DIW Wochenbericht 43 / 2023, S. 597-603
Johannes Geyer, Peter Haan, Pablo Neitzsch
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„Die Pflegeversicherung stellt in Deutschland nach wie vor sehr stark auf die familiäre Pflege ab. Viele Pflegeleistende überfordert das, sie müssen viel Zeit und Kraft aufbringen und können entweder nicht erwerbstätig sein oder leiden unter der Doppelbelastung. Eine Weiterentwicklung der Pflegeversicherung hin zu mehr finanzieller Unterstützung und mehr professioneller Pflege wäre sinnvoll.“ Johannes Geyer
Knapp fünf Millionen Menschen haben Ende des Jahres 2022 Leistungen der sozialen Pflegeversicherung bezogen – rund zwei Millionen mehr als sechs Jahre zuvor. Maßgeblicher Grund für den starken Anstieg der Zahl der Leistungsempfänger*innen ist die Pflegereform im Jahr 2017. Der Großteil der Pflegebedürftigen wird informell versorgt, also in der Regel zu Hause von nahen Angehörigen. Der Pflegefall stellt dabei eine erhebliche finanzielle Belastung dar. Der vorliegende Wochenbericht zeigt, dass Pflegehaushalte seit der Reform deutlich häufiger von Leistungen der Pflegeversicherung profitieren. Sie verfügen demnach mittlerweile über ein ähnlich hohes Haushaltseinkommen wie Haushalte, in denen keine pflegebedürftige Person lebt. Allerdings machen Transferleistungen bei Pflegebedürftigen einen hohen Anteil am Gesamteinkommen aus. Darüber hinaus ist ihr Vermögen erheblich geringer als das von Personen ohne Pflegebedarf. Insbesondere alleinlebende Pflegebedürftige verfügen über geringe finanzielle Ressourcen, machen zugleich aber über 40 Prozent aller Pflegehaushalte aus. Das ist besonders in Zeiten hoher Inflation problematisch, in denen die staatlichen Leistungen nicht entsprechend schnell angepasst werden. Es wäre sinnvoll, die Pflegeversicherung auszubauen und die Leistungen zeitnah an die Preisentwicklung zu koppeln, um finanziellen Engpässen entgegenzuwirken. Der zusätzliche Finanzierungsbedarf könnte auch durch Umverteilung innerhalb des Versichertenkollektivs, beispielsweise in Form einkommens- und vermögensabhängiger privater Zuzahlungen, realisiert werden.
Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II), das Ende 2015 verabschiedet wurde und 2016/2017 in Kraft getreten ist, wurde die Pflegeversicherung in Deutschland grundlegend reformiert. Eine zentrale Änderung betraf die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der nun deutlich systematischer auch geistige Einschränkungen wie Demenz bei der Prüfung der Leistungsansprüche berücksichtigt (Kasten 1). Im Kern der neuen Begutachtung steht die Frage, ob die pflegebedürftige Person ihren Alltag eigenständig gestalten kann (§ 14 SGB XI). Durch die Reform wurden nicht nur die Leistungen erhöht, sondern es sind seitdem deutlich mehr Personen leistungsberechtigt, die zwar bereits zuvor pflegebedürftig waren, aber keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung hatten.Zu den Auswirkungen und Details der Reform siehe zum Beispiel Johannes Geyer, Thorben Korfhage und Erika Schulz (2016): Andere Länder, andere Wege: Pflege im internationalen Vergleich. Gesundheits- und Sozialpolitik 70(1), 52–58 (online verfügbar; abgerufen am 12. Oktober 2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt); Heinz Rothgang und Thomas Kalwitzki (2015): Pflegestärkungsgesetz II: Eine erstaunlich großzügige Reform. Gesundheits- und Sozialpolitik 69(5), 46–54 (online verfügbar); Heinz Rothgang und Thomas Kalwitzki (2016): Auswirkungen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Das Gesundheitswesen 78(8/9), A143 (online verfügbar). Seitdem ist die Zahl der Leistungsempfänger*innen, die ambulant betreut werden, dynamisch gestiegen und lag zum Jahresende 2022 bei mehr als vier Millionen (Abbildung). Jedes Jahr steigt die Zahl der ambulant betreuten Leistungsempfänger*innen um rund 300000 Personen.Die Bewilligungsquote von Anträgen auf Leistungen der