DIW Wochenbericht 25 / 2023, S. 337-345
Fernanda Ballesteros, Alexandra Hüttel, Karsten Neuhoff, Catherine Marchewitz
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„Für Unternehmen sind Szenarien ein wissenschaftlicher Ausgangspunkt, um Transformationshebel zu identifizieren und damit ihre Emissionen möglichst schnell zu reduzieren. Die Studien zeigen zum Beispiel für ein Unternehmen mit Gebäudeportfolio, was im Gebäudebereich umgesetzt werden muss, um die Emissionen zu reduzieren und klimaneutral zu werden.“ Fernanda Ballesteros
Im Klimaschutzgesetz hat sich Deutschland verpflichtet, schrittweise bis 2045 klimaneutral zu werden. Unternehmen aus Industrie und dem Dienstleistungssektor müssen daher ihre Produktion und Geschäftspraktiken umstellen, Finanzinstitutionen ihre Bewertungskriterien anpassen. Das bedarf in vielen Fällen einer neuen strategischen Ausrichtung und Investitionen in klimaneutrale Produkte, Geschäftsmodelle und Produktionstechniken. Dafür benötigen Unternehmen Kapital und die Unterstützung aus der Finanzwirtschaft, der daher eine zentrale Rolle bei der Erreichung von Klimazielen zukommt. Damit Investor*innen, Organisationen der Zivilgesellschaft und Behörden den Investitionsbedarf, Fortschritt und mögliche Risiken von Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität erfassen können, wird von Unternehmen eine vorausschauende Berichterstattung erwartet, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und standardisierten Verfahren basiert. Die Wissenschaft arbeitet mit Szenarien, die auch Industrie- und Dienstleistungsunternehmen sowie Banken, Fonds und Versicherungen einheitliche und vergleichbare Informationen über den Übergang zu einem klimaneutralen Geschäftsmodell und daraus resultierende Risiken vermitteln. Mithilfe der Szenarien können Unternehmen die Transitionsrisiken und Chancen bei Entscheidungen über Investitionen und die strategische Ausrichtung berücksichtigen. Der Finanzwirtschaft ermöglichen die Szenarien das Investitionsportfolio schrittweise zu dekarbonisieren und unternehmensspezifische Transitionsrisiken und -chancen im Risikomanagement abzubilden.
In der Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft bis zur Mitte des Jahrhunderts müssen Unternehmen insbesondere in den emissionsintensiven Sektoren Strategien für klima- und umweltverträgliche Produktionsweisen umsetzen und dafür langfristige Investitionen in neue Technologien und Produkte realisieren. Damit Investor*innen sowie Regulierungsbehörden erkennen können, ob Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität sind, hat die EU-Kommission die EU-Taxonomie als Instrument zur Klassifizierung nachhaltiger wirtschaftlicher Aktivitäten entwickelt. Allerdings zeigt sich, dass die EU-Taxonomie nur bereits bestehende klimafreundliche oder klimaneutrale wirtschaftliche Aktivitäten benennt. Für die Vielzahl der noch nicht nachhaltig arbeitenden Unternehmen kann mit der Taxonomie nur unzureichend erfasst werden, ob Unternehmen einen transformativen Ansatz verfolgen und Emissionen bei ihren wirtschaftlichen Aktivitäten vermeiden und klimaneutral werden.Siehe z.B. Franziska Schütze und Jan Stede (2021): The EU sustainable finance taxonomy and its contribution to climate neutrality. Journal of Sustainable Finance & Investment, 1–33 (online verfügbar).
Um den Transitionspfad eines Unternehmens zur Klimaneutralität zu erkennen, ist eine vorausschauende Berichterstattung notwendig. Die Transition Plan Taskforce (TPT) aus Großbritannien hat 2022 einen Entwurf für einen Offenlegungsrahmen für TransitionspläneEin Transitionsplan ist ein zeitlich begrenzter Aktionsplan, der darlegt, wie Anlagen, Betriebsabläufe und Geschäftsmodelle auf das Ziel der Klimaneutralität ausgerichtet werden. vorgelegt, der vier Elemente bei der Ausarbeitung eines Transitionsplans beschreibt: Bestandsaufnahme der aktuellen Situation, Festlegung von Zielen, Entwicklung eines Aktionsplans und Gewährleistung der Verantwortlichkeit für die Umsetzung.TPT (2022): The Transition Plan Taskforce Disclosure Framework (online verfügbar).
