetzen.
Besonders im Wohnungsbau ist die Lage kritisch. Baugenehmigungen und Auftragseingänge sind seit Anfang 2022 auf Talfahrt und konnten sich zwischenzeitlich nur leicht erholen, sodass das Auftragspolster immer weiter schrumpft: Enorm gestiegene Baupreise, striktere Auflagen für Förderprogramme und die rapide gestiegenen Zinsen fordern ihren Tribut, Haushalte zögern Bauprojekte hinaus oder können sich diese schlicht nicht mehr leisten – selbst wenn sie bereits genehmigt sind. Die Wohnungsbauinvestitionen dürften daher im Jahresverlauf zurückgehen. Dabei wird wohl zumindest ein Teil des Rückgangs durch Zuwächse im Ausbaugewerbe aufgefangen werden, da Gebäudesanierungen und Energieeffizienzmaßnahmen zunehmend an Bedeutung gewinnen und Neubaumaßnahmen ersetzen. So entwickelte sich die Produktion hier auch im April stärker als in allen anderen Sparten. Wegen des enormen Bedarfs an Wohnraum, einer sinkenden Baupreisinflation und der Schaffung neuer FörderprogrammeSo trat beispielsweise das Förderprogramm „Wohneigentum für Familien“ der KfW, das Familien mit Kindern beim Neubau unterstützt, zum 1. Juni in Kraft. dürfte die Talfahrt des Wohnungsbaus aber bald stoppen: Im kommenden Jahr wird er voraussichtlich nur noch leicht sinken und dabei vor allem ab der zweiten Jahreshälfte wieder etwas Fahrt aufnehmen.
Im Wirtschaftsbau wird der Rückgang in diesem Jahr wohl weniger deutlich ausfallen. Erstens war das Wachstum hier zu Jahresbeginn geringer, sodass eine weniger starke Gegenbewegung im aktuellen Quartal zu erwarten ist. Zweitens waren vor allem im Tiefbau zuletzt wieder stärkere Auftragseingänge und ein steigender Auftragsbestand zu verzeichnen. Zwar machen die gestiegenen Zinsen die Finanzierung von Neubauprojekten für Unternehmen teurer, die Baupreisentwicklung dürfte sich aber in diesem Jahr beruhigen und für eine bessere Planbarkeit von Kosten sorgen. Im Jahresverlauf dürften sich die Investitionen im Wirtschaftsbau daher weniger schwach entwickeln als im Wohnungsbau und mit dem gesamtwirtschaftlichen Aufschwung im kommenden Jahr wieder etwas anziehen. Spürbare Impulse sind dann auch von den öffentlichen Auftraggebern zu erwarten, wenn die angelegten Mittel insbesondere für den Infrastrukturausbau (Bundesverkehrswegeplan und Breitbandausbau) vermehrt in Projekte umgesetzt werden (Tabelle 7).
Nach zwei Jahren extremer Preisanstiege zeichnete sich auf den Materialmärkten in den vergangenen Monaten zumindest teilweise eine leichte Beruhigung ab. Zwar stiegen die Preise für Bitumen aufgrund von Produktionsengpässen zuletzt wieder an, gleichzeitig gingen die Preise für Holz und Stahl aber deutlich zurück. Der enorme Preisauftrieb dürfte sich somit über den Prognoseverlauf – wenn auch langsam – abschwächen. So meldeten etwa 80 Prozent der befragten Unternehmen in der Frühjahrsumfrage des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes, dass sie nur noch leicht steigende oder gleichbleibende Einkaufspreise erwarteten. Nichtsdestotrotz dürfte die Baupreisinflation, weil die Materialkosten hoch bleiben und Bauunternehmen diese erst nach und nach an ihre Auftraggeber*innen weitergeben können, auch in diesem Jahr noch kräftig ausfallen und sich erst im kommenden Jahr normalisieren.
Alles in allem werden die Bauinvestitionen in diesem Jahr um voraussichtlich 1,9 Prozent zurückgehen und im kommenden Jahr erneut sinken, wenngleich nur noch leicht um 0,1 Prozent (Tabelle 7).
