Erfüllung der Klimaziele kann nur bei richtiger Kombination der Maßnahmen Wachstumsimpulse geben

DIW Wochenbericht 34/35 / 2023, S. 453-461

Timm Bönke, Geraldine Dany-Knedlik, Werner Roeger

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  • Wachstumsmodell zeigt mögliche Wachstumspfade der deutschen Wirtschaft, wenn angestrebte Emissionsziele erreicht werden
  • Emissionsziele sind durch Marktmechanismen mit energiesparendem technologischem Fortschritt oder Verteuerung der fossilen Energie erreichbar
  • Beschleunigter energiesparender technologischer Fortschritt fördert zudem Wirtschaftswachstum
  • C02-Bepreisung ohne angebotsfördernde Maßnahmen dämpft hingegen Wirtschaftsleistung
  • Für inklusives und klimazielkonformes Wirtschaftswachstum bedarf es zusätzlicher Fördermaßnahmen für klimafreundliche Investitionen

„Beschleunigt sich der technologische Fortschritt nicht genügend, könnte eine entsprechend hohe CO2-Bepreisung zwar für Energieeinsparungen sorgen. Zur Sicherung des Wirtschaftswachstums müssten die Einnahmen dann auch für investive Maßnahmen verwendet werden.“ Geraldine Dany-Knedlik

Um die Klimaziele zu erreichen, ist es unabdingbar, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Unklar ist, welche Maßnahmen dazu erforderlich sind und wie diese das Wirtschaftswachstum beeinflussen. In diesem Wochenbericht werden anhand eines makroökonomischen Modells vier Szenarien im Vergleich zu einem Basisszenario ohne Emissionsreduktionen betrachtet und analysiert, welche Auswirkungen unterschiedliche Maßnahmen wie ein beschleunigter technologischer Fortschritt und/oder eine CO2-Bepreisung auf das Wirtschaftswachstum und die Emissionsziele hätten. Wird unterstellt, dass sich der energiesparende technologische Fortschritt wie in der Vergangenheit entwickelt, können die Emissionsziele lediglich mit einer relativ hohen CO2-Bepreisung erreicht werden. Diese wirkt sich dämpfend auf das Wirtschaftswachstum aus. Würde sich der energiesparende technologische Fortschritt stark beschleunigen, könnten die Emissionsziele auch ohne hohe CO2-Bepreisung erreicht werden und es käme zu leichten Wachstumsgewinnen. Es ist deshalb zu überlegen, inwiefern durch weitere begleitende wirtschafts- und klimapolitische Maßnahmen mögliche Wachstumseinbußen und Verteilungseffekte abgemildert werden können.

Im Rahmen des Bundes-Klimaschutzgesetz hat sich die Bundesregierung dazu verpflichtet Nettotreibhausgasneutralität bis zum Jahr 2045 zu erreichen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es nötig, die Emissionen kontinuierlich zu senken. Seit 1990 konnten die Gesamtemissionen um 40 Prozent, also rund 13 Prozent pro Jahrzehnt, verringert werden. In den kommenden acht Jahren müssten gemäß der festgelegten Emissionspfade die Emissionen doppelt so schnell sinken. Es ist unklar, ob die Zielpfade bis 2030 und auch das Gesamtziel bis 2045 ohne zusätzliche staatliche Maßnahmen, wie für CO2-Emissionen eine Anhebung der Steuersätze auf fossile Energien oder weitere ordnungspolitische Maßnahmen, erreicht werden können.