Während die Idee von vorausschauender Berichterstattung und den Plänen für den Übergang aus der fossilen Wirtschaft an Dynamik gewinnt, bleibt die Frage, wie Vergleichbarkeit, Glaubwürdigkeit und Quantifizierbarkeit der Berichterstattung gewährleistet werden können.Vgl. Nicolas Kreibich (2021): Klimaneutralität in Unternehmen: Zehn Empfehlungen für die Umsetzung. Zukunftsimpuls 20 (online verfügbar). Ein Element für die Entwicklung von Transitionsplänen sind wissenschaftliche Szenarien, die die Erkenntnisse der Klimawissenschaft zu den Auswirkungen der Erderwärmung sowie die politischen Ziele und Gesetze analysieren und modellieren.Vgl. CFD. (2021): Guidance on Metrics, Targets, and Transition Plans (online verfügbar). Unternehmen können damit mögliche Entwicklungen verschiedener zukünftiger Situationen untersuchen und strategische Maßnahmen ergreifen, um gewünschte Ergebnisse zu erzielen und unerwünschte Ergebnisse abzuschwächen oder zu vermeiden. Szenarien können damit sowohl für die Unternehmen als auch für Investor*innen von Vorteil sein.Vgl. Karol Kempa et al. (2021): Szenarioanalysen als Werkzeug für Unternehmen, Investoren und Regulatoren auf dem Weg zur Klimaneutralität. Wissenschaftsplattform Sustainable Finance Policy Brief Nr. 5 (online verfügbar). Die Wissenschaftsplattform Sustainable Finance (WPSF) vereint fünf deutsche Forschungseinrichtungen, die intensiv zum Thema Sustainable Finance forschen (siehe Website). Die WPSF wird von der Stiftung Mercator im „Rahmenprogramm Sustainable Finance“ [Förderkennzeichen 19026202] gefördert. Szenarien dienen also zuerst der vorausschauenden Unternehmensführung und Strategieentwicklung. Zweitens können Investor*innen und Finanzmarktaufsichtsbehörden sie für die Risikobewertung nutzen, um die Finanzstabilität auf der Grundlage von vergleichbaren und verlässlichen Informationen zu gewährleisten.Vgl. ECB. (2023): ECB staff opinion on the first set of European Sustainability Reporting Standards (online verfügbar). Und drittens können Szenarien in der Kommunikation zwischen Investor*innen und Unternehmen genutzt werden, da Szenarien als Benchmark für die Bewertung und das Management des Risikos einzelner Kreditnehmer*innen oder ganzer Portfolios dienen können.Vgl. Udeke Huiskamp et al. (2022): The climate resilience cycle: Using scenario analysis to inform climate-resilient business strategies. Business Strategy and the Environment, 31(4), 1763–1775, (online verfügbar).
Der Wochenbericht erörtert die Anwendung von Szenarien für das Transformations- und Risikomanagement der Real- und Finanzwirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität. Er zeigt, welche unterschiedlichen Szenariotypen es gibt und inwieweit wissenschaftliche Net-Zero-Szenarien – also Machbarkeitsstudien zur Erreichung der Klimaneutralität – für Transitionspläne von Unternehmen als wissenschaftlicher Benchmark genutzt werden können (Abbildung 1, Kasten).
Die Typologie von Börjeson et al. (2005) unterscheidet drei verschiedene Arten von Szenarien. Die erste Kategorie bezieht sich auf vorhersagende Szenarien, die Antworten auf die Frage „Was wird passieren?“ suchen und dafür Prognosen oder Was-wäre-wenn-Szenarien erstellen. Im Gegensatz dazu lassen sich die so genannten explorativen Szenarien von der Frage „Was kann passieren?“ leiten. Hier wird zwischen externen und strategischen Szenarien unterschieden. Eine dritte Kategorie schließlich besteht aus normativen Szenarien. Sie konzentrieren sich auf mögliche Ansätze zur Erreichung eines bestimmten Ziels.