Die verhaltene Entwicklung der globalen Konjunktur wirkt nach wie vor dämpfend auf den deutschen Außenhandel. Nach einem schwungvollen Jahresauftakt brachen die Ausfuhren im März ein, sodass sich für das erste Quartal insgesamt ein Wachstum von nur 0,4 Prozent im Vergleich zum Vorquartal ergibt. Während die Dienstleistungsexporte kräftig zulegten, gaben die Warenexporte leicht nach. Dabei waren insbesondere chemische Erzeugnisse, deren Erholung trotz sinkender Rohstoffpreise noch auf sich warten lässt, sowie die Automobilindustrie von einem starken Rückgang betroffen. Die Maschinen-, Metall- und Kunststoffexporte verzeichneten dagegen ein starkes erstes Quartal.
Für das laufende zweite Quartal deuten die Frühindikatoren auf ein weiterhin verhaltenes Wachstum hin: Die ifo-Exporterwartungen sind im Mai gegenüber dem Vormonat merklich gesunken und zeichnen somit ein trüberes Bild als noch zu Beginn des Frühjahrs. Ebenso haben die Auftragseingänge des Verarbeitenden Gewerbes aus dem Ausland zuletzt erneut abgenommen und verharren auf niedrigem Niveau. Die saisonbereinigten Exporte stiegen dank eines kräftigen Zuwachses der Ausfuhren in die Europäische Union im April gegenüber dem Vormonat leicht an. Gleichzeitig zeigten sich insbesondere die Exporte in die Vereinigten Staaten und nach China zuletzt volatil. Die deutsche Exportwirtschaft profitiert aktuell nur teilweise von der wirtschaftlichen Erholung Chinas, da diese – anders als in früheren Aufschwungphasen – eher konsum- als investitionsseitig getragen wird. Daher bleibt die investitionsgüterorientierte deutsche Exportindustrie vorerst außen vor. Ebenso lässt die infolge der geldpolitischen Straffung erwartete Abkühlung der US-amerikanischen Konjunktur auf durchwachsene Exportaussichten schließen.
Der verhaltene Wachstumskurs dürfte sich aufgrund der noch schwachen Auslandsnachfrage somit im laufenden Quartal zunächst fortsetzen. Mit einer weiteren Stabilisierung der internationalen Lieferketten und einer wieder anziehenden Weltnachfrage dürften die Exporte vor allem ab der zweiten Jahreshälfte 2023 und im kommenden Jahr aber wieder stärkere Zuwachsraten verzeichnen. Insgesamt ist mit einem Exportwachstum von 0,9 Prozent für dieses und 3,2 Prozent für kommendes Jahr zu rechnen (Tabelle 8).
In Prozent bzw. Milliarden Euro
2022 | 2023 | 2024 | |
---|---|---|---|
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent | |||
Exporte, preisbereinigt | 3,4 | 0,9 | 3,2 |
Waren | 1,8 | 0,2 | 3,0 |
Dienstleistungen | 10,1 | 3,4 | 3,9 |
Importe, preisbereinigt | 6,9 | −0,2 | 3,9 |
Waren | 3,3 | −2,5 | 4,0 |
Dienstleistungen | 19,6 | 7,6 | 3,7 |
Terms-of-Trade | −4,6 | 2,5 | 1,0 |
In Milliarden Euro | |||
Außenbeitrag, nominal | 75,9 | 143,1 | 154,3 |
Anmerkung: Prognose ab dem Jahr 2023.
Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
Die Importe verzeichneten einen schwachen Jahresauftakt 2023: Sie sanken im Vergleich zum Schlussquartal 2022 um 0,9 Prozent. Dabei waren sowohl die Einfuhren aus europäischen Ländern als auch jene aus Asien und den Vereinigten Staaten rückläufig. Während Dienstleistungsimporte aufgrund höherer Reiseausgaben kräftig stiegen, gingen die Warenimporte merklich zurück. Maßgeblich verantwortlich dafür waren die infolge des Kriegs in der Ukraine deutlich reduzierten Energieimporte, aber auch Rückgänge bei der Einfuhr chemischer Produkte.