Zudem ist unklar, welche Effekte die Erreichung der Emissionsziele ohne zusätzliche finanzpolitische Impulse auf das durchschnittliche langfristige Wirtschaftswachstum – welches in etwa dem Potentialwachstum entspricht – hat.infoDas Potentialwachstum ist das langfristige Wirtschaftswachstum bereinigt um kurzfristige konjunkturelle Schwankungen. Die Auswirkungen hängen zum einen davon ab, um wie viel die Energieintensität – also das Verhältnis von Energieeinsatz zu Bruttoinlandsprodukt – gesenkt werden kann. Zum anderen ist die Reduktion der CO2-Emissionen pro Energieeinheit (CO2-Intensität) ausschlaggebend.infoVgl. Yoichi Kaya und Keiichi Yokoburi (1997): Environment, Energy, and Economy: Strategies for Sustainability. United Nations University Press. Dabei sind die CO2-Emissionen pro Energieeinheit besonders hoch beim Einsatz fossiler Energieträger. Damit der Energieverbrauch sowie die CO2-Intensität bei gleichbleibendem Produktionsniveau im Herstellungsprozess gesenkt werden können, müssen erhebliche Teile des eingesetzten Kapitals durch energie- und CO2-sparende Varianten ersetzt werden. Zur rechtzeitigen Erreichung der Emissionsziele müsste daher ein gewisser Anteil des Kapitals vor Ende der Nutzungsdauer abgeschrieben werden. Den Investitionen zur Dekarbonisierung der Produktionsprozesse stehen zumindest zum Teil höhere Abschreibungen des Kapitalstocks gegenüber, was per se zu wirtschaftlichen Einbußen führt. Diese Einbußen müssten durch Mehrinvestitionen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, um das Wirtschaftswachstum auf einem konstanten Niveau zu halten.

Diese Studie simuliert anhand eines partiellen makroökonomischen Modells, welche Effekte die Klimaziele auf das Wachstumspotential unter verschiedenen marktbasierten Bedingungen, also ohne ordnungspolitische Klimamaßnahmen, haben. Als marktbasierende Mechanismen werden der energiesparende technologische Fortschritt allein und in Kombination mit einer CO2-Bepreisung in Form einer Steuer auf den Einsatz fossiler Energie betrachtet. Dazu werden vier Szenarien im Vergleich zu einem Basisszenario ohne Emissionsreduktionen betrachtet und analysiert, welche Auswirkungen unterschiedliche Maßnahmen auf das Wirtschaftswachstum und die Emissionsziele hätten. (Abbildung 1)

Bisherige Studien betrachten energiesparenden technologischen Fortschritt

Studien, die die deutsche Energiewende und mögliche Szenarien zur Emissionsreduktion analysieren, gehen üblicherweise von einem stark positiven Wachstumspfad für das deutsche Bruttoinlandsprodukt aus oder unterstellen hohe Mehrinvestitionen, die zum Teil aus öffentlichen Geldern finanziert werden, und leiten den Energiebedarf unter verschiedenen Annahmen über Energieeinsparungen ab.infoVgl. zum Beispiel Gunnar Luderer et al. (2021): Ergänzende Daten zum Ariadne Report: Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045-Szenarien und Pfade im Modellvergleich (online verfügbar, abgerufen am 22.08.2023. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders vermerkt). Vgl. zudem Manfred Fischedick et al. (2019): Chancen durch Klimaschutz. Kurzbericht Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Als Basis dieses Wochenberichts dienen Studien aus den Gemeinschaftsdiagnosen (GD) im Frühjahr 2022 sowie 2023 und ein aktuelles DIW-Forschungspapier.infoVgl. Gemeinschaftsdiagnose, Frühjahr 2022: Von der Pandemie zur Energiekrise – Wirtschaft und Politik im Dauerstress. sowie Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2023: Inflation im Kern hoch – Angebotskräfte jetzt stärken.; Geraldine Dany-Knedlik und Werner Roeger (2023): Growth effects of decarbonisation under different policies: a macroeconomic persepctive, DIW Discussion Paper im Erscheinen. Die Studien der Gemeinschaftsdiagnose untersuchen, inwieweit sich das Erreichen der Emissionsziele auf das Produktionspotential, also das langfristig mögliche Wachstum, in Deutschland auswirkt. Verwendet wird dabei ein partielles makroökonomisches Modell, in dem neben Kapital und Arbeit Energie als zusätzlicher Produktionsfaktor berücksichtigt wird. Die Studien gehen von einem exogenen Rückgang des primären Energieverbrauchs um rund 50 Prozent zur Erreichung der Emissionsziele aus. In verschiedenen Szenarien wird die Wirkung der Energiewende auf die Wirtschaftsleistung modelliert. Dabei werden verschiedene Annahmen zum Ausbau der erneuerbaren Energie und zur Geschwindigkeit des energiesparenden technologischen Fortschritts getroffen. Dafür werden zukünftige Preisverläufe für fossile und erneuerbare Energien sowie für CO2 exogen angenommen. Unter der Annahme, dass sich der energiesparende technologische Fortschritt in Zukunft mit fast dreifacher Geschwindigkeit entwickelt und der Ausbau der erneuerbaren Energie eher langsam vorangeht, zeigen die Ergebnisse der Studie der GD 2023, dass die deutsche Wirtschaftsleistung unter Einhaltung der Emissionsziele um sieben Prozent bis 2030 zulegen dürfte. Also würde Deutschland weiterhin ein Potentialwachstum von jährlich rund 0,8 Prozent erreichen. Wenn der technologische Fortschritt allerdings mit der historisch beobachteten Geschwindigkeit fortfährt, ist mit einem Rückgang des deutschen Bruttoinlandsprodukts von rund 14 Prozent bis 2030 zu rechnen. Dies liegt vor allem daran, dass die Emissionsziele in dem von der Studie verwendeten Modell nur noch über einen Verzicht an Wirtschaftsleistung eingehalten werden können.

