DIW Wochenbericht 33 / 2023, S. 450
Alexander Kriwoluzky, Ulrich Volz
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Zwei Jahre liegt die verheerende Flut im Ahrtal zurück. Auch Dürre, Trockenheit und Waldbrände sind in den Sommermonaten mittlerweile regelmäßig drängende Themen. Der Klimawandel verändert spürbar die Lebenswirklichkeit der Menschen in Deutschland und Europa. Das betrifft auch die Europäische Zentralbank (EZB). Die extremen Wetterereignisse führen unter anderem zu geringeren Ernten, gestörten Lieferketten und damit zu höheren Preisen. Sie beeinflussen Unternehmen, die Wirtschaftsleistung und somit auch die Geldpolitik. Dabei hat die EZB gerade schon alle Hände mit der derzeitigen Inflation zu tun. Kürzlich hat sie den Leitzins ein weiteres Mal angehoben.
So nachvollziehbar die geldpolitische Straffung ist, so nachteilig sind die Auswirkungen auf die klimapolitisch gewollte und im EU-Klimagesetz festgeschriebene Energiewende. Investitionen in erneuerbare Energien und andere kohlenstoffarme und klimaresistente Infrastrukturen sind nämlich kapitalintensiv und erfordern hohe Vorlaufkosten. Steigende Zinsen sind dafür Gift. Die Niedrigzinsphase des vergangenen Jahrzehnts war ein wichtiger Faktor beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Wenn dieser Ausbau nun stockt und den Klimaschutz verlangsamt, werden extreme Wetterphänomene noch wahrscheinlicher. Dies wirkt wiederum preistreibend – ein Dilemma für die EZB.
Um diesem Teufelskreis zu entkommen, sollte die EZB eine Zinsdifferenzierung zulassen. Sprich: Wenn es geboten erscheint, die Zinsen zu erhöhen, sollte die EZB zwar in gewohnter Manier zur Tat schreiten. Sie könnte aber gleichzeitig ein Refinanzierungsfenster mit niedrigeren Zinssätzen für gezielte Investitionen offenhalten, beispielsweise in erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Internationale Preisschocks für fossile Brennstoffe treiben die heimische Inflation an. Mehr Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz und damit die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und deren unsteten Preisen würden nicht nur dazu beitragen, die CO2-Emissionen zu verringern, sondern auch die Inflation und deren Volatilität zu senken – das entspricht genau den Zielen der EZB. Eine solche Politik hätte den positiven Nebeneffekt, dass die EZB den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft unterstützt und somit einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leistet – auch über Europa hinaus. Denn höhere Investitionen in erneuerbare Energien in Europa werden dazu führen, dass deren Kosten aufgrund von Skaleneffekten und besseren Technologien weiter sinken, was sich auch positiv auf grüne Investitionen im Rest der Welt auswirken wird.
Dieser geldpolitische Ansatz mag radikal klingen. Tatsache ist jedoch, dass führende Zentralbanken auf der ganzen Welt bereits differenzierte Zinssätze nutzen. Innerhalb der Gruppe der sieben größten Industrienationen (G7) haben die Zentralbanken in Japan, Großbritannien und auch die der Eurozone Refinanzierungsinstrumente eingeführt, um gezielt die Kreditvergabe an Haushalte oder Unternehmen zu fördern. Die EZB setzt seit 2014 gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte ein, um die Realwirtschaft zu unterstützen. Derartige Refinanzierungslinien können auch „in grün“ gemacht werden. Bereits 2016 führte die chinesische Zentralbank eine vergünstigte grüne Refinanzierungslinie für Geschäftsbanken ein, die grüne Kredite oder Anleihen als Sicherheit verwenden. Fünf Jahre später legte sie mit einer Refinanzierungsfazilität zur Reduzierung von CO2-Emissionen nach. Programme mit ähnlichen Zielen haben in den vergangenen Jahren auch die Notenbanken Ungarns, Japans und Malaysias gestartet.
Die aktuellen Wetterextreme und die hohe Inflation nach den Preisschocks bei fossilen Brennstoffen legen nahe, dass die EZB diesen Beispielen folgen sollte. In Zeiten anziehender Zinsen sollte sie Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz unterstützen. Eine Refinanzierungslinie zur Unterstützung von Investitionen in die Klimaneutralität läge im Mandat der EZB, da ein solches geldpolitisches Instrument direkt dazu beitragen würde, das Risiko von Preisschocks bei fossilen Brennstoffen zu verringern und die Inflationsrate zu stabilisieren.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 8. August 2023 im Handelsblatt erschienen.
Themen: Geldpolitik, Europa
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-33-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/278035