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Stärkere Diversifizierung der Importe von Gütern der Informationstechnologie: Vorteile überwiegen

DIW Wochenbericht 46 / 2023, S. 637-643

Alexander Schiersch, Irene Bertschek, Thomas Niebel

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  • Mehrzahl deutscher Unternehmen importiert Güter der Informations- und Kommunikationstechnologien aus einigen wenigen Bezugsländern
  • Politik strebt eine Verringerung von Abhängigkeiten an. Dies kann durch eine stärkere Streuung der Bezugsländer erreicht werden
  • Empirische Analysen auf Basis von Unternehmensmikrodaten legen nahe, dass die Vorteile einer stärkeren Diversifizierung überwiegen
  • Positiver Zusammenhang lässt sich sowohl für große Unternehmen als auch für kleine und mittlere Unternehmen feststellen
  • Die politisch angestrebte Stärkung der digitalen Souveränität geht nicht notwendigerweise zulasten der Unternehmen

„Eine verbesserte Resilienz bei IKT-Gütern ist nicht nur durch eine Ausweitung der inländischen Produktion, sondern auch durch eine stärkere Diversifizierung der Bezugsländer zu erreichen.“ Alexander Schiersch

Die Bedeutung der internationalen Beschaffung von Vorleistungen hat in den zurückliegenden Dekaden zugenommen. Dies gilt auch für Güter aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), beispielsweise Mikrochips, die ein wichtiger Input in der heimischen Produktion sind und das Fundament einer digitalisierten Wirtschaft bilden. Die meisten Unternehmen setzen bei ihren Importen auf wenige Lieferländer; einige beschränken sich sogar auf ein einziges Bezugsland. Angesichts geopolitischer Risiken und um Abhängigkeiten zu senken, wird über eine stärkere Diversifizierung der Lieferländer diskutiert. Mithilfe von Daten für Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes wird der Zusammenhang zwischen der regionalen Diversifizierung von IKT-Güterimporten und dem Unternehmenserfolg untersucht. Im Ergebnis zeigt sich ein positiver Zusammenhang. Somit muss eine stärkere Diversifizierung nicht zwangsläufig zulasten der Unternehmen gehen. Die Politik sollte das Ziel einer stärkeren Resilienz entschlossen weiterverfolgen, während Unternehmen, die ihre IKT-Güter bisher einseitig beschaffen, diese Strategie überdenken sollten.

Bis zum Beginn der Coronakrise war das 21. Jahrhundert geprägt von einer ständig wachsenden globalen Vernetzung der Produktion mit einer immer umfassenderen internationalen Beschaffung. Dies zeigt sich nicht zuletzt im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). IKT-Güter wie Mikrochips sind ein wichtiger Input im heimischen Verarbeitenden Gewerbe und die Basis jeder digitalisierten Wirtschaft.

Die Krisen der letzten Jahre haben jedoch die hohe Anfälligkeit der Wirtschaft gegenüber Störungen der Lieferketten offenbart. So schätzt die OECD, dass die Halbleiterengpässe im Automobilsektor zu wirtschaftlichen Ausfällen in Deutschland geführt haben, die etwa 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprechen.infoOECD (2021): OECD Economic Outlook, Volume 2021 Issue 2, OECD Publishing, Paris (online verfügbar, abgerufen am 12.10.2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Auch der Angriff Russlands auf die Ukraine und die damals drohende Krise in der Energieversorgung machen deutlich, dass einseitige Abhängigkeiten von Bezugsländern zu wirtschaftlichen Problemen führen können.

Aufgrund der zurückliegenden negativen Erfahrungen ist es ein politisches Ziel, die bestehenden Abhängigkeiten zu reduzieren. Dies gilt insbesondere im Bereich der IKT-Güter. Deutschland wie auch die Europäische Union sind bei der internationalen Beschaffung von IKT-Gütern von einigen wenigen Ländern abhängig (Abbildung). Diese Abhängigkeit hat sich ab der Jahrtausendwende bis etwa 2021 stetig erhöht. Die Europäische Kommission strebt daher an, die digitale Souveränität und somit die Resilienz Europas in diesem Bereich zu stärken.infoEuropean Commission (2021): Proposal for a decision of the European Parliament and of the Council establishing the 2030 Policy Programme “Path to the Digital Decade” (online verfügbar). Ein Ziel ist es beispielsweise, die Produktion hochmoderner Halbleiter in Europa sicherzustellen und auszubauen.infoEuropean Commission (2021): 2030 digital compass: The European way for the digital decade (online verfügbar).

Die digitale Souveränität erfordert jedoch nicht notwendigerweise die Herstellung aller wichtigen Technologien im Inland, sondern vielmehr den Zugang zu Technologien ohne einseitige Abhängigkeiten. Eine stärkere Diversifizierung der Lieferländer kann zum Abbau oder zur Vermeidung einseitiger Abhängigkeiten beitragen. Allerdings sind die Möglichkeiten politischer Einflussnahme auf die Beschaffungsstrategien von Unternehmen beschränkt. Impulse zu einer stärkeren Differenzierung bei den Importländern müssen daher von den Unternehmen ausgehen. Es ist jedoch unklar, ob und inwieweit Unternehmen hierdurch gewinnen oder verlieren. Offen ist somit auch, ob eine stärkere Diversifizierung der Lieferländer mittelfristig realistisch ist.

Die bestehende Literatur, die sich auf die internationale Beschaffung im Allgemeinen bezieht, weist sowohl auf Vor- wie auch auf Nachteile einer stärkeren Diversifizierung hin: Als positiver Effekt wird nicht nur eine höhere Resilienz angeführt. Zusätzlicher Wettbewerb unter Zulieferern kann auch die Verhandlungsposition stärken und mittel- bis langfristig die Bezugskosten senken. Der Zugang zu einer größeren Variantenvielfalt kann zudem sowohl die eigene Produktdiversifizierung erhöhen als auch Produktinnovationen fördern und so die Unternehmensperformance verbessern. Als Nachteil werden in der Regel höhere Kosten aufgrund der vermehrten Such- und Koordinierungsaufgaben der Unternehmen angeführt.