Pflegeversicherung ist seit 2017 von gut 70 Prozent auf etwa 80 Prozent gestiegen, gleichzeitig nahm die Zahl der Anträge zu. Im Jahr 2022 wurden fast 1,3 Millionen Anträge auf Leistungen gestellt, im Jahr 2012 waren es gut 900000. Siehe Bundesministerium für Gesundheit (2023): Soziale Pflegeversicherung (online verfügbar). Gleichzeit hat die Zahl der stationär betreuten Personen, aktuell gut 800000, nur leicht zugenommen. Auch seit der jüngsten Reform gibt es nicht merklich mehr Zugänge in die stationäre Pflege.Der Anteil der stationären Pflege ist dadurch sogar gesunken, 2012 lag er noch bei etwa 25 Prozent, 2022 dann im Jahresdurchschnitt bei 15,6 Prozent. Zudem erhielten gut drei Prozent vollstationäre Pflege in Behindertenheimen; dieser Anteil ist seit Jahren relativ konstant.
Der Begriff der Pflegebedürftigkeit wird in § 14 SGB XI geregelt. Leistungen der Pflegeversicherung erhalten Personen, die „gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen“. Diese Einschränkungen müssen dauerhaft, das heißt für mindestens sechs Monate, vorliegen. Begutachtet werden Beeinträchtigungen in den Bereichen Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen und Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte:
Bei der ambulanten Pflege kann zwischen Pflegesachleistungen und Pflegegeld oder einer Kombination aus beidem gewählt werden. Neben der Unterstützung der ambulanten Betreuung gewährt die Pflegeversicherung Leistungen bei teil- und vollstationärer Pflege. Zudem unterstützt die Pflegeversicherung Pflegepersonen und Pflegehaushalte durch verschiedene weitere Leistungen. Unter anderem werden Leistungen gewährt, wenn Pflegepersonen die häusliche Pflege vorübergehend nicht leisten können (beispielsweise wegen Urlaub oder Krankheit), und für teilstationäre Pflege (Tages- und Nachtpflege). Zudem zahlt die Pflegeversicherung Rentenbeiträge für Pflegepersonen oder bezuschusst die altersgerechte Anpassung der Wohnung. Die Leistungen der Pflegeversicherung wurden in unregelmäßigen Abständen angepasst und ausgebaut. Betrachtet man die quantitativ bedeutendste monetäre Leistung, das Pflegegeld, so zeigt sich tendenziell, dass die Leistungsbeträge im Verhältnis zum laufenden Einkommen gesunken sind (Abbildung). Die Pflegereform 2017 führte zu einer deutlichen realen Leistungsverbesserung, die sich besonders deutlich bei höheren Pflegegraden zeigt.
Insgesamt führte die Leistungsausweitung zu einem starken Anstieg der Ausgaben. Zwischen 2016 und 2022 haben sich die Ausgaben der Pflegeversicherung beinahe verdoppelt, auf rund 60 Milliarden Euro. Der Beitragssatz stieg im selben Zeitraum von 2,35 auf 3,05 Prozent, kinderlose Personen zahlen einen höheren Beitragssatz. Seit Juli 2023 wird der Beitragssatz zudem nach der Zahl der Kinder, die unter 25 Jahre alt sind, differenziert.
Die Pflegereform hat die Leistungen für die ambulante Betreuung wesentlich verbessert. Das hatte auch Folgen für die pflegenden Angehörigen. In Deutschland wurden Ende 2022 rund 81 Prozent aller Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt. Ungefähr zwei Drittel dieser Personen erhalten ausschließlich Pflegegeld, sie organisieren die Pflege also ohne professionelle Hilfe. Der Rest organisiert die Pflege mit Hilfe formeller häuslicher Pflege (Pflegesachleistungen), wobei das nicht ausschließt, dass auch informelle Pflege geleistet wird.Ob die Haushalte im Laufe des Jahres andere Formen der Unterstützung beziehen, etwa teilstationäre Pflege oder Verhinderungspflege, wird nicht abgefragt. Die Pflegeversicherung ist so konzipiert, dass sie nur einen Teil der notwendigen Pflege finanziert, ein wesentlicher Teil der Pflege muss privat getragen werden (Kasten 1).In § 3 SGB XI ist explizit formuliert, dass die Pflegeversicherung „vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn unterstützen“ soll. Formen teilstationärer oder stationäre Pflege sind diesem Ziel nachgeordnet.
