DIW Wochenbericht 32 / 2023, S. 429-436
Jo Seldeslachts, Albert Banal-Estañol, Nuria Boot
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„Inzwischen haben fast alle großen börsennotierten deutschen Unternehmen gemeinsame Eigentümer, häufig große US-Vermögensverwalter, die sehr diversifiziert anlegen. Dies könnte Einfluss auf Unternehmensentscheidungen und Wettbewerbsanreize haben.“ Jo Seldeslachts
Die Eigentumsverhältnisse von großen Unternehmen sind in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden. Häufig halten große institutionelle Investoren Anteile an verschiedenen börsennotierten Unternehmen gleichzeitig, was als Common Ownership oder gemeinsame Eigentümerstrukturen bezeichnet wird. Dieses Phänomen wirft viele wettbewerbsrechtliche Fragen auf. Dieser Wochenbericht untersucht auf Basis einer Netzwerkanalyse die Verbindungen zwischen den 25 größten börsennotierten deutschen Unternehmen, die über gemeinsame Eigentümer entstehen. Im Fokus stehen die Jahre 2004 und 2015, da die globale Finanzkrise in diesem Zeitraum Eigentümerstrukturen stark verändert hat. In Deutschland hat sich nach der Finanzkrise die Anzahl der großen deutschen Unternehmen, die über gemeinsame Anteilseigner indirekt miteinander verbunden sind, verdoppelt. Waren im Jahr 2004 hauptsächlich europäische Banken und Versicherungskonzerne gemeinsame Eigentümer deutscher Unternehmen, dominieren im Jahr 2015 amerikanische Vermögensverwalter wie BlackRock. Die zunehmende Dichte der Verbindungen sowie die Größe und Diversifizierung der Vermögensverwalter könnten dafür sorgen, dass sich der Einfluss der Miteigentümer auf Unternehmensentscheidungen erhöht.
Halten institutionelle Investoren wie Fonds, Banken oder Vermögensverwalter große Anteile an verschiedenen börsennotierten Unternehmen gleichzeitig, schaffen sie damit indirekt Verbindungen zwischen diesen Unternehmen. Das Phänomen von gemeinsamen Eigentümerstrukturen, auch Common Ownership genannt, ist wettbewerbsrechtlich umstritten. Viele in Wissenschaft und Politik befürchten, dass Unternehmen mit gemeinsamen Anteilseignern möglicherweise weniger Wettbewerbsanreize haben, und bezeichnen Common Ownership als „die große neue wettbewerbspolitische Herausforderung unserer Zeit“.Eric Posner, Fiona Scott Morgan und Glen Weyl (2016): A proposal to limit the anticompetitive power of institutional investors. Antitrust Law Journal, 81, 669; Martin. C. Schmalz (2018): Common-ownership concentration and corporate con-duct. Annual Review of Financial Economics, 10, 413–448; Einer Elhauge, Sumit Majumdar und Martin Schmalz (2021): Confronting Horizontal Ownership Concentration. The Antitrust Bulletin 66(1), 3–11.
In der Tat können Investoren, selbst wenn sie relativ geringe Beteiligungen an mehreren Unternehmen gleichzeitig halten, die Ergebnisse des Wettbewerbs erheblich beeinflussen. Das heißt, dass die Entscheidungsträger*innen eines Unternehmens möglicherweise beschließen, nicht aggressiv mit einem anderen Unternehmen zu konkurrieren, das (teilweise) denselben Investoren gehört. Andererseits kann gemeinsames Eigentum ein effizienter Kanal für die Kommunikation und den Wissenstransfer zwischen Unternehmen sein. Ob nachteilig oder vorteilhaft für Wettbewerb, Verbraucher*innen und Unternehmen: Es besteht Einigkeit, dass gemeinsame Eigentümerstrukturen als wichtiges Phänomen dringend der Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger*innen bedürfen.
