DIW Wochenbericht 28 / 2023, S. 398
get_appDownload (PDF 88 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 3.82 MB - barrierefrei / universal access)
Beim Elterngeld wird der Rotstift angesetzt: Zwar bleibt die Höhe der Lohnersatzleistung gleich, die Einkommensobergrenze soll aber von 300000 zu versteuerndem Jahreseinkommen (für Paare) auf 150000 Euro gesenkt werden. Das Familienministerium schätzt, dass dadurch etwa 60000 Haushalte weniger Elterngeld beziehen werden und sich so knapp 300 Millionen Euro pro Jahr einsparen lassen.
Der Aufschrei darüber ist groß. Das verwundert nicht, denn das Elterngeld ist sehr beliebt. Nahezu alle Eltern von Kindern im ersten Lebensjahr beantragen Elterngeld. Zahlreiche Studien haben zudem positive Effekte des Elterngeldes nachgewiesen. Beispielsweise sind Mütter mit Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr seit seiner Einführung im Jahr 2007 häufiger erwerbstätig, ihre Löhne nach der Elternzeit sind höher als früher und die Beteiligung von Vätern an der Elternzeit ist gestiegen.
Allerdings sind Reformen beim Elterngeld dringend notwendig: Erstens müssten der Minimumbetrag von 300 Euro und der Höchstbetrag von 1800 Euro nach über 16 Jahren endlich angehoben werden. Zweitens wäre eine Ausweitung der Partnermonate wichtig, damit es zu einer gleichmäßigeren Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Müttern und Vätern kommt.
Mitten in diese Diskussion hinein kommt nun die Nachricht der Senkung der Einkommensobergrenze und die damit einhergehende Einschränkung des Kreises der Anspruchsberechtigten. Ist das schlimm? Aus sozialpolitischer Sicht eher nicht: Die Betroffenen sind nicht sozial bedürftig, ganz im Gegenteil: Sie befinden sich in den obersten vier bis fünf Prozent der Einkommensverteilung. Allerdings war das Elterngeld nie als Sozialleistung gedacht. Seine wesentlichen Ziele waren, die ökonomische Eigenständigkeit beider Elternteile zu ermöglichen sowie die Väterbeteiligung an der Elternzeit zu steigern. Für diese gleichstellungspolitischen Ziele ist die Senkung der Einkommensgrenze kein gutes Signal.
Die Frage ist, welche direkten Folgen diese Sparmaßnahme haben wird. Für Elternteile mit sehr hohen Einkommen ersetzt der Maximalbetrag von 1800 Euro pro Monat bereits jetzt nur einen geringen Teil des Nettoeinkommens. Das Elterngeld dürfte für diese Gruppe also schon bisher vermutlich keine große Rolle in den Überlegungen zur Aufteilung der Elternzeit gespielt haben. Es ist aber keine Seltenheit, dass bei sehr hohen Haushaltseinkommen die Partner*innen ungleich verdienen: Für den Elternteil, für den künftig der individuelle Anspruch auf das Elterngeld aufgrund der gemeinsamen Einkommensgrenze wegfällt, kann durch die Sparmaßnahme eine finanzielle Abhängigkeit vom Partner entstehen, die das Elterngeld eigentlich abbauen wollte. Kurzum: Aus gleichstellungspolitischer Sicht ist die Einsparung beim Elterngeld „keine Glanzleistung“, wie auch die zuständige Ministerin Lisa Paus sagt.
Wenn schon gespart werden muss, so gäbe es eine in mehrerlei Hinsicht bessere Option: Statt des Elterngeldes sollte beim Ehegattensplitting gekürzt werden. Dem Ehegattensplitting wurde bereits im Rahmen der Gesamtevaluation aller ehe- und familienorientierten Leistungen im Jahr 2013 bescheinigt, die meisten Ziele der Familienpolitik nicht zu erfüllen, vor allem nicht die gleichstellungspolitischen. Zahlreiche Institutionen haben sich in den letzten Jahren immer wieder zu Wort gemeldet und auf die negativen Auswirkungen des Ehegattensplittings hingewiesen, insbesondere auf die Erwerbsbeteiligung verheirateter Frauen. Etwa die EU-Kommission oder die OECD haben Deutschland hier immer wieder zu Reformen aufgerufen. Viele Vorschläge dazu liegen seit langem auf dem Tisch, zum Beispiel vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), vom ifo Institut, dem RWI, dem Internationalen Währungsfonds oder dem wissenschaftlichen Beirat im Bundesfinanzministerium. Selbst eine moderate Reform, die den Splittingvorteil nur für besonders hohe Einkommen beschränken würde, brächte Einsparungen in Höhe von mehreren Milliarden Euro – und somit mehr als das Zehnfache der beim Elterngeld geplanten Einsparungen. Zudem wäre das ein wichtiger Schritt für die Gleichstellungspolitik – im Gegensatz zu den Einsparungen beim Elterngeld.
Dieser Kommentar erschien am 6. Juli in längerer Fassung im Tagesspiegel.
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-28-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/273620