DIW Wochenbericht 30/31 / 2023, S. 426
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So erfreulich es ist, dass sich die Wohnverhältnisse in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg massiv verbessert haben. Alleine die Wohnfläche pro Kopf hat sich zwischen 1956 und bis zur Finanz- und Schuldenkrise 2010 von durchschnittlich 18,4 auf 39,2 Quadratmeter mehr als verdoppelt. So sehr hat dieser Trend auch zur Wohnraumknappheit beigetragen. Doch dieser Trend zu größeren Wohnungen scheint sich umzukehren. Denn in Deutschland geht wie in manchen anderen Ländern die Fläche pro fertiggestellter Wohnung zurück: von durchschnittlich 120 im Jahr 2007 auf 102 Quadratmeter im Jahr 2022, ein Rückgang von 15 Prozent.
Vier Faktoren stützen diesen Trend. Zum einem werden die Haushalte kleiner und fragen entsprechend kleinere Wohnungen nach. So ist beispielsweise in Deutschland der Anteil der Einpersonenhaushalte zwischen 1961 und 2021 von 21 Prozent auf 41 Prozent gestiegen. In Großstädten wie Berlin, Hamburg und München liegt dieser Anteil sogar bei über 50 Prozent. Dem steht allerdings nur ein geringes Angebot an kleinen Wohnungen gegenüber: Der Anteil der Wohnungen mit bis zu zwei Räumen am Gesamtwohnungsbestand lag 2021 nur bei etwa 13 Prozent. In Berlin ist er mit 23,2 Prozent zwar etwas höher, liegt aber immer noch deutlich unter dem Anteil der Einpersonenhaushalte.
Zum zweiten führen die steigenden Immobilienpreise und seit dem vergangenen Jahr die Zinssteigerungen dazu, dass die Haushalte einen immer größeren Anteil ihrer Einkommen für den Erwerb oder die Miete von Wohnraum ausgeben müssen. Die Wohnungen sind so teuer geworden, dass sich die Haushalte meistens nur kleinere Wohnungen leisten können. In den zwischen 2010 und 2022 fertiggestellten Wohngebäuden ist der Anteil der Kleinwohnungen von zehn auf 27 Prozent gestiegen. Dieser Anstieg ist bei allen Gebäudetypen zu beobachten, vor allem aber bei den Wohngebäuden mit drei oder mehr Wohnungen, wo sich dieser Anteil von 19 auf knapp 38 Prozent verdoppelt hat.
Zum dritten machen die hohen Immobilienpreise den Investoren die Errichtung von Mehrfamilienhäusern attraktiver. Denn sie erlauben, die knappen Bauflächen am effizientesten auszunutzen und den Ertrag zu maximieren. Wenn auf derselben Fläche statt ein paar Einfamilienhäuser ein Mehrfamilienhaus mit zwölf Wohnungen gebaut wird, ist der gesamte Wert der Immobilie deutlich höher. In Deutschland ist zwischen 2001 und 2022 der Anteil der Wohnungen in neuen Mehrfamilienhäusern (Wohngebäude mit drei und mehr Wohnungen) im Vergleich zur Gesamtzahl der neu gebauten Wohnungen von 34 Prozent auf 58 Prozent gestiegen. Die Wohnungen in Mehrfamilienhäusern sind mit einer durchschnittlichen Wohnfläche von rund 73 Quadratmeter viel kleiner als die Wohnungen in Einfamilien- und Doppelhäusern, die eine durchschnittliche Fläche von über 115 Quadratmeter haben.
Zum vierten haben Anfang der 2020er Jahren manche Gemeinden (zum Beispiel in Hamburg und Wiesbaden) angefangen, den Bau von Einfamilienhäusern zu verbieten. Denn einerseits verbrauchen solche Häuser zu viel an besonders in Großstädten knappem Platz, und zweitens, gelten sie wegen ihres höheren Energieverbrauchs als umweltunfreundlich.
Die Tendenz zu kleineren neugebauten Wohnungen führt dazu, dass die Städte dichter bebaut werden, was zu einer Reduktion der CO2-Emissionen führen könnte. Allerdings passiert das wegen der relativ niedrigen Bauzahlen nur langsam. Eine zusätzliche Möglichkeit wäre, auch die größeren Bestandswohnungen in kleinere umzubauen. Dies könnte helfen, die aktuell akute Wohnungsknappheit zu lindern, indem die in den Städten existierende „stille Reserven“ an überdimensionierten Wohnungen aktiviert werden könnten. Außerdem könnten die grauen Emissionen teilweise vermieden werden, die bei Abbruch und Neubau entstehen. Gleichzeitig sollten die Städte nicht ganz auf den Bau von Einfamilienhäusern oder kleineren Mehrfamilienhäusern verzichten, denn das Gegenteil von Zersiedelung der Städte ist ihre Überfüllung, die sie zu weniger lebenswerten Orten macht. Und meist entpuppen sich Verbote ohnehin als eher kontraproduktiv.
Themen: Märkte, Immobilien und Wohnen
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-30-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/278029