Es ist hinlänglich bekannt, dass gemeinsames Eigentum in der US-Industrie sowohl auf sektoraler Ebene als auch generell bei börsennotierten Unternehmen zunehmend verbreitet ist.Für Fluglinien vgl. José Azar, Martin Schmalz und Isabel Tecu (2018): Anticompetitive effects of common ownership. The Journal of Finance 73.4, 1513–1565. Für den Bankensektor vgl. José Azar, Sahil Raina und Martin Schmalz (2022): Ultimate ownership and bank competition. Financial Management 51.1, 227–269. Für den Pharmasektor vgl. Melissa Newham, Jo Seldeslachts und Albert Banal-Estañol (2018): Common ownership and market entry: Evidence from the pharmaceutical industry. DIW Discussion Paper Nr. 1738 (online verfügbar, abgerufen am 31. Juli 2023. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben). Für einen Überblick der Firmen im US-Index S&P 500 vgl. José Azar und Xavier Vives (2021): Revisiting the anti-competitive effects of common ownership. CEPR Discussion Paper DP1661; Matthew Backus, Christopher Conlon und Michael Sinkinson (2021): Common ownership in America: 1980–2017. American Economic Journal: Microeconomics 13.3, 273–308. Für alle börsengelisteten US-Firmen vgl. Albert Banal-Estañol, Jo Seldeslachts und Xavier Vives (2022): Ownership diversification and product market pricing incentives. European Corporate Governance Institute. Finance Working Paper 858 (online verfügbar). Zurückzuführen ist dieser Anstieg auf die wachsenden Beteiligungen von hauptsächlich in den USA ansässigen Vermögensverwaltern wie BlackRock und Vanguard. Wegen ihrer diversifizierten Anlagestrategie halten institutionelle Investoren Aktien vieler Unternehmen gleichzeitig.Vermögensverwalter gehören zu den sogenannten institutionellen Anlegern, die im großen Umfang Gelder für andere investieren. Neben Vermögensverwaltern gehören zu den institutionellen Investoren Investmentfonds, Stiftungen, Banken, Pensionsfonds, Versicherungsgesellschaften und Hedgefonds. Vgl. Jan Fichtner, Eelke M. Heemskerk und Javier Garcia-Bernardo (2017): Hidden power of the Big Three? Passive index funds, re-concentration of corporate ownership, and new financial risk. Business and Politics, 19(2), 298–326. Dieser Trend ist insofern von Bedeutung, als sich gemeinsames Eigentum nachweislich auf die Marge, die Gewinne und den Unternehmenswert sowie auf den Markteintritt, die Investitionen und die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens auswirkt.Zu Margen vgl. Azar, Schmalz und Tecu (2018), a.a.O., sowie Banal-Estañol, Seldeslachts und Vives (2022), a.a.O. Zu Gewinnen vgl. Lysle Boller und Fiona Scott Morton (2020): Testing the theory of common stock ownership. National Bureau of Economic Research Working Paper 27515. Für den Unternehmenswert vgl. Jun-Koo Kang, Juan Luo und Hyun Seung Na (2018): Are institutional investors with multiple blockholdings effective monitors? Journal of Financial Economics 128.3, 576–602. Für den Markteintritt vgl. Newham, Seldeslachts und Banal-Estañol (2018), a.a.O. Für Investitionen vgl. Germán Gutiérrez und Thomas Philippon (2018): Ownership, concentration, and investment. AEA Papers and Proceedings 108, 432–437. Für Innovationen vgl. Jie He und Jiekun Huang (2017): Product market competition in a world of cross-ownership: Evidence from institutional blockholdings. The Review of Financial Studies 30.8, 2674–2718.