Im Allgemeinen werden die Möglichkeiten und Grenzen einer selbstständigen Lebensführung, neben den familiären und sozialen Netzwerken, wesentlich durch das verfügbare Einkommen und Vermögen bestimmt. Das gilt auch und gerade für Menschen mit Pflegebedarf, die zusätzliche Kosten aufgrund gesundheitlicher Probleme bewältigen müssen. Dabei handelt es sich neben Aufwendungen für die Inanspruchnahme professioneller Unterstützungsleistungen, für Pflegehilfsmittel, Therapien und Medikamente beispielsweise auch um Ausgaben für einen pflegegerechten Umbau der Wohnumgebung.
In diesem Wochenbericht wird die finanzielle Lage von Personen mit Pflegebedarf betrachtet und deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse mit der übrigen Bevölkerung verglichen. Die Datengrundlage ist das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) aus dem Jahr 2020 (Kasten 2).Das SOEP ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung privater Haushalte, die seit 1984 in Westdeutschland und seit 1990 in Ostdeutschland jährlich durchgeführt wird, vgl. Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 239(2), 345–360 (online verfügbar). Bei der Analyse der Einkommenssituation wird zum einen das individuelle Einkommen von pflegebedürftigen Personen im Alter ab 60 Jahren mit dem der sonstigen Bevölkerung ab 60 Jahren verglichen.Die Abgrenzung nach Alter soll eine vereinfachte Vergleichbarkeit gewährleisten. Es ist klar, dass die pflegebedürftige Bevölkerung im Mittel deutlich älter ist als die Vergleichsgruppe. Zum anderen wird das Einkommen von Haushalten mit einer pflegebedürftigen Person ab 60 Jahren („Pflegehaushalte“) mit dem der sonstigen Haushalte verglichen, deren Haushaltsvorstand 60 Jahre oder älter ist. Analog wird bei der Analyse der Vermögenssituation verfahren.Dieser Wochenbericht ist im Projekt der Joint-Programming-Initiative „More Years Better Lives“ im Projekt PENSINEQ (Unequal ageing: life-expectancy, care needs and reforms to the welfare state) entstanden. Er aktualisiert und erweitertet frühere Auswertungen, die die finanzielle Situation im Jahr 2012 darstellen, siehe Johannes Geyer (2015): Einkommen und Vermögen der Pflegehaushalte in Deutschland. DIW Wochenbericht Nr. 14/15, 323–328 (online verfügbar).
Die in diesem Wochenbericht verwendeten Daten beziehen sich auf Personen in Privathaushalten. Damit wird der Großteil der Leistungsbezieher*innen der Pflegeversicherung abgebildet. Aus den Befragungen im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) der Jahre 2017 und 2020, die jeweils den Auswertungen zur Vermögens- beziehungsweise Einkommenssituation zugrunde liegen, ergeben sich Stichproben, die 648 beziehungsweise 716 pflegebedürftige Personen in 338 beziehungsweise 352 Privathaushalten mit Pflegebedarf umfassen.
Allerdings leben rund 19 Prozent aller Leistungsbezieher*innen in stationären Pflegeeinrichtungen und tauchen nicht in den Befragungsdaten auf. Die jüngere Diskussion um steigende Kosten bei der Pflege hat sich vor allem auf die Gruppe in stationären Einrichtungen fokussiert, weil die Kosten für Heimplätze erheblich gestiegen sind. Die finanziellen Mittel reichen für einen großen Teil der Heimbewohner*innen nicht, um die Kosten der Pflege und Unterbringung zu decken. Das gilt auch, wenn man die jüngsten Entlastungen berücksichtigt, die den zu zahlenden Eigenanteil an den Pflegeleistungen im Heim anteilig reduzieren.Heinz Rothgang et al. (2023): Hilfe zur Pflege in Pflegeheimen – Zukünftige Entwicklung unter Berücksichtigung der aktuellen Reformmaßnahmen. Aktualisierung einer Expertise im Auftrag der DAK-Gesundheit (online verfügbar).
