DIW Wochenbericht 40 / 2023, S. 553
Daniel Graeber, Erich Wittenberg
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Herr Graeber, wie hat sich die psychische Gesundheit in Deutschland in den letzten Jahren, bzw. Jahrzehnten entwickelt? Die erfreuliche Nachricht ist, dass sich die psychische Gesundheit in Deutschland in unserem Beobachtungszeitraum zwischen 2002 und 2020 sehr positiv entwickelt hat. Im gleichen Zeitraum ist auch das Bruttoinlandsprodukt gestiegen. Es gibt allerdings zwei Ausnahmen in diesem Beobachtungszeitraum: 2010, nach der Wirtschafts- und Finanzkrise gibt es einen Einbruch der psychischen Gesundheit. Auch 2018 beobachten wir einen Knick, der sich dann 2020 mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie noch einmal verstärkte.
Inwieweit hat die wirtschaftliche Situation Auswirkungen auf die psychische Gesundheit? Unsere Zeitreihen suggerieren einen positiven Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung und der psychischen Gesundheit. Ein solcher kausaler Zusammenhang wurde in anderen Studien bereits gesichert. Das heißt, eine Rezession hat auf die psychische Gesundheit der betroffenen Bevölkerung einen negativen Effekt, der neben der direkten Betroffenheit durch Arbeitslosigkeit oder anderen wirtschaftlichen Problemen auch durch gestiegene Sorgen um den Arbeitsplatz getrieben wird.
Verlief die Entwicklung unterschiedlich in Ost- und Westdeutschland? In Westdeutschland ist die psychische Gesundheit höher als in Ostdeutschland. Erfreulicherweise aber nähern sich die beiden Niveaus in unserem Beobachtungszeitraum an. Das heißt, die psychische Gesundheit der Ostdeutschen steigt über den Beobachtungszeitraum stärker als für die westdeutschen Mitbürger und Mitbürgerinnen.
Gibt es bezüglich der psychischen Gesundheit Unterschiede zwischen den Geschlechtern? Ja, die existieren. In unserer Studie, aber auch in zahlreichen anderen Studien wird gezeigt, dass die psychische Gesundheit von Frauen deutlich unter der psychischen Gesundheit von Männern liegt. Auch hier nähert sich erfreulicherweise die psychische Gesundheit der Frauen der psychischen Gesundheit der Männer leicht an. Allerdings hat sich der Unterschied in der Pandemie wieder auf den Ausgangsunterschied zurückbewegt.
Bei welchen Personengruppen zeigen sich noch Unterschiede in der psychischen Gesundheit? Unterschiede bestehen auch zwischen Personen mit und ohne Hochschulabschluss sowie zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Personen mit Hochschulabschluss haben im Allgemeinen eine höhere psychische Gesundheit als Personen, die keinen solchen Abschluss haben. Zudem haben Menschen ohne Migrationshintergrund häufig eine etwas bessere psychische Gesundheit als jene mit Migrationshintergrund. Personen mit Hochschulabschlüssen haben oft ein höheres finanzielles, aber auch soziales Kapital, das ihnen hilft, in Krisensituationen psychische Probleme zu bewältigen. Bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund lässt sich der Unterschied teilweise durch Diskriminierungserfahrungen erklären, aber häufig auch durch eine schlechtere Integration in den Arbeitsmarkt.
Was könnte in Zukunft getan werden, um die psychische Gesundheit in Deutschland weiter zu verbessern? Das hängt von den betrachteten Personengruppen ab. Beispielsweise wäre es bei Geschlechterunterschieden in der psychischen Gesundheit wichtig, dass die Sorgearbeit in Paarbeziehungen gleichmäßiger aufgeteilt wird, sodass hier eine psychische Entlastung insbesondere bei Frauen stattfinden kann. In Bezug auf die Unterschiede in der psychischen Gesundheit zwischen Ost- und Westdeutschland wäre es wünschenswert, wenn es in Zukunft möglich wäre, die ökonomischen Unterschiede zwischen Ost und West weiter anzugleichen.
Themen: Ungleichheit, Konjunktur, Gesundheit
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-40-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/279501