Börsennotierte deutsche Unternehmen schienen bisher von diesem Thema weitgehend verschont zu bleiben, weil ihre Anteile traditionell häufig in Familienbesitz oder im Besitz von Bund und Ländern sind. Vermögensverwalter haben in Deutschland eine relativ geringe Bedeutung.Fiorella De Fiore und Harald Uhlig (2005): Bank Finance Versus Bond Finance: What Explains the Differences between US and Europe? ECB Working Paper No. 547; Jo Seldeslachts, Melissa Newham und Albert Banal-Estañol (2017): Veränderungen bei gemeinsamen Eigentümerstrukturen deutscher Unternehmen. DIW Wochenbericht Nr. 30, 303–311 (online verfügbar). Es gibt Anzeichen, dass die zunehmenden Beteiligungen großer US-amerikanischer Vermögensverwalter auch die Eigentümerstrukturen in Deutschland (und in ganz Europa) ändern könnten, vor allem nach der globalen Finanzkrise.So hat beispielsweise das gemeinsame Eigentum im europäischen Bankensektor zugenommen, insbesondere nach der Finanzkrise 2007 bis 2009, vgl. Banal-Estañol, Boot und Seldeslachts (2022), a.a.O.
Diese Studie bietet eine deskriptive Netzwerkanalyse der Eigentumsverhältnisse der 25 größten deutschen Unternehmen im Börsenindex S&P Europe 350. Zum Vergleich werden die Jahre 2004 und 2015 herangezogen, da die Finanzkrise 2007 bis 2009 in diesem Zeitraum lag. Im Mittelpunkt stehen also die Auswirkungen der Finanzkrise auf die gemeinsamen Eigentümerstrukturen in deutschen Unternehmen, wobei die 25 größten US-Unternehmen im S&P 500 als Vergleich dienen. In den USA führte die globale Finanzkrise zu einer Zunahme des gemeinsamen Eigentums.In den USA führte die Finanzkrise zu einer massiven Umlenkung der Geldströme von Finanzinvestoren, die aktiv nach den leistungsstärksten Unternehmen suchen, zu Finanzinvestoren, die passiv Indizes wie den S&P 500 abbilden. Da passive Finanzinvestoren per Definition breiter diversifizieren, führen diese verstärkten Geldströme zu einem Anstieg des gemeinsamen Eigentums, vgl. Banal-Estañol, Seldeslachts und Vives (2022), a.a.O. Sie könnte daher auch die gemeinsamen Eigentumsverhältnisse in deutschen Großunternehmen signifikant verändert haben. Anzunehmen ist aber, dass die Veränderungen anders als bei US-Unternehmen verlaufen sind, da sich die gemeinsamen Eigentumsverhältnisse vor der Krise stark unterschieden, wie im Folgenden gezeigt wird.
Dazu werden jeweils anhand der nach Marktkapitalisierung 25 größten Unternehmen die Struktur und die Merkmale der Netze gemeinsamer Eigentümerschaft zwischen den deutschen Unternehmen einerseits sowie zwischen den US-Unternehmen andererseits dargestellt (Kasten). Außerdem wird aufgezeigt, welche Verbindungen zwischen deutschen und US-amerikanischen Unternehmen durch gemeinsame Eigentümer bestehen.
Für jedes Unternehmen in der Stichprobe und für jedes der beiden Jahre 2004 und 2015 werden Daten über die Eigentümer erhoben. Eigentümer sind Investoren, die am Ende des Jahres mindestens ein Prozent der Aktien des Unternehmens besitzen, da dies annahmegemäß die Mindestschwelle ist, über die Eigentümer Einfluss nehmen können. Diese Investoren bilden das Investoren-Universum der Analyse.