Rund 83 Prozent der hier betrachteten Pflegebedürftigen in Privathaushalten bezogen im Jahr 2020 Leistungen der Pflegeversicherung (Tabelle 1). Der Anteil von Personen, die angeben, pflegebedürftig zu sein, aber keine Versicherungsleistungen beziehen, hat sich im Vergleich zu früheren Auswertungen damit deutlich verringert. Im Jahr 2012 gaben nur knapp 73 Prozent an, dass pflegebedürftige Personen im Haushalt leben und Leistungen der Pflegversicherung beziehen.Vgl. Geyer (2015), a.a.O. Etwa 59 Prozent erhalten Pflegegeld – das heißt, dass diese Personen zwar Leistungen der Pflegeversicherung bekommen, aber keine oder nur wenig professionelle Pflege in Anspruch nehmen. Im Durchschnitt erhalten Pflegebedürftige, die Pflegegeld beziehen, etwa 530 Euro pro Monat. Beinahe 95 Prozent der Pflegebedürftigen erhalten eine eigene gesetzliche Rente oder Pension. Der Anteil liegt deutlich über dem der nicht pflegebedürftigen Personen ab 60 Jahren (knapp 73 Prozent), da ein größerer Teil dieser Personen noch erwerbstätig ist. Der Monatsbetrag der Rente liegt bei pflegebedürftigen Menschen im Durchschnitt aber etwas niedriger als bei nicht pflegebedürftigen Personen (1250 Euro im Vergleich zu knapp 1500 Euro). Ein Grund für diesen Unterschied ist der höhere Anteil von pflegebedürftigen Frauen, die im Durchschnitt niedrigere Renten beziehen als Männer. Deswegen ist auch der Anteil der Bezieher*innen von Witwenrenten unter den Pflegebedürftigen höher als in der Vergleichsgruppe. Einkommen aus Vermietung und Verpachtung sind unter den Pflegebedürftigen mit gut zehn Prozent deutlich weniger verbreitet als in der Vergleichsgruppe mit gut 17 Prozent. Auch das Einkommen aus diesem Posten fällt bei den Pflegebedürftigen ab 60 Jahren deutlich geringer aus als bei den sonstigen Personen in diesem Alter. Interessant ist, dass private Transfers – also beispielsweise Geldzahlungen von den eigenen Kindern – in beiden Gruppen relativ unbedeutend sind, nur bei jeweils weniger als einem halben Prozent kommen diese vor. Im Gegensatz dazu sind die Anteile derer, die öffentliche Transfers (Wohngeld und Sozialhilfe) beziehen, bei Pflegebedürftigen deutlich höher als in der Vergleichsgruppe: Gut drei Prozent der pflegebedürftigen Personen geben an, Sozialhilfe zu beziehen, und diese beläuft sich durchschnittlich auf immerhin gut 910 Euro pro Monat (im Vergleich zu 0,4 Prozent beziehungsweise knapp 290 Euro unter den sonstigen Personen). Einkommen aus Erwerbstätigkeit spielen bei Pflegebedürftigen hingegen praktisch keine Rolle und liegen bei unter zwei Prozent. In der Vergleichsgruppe sind es gut 31 Prozent, die erwerbstätig sind.