Diese Kategorie lässt sich untergliedern in Szenarien zur Erhaltung sowie zur Veränderung des Status Quo. Während Prognosen und Was-wäre-wenn-Szenarien nützlich sind, um Vorhersagen für die Zukunft zu treffen, können explorative Szenarien hilfreich sein, wenn Benutzer*innen über eine Vielzahl von Möglichkeiten nachdenken und sich möglicherweise auf eine Vielzahl verschiedener Arten von Ergebnissen einstellen möchten. Normative Szenarien helfen bestimmte Ziele und damit verknüpfte Maßnahmen zu erkennen, die zur Erreichung des Ziels – wie zum Beispiel Klimaneutralität – ergriffen werden können.
Im Pariser Abkommen von 2015 haben die Staaten vereinbart, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad, vorzugsweise auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen.Vereinten Nationen (2015): Paris Agreement (online verfügbar). Entsprechende Ziele wurden auch auf europäischer Ebene gesetzlich festgelegt. Der European Green Deal verpflichtet die EU Staaten zum Pariser Abkommen und verankert im Europäischen Klimaschutzgesetz auch das Ziel, dass Europas Wirtschaft und Gesellschaft bis 2050 klimaneutral werden.Europäische Union. (2021): Verordnung (EU) 2021/1119 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 2021 zur Schaffung eines Rahmens für die Erreichung der Klimaneutralität und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 401/2009 und (EU) 2018/1999 (Europäisches Klimaschutzgesetz) (online verfügbar). Auch die nationalen Regierungen in der EU haben Gesetze zur Klimaneutralität erlassen, um zur neuen Agenda beizutragen.Vgl. Mark Roelfsema et al. (2020): Taking stock of national climate policies to evaluate implementation of the Paris Agreement. Nature Communications, 11(1), 2096 (online verfügbar). Deutschland hat sich im Klimaschutzgesetz zur Netto-Treibhausgasneutralität bis 2045 verpflichtet.Bundesregierung (2019): Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) (online verfügbar).
Verschiedene Institutionen und wissenschaftliche Einrichtungen haben in Net-Zero-Szenarien die Erreichbarkeit der internationalen oder nationalen Minderungsziele und der Treibhausgasneutralität untersucht. Üblicherweise schlüsseln Net-Zero-Szenarien (Szenarien zur Erreichung von Klimaneutralität) die verschiedenen Hebel der Transformation wie Technologien, Energie- und Ressourceneffizienz sowie politische Instrumente auf und zeigen deren jeweilige Rolle bei der Erreichung von oftmals sektorspezifischen Emissionsminderungen. Dazu zählen der Übergang zu erneuerbaren Energien, die Verbesserung der Energieeffizienz sowie die Nutzung von klimafreundlichen Technologien. Für Deutschland haben so unterschiedliche Institutionen wie das Umweltbundesamt, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme in Studien untersucht, wie Deutschland sein Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 entlang sektoraler Dekarbonisierungspfade erreichen kann (Tabelle).
Öffentlich zugängliche Studien
Titel | Datum | Auftraggebende/Herausgebende Organisation |
---|---|---|
Wege in eine ressourcenschonende Treibhausgasneutralität [KN1 2050] | Nov 2019 | Umweltbundesamt (UBA), online verfügbar |
Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland 3 [KN 2050] | Mai 2021 | Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), online verfügbar |
Klimaneutrales Deutschland 2045 [KN 2045] | Jun 2021 | Agora Energiewende, online verfügbar |
Net-Zero Deutschland. Chancen und Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2045 [KN 2045] | Sep 2021 | McKinsey, online verfügbar |
Klimapfade 2.0. Ein Wirtschaftsprogramm für Klima und Zukunft [KN 2045] | Okt 2021 | Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), online verfügbar |
Dena Leitstudie. Aufbruch Klimaneutralität [KN 2045] | Okt 2021 | Deutsche Energie-Agentur (dena), online verfügbar |
Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 Szenarien und Pfade im Modellvergleich [KN 2045] | Okt 2021 | Kopernikus-Projekt Ariadne (Ariadne), online verfügbar |
Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem. Die deutsche Energiewende im Kontext gesellschaftlicher Verhaltensweisen. [KN 2045] | Nov 2021 | Frauenhofer-Institut für Solare Energiesystem (Fhg-ISE), online verfügbar |
1 KN Klimaneutralität
Quelle: Eigene Zusammenstellung.