Anders als die Exporte sind die Importe mit einem Minus in das aktuelle Quartal gestartet. Von den Rückgängen waren insbesondere die Einfuhren aus dem Vereinigten Königreich, Russland und dem Euroraum betroffen, während die Einfuhren aus China sowie den USA gegenüber dem Vormonat leicht stiegen. Im laufenden Quartal ist deshalb nur mit einer schwach positiven Wachstumsrate zu rechnen, bevor die Importe im Laufe des weiteren Prognosezeitraums im Einklang mit den Exporten und einer wachsenden Binnennachfrage wieder stärker zulegen dürften. Während für das laufende Jahr aufgrund des schwachen ersten Quartals ein Rückgang um 0,2 Prozent prognostiziert wird, werden die Importe im Jahr 2024 um voraussichtlich 3,9 Prozent zulegen (Tabelle 8).
Bei den Außenhandelspreisen setzt sich der im Herbst begonnene Abwärtstrend weiter fort. Durch den kontinuierlichen Rückgang der Energiepreise sanken die Importpreise im Auftaktquartal 2023 um 1,9 Prozent. Aufgrund weiterer Preisrückgänge bei den importierten Energieträgern, insbesondere bei Erdgas, wird diese Entwicklung auch im laufenden Quartal anhalten, wenngleich mit schwächerem Tempo. Wenn sich die Rohstoffpreise stabilisieren und die globale Konjunktur erholt, dürften die preistreibenden Impulse anderer Gütergruppen ab Ende des Jahres 2023 wieder dominieren und die Importpreise folglich leicht anziehen.
Auch die Exportpreise sind im ersten Quartal 2023 gesunken, wenn auch weniger stark als die Importpreise. Insbesondere bei der Ausfuhr energieintensiver Produkte wie chemischer Erzeugnisse waren als Reaktion auf sinkende Produktionskosten noch deutliche Preisrückgänge zu verzeichnen. Im Einklang mit den Importpreisen ist für das laufende Quartal mit einem leichten Rückgang der Exportpreise zu rechnen, bevor sich diese im weiteren Jahresverlauf ebenfalls stabilisieren und wieder etwas steigen dürften.
Die Terms-of-Trade verbesserten sich somit im ersten Quartal 2023 erneut deutlich. Da auch im zweiten Quartal die Importpreise noch stärker sinken dürften als die Exportpreise, ist mit einer weiteren Verbesserung der Terms-of-Trade zu rechnen. Im Laufe des weiteren Prognosehorizonts werden diesbezüglich aber nur noch kleinere Veränderungen erwartet.
Die öffentlichen Haushalte wurden durch die Corona-Pandemie, den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise stark beansprucht; expansive finanzpolitische Maßnahmen haben die Konjunktur stimuliert (Kasten 6). Diese Maßnahmen behalten ihren expansiven Charakter im aktuellen Jahr bei, jedoch in geringerem Maße als 2022. Zu Mindereinnahmen und Mehrausgaben trugen die Anpassungen im Einkommensteuertarif, die Erhöhung monetärer Sozialleistungen wie des Kindergeldes und die Einführung des Bürgergeldes, diverse Hilfen im Zuge der Strom- und Gaspreisbremsen, steigenden Ausgaben des Klima- und Transformationsfonds sowie steigende Verteidigungsausgaben bei (Tabelle 9).