Einkommensart | Anteile der Einkommensarten (in Prozent) | Höhe des Einkommens (in Euro) | ||
---|---|---|---|---|
Pflegebedürftige | Sonstige Personen | Pflegebedürftige | Sonstige Personen | |
Leistungen der Pflegeversicherung | 83,3 | |||
Pflegegeld | 58,7 | 532 | ||
Rente | 94,6 | 72,8 | 1250 | 1492 |
Witwenrente | 32,2 | 14,1 | 732 | 802 |
Private Transfers | 0,3 | 0,2 | 316 | 470 |
Vermietung und Verpachtung | 10,4 | 17,2 | 612 | 1084 |
Wohngeld | 2,1 | 1,3 | 98 | 147 |
Sozialhilfe | 3,1 | 0,4 | 914 | 289 |
Erwerbstätigkeit | 1,8 | 31,4 | 1234 | 2775 |
Quelle: Sozio-oekonomisches Panel (SOEPv37); eigene Berechnungen.
Im nächsten Schritt wird die Einkommenslage im Haushaltskontext betrachtet. Das durchschnittliche gewichtete NettoeinkommenZur Gewichtung des verfügbaren Haushaltseinkommens wird die modifizierte OECD-Äquivalenzskala genutzt. von Personen in Pflegehaushalten belief sich im Jahr 2020 auf gut 2000 Euro pro Monat (Tabelle 2). Es liegt damit fast genauso hoch wie in den sonstigen Haushalten mit einem Haushaltsvorstand ab 60 Jahren. Diese beziehen ihr Einkommen zu gut 39 Prozent aus Erwerbstätigkeit. Unter den Pflegehaushalten beträgt dieser Anteil lediglich etwas mehr als 19 Prozent – und deren durchschnittliche Erwerbseinkommen liegen deutlich, um mehr als 900 Euro, unterhalb des Einkommens der Vergleichsgruppe. Pflegehaushalte beziehen ähnlich häufig und etwas höhere Kapitaleinkommen als Haushalte ohne pflegebedürftige Haushaltsmitglieder.
Einkommensart | Anteile der Einkommensarten (in Prozent) | Höhe des Einkommens (in Euro) | ||
---|---|---|---|---|
Pflegehaushalte | Sonstige Haushalte | Pflegehaushalte | Sonstige Haushalte | |
Nettoeinkommen | 2040 | 2080 | ||
Rente (GRV) | 98,4 | 81,3 | 1521 | 1588 |
Rente (privat) | 27,3 | 27,7 | 349 | 494 |
Private Transfers | 1,2 | 1,8 | 188 | 494 |
Öffentliche Transfers | 66,0 | 14,0 | 508 | 413 |
Kapitaleinkünfte | 71,6 | 70,8 | 101 | 75 |
Erwerbstätigkeit | 19,2 | 39,4 | 1534 | 2476 |
1 Die Altersangabe bezieht sich im Haushaltskontext auf die pflegebedürftige Person (im Fall der Pflegehaushalte beziehungsweise auf den Haushaltsvorstand (im Fall der sonstigen Haushalte). Die Einkommensangaben sind bedarfsgewichtet.
Quelle: Sozio-oekonomisches Panel (SOEPv37); eigene Berechnungen.
Demgegenüber sind Pflegehaushalte in überdurchschnittlichem Maße Empfänger von Transfers – damit sind insbesondere Pflegegeld, Wohngeld und Sozialhilfe gemeint. 66 Prozent der Pflegehaushalte erhalten solche öffentlichen Transfers, während der Anteil in der Vergleichsgruppe bei 14 Prozent liegt. Eine wichtige Rolle dürften hier Transfers der Pflegeversicherung spielen. Fast alle Pflegehaushalte (gut 98 Prozent) beziehen Einkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, bei anderen Haushalten liegt der Anteil bei etwa 81 Prozent. Die Zahlbeträge, also die Bruttorenten abzüglich der Beiträge zur Sozialversicherung, sind ähnlich hoch. Private Renten beziehen in beiden Gruppen etwa ein Viertel der Haushalte, wobei der Zahlbetrag bei Pflegehaushalten mit knapp 350 Euro deutlich unterhalb der Renten in der Vergleichsgruppe mit gut 490 Euro liegt. Im Einkommensmix spielt Einkommen aus einer privaten Pflegeversicherung bisher keine Rolle. Interessant ist, dass der Anteil derjenigen, die in einer selbstgenutzten Immobilie leben, in beiden Gruppen mit rund 60 Prozent ähnlich hoch ausfällt (ohne Tabelle).