Für die Analyse werden die 25 größten deutschen Unternehmen im S&P Europe 350 und die 25 größten US-amerikanischen Unternehmen im S&P 500 herangezogen, jeweils für die Jahre 2004 und 2015. Der S&P Europe 350 besteht aus 350 führenden europäischen Blue-Chip-Unternehmen, darunter auch aus Deutschland. Der S&P 500 gilt weithin als der wichtigste Index für US-Aktien großer Unternehmen. Der Anfangs- und Endpunkt des Datensatzes sind die Jahre 2004 und 2015.Obwohl die Daten für jedes dazwischen liegende Jahr verfügbar sind, würde es den Rahmen sprengen, diese vielen Netzwerkzahlen über die einzelnen Jahre zu zeigen. Während dieses Zeitraums gab es mehrere Ereignisse, die sich auf die Eigentumsverhältnisse ausgewirkt haben könnten, von denen die globale Finanzkrise wohl das wichtigste ist. Die 25 größten Unternehmen in jedem Markt in beiden Jahren werden herangezogen, um die Nettowertschöpfung grafisch darstellen und vergleichen zu können. Die Unternehmensgröße wird in jedem der beiden Analysejahre anhand der Marktkapitalisierung am Ende des Jahres gemessen.
Die Eigentumsdaten stammen aus der Thomson Reuters Global Ownership Database, die für jedes Jahr und jedes Quartal die Beteiligungen jedes Aktionärs an jedem börsennotierten Unternehmen weltweit enthält. Für die USA erhebt Thomson Reuters Eigentumsinformationen aus den 13F-, 13D- und 13G-Filings sowie den Formblättern 3, 4 und 5.Diese Formblätter enthalten je nach Art des Eigentümers unterschiedliche Anforderungen an die Einreichung von Unterlagen. Für deutsche Unternehmen werden Informationen aus Börsenberichten, Handelsmeldungen, Unternehmenswebseiten, Geschäftsberichten und Finanzzeitungen zusammengetragen. Für die vorliegende Analyse wurde diese Datenbank modifiziert, um auch Namensänderungen zu berücksichtigen, die hauptsächlich durch (vollständige oder teilweise) Fusionen und Übernahmen von Investoren während des Stichprobenzeitraums erfolgten, und um die letztendlichen Entscheidungsträger (hauptsächlich auf der Grundlage ihrer Namen) zu identifizieren. Darüber hinaus werden die Anleger auf der Ebene des letzten Eigentümers zusammengefasst, da auf dieser Ebene die Entscheidungsgewalt liegt.
Die Investoren werden anschließend nach ihrer Herkunft kategorisiert, also ob ihr Hauptsitz in den USA oder Europa liegt. Die meisten großen institutionellen Anleger kommen aus den USA (einschließlich der Top 4 BlackRock, Vanguard, State Street und Fidelity), aber es gibt auch einige wichtige europäische Anleger wie die Allianz, UBS und die Deutsche Bank. Zu beachten ist, dass es sich bei den führenden institutionellen Anlegern in den USA meist um Vermögensverwalter handelt, während die führenden institutionellen Anleger in Europa meist Banken sind.
Anschließend wird die Netzwerkanalyse angewandt, die sich der Graphentheorie bedient, um die Struktur und die Merkmale von Netzwerken zu beschreiben, indem sie sich auf die Verbindungen zwischen den Akteuren konzentriert. Graphen bestehen aus Knoten, zwischen denen Verbindungen bestehen. In diesem Aufbau stellen die Knoten die Unternehmen dar, während die Verbindungen die gemeinsamen Eigentumsverhältnisse zwischen Unternehmenspaaren durch ihre gemeinsamen Eigentümer repräsentieren.
Gemeinsame Eigentumsverhältnisse werden als solche definiert, wenn gemeinsame Investoren mehr als ein Prozent an beiden Unternehmen halten und zusammen mehr als 50 Prozent der Anteile besitzen. Dazu wird die durchschnittliche Beteiligung aller gemeinsamen Investoren summiert und mit der durchschnittlichen Beteiligung aller Einzelanleger verglichen. Ein bestimmtes Unternehmenspaar ist durch eine gemeinsame Eigentumsbeziehung indirekt verbunden, wenn die Summe der Anteile der gemeinsamen Eigentümer an den beiden Unternehmen größer ist als die der einzelnen Eigentümer. Bei den Verbindungen zwischen den Unternehmen wird auch die Herkunft der gemeinsamen Investoren berücksichtigt.