Auf Unternehmensebene kann im Zusammenhang mit der Verwendung von Szenarien zu den Auswirkungen des Klimawandels zwischen dem Risikomanagement und dem Transformationsmanagement unterschieden werden. Das Risikomanagement untersucht, welche transitorischen Auswirkungen und Veränderungen der Gesetzgebung sowie des politischen Rahmens wie ein Vorziehen der Klimaneutralität auf das Unternehmen haben und wie es seine Widerstandsfähigkeit dagegen stärken kann. Zudem analysiert das Risikomanagement die physischen Auswirkungen des Klimawandels wie Dürre oder Hitze auf das Unternehmen.
Im Gegensatz dazu zielt das Transformationsmanagement darauf ab, ein Geschäftsmodell oder eine Wertschöpfungskette in Richtung einer klimaneutralen Wirtschaft entlang eines Net-Zero-Szenarios zu steuern.Vgl. Huiskamp et al. (2022). a.a.O. Dies erfordert einen umfassenden vorausschauenden Ansatz, der die Reduzierung von Emissionen in allen Bereichen der Geschäftstätigkeit und der Wertschöpfungskette eines Unternehmens beinhaltet. Beispielhaft analysiert dieser Wochenbericht den Gebäudesektor, für den das Transformationsmanagement unter anderem die Umstellung auf klimafreundliche Heiztechnik wie Wärmepumpen oder ein Fernwärmenetz sowie die Erhöhung der Energieeffizienz durch energetische Sanierungen beinhaltet.
Um Transparenz und Glaubwürdigkeit bei der Transformation von Unternehmen zu gewährleisten, bedarf es einer vorausschauenden Klimaberichterstattung von Unternehmen. Eine Vielzahl an Initiativen stellt Empfehlungen und Hilfsinstrumente für vorausschauende Berichterstattung und die Erstellung von Transitionsplänen bereit.Vgl. OECD (2022): OECD Guidance on Transition Finance: Ensuring Credibility of Corporate Climate Transition Plans, Green Finance and Investment (online verfügbar); PwC & WWF (2022). Pathways to Paris. Transformation gestalten: Chancen der Klimwende nutzen (online verfügbar). Die an die G 20 (Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) und deren Finanzstabilitätsrat angedockte Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) hat Empfehlungen für die Klimaberichterstattung von Unternehmen entwickelt und einen Leitfaden zu Transitionsplänen veröffentlicht, auf den sich auch der britische Vorschlag der TPT bezieht.TCFD (2021): Guidance on Metrics, Targets, and Transition Plans (online verfügbar). Laut TCFD wird der Transitionsplan als Teil der Klimastrategie eines Unternehmens anerkannt, unterscheidet sich aber vom Risikomanagement und dem Anpassungsplan eines Unternehmens, der sich mit klimabezogenen Risiken und Chancen befasst.
Bei der Erstellung von Transitionsplänen ist auch die Nutzung von Szenarien von zentraler Bedeutung. Szenarien können eine doppelte Funktion erfüllen: Einerseits werden sie genutzt, um Meilensteine und Metriken für die Erreichung der längerfristigen Unternehmensziele abzuleiten; andererseits können sie für einen Stresstest genutzt werden, um zu prüfen, wie stabil der Plan etwa gegenüber einer Veränderung der politischen Rahmenbedingungen ist.Vgl. Ebd und TPT (2022): The Transition Plan Taskforce Disclosure Framework (online verfügbar). So empfiehlt der Sustainable-Finance-BeiratDer Beirat aus Wirtschaft, Finanzinstitutionen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft berät die Bundesregierung seit 2019 bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Sustainable-Finance-Strategie (siehe Website des Bundesministerium der Finanzen). der Bundesregierung eine klare Berichterstattung entsprechend eines zentralen Szenarios (etwa Klimaneutralität 2045) sowie die Vorgabe, Nutzung und Berichterstattung zu einem Stresstest-Szeanrio Klimaneutralität 2035.Sustainable-Finance-Beirat (2021): Shifting the Trillions. Ein nachhaltiges Finanzsystem für die Große Transformation. 31 Empfehlungen des Sustainable-Finance-Beirats an die Bundesregierung (online verfügbar). Nach einer Analyse der Task Force for Climate Related Disclosure nutzt jedoch die Mehrheit der Unternehmen die Szenarien im Transformationsbereich nicht und veröffentlicht auch keine umfassenden Transitionspläne.Vgl. TCFD (2022): Taskforce on Climate-related Financial Disclosures. 2022 Status report (online verfügbar). Denkbar ist allerdings, dass im Zuge sich verschärfender Berichterstattungspflichten für große Unternehmen auch die Transitionspläne offengelegt werden müssen. Im Zuge der Überarbeitung der Europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive sind CSRD Transitionspläne unter bestimmten Voraussetzungen als Teil der Offenlegungspflichten vorgesehen. In der Zwischenzeit hat die Kommission dafür einen Vorschlag veröffentlicht.Europäische Kommission (2023): Draft delegated regulation supplementing supplementing Directive 2013/34/EU of the European Parliament and of the Council as regards sustainability reporting standards (online verfügbar). Auch auf internationaler Ebene wird dies beispielsweise im International Standard Setting Board (ISSB) diskutiert.ISSB (2022). Staff paper. Climate-related disclosures (online verfügbar).
