DIW Wochenbericht 29 / 2023, S. 407
Fabian Seyrich, Erich Wittenberg
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Herr Seyrich, die Vor- und Nachteile der Mitgliedschaft in einer Währungsunion, wie die des Euroraums, wurden bislang ausschließlich auf der Länderebene betrachtet. Welchen Ansatz haben Sie gewählt und warum? Bisher wurde meistens ein durchschnittlicher Haushalt betrachtet, sagen wir ein durchschnittlicher Haushalt für Deutschland. Wenn man das macht, kann man natürlich nichts dazu sagen, wie jetzt zum Beispiel ein negativer Konjunkturimpuls die armen oder die reichen Haushalte in Deutschland trifft. Daher schauen wir uns ein heterogenes Agenten-Modell an, in dem wir sehr viele verschiedene Haushalte mit unterschiedlich hohen Vermögen und Einkommen nachverfolgen können.
Ein Beispiel für ein konjunkturelles Ereignis ist der Energiepreisschock. Wie wirkt sich das auf die Ökonomie und wie auf die Haushalte der jeweiligen Länder aus? Ein Ergebnis unserer Studie ist, dass man das für jeden Schock spezifisch angucken muss. In diesem Fall gucken wir uns einen Energieschock an, der in Deutschland auftritt und in Spanien nicht. In Deutschland würde darauf eine eigenständige Geldpolitik der Bundesbank anders reagieren als die EZB, die auf die durchschnittliche Inflation des Euroraums achten muss. Das hieße, für Deutschland würde sie zu wenig reagieren und für Spanien zu stark. Das führt dazu, dass die Armen in Deutschland davon im Vergleich zu einem noch höheren Zinsanstieg profitieren, weil höhere Zinsen für arme Haushalte schlecht sind. Arme Haushalte haben kein Vermögen, oftmals sind sie sogar verschuldet, das heißt, sie müssen Zinsen zahlen. Auf der anderen Seite profitieren reiche Haushalte von höheren Zinsen, weil sie Vermögen haben, auf das sie Zinsen bekommen. Für reiche Haushalte in Deutschland ist es also schlechter, wenn die EZB die Zinsen nicht so stark erhöht wie eine eigenständige Geldpolitik das tun würde. In Spanien hat man genau den umgedrehten Fall. Dort sind die Zinsen jetzt höher als unter einer eigenständigen Geldpolitik. Davon profitieren in Spanien die reicheren Haushalte im Vergleich zu den ärmeren Haushalten.
Kann man hier von einer Art Umverteilung sprechen? Ja. In diesem Fall kann man von einer Art Umverteilung sprechen. Wenn man den gesamten Euroraum betrachtet, gleicht sich diese Umverteilung im Prinzip aus und es gäbe insgesamt keine Umverteilung. Es gibt aber eine Umverteilung innerhalb der Gruppen der Armen von Spanien nach Deutschland. Die armen Haushalte in Spanien zahlen drauf, während die armen Haushalte in Deutschland profitieren. Ein zentrales Ergebnis unserer Studie ist, dass diese beiden Bewegungen sich immer ungefähr ausgleichen. Dasselbe findet bei den reichen Haushalten statt. Die reichen Haushalte in Spanien profitieren von den höheren Zinsen im gleichen Maße wie die reichen Haushalte in Deutschland von den weniger hohen Zinsen betroffen sind.
Welche wirtschaftspolitische Bedeutung haben die Ergebnisse Ihrer Studie? Unsere Ergebnisse erklären, warum der Euro trotz aller Krisen doch so stark ist. Demnach ist es für die Mittelschicht fast egal, ob man in einem Währungsraum ist oder nicht. An den Rändern gibt es immer mal wieder Gruppen, die stark verlieren. Wer das ist, hängt von der Art und dem Ort des Schocks ab. Gleichzeitig gibt es aber immer auch einen Rand, der gewinnt. Das heißt, nach jedem Schock gibt es auch eine sehr stabile Haushaltsgruppe, die entweder von der Währungsunion profitiert oder aber zumindest keine Nachteile durch sie hat. So kann unsere Studie vielleicht erklären, warum die Währungsunion relativ stabil ist. Trotzdem kann es an den Rändern natürlich immer wieder sehr populistische Anti-Euro-Kampagnen geben.
>Themen: Verteilung, Ungleichheit, Geldpolitik
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-29-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/273622