In Milliarden Euro (gegenüber dem Vorjahr)
2023 | 2024 | |
---|---|---|
Einnahmen der Gebietskörperschaften | ||
Jahressteuersetz 2022 | –3,1 | 0,8 |
Inflationsausgleichgesetz (Änderungen Einkommensteuertarif) | –13,4 | –13,7 |
Alterseinkünftegesetz | –1,2 | –1,2 |
Temporäre Senkung der Umsatzsteuer auf Erdgas | –5,9 | 4,6 |
Viertes Corona-Steuerhilfegesetz (degressive AfA, Home-Office-Pauschale etc.) | –3,3 | –1,1 |
Zweites Corona-Steuerhilfegesetz (Umsatzsteuersenkung in der Gastronomie) | 0 | 3,0 |
Energiesteuersenkungsgesetz (Tankrabatt) | 3,15 | 0 |
Anhebung CO2-Abgabe 2024 | 1,5 | 2,3 |
Erhöhung Lkw-Maut | 0,6 | 0 |
Änderungen bei der Tabaksteuer | 0,6 | 0 |
Progressionseffekte (Einkommensteuer) | 13,5 | 12,2 |
Einnahmen der Sozialversicherungen | ||
Erhöhung des Zusatzbeitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung | 3,5 | 3,5 |
Erhöhung des Beitragssatzes in der Pflegeversicherung | 3,3 | 3,3 |
Erhöhung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung | 2,6 | 0 |
Erhöhung der Midijobgrenze | –1,0 | 0 |
Ausgaben der Gebietskörperschaften | ||
Inflationsausgleichgesetz (Anhebung Kindergeld) | –6,3 | 0 |
Strom- und Gaspreisbremse | –34,2 | 25,2 |
Unternehmenshilfen im Zusammenhang mit dem Energiepreisanstieg | 25,0 | 1,0 |
Energiepreispauschale (Rentner*innen, Arbeitnehmer*innen, Student*innen und Fachschüler*innen) | 13,3 | 1,3 |
Kinderbonus 2022 | 1,7 | 0 |
Ausgaben Klima- und Transformationsfonds | –7,4 | –8,0 |
Auslaufende Corona-Maßnahmen | 12,0 | 1,0 |
Zusätzliche Verteidigungsausgaben | –6,0 | –6,0 |
Heizkostenzuschüsse | 0 | 0,5 |
Dezember-Soforthilfe | 8,5 | 0 |
Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz | 0,6 | 0 |
Wohngeld-Plus-Gesetz | –2,5 | –1,1 |
Bürgergeld-Gesetz | –4,8 | –0,3 |
Preissenkung im öffentlichen Personennahverkehr (9-Euro-/49-Euro-Ticket) | 1,5 | –1,0 |
Pflegebonusgesetz | 1,0 | 0 |
Hilfen für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen | –4,5 | 4,5 |
27. BAföG-Änderungsgesetz | –0,5 | 0 |
Integration und Unterstützung Ukrainegeflüchtete | –3,0 | 0 |
Aufstockung Gasreserve | 1,5 | 0 |
Ausgaben der Sozialversicherungen | ||
GKV-Finanzstabilisierungsgesetz | 1,7 | 0 |
Anpassung Rente Ost | –0,5 | –0,5 |
Maßnahmen im Bereich Pflege | –0,8 | 0 |
Insgesamt | 1,7 | 30,3 |
Insgesamt ohne Progressionseffekt | –11,9 | 18,1 |
In Relation zum Bruttoinlandsprodukt in Prozent | –0,3 | 0,4 |
Anmerkung: Ohne makroökonomische Rückwirkungen.
Quellen: Bundesregierung (Haushaltsplan, Gesetzesentwürfe, Monatsberichte des Bundesfinanzministeriums, Finanzbericht 2023); DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
Die finanzpolitischen Maßnahmen werden im Jahr 2023 in Summe leicht expansiv sein und um voraussichtlich 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gegenüber dem Vorjahr wachsen. Im kommenden Jahr hingegen werden die finanzpolitischen Maßnahmen mit einem Rückgang von voraussichtlich 0,4 Prozent des BIP etwas restriktiver als im Vorjahr sein.