Prognosemodell des langfristigen Wachstums mit Energiewende

Das hier verwendete Modell ist ein gängiges partielles makroökonomisches Modell zur Schätzung des langfristigen Wachstums (Kasten). Während bei den Studien der GD der Rückgang des primären Energieverbrauchs von 48 Prozent als exogen angenommen wird, wird der Fokus in diesem Modell auf die notwendigen marktbasierten Bedingungen gelegt unter denen die Emissionsziele eingehalten würden. Dazu werden die Analysen der GD um zwei wichtige Bestandteile erweitert: Zum einen werden fossile und erneuerbare Energien separat modelliert. Dies erlaubt, die Auswirkungen von Preisveränderungen bei fossilen und erneuerbaren Energien zu analysieren. Zum anderen wird berücksichtigt, wie sich die Veränderungen des Energieanteils an der Produktion auf den Kapitalstock auswirken. Hierfür werden die Investitionsentscheidungen des privaten Sektors explizit modelliert, die maßgeblich von der erwarteten Nachfrage und den Auswirkungen einer Veränderung der Energieintensität auf die Produktivität des Kapitals abhängen. Die explizite Modellierung der Investitionen ist relevant, um wichtige Wirkungskanäle abzubilden. Ergibt sich durch die Energiewende ein langsameres Wachstum, werden die Investitionen ebenfalls zurückgehen. Neben diesem Hauptkanal verringert sich durch ein abnehmendes Verhältnis von Energie zu Produktion auch die Produktion pro Kapitaleinheit und dies führt zu einem zusätzlichen Rückgang der Investitionen.

Das in dieser Studie verwendete Modell lehnt an das Modell der GD an und wurde am DIW weiterentwickelt.infoGeraldine Dany-Knedlik und Werner Roeger (2023): Growth effects of decarbonisation under different policies: a macroeconomic perspective, DIW Discussion Paper im Erscheinen. Es ist ein gängiges partielles makroökonomisches Modell zur Schätzung des langfristigen Wachstums. Der gesamtwirtschaftliche Output Y wird durch Arbeit L, Kapital K und Energie E im Rahmen einer CES-Funktion dargestellt:

Yt=sV1σVtσ-1σ+sE1σ(TtEEt)σ-1σσσ-1

Die Produktionsfunktion (1) charakterisiert, in welchem Ausmaß das Energieaggregat komplementär zum Einsatz von Arbeit und Kapital ist (σ < 1). Ebenfalls berücksichtigt ist der energiesparende technologische Fortschritt TE. Unter der Annahme, dass die fossile Energie importiert wird, bezeichnet die Variable V die heimische Wertschöpfung:

Vt=TtLtαKt1-α

Die Wertschöpfung ist charakterisiert durch eine Cobb-Douglas Produktionsfunktion von Arbeit und Kapital, sowie einem neutralen technologischen Fortschrittsterm T. Das Energieaggregat E wird durch eine CES-Funktion aus fossilen und erneuerbaren Energieinputs mit Substitutionselastizität μ beschrieben:

Et=sF1μFtμ-1μ+sR1μ(Rt)μ-1μμμ-1

Unter der Annahme, dass Haushalte und Unternehmen kostenminimierende Investitions- und Beschäftigungsentscheidungen treffen, kann die Nachfrage nach Arbeit, Kapital und Energie – unterschieden nach Fossilen und Erneuerbaren – als Funktion der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage sowie der relativen Faktorpreise hergeleitet werden.