Zur Identifizierung von zentralen Indikatoren zur Messung der Transformation werden acht umfangreiche Net-Zero-Szenarien für Deutschland analysiert, die nach Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes veröffentlich wurden (Tabelle). Entlang des Logical Framework-AnsatzesThomas Hale (2021). Sub-and non-state climate action: a framework to assess progress, implementation and impact. Climate Policy, 21(3), 406–420 (online verfügbar). identifiziert der Wochenbericht Transitionsindikatoren, die Auskunft über den Fortschritt der Umstellung auf klimaneutrale Geschäftsstrategien von Unternehmen geben und im Rahmen von Transitionsplänen berichtet werden können, um eine Ausrichtung entlang eines normativen Klimaszenarios wie Klimaneutralität im Jahr 2045 zu ermöglichen.
Net-Zero-Szenarien können demnach als Referenz entlang verschiedener Transitionsindikatoren dienen, die für das Erreichen der angestrebten Klimaneutralität von zentraler Bedeutung sind. Trotz der Unterschiede in den Modellierungsmethoden und der Detailtiefe der Berechnungen in den einzelnen Sektoren, kommen die Studien zu ähnlichen Ergebnissen. Exemplarisch wird dies für den Gebäudesektor gezeigt, der in Deutschland für rund 30 Prozent der direkten und indirekten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich ist (Abbildung 2).Dies beinhaltet die direkten CO2-Emissionen der Gebäude der beiden Sektoren „Private Haushalte“ und „Gewerbe, Handel, Dienstleistungen“ sowie die Emissionen aus der Nutzung von Strom und Fernwärme und Industriegebäude. Der Anteil der direkten CO2-Emissionen beträgt etwa 15 Prozent. Siehe: Umweltbundesamt (2022). Energiesparende Gebäude (online verfügbar).
Im Gebäudesektor sinken die Emissionen laut der unterschiedlichen Szenarien von durchschnittlich etwa 124 Megatonnen (Mt) CO₂-Äquivalenten (CO₂äq) im Ausgangszeitraum 2018/2020 auf 71 Mt CO₂äq im Jahr 2030 (–43 %). Bis 2045 verbleiben im Durchschnitt Restemissionen von etwa 1 Mt CO₂äq (–99 %).Net-Zero-Szenario (NZS) von Agora, Ariadne, BDI und dena (siehe Tabelle). Um die Belastbarkeit der selbst gesetzten Emissionsziele zu messen, können Unternehmen als Input-Indikator den Anteil der Wärmebereitstellung auf Basis erneuerbarer Energien in den beheizbaren Wohneinheiten angeben. Alle untersuchten Net-Zero-Szenarios geben das als zentralen Transformationshebel an. Gemäß der analysierten Studien müssen bis 2030 etwa fünf bis sechs Millionen Wärmepumpen und bis 2045/2050 etwa 15 bis 16 Millionen Wärmepumpen im Einsatz sein, um die Emissionsreduktion zu erreichen.NZS von BDI, BMWK Langfristszenarien, Ariadne und Agora (siehe Tabelle). Der Anteil der Technologien auf Basis der erneuerbaren Energien erreicht 2030 bereits 46 bis 55 Prozent und steigt bis 2045 auf 94 bis 100 Prozent an, wobei Wärmepumpen mit rund 50 Prozent die dominierende Technik sind (Abbildung 3).Die Grafik steht interaktiv auf der Seite des Open Energy Tracker der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt des DIW Berlin (online verfügbar).