Viele der fiskalischen Maßnahmen beider Jahre betreffen private Haushalte. Um die Impulse für den privaten Konsum und das Bruttoinlandsprodukt unter Berücksichtigung ihrer Verteilungswirkungen abzuschätzen, kommt ein DSGE-Modell mit zwei verschiedenen Haushaltstypen zum Einsatz (TANK-Modell). Dazu wird zunächst unterschieden, in welchem Umfang die Maßnahmen die einkommensschwächsten 40 Prozent der Haushalte betreffen und wie die übrigen Haushalte profitieren oder belastet werden.
Die einkommensschwächsten 40 Prozent beziehen ungefähr 20 Prozent des verfügbaren Einkommens. Diese Haushalte unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer Einkommenshöhe vom Rest der Haushalte, sondern – mit einer Sparquote von Null – auch in ihrem Sparverhalten. Diese Haushalte werden als liquiditätsbeschränkte (LC) Haushalte bezeichnet. Gemäß ihrer Wirkung auf die beiden Haushaltstypen werden die finanzpolitischen Maßnahmen in vier Kategorien eingeteilt:
Aufgrund des unterschiedlichen Konsumverhaltens der beiden Haushaltstypen wird der Konsumeffekt in der ersten Kategorie am höchsten sein und über die weiteren drei Maßnahmenkategorien abnehmen. Zu den Maßnahmen, die vornehmlich die einkommensschwachen Haushalte entlasten, zählen die BAföG-Anpassung sowie die Einführung des Bürgergeldes. Das Auslaufen des dritten Entlastungspaketes (mit Zahlungen für Rentner*innen und Student*innen) reduziert das Einkommen der LC-Haushalte über den Prognosezeitraum. Für 2024 ergibt sich eine Erhöhung hauptsächlich durch die Preissenkung im Personennahverkehr.
Zu den Maßnahmen, die beide Haushaltstypen pro Kopf entlasten, gehört die Anhebung des Kindergeldes. Das Auslaufen von Pflege- und Kinderbonus reduziert das Einkommen. Die Strom- und Gaspreisbremse wird Haushalte entsprechend ihrer Energiekosten und somit ihres Einkommens im Jahr 2023 entlasten. Zusätzliche Belastungen ergeben sich aus Erhöhungen der Beiträge für die Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, sodass sich insgesamt nur eine geringe Nettoentlastung ergibt. Diese werden auch zu einer Erhöhung der Belastung im Jahr 2024 beitragen. Weitere Belastungen, zum Beispiel aus der CO2-Bepreisung und dem Wegfall der temporären Umsatzsteuersenkung, werden im kommenden Jahr hinzukommen. Haushalte mit höherem Einkommen werden sowohl 2023 als auch 2024 durch das Inflationsausgleichsgesetz entlastet.
Insgesamt werden die fiskalpolitischen Maßnahmen 2023 das Einkommen der privaten Haushalte um 0,76 Prozent des BIP erhöhen und 2024 um 0,06 Prozent des BIP gegenüber 2022 senken (Tabelle). Die einkommensschwachen Haushalte werden um etwa 0,2 Prozent des BIP entlastet, während die höheren Einkommensgruppen um circa 0,5 Prozent des BIP entlastet werden. Die Maßnahmen erhöhen den privaten Konsum um etwas mehr als 0,3 Prozent, hauptsächlich durch den fiskalischen Impuls für die einkommensschwachen Haushalte. Haushalte mit höherem Einkommen erhöhen ihren Konsum infolge der Senkung des Einkommensteuertarifs leicht. Positive Rückwirkungen ergeben sich aus einem leichten Anstieg der Beschäftigung und des realen Lohneinkommens. Der Anstieg des BIP liegt unter 0,1 Prozent.