Hinsichtlich der Faktorpreise nehmen wir an, dass sich die realen Kapitalnutzungspreise über die Zeit nicht verändern und auch durch die Energiewende nicht tangiert werden. Die realen Energiepreise vor Steuern werden ebenfalls als konstant angenommen. Hinsichtlich des Arbeitsmarktes unterstellen wir eine konstante Erwerbsquote. Dies impliziert das sich die Reallöhne über die einzelnen Szenarien verändern.

Aufgrund von Anpassungskosten ist es unrealistisch, von einer unmittelbaren Anpassung des Kapitalbestandes bei einer Veränderung der Energiepreise auszugehen. Wir nehmen deshalb, in Einklang mit der makroökonomischen InvestitionsliteraturinfoVgl. Frank Smets und Raf Wouters (2003): An Estimated Stochastic General Equilibrium Model of the Euro Area. Journal of the European Economic Association, 1 (5), S. 1123 – 1175; Bundesbank (2008): Entwicklung und Anwendung von DSGE-Modellen für die deutsche Volkswirtschaft. Monatsbericht Juli 2008., an, dass der private Sektor die Investitionen über die Zeit verteilt, um die Anpassungskosten zu minimieren. Damit ergeben sich drei Übertragungskanäle der Energiewende auf die Investition:

Kapitalkosten: Dieser Übertragungskanal ist annahmegemäß ausgeschaltet.

Kapitalintensität der Produktion: Bei Verringerung des Energieverbrauchs, soweit nicht durch energiesparenden technologischen Fortschritt verursacht, verringert sich die Kapitalintensität der Produktion.

Gesamtwirtschaftlicher Output: Bei konstanter Beschäftigung, Reduktion des Energieverbrauchs und der damit einhergehenden Verringerung der Kapitalintensität der Produktion sinkt der gesamtwirtschaftliche Output. Daraus folgt ein Rückgang der Investitionen, welcher stärker ist als der Rückgang der Wertschöpfung.

Kalibrierung

In der Produktionsfunktion wird der Energieanteilsparameter sE auf 0,023 fixiert, entsprechend dem Anteil der Energie am gesamtwirtschaftlichen Einkommen. Für die Substitutionselastizität zwischen Energie und Arbeit sowie Kapital σ verwenden wir die beiden Werte 0.02 und 0.2 um das Spektrum gängiger Werte abzubilden.infoXavier Labandeira, José M. Labeaga und Xiral Lopez-Otero (2017): A meta-analysis on the priceelasticity of energy demand. Energy Policy, 102, 549–568. Die Outputelastizität des Faktors Arbeit α ist entsprechend dem Lohnanteil am Bruttolinlandsprodukt auf 0,65 gesetzt. Für das gesamtwirtschaftliche Wachstum der totalen Faktorproduktivität wird der durch die modifizierte EU MethodeinfoGrundlage ist das EU Modell zur Potentialschätzung, das durch die GD modifiziert wurde; vergl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2016): Aufschwung bleibt moderat – Wirtschaftspolitik wenig wachstumsorientiert, Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2016, München. mittelfristig prognostizierte Wert von 0,5 Prozent pro Jahr verwendet. Für die Rate des energiesparenden technischen Fortschritts wird der in GD 2022 ermittelte Wert von 2,7 Prozent pro Jahr fortgeschrieben. Durch die Disaggregation der Energie in Erneuerbare und Fossile und durch die Verwendung einer CES Funktion für das Energieaggregat werden zwei zusätzliche Parameter in das Modell eingeführt: Ein Anteilsparameter für Erneuerbare sR und die Substitutionselastizität zwischen Fossilen und Erneuerbaren μ. Der Anteilsparameter ist entsprechend dem jüngsten Anteil der Erneuerbaren auf 0,2 gesetzt. Für die Substitutionselastizität zwischen Fossilen und Erneuerbaren werden Werte zwischen 0,4 und 0,7 zugelassen. Die Parameterwerte wurden so bestimmt, dass das Modell in den Szenarien 3 und 4 eine Erhöhung der Erneuerbaren um rund 50 Prozent generieren kann.infoAcemoglu et al. verwenden Elastizitäten welche deutlich über eins liegen. Solche Werte würden allerdings zu Ausbauraten für Erneuerbare führen welche eine Erhöhung der Erneuerbaren um rund 50 Prozent bis 2030 weit übersteigen würden, siehe Daron Acemoglu et al. (2012): The environment and directed technical change. American Economic Review, 102(1), 131–166.