Ein weiterer Inputfaktor könnten Energieeffizienzmaßnahmen wie etwa energetische Sanierungen sein. Die untersuchten Szenarien nehmen an, dass die jährliche SanierungsrateDie Prozentzahlen beziehen sich jeweils auf Vollsanierungsäquivalente. bis 2045 von derzeit circa ein Prozent auf 1,5 bis zwei ProzentNZS von BDI, Agora und dena (siehe Tabelle). beziehungsweise auf über zwei Prozent im Jahr steigt.NZS Ariadne; Umweltbundesamt und BDI (siehe Tabelle). Die Sanierungstiefe entspricht dabei je nach Wohnungstyp etwa dem Effizienzhausstandard KfW-70 bis KfW-55.NZS von Agora, Ariadne, BDI und Fhg-ISE (siehe Tabelle). Dementsprechend könnten die Unternehmen vorausschauend ihre jährliche Sanierungsrate und Sanierungstiefe, also den Anteil der Wohneinheiten mit einem ambitionierten Effizienzhausstandard, ausweisen.Vgl. Daniele Fietzeet et al: Ein wirksames Klimaschutzgesetz braucht Frühindikatoren. DIW Wochenbericht Nr. 41, 679–687 (online verfügbar); Matthias Duwe et al. (2021): Measuring progress towards climate neutrality. Ecologic Institute (online vefügbar).
Auf der Output-Ebene sollte sich dies beim Energieverbrauch widerspiegeln, der in den Szenarien von durchschnittlich 125 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr 2021Umweltbundesamt (2023): Energieverbrauch privater Haushalte (online verfügbar). Daten beziehen sich auf Raumwärme (ohne Warmwasser). auf durchschnittlich 60 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter (m2) in bestehenden Einfamilienhäusern und auf etwa 40 bis 45 kWh/m2 in Mehrfamilienhäusern sinkt.NZS von Agora. Daten beziehen sich auf Raumwärme ohne Warmwasser (siehe Tabelle). Die Unternehmen könnten demnach ihren angestrebten durchschnittlichen Energieverbrauch pro Quadratmeter und auch pro Gebäudetyp berichten.
Auf der Outcome-Ebene zeigt sich dann der gemeinsame Effekt von Effizienzverbesserung und Umstieg auf erneuerbare Energien in der Minderung der CO₂-Emissionen, die in den Szenarien von durchschnittlich 22 kg/m2 im Jahr 2020 auf 13 kg/m2 im Jahr 2030 und deutlich unter 2 kg/m2 im Jahr 2045 für Wohn- und Nichtwohngebäude sinkt.NZS von Agora und Ariadne (siehe Tabelle).
Diese Indikatoren zeigen, wie die Net-Zero-Szenarien als Orientierung für die Dekarbonisierung des Unternehmensportfolios dienen können. Unternehmen sollten grundsätzlich größtmögliche Freiheit zur Erreichung von Klimaneutralität haben, solange ihre Strategien wissenschaftlich plausibel sind und dazu die Transformation anhand von wesentlichen Transitionsindikatoren abbilden. In der Berichterstattung können Unternehmen so auch Abweichungen von Net-Zero-Szenarien aufzeigen und erklären. Damit werden auch neue Techniken und innovative Strategien unterstützt.
Im Risikomanagement können Unternehmen Szenarien nutzen, um künftige Risiken aber auch Chancen aus der Transformation zur Klimaneutralität zu untersuchen, die finanzielle und strategische Auswirkungen auf einen Sektor, das Unternehmen oder die Geschäftsmodelle haben können. Das stärkt Unternehmen in der Abwägung von Investitionen – und stützt die Risikobewertung von Banken, Investoren und Finanzmarktaufsichtsbehörden für Portfolien und Finanzmärkte.