In Milliarden Euro
Entlastung 2023 zu 2022 | Entlastung 2024 zu 2022 | |||
---|---|---|---|---|
Alle Haushalte | LC-Haushalte | Alle Haushalte | LC-Haushalte | |
Kategorie | ||||
1 | 2,9 | 2,9 | 1,2 | 1,2 |
2 | 12,3 | 4,9 | −1,5 | −0,6 |
3 | 1,4 | 0,3 | −18,2 | −3,6 |
4 | 13,9 | 0 | 16,2 | 0 |
Quelle: DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
Entlastet wird das öffentliche Budget durch den Wegfall pandemiebedingter Ausgaben und einmaliger Stützungsmaßnahmen im Zuge der Energiekrise. Zudem führt der starke Rückgang der Energiepreise zu Minderausgaben gegenüber den im Wirtschaftsplan des Wirtschaftsstabilisierungsfonds Energie (WSF-Energie) veranschlagten Kosten bei bereits eingeleiteten Maßnahmen.Im September 2022 hatte die Bundesregierung für stabilisierende Maßnahmen im Zuge der Energiekrise (zum Beispiel die Gas- und Strompreisbremse) bis zu 200 Milliarden Euro veranschlagt, die über den WSF-Energie ausgeschüttet werden können. Jedoch weißt auch der Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums von Mai 2023 schon auf eine potenziell geringere Mittelnutzung, als im Wirtschaftsplan des WSF vorgesehen, hin. Darüber hinaus werden Mehreinnahmen aus der Erhöhung des Zusatzbeitrags in der gesetzlichen Krankenversicherung und den Beitragssatzerhöhungen in der Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, dem ausgelaufenen Tankrabatt sowie durch die Erhöhung der Lkw-Maut erzielt. Per saldo dürften 2023 Mindereinnahmen und Mehrausgaben im Wert von 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überwiegen.
Im Jahr 2024 dürften die finanzpolitischen Maßnahmen restriktiver sein. Zwar wird es wiederum spürbare Mindereinnahmen durch die Änderungen im Einkommensteuertarif geben. Jedoch überwiegen die Mehreinnahmen unter anderem wegen des Wegfalls der temporären Senkung der Umsatzsteuer in der Gastronomie zum 1. Januar und auf Erdgas zum 1. April 2024 sowie aufgrund der Anhebung des CO2-Preises. Zudem werden Maßnahmen zur Abfederung der Energiepreise kaum noch Mittel in einer relevanten Größenordnung beanspruchen. Insgesamt dürften im Jahr 2024 den Staatshaushalt entlastende Maßnahmen (Mehreinnahmen und Minderausgaben) im Wert von 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überwiegen. Weitere Mehreinnahmen, die bisher noch nicht berücksichtigt werden, sind im Jahr 2024 durch die Einführung der globalen Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne (OECD, Pillar II) zu erwarten. Mehrausgaben könnten durch weitere Maßnahmen im Zuge des Klimaschutzes entstehen.
Nachdem die Steuereinahmen im laufenden Jahr etwas zurückgehen dürften, werden sie im kommenden Jahr voraussichtlich wieder leicht Fahrt aufnehmen. Zwar steigen die nominalen Arbeitseinkommen dieses und nächstes Jahr kräftig. Allerdings ist ein Großteil des diesjährigen Anstiegs der steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämie geschuldet. Deshalb schlagen sich die kräftigen Zuwächse des nominalen Bruttoinlandsprodukts 2023 nur bedingt in den Steuereinnahmen nieder. Zudem dämpfen die Änderungen im Einkommensteuertarif die Steuereinnahmen zusätzlich. Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer und der Gewerbe- und Körperschaftsteuer dürften angesichts der deutlichen Abkühlung des privaten Verbrauchs und der Bauinvestitionen in diesem Jahr nur wenig zulegen. Insgesamt werden die Steuereinnahmen in diesem Jahr um voraussichtlich 4,0 Prozent und im nächsten Jahr um 5,3 Prozent wachsen und sich zum Ende des Jahres 2024 auf 1037 Milliarden Euro belaufen. Die Steuerquote sinkt 2023 voraussichtlich auf 24,3 Prozent und steigt im folgenden Jahr wieder auf 25,2 Prozent.