Energiesparender technologischer Fortschritt fördert und CO2-Bepreisung dämpft Wirtschaftswachstum

Mithilfe des Modells werden vier Szenarien simuliert. Die ersten beiden Szenarien dienen der Vergleichbarkeit zu den Ergebnissen der GD. Hier wird untersucht, inwieweit die Emissionsziele bis 2030 allein durch energiesparenden technologischen Fortschritt erreicht werden können. In dem verwendeten Modell fasst dieser die Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Produktion und Produktionsprozesse in der Praxis zusammen. Damit ist nicht nur der Wechsel zu weniger energieintensiven Produktionsprozessen gemeint. Enthalten sind auch der verminderte Energieverbrauch zur Beheizung von Gebäuden durch energetische Sanierung oder der Umstieg von privat genutzten emissionsreichen Fahrzeugen hin zu öffentlichem Nahverkehr.

Es ist unklar, wie sich der energiesparende technologische Fortschritt zukünftig entwickeln wird. Schreibt man die durchschnittlichen Zuwächse der Vergangenheit in die Zukunft fort, dann ergibt sich eine Zuwachsrate von jährlich 2,7 Prozent. Angesichts der Entwicklungen der Vergangenheit, die in den letzten fünfzig Jahren keine starke Schwankungen aufweisen, scheint dies eine wahrscheinliche Annahme über die zukünftige Entwicklung des energiesparenden technologischen Fortschritts zu sein. Die glaubhafte Ankündigung der Emissionsziele könnte allerdings besondere Anreize setzen, die zu einem Entwicklungsschub energiesparender Produktionsprozesse und Güter führen, so dass sich der energiesparende technologische Fortschritt zukünftig deutlich dynamischer entwickelt. Letzteres wird im zweiten Szenario berücksichtigt.

Szenarien 1 und 2

Anlehnend an die Szenarien aus GD 2023 wird im ersten Szenario technologischer Fortschritt zur Einsparung von Energie von 2,7 Prozent pro Jahr angenommen, also eine Energieeinsparung pro Einheit des Bruttoinlandsprodukts um rund 2,7 Prozent pro Jahr. Dies senkt den Energieverbrauch um rund 20 Prozent bis zum Jahr 2030. Für die Möglichkeit, Energie im Produktionsprozess durch die weiteren Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit zu ersetzen, wird – wie in der GD 2022 – eine Substitutionselastizität von 0,02 angenommen.infoDie Substitutionselastizität zwischen Energie und den anderen Produktionsfaktoren beschreibt, wie hoch die relative Einsparung von Energie ist, wenn sich der Einsatz der weiteren Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital um ein Prozent erhöht.

Im zweiten Szenario wird ein technologischer Fortschritt zur Einsparung von Energie von 4,6 Prozent pro Jahr angenommen. Damit sinkt der Energieverbrauch um 33 Prozent. Es wird weiterhin unterstellt, dass die Substitutionselastizität von Kapital, Arbeit und Energie 0,02 beträgt.

Die Ergebnisse für Szenario 1 zeigen eine leichte Erhöhung von insgesamt 0,9 Prozent Wirtschaftsleistung bis 2030 (Abbildung 2). Allerdings sinkt der gesamte Energieverbrauch nur um 20 Prozent bis 2030. Erreicht wird dies durch eine Reduktion der fossilen, aber auch der erneuerbaren Energien, wobei der Anteil der erneuerbaren Energie konstant bleibt. Dies erscheint hoch angesichts der Tatsache, dass die CO2-Emissionen seit 1990, also in den letzten 33 Jahren, um rund 40 Prozent reduziert wurden. Hier muss allerdings berücksichtigt werden, dass die durchschnittliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts zwischen 1990 und 2020 fast doppelt so hoch war wie im Projektionszeitraum und es entsprechend mehr Einsparungspotential gab.