Dabei beziehen sich die Transitionsrisiken auf die finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft, auf politische und regulatorische Veränderungen, technische Umbrüche und Veränderungen des Verbraucherverhaltens. Die physischen Risiken beziehen sich auf die direkten Auswirkungen des Klimawandels, etwa häufigere und intensivere Naturereignisse wie Regen, Dürre oder Stürme, der Anstieg des Meeresspiegels sowie hohe Temperaturen. Die daraus resultierenden Risiken können sich auf die Infrastruktur, die Lieferketten und den Betrieb eines Unternehmens auswirken und zu Unterbrechungen, Schäden und Verlusten führen.Vgl. NGSF (2020): Guide to climate scenario analysis for central banks and supervisors (online verfügbar).
Diese Risiken können auch Auswirkungen auf die Stabilität des Gesamtsystems eines Landes oder eines wirtschaftlich verflochtenen Staatenverbunds wie der EU haben. Für Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden ist die Erfassung der Transformationsrisiken daher systemrelevant.Vgl. Stefano Battiston (2021): Climate risks and financial stability. Journal of Financial Stability, 54, 100867 (online verfügbar). Wenn Investitionen oder Vermögenswerte aufgrund des technischen Fortschritts, von Gesetzesänderungen oder Markbedingungen an Wert verlieren oder überflüssig werden, belasten sie als Stranded Asset (gestrandete Anlagen) ganze Portfolien, Sektoren und Wertschöpfungsketten. Ein Bespiel für Geschäftsmodellrisiken durch regulatorische Veränderungen ist die Autoindustrie. Der in den vergangenen Jahren beschleunigte Übergang zu Elektrofahrzeugen in vielen Ländern kann dazu führen, dass die Industrie für Fahrzeuge mit Verbrennermotor schneller als erwartet keinen Absatzmarkt mehr findet. Durch das Verständnis und die Bewältigung dieser Risiken können sich Unternehmen der Finanz- und Realwirtschaft somit besser positionieren, um in einer sich schnell verändernden globalen Wirtschaft erfolgreich zu sein.Vgl. Karol Kempa et al. (2021): Szenarioanalysen als Werkzeug für Unternehmen, Investoren und Regulatoren auf dem Weg zur Klimaneutralität. Wissenschaftsplattform Sustainable Finance Policy Brief Nr. 5 (online verfügbar).
Die Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) empfiehlt, dass Unternehmen zu klimabezogenen Risiken und Chancen berichten. Dazu sollen sie auch die Widerstandsfähigkeit der Strategie unter Berücksichtigung verschiedener klimabezogener Szenarien, einschließlich eines Zwei-Grad-oder-weniger-Szenarios darstellen. Dabei nutzen Unternehmen etwa Szenarien der Internationalen Energieagentur, dem Deep Decarbonization Project sowie Internationalen Organisationen für Erneuerbare Energien.TCFD (2017): Recommendations of the Taskforce on Climate-related Financial Disclosures (online verfügbar).
Auch das Network for Greening the Financial System (NGFS) bietet eine Reihe von hypothetischen Klimaszenarien an, die eine Vielzahl möglicher Ereignisse in den Bereichen Klima, Wirtschaft und Politik umfassen.Szenario-Portal des NGSF (online verfügbar). Insgesamt zeigt sich jedoch, dass es bislang nicht gelungen ist, ein einheitliches Szenario für die Implementierung auf Unternehmensebene zu etablieren.Vgl. Loew et al. (2021): Management von Klimarisiken in Unternehmen: Politische Entwicklungen, Konzepte und Berichtspraxis (online verfübar). Dies würde jedoch nicht nur die Implementierung auf Unternehmensebene erleichtern, sondern auch die Vergleichbarkeit der Berichterstattung stärken. Das ist vor allem für die quantitative Analyse von Portfolien im Risikomanagement entscheidend.Vgl. Catherine Marchewitz et al. (2022): Einheitliches Stresstest-Szenario kann Berichterstattung zu Klimarisiken verbessern. Wissenschaftsplattform Sustainable Finance, Policy Brief Nr. 5 (online verfügbar). Daher bedarf es neben der standardisierten Berichterstattung zum Kernszenario eines Unternehmens, ebenso der Berichterstattung zu einem standardisierten Stresstest-Szenario zu einer möglicherweise früheren Klimaneutralität 2035, so wie es der Sustainable-Finance-Beirat empfiehlt.Sustainable-Finance-Beirat (2021): Shifting the Trillions. Ein nachhaltiges Finanzsystem für die Große Transformation. 31 Empfehlungen des Sustainable-Finance-Beirats an die Bundesregierung (online verfügbar).