Im SOEP wird seit einigen Jahren auch nach der Höhe der regelmäßigen Kosten der Pflege gefragt. Knapp die Hälfte aller Pflegehaushalte gibt an, die Pflegesituation verursache regelmäßige Kosten. Die monatliche Belastung liegt bei ungefähr 200 Euro und damit bei knapp sieben Prozent des verfügbaren durchschnittlichen Haushaltseinkommens der Pflegehaushalte (ohne Tabelle).
Das laufende Einkommen ist zwar ein wichtiger Faktor, aber für das Wohlergehen im Alter spielt auch das Vermögen eine zentrale Rolle. Theoretisch dient das Vermögen dazu, den Lebensstandard im Alter bei geringeren laufenden Bezügen aufrecht erhalten zu können. Im SOEP wurde das bisher letzte Mal im Jahr 2017 umfänglich nach den Vermögen gefragt. Dabei wurden unter anderem Details zum Geldvermögen, privaten Versicherungen, Sachvermögen, zu selbst genutztem Immobilienvermögen und anderem Immobilienbesitz sowie Schulden erfragt. Das Nettovermögen der Pflegebedürftigen betrug 2017 im Durchschnitt etwa 106000 Euro und ist damit knapp 40 Prozent niedriger als das durchschnittliche Nettovermögen sonstiger Personen ab 60 Jahren (Tabelle 3). Diese verfügen über ein Vermögen von durchschnittlich fast 168000 Euro.
Insgesamt | Frauen | Männer | ||||
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Pflegebedürftige | Sonstige Personen | Pflegebedürftige | Sonstige Personen | Pflegebedürftige | Sonstige Personen | |
Nettovermögen (in Euro) | ||||||
Durchschnitt | 106266 | 167817 | 107142 | 141818 | 104795 | 198065 |
Median | 30000 | 81000 | 30000 | 64750 | 40000 | 100000 |
Anteile (in Prozent) | ||||||
Positives Nettovermögen | 77,5 | 86,6 | 78,2 | 83,4 | 76,2 | 90,2 |
Kein Nettovermögen | 20,4 | 11,6 | 19,6 | 15,0 | 21,6 | 7,6 |
Negatives Nettovermögen | 2,2 | 1,9 | 2,1 | 1,6 | 2,2 | 2,2 |
Quelle: Sozio-oekonomisches Panel (SOEPv37); eigene Berechnungen.
Da die Vermögenverteilung sehr ungleich und somit der Durchschnitt durch sehr hohe Werte verzerrt ist, lohnt auch ein Blick auf den Median, also das Vermögen genau in der Mitte der Vermögensverteilung. In dieser Betrachtungsweise ist der Unterschied noch größer: Im Median verfügen Pflegebedürftige über ein Vermögen von 30000 Euro im Vergleich zu 81000 Euro in der übrigen Bevölkerung ab 60 Jahren. Ein nicht unerheblicher Teil der Pflegebedürftigen, ungefähr 23 Prozent, hat kein positives Nettovermögen oder ist sogar verschuldet. In der Vergleichsgruppe liegt dieser Anteil bei rund 14 Prozent. Da die Pflegebedürftigen häufiger Frauen sind, könnte dieser Befund wesentlich in der Zusammensetzung der Gruppe nach dem Geschlecht begründet sein.
Der Unterschied zwischen pflegebedürftigen und nicht pflegebedürftigen Frauen ist beim Medianvermögen prozentual allerdings ähnlich hoch wie die entsprechende Differenz bei Männern. Beim Durchschnittswert ist die Differenz bei Männern sogar höher. Der Anteil der Pflegebedürftigen, die kein Vermögen besitzen oder sogar Schulden haben, unterscheidet sich nicht stark zwischen den Geschlechtern und liegt bei jeweils gut 20 Prozent. Im Median beläuft sich das Vermögen von pflegebedürftigen Frauen auf 30000 Euro. Frauen ohne Pflegebedarf haben ein Medianvermögen von fast 65000 Euro. Bei pflegebedürftigen Männern liegt das Medianvermögen bei 40000 Euro. Während die Vermögenssituation der pflegebedürftigen Männer im Mittel etwas besser ist als die der pflegebedürftigen Frauen, ist sie erheblich schlechter als die der übrigen Männer ab 60 Jahren – letztere verfügen über ein Medianvermögen von circa 100000 Euro. Zudem haben in dieser Vergleichsgruppe nur knapp zehn Prozent gar kein Vermögen oder sogar Schulden.