Im zweiten Szenario wird simuliert, welche Wachstumseffekte ein deutlich höherer energiesparender technologischer Fortschritt hat. Bei einer annähernden Verdoppelung der jährlichen Zuwächse des energiesparenden technologischen Fortschritts wird der Energieverbrauch um 33 Prozent gesenkt. Die Simulationsergebnisse zeigen, dass die hier eingeführten Modifikationen unter ähnlichen Annahmen wie in den Analysen der GD 2022 und 2023 vergleichbare Ergebnisse liefern: Das langfristige Wachstum legt bis 2030 um fast 0,15 Prozent zu. Zusätzlich zeigen die Ergebnisse, dass die Investitionen in den nächsten sieben Jahren um insgesamt 0,9 Prozent höher liegen als im Basisszenario, wodurch auch der Kapitalstock um 0,3 Prozent steigt.

Die beiden Szenarien zeigen, dass sich die Einführung fossiler und erneuerbarer Energien in das Modell und in die Modellierung der Anpassungskosten bei Investitionen kaum auf den Zusammenhang zwischen energiesparendem technologischem Fortschritt, Energieeinsparung und Wirtschaftswachstum auswirkt. Dies erscheint plausibel, weil das Verhältnis fossiler und erneuerbarer Energien sowie der effektive Energieeinsatz durch den Anstieg des energiesparenden technologischen Fortschritts gleich bleibt und sich die (Grenz-)ProduktivitätinfoDie Grenzproduktivität des Kapitals entspricht den zusätzlichen Einheiten am Bruttoinlandsprodukt, die mit einer zusätzlichen Einheit Kapital produziert werden können. des Kapitals nicht verändert.

Zudem zeigen die beiden Szenarien, dass die Emissionsziele nur erreicht werden, wenn sich der energiesparende technologische Fortschritt beschleunigt. Dass sich der energiesparende technologische Fortschritt zeitnah fast verdoppelt, ist jedoch mit Unsicherheit behaftet, betrachtet man die relativ konstante Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Deshalb geht die weitere Diskussion davon aus, dass das Emissionseinsparziel zusätzlich zu energiesparendem technologischen Fortschritt durch wirtschaftspolitische Maßnahmen erreicht werden muss. Zudem ist die angenommene Substitutionselastizität zwischen Energie und den weiteren Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit entscheidend. In den Studien der GD wurde unterstellt, dass diese Substitutionselastizität 0,02 beträgt und somit Energie kaum durch Kapital und Arbeit substituierbar ist.infoVgl. John Hassler, Per Krussel und Conny Olovsson (2021): Directed Technical Change as a Response to Natural-resource Scarcity, Journal of Political Economy, Vol. 129 (11), 3039 – 3072. Bislang findet sich in der Literatur kein Konsens zum Wert dieser Elastizität.infoXavier Labandeira, José M. Labeaga und Xiral Lopez-Otero (2017): A meta-analysis on the price elasticity of energy demand. Energy Policy, 102, 549–568; Toon Vandyck et al (2021): Climate policy design, competitiveness and income distribution: A macro-micro assessment for 11 EU countries. Energy Economics 103, 1–12; Warwick J. McKibbin und Peter J. Wilcoxen (1999): The theoretical and empirical structure of the G-Cubed model. Economic Modelling, 16, 123–148; Rüdiger Bachmann et al. (2022): How it can be done. ECONtribute Policy Briefs No. 034, Reinhard Selten Institute (RSI). Da die Studien im Mittel deutlich über dem in der GD angesetzten Wert liegen, wird in Szenario 4 eine höhere Substitionselastizität angenommen.

