DIW Wochenbericht 29 / 2023, S. 410
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Der vom Bundeskabinett beschlossene Haushalt 2024 ist essenziell dafür, ob Deutschland gute Arbeitsplätze halten, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit sichern und die wirtschaftliche und ökologische Transformation erfolgreich bewältigen kann. Obwohl ein Haushalt nie allen gerecht werden kann, ist dieser Haushalt eine große Enttäuschung. Er ist keineswegs eine „finanzpolitische Zeitenwende“, der von „haushaltspolitischer Solidität“ gekennzeichnet ist – wie der Bundesfinanzminister behauptet. Sondern er wird den Wohlstand und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands weiter schwächen und die soziale Polarisierung verschärfen.
Der Bundesfinanzminister versucht mit seinem Haushalt die Quadratur des Kreises: Er will die Schuldenbremse einhalten, gleichzeitig keine Steuererhöhungen und mehr Zukunftsinvestitionen. Eine ehrliche Bewertung zeigt, dass der Haushalt keines dieser drei Ziele wirklich erreicht. Zwar tritt die Schuldenbremse 2024 rechtlich wieder in Kraft. Dies ist jedoch nur durch mehrere Schattenhaushalte wie das Sondervermögen für die Bundeswehr und die Klima- und Wirtschaftsstabilisierungsfonds möglich. Dies ist sicherlich verzeihbar, denn es ist ein pragmatischer Umgang mit einer Schuldenbremse, die blind gegenüber den Bedürfnissen von Wirtschaft und Gesellschaft ist.
Explizit wird der Bundeshaushalt zwar keine Steuern erhöhen, de facto führt er jedoch zu einer deutlich stärkeren finanziellen Belastung, vor allem für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen. Der Bundesfinanzminister hat versprochen, der Staat dürfe nicht Gewinner der Inflation sein. Dennoch gibt er durch das Abschmelzen der kalten Progression zusätzliche Steuereinnahmen bei der Einkommensteuer mit 15 Milliarden Euro pro Jahr primär an Spitzenverdiener*innen. Menschen mit geringen und mittleren Einkommen erhalten dagegen wenig bis gar nichts, obwohl auch diese mehr Steuern zahlen, vor allem indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer.
Der Staat bleibt zudem sein Versprechen schuldig, die zusätzlichen Steuereinnahmen durch den CO2-Preis in Form eines Klimagelds vor allem auch an Menschen mit mittleren und geringen Einkommen zurückzugeben. Und der neue Haushalt sieht deutliche Kürzungen bei sozialen Leistungen vor. Dies ist zwar keine explizite Steuererhöhung, wirkt jedoch für die Menschen so: Sie werden den Gürtel enger schnallen müssen.
Zudem wird der Bundeshaushalt dem Versprechen der Zukunftssicherung nicht gerecht, vor allem weil die öffentlichen Investitionen nach wie vor viel zu gering sind und keine positiven Impulse für private Investitionen und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen setzen. Die öffentlichen Investitionen in die Digitalisierung sind kläglich, und die Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung werden sogar gekürzt.
Dies ist genau das Gegenteil der versprochenen „haushaltspolitischen Solidität“. Der deutsche Staat wird weiterhin von seiner Substanz leben. Das vielleicht größte Versagen der Finanzpolitik ist, dass sie mit dem eingeschlagenen Kurs die soziale Schieflage in Deutschland weiter verschärfen wird. Er entlastet die Spitzenverdiener*innen, drückt aber die Ausgaben für die Kindergrundsicherung. Er kürzt die Ausgaben für Bildung und für die Sozialsysteme und lässt die Kommunen weiterhin alleine in ihrem Kampf, den Menschen eine gute Daseinsvorsorge zu bieten und gleichzeitig die großen Herausforderungen wie die Integration von Geflüchteten zu bewältigen.
Die Konsequenz auch einer solchen Finanzpolitik ist in einigen unserer Nachbarländer zu sehen. Die Unruhen und das Aufbegehren so vieler junger Menschen in Frankreich sollten uns eine Warnung dafür sein, was passiert, wenn die Politik die Bedürfnisse und Nöte gerade der verletzlichsten Menschen einer Gesellschaft ignoriert. Eine wirkliche finanzpolitische Zeitenwende wäre es, jetzt in die Zukunft von Menschen, Gesellschaft und Wirtschaft zu investieren. Das würde massive öffentliche Investitionen mit einer klugen, sozialen Ausgestaltung erfordern – dies ist eine zentrale Voraussetzung, um Deutschland wirklich zukunftsfähig zu machen.
Der Beitrag ist in einer längeren Fassung am 7. Juli 2023 bei Zeit Online erschienen.
Themen: Öffentliche Finanzen