Bei den Einnahmen aus Sozialbeiträgen ist im Prognosezeitraum mit kräftigen Zuwächsen zu rechnen. In diesem Jahr führen beschlossene Beitragssatzerhöhungen, wie die Anhebung der Beitragssätze zur gesetzlichen Arbeitslosen- und Pflegeversicherung sowie die Anhebung des Zusatzbeitrags zur Krankenversicherung, zu deutlichen Zuwächsen der Sozialbeiträge. Für das Jahr 2024 rechnen die Krankenkassen und das Gesundheitsministerium mit erneuten Anhebungen der Beitragssätze. Die Verkäufe des Staates dürften in den kommenden Jahren mit der Preiserhöhung angesichts der Inflation etwas zulegen. Auch die Vermögenseinahmen des Staates werden wohl aufgrund des höheren Zinsniveaus etwas steigen.
Alles in allem werden die Staatseinnahmen, durch steigende Bruttolöhne und den zunehmenden nominalen Konsum, solide wachsen, im laufenden Jahr um 4,9 Prozent auf 1909 Milliarden Euro und im kommenden Jahr um 5,6 Prozent auf 2017 Milliarden Euro. Damit liegt die Staatseinnahmenquote in den Jahren 2023 und 2024 bei 47,2 beziehungsweise 48,9 Prozent (Tabelle 10).
In Prozent (in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt)
Staatseinnahmen | Staatsausgaben | Finanzierungssaldo | Nachrichtlich: Zinssteuer-quote2 | Staatsschuldenquote nach Maastricht | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
insgesamt | darunter: | insgesamt | darunter: | ||||||
Steuern | Sozialbeiträge | Zinsausgaben | Bruttoinvestitionen | ||||||
2013 | 45,0 | 23,0 | 16,6 | 44,9 | 1,8 | 2,2 | 0,0 | 8,0 | 78,3 |
2014 | 44,9 | 22,8 | 16,5 | 44,3 | 1,6 | 2,1 | 0,6 | 7,1 | 75,1 |
2015 | 45,1 | 23,1 | 16,6 | 44,1 | 1,4 | 2,1 | 1,0 | 6,0 | 72,2 |
2016 | 45,5 | 23,4 | 16,7 | 44,4 | 1,2 | 2,2 | 1,2 | 5,1 | 69,6 |
2017 | 45,5 | 23,5 | 16,8 | 44,2 | 1,0 | 2,2 | 1,3 | 4,4 | 65,3 |
2018 | 46,3 | 23,8 | 17,0 | 44,3 | 0,9 | 2,3 | 1,9 | 3,9 | 62,3 |
2019 | 46,5 | 23,8 | 17,2 | 45,0 | 0,8 | 2,4 | 1,5 | 3,3 | 60,1 |
2020 | 46,1 | 22,7 | 17,9 | 50,4 | 0,6 | 2,7 | −4,3 | 2,8 | 66,8 |
2021 | 47,5 | 24,4 | 17,6 | 51,3 | 0,6 | 2,6 | −3,7 | 2,4 | 67,6 |
2022 | 47,0 | 24,5 | 17,2 | 49,8 | 0,7 | 2,7 | −2,6 | 2,8 | 65,6 |
2023 | 47,2 | 24,3 | 17,5 | 49,6 | 0,9 | 2,7 | −2,4 | 3,7 | 62,7 |
2024 | 48,9 | 25,2 | 18,1 | 50,3 | 1,0 | 2,9 | −1,4 | 3,9 | 61,6 |
2024/2021 | 47,7 | 24,6 | 17,6 | 50,2 | 0,8 | 2,7 | −2,6 | 3,2 | 64,4 |
1 In Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.
2 Zinsausgaben des Staates in Relation zum Steueraufkommen.
Anmerkung: Prognose ab dem Jahr 2023.
Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW-Konjunkturprognose Sommer 2023.