Szenarien 3 und 4

Es wird angenommen, dass der energiesparende technologische Fortschritt, ähnlich wie in der Vergangenheit, mit jährlich 2,7 Prozent wächst. Zudem wird davon ausgegangen, dass eine CO2-Bepreisung in Form einer Steuer auf den Einsatz fossiler Energie eingeführt wird. Die Verteuerung fossiler Energie führt zu einer Substitution von fossiler durch erneuerbare Energie. Der Einsatz Erneuerbarer steigt um rund 50 Prozent, wie beim Energiewendeziel vorgesehen. Die Substitutionselastizität von Kapital sowie Arbeit und Energie beträgt wie in der ersten beiden Szenarien 0,02.

In Szenario 4 erhöht sich lediglich die Substitutionselastizität auf 0,2; alle anderen Annahmen sind wie in Szenario 3.

Mit einer niedrigen Substitutionselastizität zwischen Energie und den übrigen Produktionsfaktoren von 0,02 (Szenario 3) würde selbst bei einer Preiserhöhung für fossile Energie um knapp 1000 Prozent das CO2-Einsparziel ab diesem Jahr bis zum Jahr 2030 nicht erreichbar sein, da der Einsatz fossiler Energie nur um rund 33 Prozent bis 2030 sinkt (siehe Szenario 1). In diesem Szenario werden die Emissionseinsparziele durch den angenommenen CO2-Preis nicht erreicht, auch weil der gesamte Energieverbrauch um weniger als 15 Prozent zurückgeht, was auch auf den Anstieg des erneuerbaren Energieeinsatzes zurückzuführen ist. Der gesamtwirtschaftliche Output fällt in Szenario 3 im Vergleich zum Basisszenario ohne Energiewende um rund zwei Prozent in den nächsten acht Jahren (Abbildung 3). Die Auswirkungen auf die Investitionen und den Kapitalbestand am Ende der Periode sind mit einem Rückgang von jeweils 12,0 und 4,5 Prozent dennoch relativ hoch. Dies ist auf die Erhöhung des Preises für Energie insgesamt zurückzuführen, der die Kapitalintensität, also das Verhältnis von eingesetztem Kapital zum Bruttoinlandsprodukt, verringert. Die Anpassungsdynamik lässt sich wie folgt beschreiben: Der Energiepreisanstieg reduziert die energieintensive Produktion, verbunden mit einem Rückgang der Nachfrage nach Kapital und Arbeit. Sinkende Reallöhne relativ zu den Kapitalkosten stabilisieren die Beschäftigung in beiden Szenarien. Dies führt zu einer geringeren Kapitalintensität. Dieser Wirkungsmechanismus ist umso stärker, je niedriger die Substitutionselastizität von Energie und den anderen Produktionsfaktoren gewählt ist.

Mit einer höheren Substitutionselastizität in Szenario 4 zeigt sich, dass eine Verteuerung der fossilen Energien um rund 400 Prozent bis 2030 den fossilen Energieeinsatz um knapp 50 Prozent reduzieren könnte. Dies entspricht einem Anstieg des gesamten Energiepreises von rund 300 Prozent. In diesem Szenario würde, wie bei der Energiewende vorgesehen, der Einsatz der Erneuerbaren um 50 Prozent über die nächsten acht Jahre steigen. Der gesamte Energieverbrauch würde um 33 Prozent sinken. Die Effekte auf das Wirtschaftswachstum wären im Vergleich zum Basisszenario ohne Energiewende mit einem Verlust vom Bruttoinlandsprodukt von rund 0,5 Prozent bis zum Jahre 2030 geringer. Allerdings gilt auch in diesem Szenario, dass die Energiewende durch einen Anstieg des Preises für fossile Energie mit einem Rückgang der Investitionen und des Kapitalstocks um rund 3,5 und 1,4 Prozent bis 2030 verbunden wäre.

Da in dem verwendeten Modell nicht die Anteile einzelner Energieträger am gesamten Einsatz fossiler Energie berücksichtigt werden, kann die eingeführte Steuer auf fossilen Energieeinsatz nicht ohne Weiteres in einen CO2-Preis in Euro pro emittierter Tonne CO2 umgerechnet werden. Unklar ist auch, mit welcher tatsächlichen jährlichen Rate der energiesparende Fortschritt in den nächsten Jahren wachsen wird. Zudem werden in dem Modell keinerlei weiteren klimapolitischen Instrumente berücksichtigt, die im Instrumentenmix der Klimaschutzpolitik bereits beschlossen wurden. Aus den genannten Gründen sind die simulierten Preisanstiege der fossilen Energie der Szenarien 3 und 4 nicht für einer Einschätzung der von der deutschen Regierung geplante CO2-Bepreisung geeignet.