Mit 40 Prozent lebt ein großer Teil der Pflegebedürftigen allein (Tabelle 4). Knapp 50 Prozent wohnen in Zweipersonenhaushalten und zehn Prozent in Haushalten mit drei oder mehr Personen. Die Alleinlebenden sind häufig Frauen und verwitwet, während die in Paarhaushalten lebenden Pflegebedürftigen häufiger Männer sind.
Haushalte insgesamt | Nach Haushaltsgröße (Zahl der Personen) | |||||||
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Pflegehaushalte | Sonstige Haushalte | |||||||
Pflegehaushalte | Sonstige Haushalte | 1 | 2 | 3 und mehr | 1 | 2 | 3 und mehr | |
Nettovermögen (in Euro) | ||||||||
Durchschnitt | 169389 | 234663 | 104857 | 214453 | 206236 | 153298 | 324964 | 359870 |
Median | 83000 | 112000 | 29200 | 125245 | 167500 | 50000 | 193400 | 224869 |
Anteile (in Prozent) | ||||||||
Positives Nettovermögen | 78,9 | 81,7 | 70,3 | 86,5 | 77,6 | 75,2 | 89,5 | 88,0 |
Kein Nettovermögen | 19,0 | 15,6 | 26,6 | 11,8 | 22,2 | 22,3 | 7,9 | 7,1 |
Negatives Nettovermögen | 2,1 | 2,7 | 3,1 | 1,7 | 0,3 | 2,5 | 2,6 | 4,9 |
Nachrichtlich: Struktur derHaushalte (in Prozent) | 40,3 | 49,8 | 10,0 | 53,7 | 40,9 | 5,4 |
1 Die Altersangabe bezieht sich im Haushaltskontext auf die pflegebedürftige Person (im Fall der Pflegehaushalte) beziehungsweise auf den Haushaltsvorstand (im Fall der sonstigen Haushalte).
Quelle: Sozio-oekonomisches Panel (SOEPv37); eigene Berechnungen.
Insgesamt liegt das Medianvermögen der Pflegehaushalte bei etwa 83000 Euro, während die Vergleichshaushalte im Median über etwa 112000 Euro verfügen. Etwa 21 Prozent der Pflegehaushalte haben kein positives Nettovermögen, während sich dieser Anteil bei den sonstigen Haushalten auf etwa 18 Prozent beläuft. Unter den Pflegehaushalten gibt es insgesamt weniger Alleinlebende als in der Vergleichsgruppe, gleichzeitig leben sie häufiger in Drei- oder Mehrpersonen-Haushalten. Das umfasst beispielsweise auch Konstellationen, in denen ein pflegebedürftiger Elternteil in den Haushalt eines verheirateten Kindes zieht. Das Haushaltsvermögen wird daher auch differenziert nach der Haushaltsgröße betrachtet.
Alleinlebende Pflegebedürftige weisen die schwächste Vermögensposition auf. Sie kommen im Median auf gut 29000 Euro Vermögen und liegen damit deutlich unter der Vergleichsgruppe (50000 Euro). Auch bei größeren Haushalten finden sich relativ große Unterschiede im Vermögen: Bei Haushalten mit zwei Personen liegt das Medianvermögen in Pflegehaushalten bei gut 125000 Euro, in der Vergleichsgruppe bei mehr als 193000 Euro.
Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff rückt die Aufrechterhaltung der Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen in den Mittelpunkt, gleichzeitig ist die Pflegeversicherung weiterhin als Teilversicherung konzipiert. So sind neben den familiären und sozialen Netzwerken insbesondere finanzielle Ressourcen relevant, um eine Pflegesituation bewältigen zu können. Die Pflegereform 2017 hat dazu beigetragen, dass nun mehr Menschen, die auf Pflegeleistungen angewiesen sind, auch Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten. Der Bedarf an Pflegeleistungen steigt zudem stetig an und bisher deutet nichts darauf hin, dass sich dieser Trend abschwächen wird. Demografisch bedingt dürfte die Zahl der Pflegebedürftigen in der mittleren Frist nochmals stärker steigen, wenn nämlich die sogenannten Babyboomer-Jahrgänge in das pflegeintensive Alter ab 80 Jahren kommen.
Die Pflegeversicherung leistet unter anderem in Form des Pflegegeldes einen substanziellen Beitrag zum laufenden Einkommen oder als direkte Pflegesachleistung wichtige Unterstützung. Charakteristisch für das deutsche System der Pflegeversicherung ist allerdings, dass sie nicht den gesamten Pflegebedarf deckt und ihre Leistungen immer wieder hinter der Preis- und Lohnentwicklung zurückbleiben. Erst 2024 ist wieder eine Anpassung der Sätze vorgesehen und damit die erste Anhebung seit der Pflegereform 2017. Nach den für den vorliegenden Wochenbericht verwendeten Daten liegt das laufende Einkommen von Pflegehaushalten nicht unter dem Einkommen sonstiger Haushalte mit Personen ab 60 Jahren. Das liegt vor allem daran, dass staatliche Transfers die Einkommenslücken kompensieren. Damit erfüllt der Sozialstaat eine wichtige Funktion. Gleichzeitig sind diese Menschen darauf angewiesen, dass die Sozialpolitik neben den Pflegeleistungen auch andere Transfers wie Wohngeld und Sozialhilfe sowie in der gesetzlichen Rentenversicherung das Leistungsniveau in den kommenden Jahren weiter anhebt, um den Lebensstandard der betroffenen Haushalte zu sichern. Die Daten zeigen auch, dass ein Teil der Pflegebedürftigen einen relevanten Teil des laufenden Einkommens einsetzen muss, um die regelmäßigen Pflegekosten zu decken. Dass der jüngste inflationsbedingte Kostenschub, der in den hier verwendeten Beobachtungsdaten noch nicht enthalten ist, sich bisher nicht in den Pflegeleistungen widerspiegelt, ist vor diesem Hintergrund äußerst problematisch. Das Risiko für erhebliche Einschränkungen steigt jedenfalls und die Daten zeigen auch, dass die Vermögen zur Kompensation finanzieller Engpässe bei den Pflegebedürftigen nicht besonders hoch sind. Denn im Gegensatz zum Einkommen unterscheidet sich die private Vermögenssituation zwischen Pflegehaushalten und sonstigen Haushalten deutlich. Besonders alleinlebende Pflegebedürftige, von denen die Mehrheit Frauen sind, verfügen eher über geringe Rücklagen. Langfristig kann man diesen Ungleichheiten durch die Förderung des individuellen Vermögensaufbaus entgegenwirken, allerdings braucht das Zeit. Um den Umgang mit der Pflegesituation zu erleichtern, wäre es sinnvoll, die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung auszubauen und auch die Qualität und das Angebot in der Pflege zu erhöhen. Die zusätzlichen Kosten einer solchen Reform könnten innerhalb des Pflegesystems umverteilt werden. Eine Möglichkeit wären einkommens- und vermögensabhängige private Zuzahlungen. In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag einer Bürgerversicherung, also die Verbindung von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung, da das Pflegerisiko von Menschen mit privater Pflegeversicherung deutlich geringer ist als das Pflegerisiko von Menschen mit gesetzlicher Versicherung. Bei allen finanziellen Reformen muss aber auch stärker darauf geachtet werden, dass Menschen mit hohem Pflegerisiko, aber geringem Einkommen die gleiche Qualität der Pflege bekommen wie Menschen mit höherem Einkommen.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Gesundheit
JEL-Classification: I14;I38
Keywords: long-term care, wealth, income distribution
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-43-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/280701