DIW Wochenbericht 43 / 2023, S. 604
Johannes Geyer, Erich Wittenberg
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Herr Geyer, wie hoch ist das laufende Einkommen von Pflegehaushalten im Vergleich zu anderen Haushalten mit älteren Mitgliedern? Wir haben Personen in Haushalten mit einer pflegebedürftigen Person ab 60 Jahren mit Haushalten verglichen, in denen ältere, nicht pflegebedürftige Menschen ab einem Alter von 60 Jahren leben. Dabei konnten wir feststellen, dass sich das Einkommen zwischen diesen beiden Gruppen nicht signifikant unterscheidet. Es beträgt äquivalenzgewichtet – also unter Berücksichtigung der Zahl der Personen in einem Haushalt – etwas über 2000 Euro netto pro Monat.
Wie ist das Ergebnis zu erklären? Man könnte ja vermuten, dass Haushalte mit Pflegebedürftigen schlechter dastehen. Das ist richtig. Zu erklären ist das vor allen Dingen dadurch, dass es eine Reihe von Transfers gibt, die das Einkommen stabilisieren. Die allerwichtigsten sind die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung, die gut 83 Prozent und damit ein großer Teil der pflegebedürftigen Menschen bekommt. Des Weiteren gibt es Leistungen wie das Wohngeld, Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter. Sie erhöhen das Einkommen, das diese Haushalte zur Verfügung haben.
Wie fällt der Vergleich aus, wenn man nach Vermögen unterscheidet? Beim Vermögen sieht es ganz anders aus. Hier ist der Unterschied zwischen Pflegehaushalten und Haushalten ohne pflegebedürftige Person sehr groß. Schaut man sich den Median, also das Vermögen genau in der Mitte der Vermögensverteilung, an, haben Pflegebedürftige ein individuelles Nettovermögen von ungefähr 30000 Euro, während das Vermögen bei den anderen Personen ab 60 Jahren bei 81000 Euro liegt. Auch die Quote derjenigen, die überhaupt kein Vermögen oder sogar Schulden haben, ist unter Pflegebedürftigen mit mehr als 22 Prozent im Vergleich zu gut 13 Prozent deutlich höher.
Was hat sich seit der Pflegereform 2017 für die Menschen, die auf Pflegeleistungen angewiesen sind, geändert? Die Pflegereform hat insbesondere den Pflegebedürftigkeitsbegriff verändert. Das alte System hat sehr stark vor allem physische Einschränkungen in den Vordergrund gestellt. Es hat sich aber über die Zeit gezeigt, dass man dabei geistige und mentale Einschränkungen wie Alzheimer und Demenz vernachlässigt hat. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff greift das auf. Es gab vor dieser Reform sehr viele Menschen, die eigentlich auf Pflege angewiesen waren, aber nicht so richtig in die Kategorie des alten Pflegebedürftigkeitsbegriffs fielen und letztlich nicht leistungsberechtigt waren. Das ist jetzt anders. Dadurch sehen wir einen großen Zuwachs bei den Leistungsempfänger*innen; jedes Jahr kommen etwa 300000 Menschen hinzu. Gleichzeitig wurden die Pflegesätze, aber auch die Pflegesachleistungen und sonstige Leistungen, die die Pflegeversicherung bietet, deutlich angehoben.
Was müsste getan werden, um pflegebedürftige Menschen auch in Zukunft gut oder noch besser abzusichern? Bei der Pflegeversicherung haben wir das Problem, dass sie noch sehr stark auf die familiäre Pflege abstellt. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Menschen damit häufig überfordert sind. Die Pflegeleistenden, die häufig Familienangehörige sind, müssen sehr viel Zeit und Kraft für die Pflegesituation aufbringen und können währenddessen entweder nicht erwerbstätig sein oder leiden unter der Doppelbelastung. Generell sind Erwerbsarbeit und Pflege schwierig zu vereinbaren. Deshalb wäre eine Weiterentwicklung hin zu mehr finanzieller Unterstützung und mehr professioneller Pflege sicherlich sinnvoll. Das ist aber aufgrund der finanziellen Anspannung im Haushalt und auch bei den sonstigen Sozialbeiträgen ein nicht so einfach zu realisierendes Ziel.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Gesundheit
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-43-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/280704