Fazit: Zur Wachstumsförderung Einnahmen der CO2-Bepreisung auch für investive Maßnahmen verwenden

Die Simulationsanalysen des langfristigen Wachstumsmodells mit Energiewende zeigen, dass für eine Erreichung der Emissionsziele der energiesparende technologische Fortschritt beschleunigt werden muss, falls keine zusätzlichen klimapolitischen Maßnahmen getroffen werden. Beschleunigen sich die jährlichen Zuwächse des energiesparenden technologischen Fortschritts für die nächsten acht Jahre stark, werden nicht nur die Emissionsziele bis 2030 erreicht, sondern die deutsche Wirtschaft dürfte sogar leicht positive Wachstumseffekte durch die Energiewende verzeichnen. Ob es zu der benötigten starken Beschleunigung dieses Fortschrittes kommt, ist mit einiger Unsicherheit behaftet, insbesondere wenn die relativ konstante Entwicklung der letzten Jahrzehnte betrachtet wird.infoVgl. GD Frühjahr 2022, a.a.O. Wenn sich der energiesparende technologische Fortschritt wie in der Vergangenheit entwickelt, könnte das Emissionsziel durch eine deutliche CO2-Bepreisung in Form einer Steuer auf den Einsatz fossiler Energie bis 2030 erreicht werden. Bei einer hohen Substitutionselastizität würde dies einen geringen Wachstumsverlust von rund 0,5 Prozent mit Einbußen der Investitionen und dem Kapitalstock von 3,5 und 1,4 Prozent in den nächsten acht Jahren im Vergleich zum Basisszenario ohne Energiewende bedeuten. Die Wachstumseinbußen erklären sich durch die Verringerung energieintensiver Produktionen aufgrund des angestiegenen Energiepreises.

Es ist deshalb zu überlegen, inwiefern durch weitere begleitende wirtschafts- und klimapolitische Maßnahmen mögliche Wachstumseinbußen abgemildert und inklusives klimaneutrales Wachstum gefördert werden können. In der gezeigten Analyse werden die Einnahmen der Steuer auf den Einsatz fossiler Energie nicht in den privaten Sektor zurückgeführt. Um Verteilungseffekte abzumildern und Investitionen zu fördern, plant die Bundesregierung die wachsenden Einnahmen aus der schrittweisen Anhebung der CO2-Bepreisung über einen Klimafonds zu nutzen. So ist vorgesehen, einen Teil der Einnahmen über ein Klimageld an die Haushalte zurückzuführen und schon jetzt werden Investitionen zur Transformation der Wirtschaft gefördert, unter anderem in den Bereichen erneuerbare Energien, Wärmedämmung und klimazielkonforme Produktion.infoZu den Aufgaben, Einnahmen und Ausgaben des Klimatransformationsfonds siehe Informationen im Finanzplan des Bundes 2022 bis 2026 (online verfügbar). Zu den Verteilungswirkungen und der Ausgestaltung eines Klimageldes siehe Stefan Bach et al (2023): Verkehrs- und Wärmewende: CO2-Bepreisung stärken, Klimageld einführen, Anpassungskosten verringern. DIW Wochenbericht Nr. 23, 273–280 (online verfügbar); Matthias Kalkuhl et al. (2022): Optionen zur Verwendung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam (online verfügbar). Die Modellmechanismen legen nahe, dass diese Finanzierung von investiven Maßnahmen signifikante Effekte auf das langfristige Wachstum hat.

Geraldine Dany-Knedlik

Leitung Prognose und Konjunkturpolitik in der Abteilung Makroökonomie



JEL-Classification: Q43;E3;E6
Keywords: Potentialwachstum, Klimawandel, Energiewende, CO2 Preis
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-34-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/278036

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