Die Staatsausgaben werden über den Prognosezeitraum moderater als im Vorjahr zulegen. Dies liegt unter anderem im planmäßigen Auslaufen pandemiebedingter Programme zur Stabilisierung der Wirtschaft begründet. Weiterhin fallen einige einmalige Stützungsmaßnahmen im Zuge der Energiekrise, wie die Energiepreispauschale, die Dezember-Soforthilfe oder die Unternehmenshilfen im Zusammenhang mit dem Energiepreisanstieg, weg. Im ersten Quartal haben trotzdem insbesondere Ausgaben für die Strom- und Gaspreisbremse die öffentlichen Haushalte weiterhin stark belastet. Jedoch werden mit dem deutlichen Rückgang der Energiepreise die stabilisierenden Maßnahmen mit weniger staatlichen Mitteln auskommen und die öffentlichen Haushalte geringer belasten als im Wirtschaftsplan des WSF-Energie eingeplant.
Die Arbeitnehmerentgelte im öffentlichen Dienst werden nominal sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr stark steigen. Der Anstieg wird aufgrund der Tarifvertragslaufzeiten für Landesbeschäftigte in diesem Jahr voraussichtlich etwas moderater sein; 2024 dürfte er dann stärker ausfallen. Im aktuellen Jahr wird es zudem eine deutliche Steigerung der monetären Sozialleistungen geben, unter anderem durch die Erhöhung der gesetzlichen Renten und des Kindergeldes, die Einführung des Bürgergeldes und die Ausweitung des Wohngeldes. Auch die Integration und Unterstützung der Ukraine-Geflüchteten trägt zu diesem Anstieg bei. Im Jahr 2024 wird das Wachstum der monetären Sozialleistungen moderater ausfallen. Die nominalen Vorleistungsverkäufe werden im Jahr 2023 aufgrund der hohen Inflation steigen. Im kommenden Jahr wird der Anstieg dann aufgrund der rückläufigen Inflation moderater sein.
Die Bruttoinvestitionen dürften in diesem und nächstem Jahr weiter steigen, insbesondere aufgrund der Ausweitung der Ausrüstungsinvestitionen in Waffensysteme mithilfe des Sondervermögens Bundeswehr. Die Bauinvestitionen nehmen vor allem aufgrund der hohen Preisdynamik zu.
Die Subventionen werden im laufenden Jahr voraussichtlich ebenfalls deutlich zulegen. Insbesondere die Gütersubventionen haben im ersten Quartal 2023 aufgrund der Gas- und Strompreisbremse spürbar zugenommen, während die sonstigen Subventionen mit dem Wegfall der Corona-Hilfen zurückgehen. Im weiteren Prognoseverlauf werden die Subventionen aufgrund des Auslaufens der Preisbremsen und sinkender Energiepreise unter das Unterstützungsniveau voraussichtlich sinken.
Die sonstigen laufenden Transfers nehmen im Jahr 2023 erheblich ab, da Einmalzahlungen an Haushalte wie die Energiepreispauschale im Vergleich zum Vorjahr wegfallen. Im Jahr 2024 ist mit einer Rückkehr zum langfristigen preisbereinigten Trend zu rechnen. Die Zinsausgaben des Staates hingegen werden aufgrund der Zinswende im Prognosezeitraum voraussichtlich deutlich steigen.
Insgesamt dürften die Ausgaben des Staates im Jahr 2023 nominal um 4,1 Prozent und im Jahr 2024 um 3,3 Prozent steigen. Das gesamtstaatliche Haushaltsdefizit in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt wird im laufenden Jahr zunächst leicht auf 2,4 Prozent und im Jahr 2024 voraussichtlich auf 1,4 Prozent schrumpfen. Der strukturelle Primärsaldo nach modifizierter EU-Methode verbessert sich von −1,4 Prozent im Jahr 2022 auf 0,1 Prozent in Relation zum Produktionspotenzial im Jahr 2024 (Abbildung 15). Der Maastricht-Bruttoschuldenstand wird im Prognosezeitraum voraussichtlich auf 61,6 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt zurückgehen.
Themen: Konjunktur
JEL-Classification: E32;E66;F01
Keywords: Business cycle forecast, economic outlook
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-24-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/273605