Herangezogen wird ein neues Maß, um die gemeinsamen Eigentumsbeziehungen zwischen zwei Unternehmen zu definieren.Für eine ausführliche Diskussion verschiedener Messmethoden gemeinsamer Eigentümerstrukturen vgl. Banal-Estañol, Boot und Seldeslachts (2022), a.a.O. und Boller und Scott Morton (2020), a.a.O. Während bisher die meisten Studien einzelne gemeinsame Eigentümer für sich betrachten, werden hier mehrere Investoren, die an beiden Unternehmen beteiligt sind, zusammengefasst. Demnach haben zwei Unternehmen eine Eigentümerverbindung, wenn alle gemeinsamen Investoren zusammen die Mehrheitseigentümer der beiden Unternehmen sind (das heißt, ihre Eigentumsanteile summieren sich zu mehr als 50 Prozent der Anteile). Die Mehrheitsbeteiligung gibt den gemeinsamen Investoren den Anreiz und die Möglichkeit, zusammen strategische Entscheidungen zu treffen, da sie gemeinsam mehr als die Einzelaktionäre an den beiden Unternehmen besitzen. Dies könnte wichtig sein, da sie als Gruppe wohl andere Ziele haben als Einzelaktionäre.
Vergleicht man die Jahre 2004 und 2015, so zeigt sich, dass im Jahr 2015 die überwiegende Mehrheit, nämlich 22 der 25 größten deutschen Unternehmen im S&P Europe 350, über gemeinsame Eigentümerstrukturen verfügt. 2004 hatten erst elf Unternehmen gemeinsame Eigentumsverhältnisse (Abbildung 1). Damals war der Chemie- und Pharmakonzern Bayer das am stärksten vernetzte Unternehmen; es hatte über gemeinsame Eigentümer Verbindungen mit sechs anderen Unternehmen: Daimler, Deutsche Bank, E.On, Linde, Münchener Rück und BASF. Die anderen Unternehmen in gemeinsamer Eigentümerschaft hatten höchstens drei gemeinsame Verbindungen.
Auffällig ist, dass die Mehrzahl der gemeinsamen Eigentümer, die im Jahr 2004 die 50-Prozent-Schwelle erreichten, deutsche Investoren waren: der Versicherungskonzern Allianz sowie Deutsche Bank, DekaBank-Gruppe und Union Investment. Lediglich die Verbindungen vom Sportartikelhersteller Adidas zur Deutschen Börse und zu BASF sowie die Verbindung zwischen dem Konsumgüterhersteller Henkel und dem Chemieunternehmen Altana bestanden aus einer Mischung aus gemeinsamen europäischen und US-amerikanischen Investoren. Bemerkenswert ist, dass die gemeinsamen Eigentümer, ob aus Europa oder den USA, meist institutionelle Anleger waren. Dennoch gibt es einen großen Unterschied: Während praktisch alle europäischen Investoren Banken waren, handelte es sich bei den US-amerikanischen institutionellen Anlegern meist um Vermögensverwalter.
Mit der Finanzkrise haben sich die Verhältnisse verändert. Nur drei deutsche Unternehmen befinden sich 2015 nicht mehrheitlich im Besitz von gemeinsamen Eigentümern: MAN, Beiersdorf und Volkswagen. Das Netz bleibt – gerade im Vergleich zu den USA – dennoch überschaubar, da die Unternehmen in der Regel nur mit einer Handvoll anderer Unternehmen eine gemeinsame Eigentumsbeziehung haben. Auffällig ist, dass es im Unterschied zu 2004 lediglich eine Verbindung (zwischen Deutscher Post und Deutscher Telekom) gibt, die ausschließlich über europäische Investoren entsteht. Die meisten Verbindungen bestehen aus einer Mischung aus gemeinsamen europäischen und US-amerikanischen Investoren.