Viele Unternehmen haben sich eigene Klimaneutralitätsziele bis 2045 gesetzt. Einige deutsche Unternehmen geben an, bereits klimaneutral zu sein oder das Ziel vor 2045 zu erreichen.Vgl. Union Investment (2022): Wind of Change. Dakarboniseirung bei DAX 40-Unternehmen(online verfügbar). Um die Transparenz und Glaubwürdigkeit dieser Zielsetzungen und damit verbundener Maßnahmen zu stärken, bedarf es einer standardisierten vorausschauenden Berichterstattung, etwa durch die Veröffentlichung von Transitionsplänen. Die Analyse zeigt, wie Szenarien die Unternehmen bei diesem Prozess unterstützen können. Aus wissenschaftlichen Net-Zero-Szenarien lassen sich zentrale Transitionshebel und -indikatoren ableiten, um das Unternehmen zu dekarbonisieren und in Einklang mit dem Ziel der Klimaneutralität zu bringen. Indem die Unternehmen ihre Strategien und Berichterstattung an ausgewählten Transitionsindikatoren aus wissenschaftlichen Net-Zero-Szenarien ausrichten oder in Beziehung setzen und darüber in Transitionsplänen berichten, kann auch die Finanzwirtschaft die darin enthaltenen Informationen nutzen.
Damit dies gelingt, bedarf es einerseits der vergleichbaren Berichterstattung zu dem Kernszenario eines Unternehmens im aktuellen politischen Umfeld, also zum Beispiel Klimaneutralität 2045. Andererseits sollte der Transitionsplan auch resilient gegenüber zukünftigen Entwicklungen in der nationalen und internationalen Klimapolitik sein. Eine Veränderung wie etwa das Vorziehen des Ziels der Klimaneutralität ins Jahr 2035 erfordert auch die Berichterstattung zu einem daraus entstehenden Stresstest-Szenario, das mit dem Kernszenario vergleichbar sein muss. Basierend auf den beiden Szenarien und den Transitionsdikatoren in den Transitionsplänen kann die Finanzwirtschaft den Fortschritt bei der Dekarbonisierung sowie die Transitionsrisiken für das Unternehmen spezifisch quantifizieren. Dies stärkt die Transparenz bei der Vergabe einzelner Kredite und im Portfoliomanagement und damit auch das Risikomanagement in der Finanzwirtschaft. Durch das vorausschauende Berichten kann vermieden werden, dass Unternehmen nur anhand von aktuellen Sektorinformationen bewertet werden. Somit kann der Finanzsektor mit vergleichbaren Transitionsplänen auch CO₂-intensive Unternehmen auf dem Weg in die Klimaneutralität begleiten, anstatt sie wegen Transitionsrisiken oder aktuell noch hohen CO₂-Emissionen aus Portfolien zu streichen.
Internationale Rahmenwerke im Bereich der Klimaberichterstattung legen bereits den Grundstein für einen gemeinsamen Szenarienrahmen und Standards für die vorausschauende Berichterstattung auf dem Weg zur Klimaneutralität. So etwa die Rahmenwerke der internationalen Taskforce on Climate-Related Financial Disclosures der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer und der EU sowie der Transitionsplan-Taskforce der britischen Regierung. Die Bundesregierung sollte sich auch international dafür einsetzen zu einer weiteren Vereinheitlichung von vorausschauenden Berichtsstandards und Szenarienrahmen zu gelangen, damit die Berichte vergleichbar und quantifizierbar sind. Weitere relevante Prozesse hierfür sind die Verhandlungen über die geplanten Offenlegungspflichten des EU-Regulierungsvorschlags CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) sowie der weltweiten Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards des ISSB (International Sustainability Standards Board). Dies kann dazu beitragen, das Vertrauen der Investoren, Unternehmen und der Öffentlichkeit in die Wirksamkeit und Vergleichbarkeit von vorausschauender Berichterstattung und von Transitionsplänen zu stärken.
Themen: Unternehmen, Klimapolitik
JEL-Classification: E61;E44;Q54;Q56;Q58
Keywords: Scenario analysis, net zero, transition plans, forward-looking reporting, transition risks
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-25-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/273609