DIW Wochenbericht 25 / 2023, S. 346
Fernanda Ballesteros, Erich Wittenberg
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Frau Ballesteros, bis 2045 sollen Unternehmen in Deutschland klimaneutral produzieren. An wen wenden die Unternehmen sich, wenn sie einen Plan entwerfen wollen, mit dem sie dann in Richtung Klimaneutralität gehen? Es gibt bereits viele Tools, die Unternehmen dabei helfen können, ihre Strategie oder auch ihr Risikomanagement im Bereich Klimawandel zu stärken. Dabei können auch Unternehmensberatungen oder auch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften helfen. Letztendlich ist es wichtig, dass dabei wissenschaftsbasierte und einheitliche Standards und Szenarien im Hintergrund stehen und Unternehmen sicher sein können, dass diese Strategie auch für die nächsten Jahre robust ist.
In Ihrem Bericht spielen die Szenarien zum Klimawandel eine zentrale Rolle. Worum handelt es sich dabei? Die bekanntesten Szenarien kommen sicherlich aus der Klimaforschung wie die des Weltklimarats IPCC. Sie beschreiben, wie sich eine bestimmte Konzentration von Treibhausgasen auf Klimaindikatoren wie Temperatur oder extreme Wetterereignisse auswirkt. In unserem Bericht schauen wir uns vor allem sogenannte Net-Zero-Szenarien an. Das sind wissenschaftliche Machbarkeitsstudien, die untersuchen, wie das Ziel der Klimaneutralität tatsächlich erreicht werden kann und einen klaren Pfad aufzeigen.
Welche Bedeutung haben die Szenarien zum Klimawandel für die Unternehmen? Für Unternehmen sind diese Szenarien ein wissenschaftlicher Ausgangspunkt, um wichtige Indikatoren, das heißt, Transformationshebel zu identifizieren, um möglichst schnell eine Emissionsreduktion zu erreichen. Beispielsweise zeigen die Studien für ein Unternehmen mit Gebäudeportfolio, was im Gebäudebereich umgesetzt werden muss, um die Emissionen zu reduzieren. Und darum geht es ja in allen Sektoren, denn Deutschland hat sich gesetzlich verpflichtet bis 2045 klimaneutral zu sein.
Ein weiterer zentraler Begriff ist die sogenannte Szenarioanalyse. Was versteht man darunter? Die Szenarioanalyse ist ein Instrument für Unternehmen. Mit ihrer Hilfe können Unternehmen entlang verschiedener Szenarien in die Zukunft schauen. Das Klimaneutralitäts-Szenario ist ein normatives Szenario, weil es ein Ziel gibt. Hier lautet die Frage: Wie komme ich dahin? Es gibt aber auch noch explorative Szenarien: Hier ist die Frage, was könnte potentiell noch passieren? Es könnte zum Beispiel sein, dass die Regierung in der nächsten Legislaturperiode beschließt, dass die Klimaneutralität schon 2035 erreicht werden soll, weil 2045 nicht ambitioniert genug ist. Entlang dieses Stresstest-Szenario kann das Unternehmen dann analysieren, wie robust seine Maßnahmenplanung angesichts einer derartigen Zielverschärfung ist.
Welche Lehren lassen sich aus Ihrer Untersuchung ziehen? Die Szenarien können ein wissenschaftsbasierter Ausgangspunkt sein, um die Dekarbonisierungshebel oder Transitionsindikatoren zu identifizieren. Sie sind natürlich kein Allheilmittel und nur ein Instrument der Maßnahmenplanung von Unternehmen. Wichtig ist vor allem, dass der Gesetzgeber einen regulatorischen Rahmen schafft. Die Unternehmen sollten dazu verpflichtet werden, vorausschauend über ihre Klimaneutralitätsambitionen zu berichten. Dafür braucht es nicht nur einen Berichtsrahmen, sondern vor allem auch standardisierte Szenarien.
Mit vorausschauender Berichterstattung meinen Sie, dass die Unternehmen berichten, was sie in Zukunft vorhaben? Die aktuelle Nachhaltigkeitsberichterstattung ist bislang noch stark auf den Status quo und historische Daten ausgerichtet. Es gibt natürlich Unternehmen, die schon Klimaneutralitätsziele und auch konkrete Maßnahmen berichten, aber das ist bislang noch nicht standardisiert.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Unternehmen, Klimapolitik
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-25-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/273610