Noch überraschender ist, dass einige deutsche Unternehmen untereinander mehrheitlich über US-Investoren indirekt verbunden sind. Europäische beziehungsweise deutsche institutionelle Anleger haben zugunsten der US-amerikanischen institutionellen Anleger sichtlich an Einfluss auf deutsche Unternehmen verloren. Während im Jahr 2004 der Versicherungskonzern Allianz der führende Investor in den 25 größten deutschen Unternehmen war, ist es 2015 der US-Vermögensverwalter BlackRock. Die globale Finanzkrise hat zu dieser Veränderung beigetragen. Sie hat den (europäischen) Bankensektor stark in Mitleidenschaft gezogen und viele Großbanken veranlasst, sich aus Nicht-Kernaktivitäten wie der Vermögensverwaltung zurückzuziehen. Im Großen und Ganzen haben die Banken ihre Handelsaktivitäten neu bewertet, was zum Teil auf die strengeren Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften zurückzuführen ist. Das belegt auch die Netzwerkanalyse für die Jahre kurz vor und kurz nach der Finanzkrise (ohne Abbildung). Ende 2006 gab es vier Verbindungen zwischen deutschen Unternehmen über europäische Investoren. Nach der Finanzkrise (Ende 2009) gab es nur noch eine Verbindung mit ausschließlich europäischen Investoren, und zwar zwischen der Deutschen Post und der Deutschen Telekom. Für alle Jahre nach 2009 ist dies die einzige rein europäische Verbindung.Marisa Basten und Antonio Sánchez Serrano (2019): European banks after the global financial crisis: a new landscape. Journal of Banking Regulation 20.1, 51–73; Claudia Buch und B. Gerard Dages (2018): Structural changes in banking after the crisis. CGFS Papers 60.4 (online verfügbar).
Auf die größten US-Investoren hatte die globale Finanzkrise hingegen einen anderen Effekt: Vor allem die Vermögensverwalter waren von der Krise weniger betroffen und konnten sogar die Zahl ihrer Beteiligungen erhöhen. Ihr schnelles Wachstum ist auch dem zunehmenden Interesse von Privatpersonen an Exchange-traded Funds (ETFs) zu verdanken, die 2008/09 noch relativ neu waren. Diese börsengehandelten Indexfonds werden wie Aktien gehandelt, bieten Privatanlegern Liquidität und sind kostengünstig.Banal-Estañol, Seldeslachts und Vives (2022), a.a.O. Die US-Investoren, vor allem BlackRock, aber auch Vanguard, diversifizieren ihre Anlagen nicht nur stärker, sondern sind auch größer als die meisten ihrer europäischen Pendants.Fichtner, Heemskerk und Garcia-Bernardo (2017), a.a.O.
Im Gegensatz zu deutschen Unternehmen waren US-Firmen bereits 2004 überwiegend durch gemeinsame Eigentümer verbunden, was auch 2015 unverändert ist (Abbildung 2). Der Unterschied zwischen Deutschland und den USA ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die Großinvestoren in deutschen Unternehmen relativ häufig keine gemeinsamen Eigentümer sind, sondern Stiftungen oder staatliche Investoren wie Bund und Länder. Dies macht es Investoren mit Anteilen von fünf bis zehn Prozent schwer, eine Mehrheit, also eine gemeinsame Verbindung, zu erreichen. Die größten Investoren bei Volkswagen sind zum Beispiel die Porsche Automobile Holding und das Land Niedersachsen, die aber keine (größeren) Anteile an den anderen 24 größten börsengelisteten deutschen Unternehmen besitzen.Für eine detaillierte Übersicht vgl. Seldeslachts, Newham und Banal-Estañol (2017), a.a.O. Dagegen sind in den USA die meisten Großinvestoren auch Miteigentümer anderer Unternehmen und damit Common Owner.Für eine detaillierte Übersicht vgl. Banal-Estañol, Boot und Seldeslachts (2022), a.a.O.
