DIW Wochenbericht 26 / 2023, S. 362
Lea Bernhardt, Tomaso Duso
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Hohe Preise, etwa für Lebensmittel oder Energie, haben eine teilweise hitzige Debatte über Gewinninflation entfacht. Es wird spekuliert, dass Unternehmen ihre Preise erhöhen, um höhere Gewinnmargen zu erzielen, was wiederum die Inflation treibt. Diejenigen, die eine „Greedflation“ ausgemacht haben wollen, verweisen auf aktuelle Studien in der Eurozone und den USA. Darin wird für die vergangenen Jahre ein steigender Gewinnanteil an der Wertschöpfung beobachtet. Schnell wurde der Verdacht der Profitgier laut und damit Forderungen nach staatlich festgelegten Preisdeckeln, die überzogene Preiserhöhungen von Unternehmen verhindern sollen.
Auf den ersten Blick klingt das plausibel. Die Unterbrechung globaler Wertschöpfungsketten könnte zu vorübergehenden Monopolen geführt haben, während es für Unternehmen einfacher sein könnte, sich über hohe Preise abzustimmen. Doch sowohl die theoretische Begründung als auch die empirische Evidenz für diese These ist schwach.
Zum einen lässt sich die anhaltende Inflation eher mit den Angebotsschocks durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine erklären als mit wettbewerbswidrigen Preisabsprachen von Unternehmen. Kostensteigerungen werden in der Regel sofort weitergegeben. Sinken die Kosten wieder, haben besonders marktmächtige Unternehmen keinen Anreiz, die Kostensenkungen schnell und vollständig weiterzugeben. Preise steigen wie Raketen und fallen wie Federn. Kurzfristig führt dies zu höheren Gewinnen, längerfristig werden die Preis-Kosten-Margen wieder sinken. Zum anderen erscheinen Analysen, die auf aggregierten Gewinndaten einzelner Branchen basieren, ungeeignet, um kausale Zusammenhänge zu erklären. So ist es nicht möglich, belastbare Aussagen über Ursache und Wirkung des Anteils der Gewinne an der Wertschöpfung und der Inflation zu treffen.
Wie der Gewinnanteil an der Wertschöpfung mit Gewinnaufschlägen korreliert, hängt davon ab, wie austauschbar einzelne Produktionsfaktoren sind und wie die Steigerungen der Preise für Vorleistungen und Arbeitskosten ausfallen. So zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie der Banca d`Italia , dass 2022 höhere Gewinnanteile in vielen Sektoren in Europa mit konstanten oder negativen Aufschlägen verbunden waren. Für eine evidenzbasierte kausale Analyse müssten zusätzliche Informationen über die Markups – das Verhältnis von Produktionskosten und dem Preis – herangezogen werden. Erste Studien dazu aus den USA sprechen eher nicht für wettbewerbsgetriebene Inflation. Hingegen deuten langfristige Muster eher darauf hin, dass Preise in Erwartung künftiger Kostensteigerungen angehoben werden. In der Tat wurde keine Korrelation zwischen der Veränderung der Aufschläge auf Unternehmensebene und der Veränderung der Preise auf Branchenebene festgestellt.
Nach bisherigen Erkenntnissen spricht also nicht viel für eine verbreitete „Greedflation“. Vorschläge, Preiskontrollen zur Inflationsbekämpfung einzusetzen, sind daher mit großer Vorsicht zu genießen. Zum einen scheint die Inflation nicht primär ein Wettbewerbsproblem zu sein – obwohl es für die Wettbewerbsbehörden sicherlich ratsam ist, in Zeiten der Inflation wachsam zu bleiben – zum anderen ist sehr fraglich, ob Preiskontrollen überhaupt praktikabel sind. Hier sollte auch die wirtschaftspolitische Diskussion ehrlicher werden. Als gelungenes Beispiel für eine Preiskontrolle wurde auf die Energiepreisdeckel verwiesen. Allerdings sind derartige Instrumente keine Preiskontrolle, sondern lediglich eine Subvention für 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs. Die Kund*innen zahlen weiterhin die Marktpreise für die verbrauchte Energie. Der Bund zahlt einen Zuschuss, deckelt aber nicht den Preis.
Direkte Transfers sind das geeignete Instrument, um die Verteilungseffekte der Inflation zu bekämpfen, was wichtiger bleibt denn je. Ärmere Haushalte sind von einer hohen Inflation stärker betroffen als reichere, da sie meist einen höheren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel und Energie ausgeben müssen. Diese Haushalte sollen direkt und gezielt durch staatliche Unterstützung entlastet werden und nicht durch staatlich verordnete Preiskontrollen.
Der Kommentar ist am 19. Juni in längerer Fassung in der FAZ erschienen.
Themen: Unternehmen, Konjunktur, Geldpolitik
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-26-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/273614