Im Jahr 2004 war praktisch kein deutsches Unternehmen durch gemeinsame Eigentumsverhältnisse mit US-Unternehmen verbunden (Abbildung 3). Lediglich der deutsche Automobilzulieferer Continental hatte eine Verbindung zu US-Unternehmen. Diese Verbindung bestand mehrheitlich aus US-Kapitalgebern. Führende institutionelle US-Anleger, wie Alliance Bernstein, BlackRock und Fidelity Investments, hatten bereits 2004 in Continental investiert. Durch diese Investments bestand damals zwar keine Verbindung zu anderen deutschen Firmen, dafür aber eine Verbindung zu zehn US-Firmen.
Im Jahr 2015 sieht die Situation völlig anders aus: Inzwischen halten zwölf deutsche Unternehmen über gemeinsame Eigentümerstrukturen Verbindungen mit 24 US-Firmen (nur Walmart hat mit keiner deutschen Firma gemeinsame Eigentümer). Insbesondere Bayer, E.On und Adidas sind mit vielen US-Unternehmen indirekt verbunden. Die gemeinsamen Eigentümer sind meist in den USA ansässig.
Die Finanzkrise hat sich tiefgreifend auf die Eigentümerstrukturen deutscher Unternehmen ausgewirkt. Die 25 größten börsennotierten deutschen Unternehmen sind im Jahr 2015 im Vergleich zu 2004, also einige Jahre vor der Finanzkrise, stärker über gemeinsame Eigentümer miteinander verbunden. Jedoch sind die Verbindungen noch lange nicht so dicht wie zwischen den 25 größten US-Unternehmen, die allerdings auch schon vor der Finanzkrise eng vernetzt waren.
Auch bei der Herkunft der Investoren haben sich Veränderungen ergeben. Dominierten im Jahr 2004 noch europäische institutionelle Anleger, meist Banken, als gemeinsame Eigentümer der größten deutschen Unternehmen, gehen deren Beteiligungen bis 2015 deutlich zurück. Parallel ist ein zunehmender Einfluss von US-Investoren in Deutschland zu beobachten. Auch die Verbindungen zwischen den 25 größten deutschen und den 25 größten US-amerikanischen Unternehmen nehmen zu, wobei diese Verbindungen meist über US-Investoren bestehen. Dies unterstreicht den Einfluss von US-Investoren, meist großen Vermögensverwaltern wie BlackRock, auf beiden Seiten des Atlantiks.
Der Grund für die Entwicklung in Deutschland ist, dass die Verwerfungen der globalen Finanzkrise vor allem die Banken belastet und deren Einfluss geschmälert haben. Diese gehörten traditionell zu den wichtigsten institutionellen Investoren in Europa. Gleichzeitig nahm der Einfluss von Vermögensverwaltern, die traditionell zu den größten institutionellen Investoren in den USA gehören, zu. Sie konnten die Schwäche der europäischen Banken offensichtlich zu ihrem Vorteil nutzen und verstärkt in deutsche Unternehmen einsteigen.
Immer mehr empirische Belege legen nahe, dass große institutionelle Anleger tatsächlich Einfluss auf Unternehmen geltend machen. Demnach könnten sie mit zunehmender Eigentümervernetzung deutscher Unternehmen untereinander und mit amerikanischen Firmen ihren Einfluss auf Preise und Gewinne deutscher Unternehmen ausbauen. Zudem sind die größten US-amerikanischen Miteigentümer (viel) größer als ihre europäischen Pendants. Dies würde bedeuten, dass die US-Vermögensverwalter nach der Finanzkrise einen größeren Einfluss auf die 25 größten deutschen Unternehmen haben, als es die europäischen Investoren vor der Finanzkrise hatten.Auch Investoren aus anderen Ländern, wie China, haben längst nicht die Größe der US-Investoren und treten als gemeinsame Investoren in Deutschland (bisher) nicht in Erscheinung.
JEL-Classification: D43;G23;K21;L62;L65
Keywords: Institutional investors, banks, financial asset managers, common ownership, German companies, antitrust
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-32-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/278030