Der vorliegende Wochenbericht stellt die Ergebnisse eines Forschungspapieres vor, das den Zusammenhang zwischen der regionalen Diversifizierung der Importe von IKT-Gütern und dem Unternehmenserfolg untersucht.infoAlexander Schiersch, Irene Bertschek und Thomas Niebel (2023): Diversify or Not? – The Link between Global Sourcing of ICT Goods and Firm Performance. DIW Discussion Paper No. 2043 (online verfügbar). Das Diskussionspapier ist im Rahmen des Projektes “Entwicklung und Messung der Digitalisierung der Wirtschaft am Standort Deutschland“ entstanden, das im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz durchgeführt wird (online verfügbar).

Beschaffung von IKT-Gütern konzentriert sich auf wenige Lieferländer

Der asiatische Raum und insbesondere China haben im Allgemeinen für die IKT-Güterimporte deutscher Unternehmen eine große Bedeutung (Abbildung). Im Jahr 2010 wurden 36 Prozent aller IKT-Güterimporte aus China bezogen. Werden auch die übrigen führenden Nationen in diesem Technologiesegment berücksichtigt, also Taiwan, Japan, Südkorea und Malaysia, entfallen im Jahr 2010 mehr als 56 Prozent aller direkten IKT-Güterimporte auf den asiatischen Wirtschaftsraum. Dessen Bedeutung für die deutschen Importe ist zudem über die Zeit deutlich gestiegen: Nach Angaben der Vereinten Nationen kamen 2021 rund zwei Drittel aller direkten IKT-Güterimporte deutscher Unternehmen aus diesen asiatischen Ländern.infoUNCTAD (2023): Bilateral trade flows by ICT goods categories (online verfügbar).

Tatsächlich dürfte deren Anteil sogar noch etwas höher ausfallen. Verantwortlich hierfür ist der sogenannte Rotterdam-Effekt. Damit wird der Umstand beschrieben, dass viele Importe über niederländische Häfen, insbesondere über Rotterdam, abgewickelt werden. Ein erheblicher Teil ist jedoch gar nicht für niederländische Endkunden und Unternehmen bestimmt, sondern wird direkt in andere europäische Länder weiter exportiert und dort in der jeweiligen Handelsstatistik als Import aus den Niederlanden aufgeführt. Dieser Effekt zeigt sich auch bei den IKT-Gütern. Demnach waren die Niederlande im Jahr 2014 das zweitwichtigste Bezugsland für IKT-Güter hinter China. Zusammenfassend verdeutlichen diese aggregierten Daten, dass die deutschen IKT-Güterimporte aus einigen wenigen asiatischen Staaten bezogen werden, allen voran China.

Für die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der regionalen Diversifizierung der Importe von IKT-Gütern und dem Unternehmenserfolg werden Unternehmensdaten der amtlichen Statistik verwendet. Die dabei genutzten Handelsdaten für Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes wurden durch die Statistischen Ämter der Länder und des Bundes für die Jahre 2010 und 2014 im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Verfügung gestellt (Kasten 1).infoSchiersch, Bertschek und Niebel (2023), a.a.O.

Für die empirischen Untersuchungen werden Unternehmensdaten der amtlichen Statistik verwendet. Dies sind zum einen die Daten des AFiD-Panels Industrieunternehmen und hier insbesondere der darin enthaltenen Investitionserhebung im Verarbeitenden Gewerbe (IE) und der Kostenstrukturerhebung im Verarbeitenden Gewerbe (KSE).infoForschungsdatenzentren der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (2022): Metadatenreport. Teil I: Allgemeine und methodische Informationen zum AFiD-Panel Industrieunternehmen. Version 1. Halle (Saale) (online verfügbar). Bei der IE handelt es sich um eine Vollerhebung mit Abschneidegrenze bei 20 Beschäftigten. Die KSE ist eine repräsentative geschichtete Stichprobe, bei der die Viersteller der WirtschaftszweigklassifikationinfoZur Taxonomie der Wirtschaftszweige, -abschnitte und -abteilungen siehe StatistischesBundesamt: Glossar Wirtschaftszweige (online verfügbar). und fünf Beschäftigtengrößenklassen als Schichtungsmerkmale dienen. Befragt werden in jedem Jahr etwa 45 Prozent aller Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe.

Die Außenhandelsdaten auf Unternehmensebene für die Jahre 2010 und 2014 wurden den Autor*innen als separater Datensatz durch die Forschungsdatenzentren der amtlichen Statistik im Zuge einer gesonderten Aufbereitung der entsprechenden Rohdaten zur Verfügung gestellt.

Die deskriptive Auswertung der Daten liefert erste Anhaltspunkte zur Verteilung der IKT-Importe über Länder hinweg (Tabelle 1). So beziehen die im finalen Datensatz enthaltenen Unternehmen ihre importierten IKT-Güter im Durchschnitt aus etwa 4,7 Ländern. Zugleich deuten die Standardabweichung und die Werte der Dezile darauf hin, dass die Streuung über die Unternehmen hinweg ausgeprägt ist. Aus dem dargestellten ersten Dezil folgt zum Beispiel, dass mindestens zehn Prozent der Unternehmen IKT-Güter aus einem einzigen Land importierten. Weitere zehn Prozent der Unternehmen importierten hingegen aus mindestens zwölf Ländern, wie aus dem Wert für das oberste Dezil hervorgeht.

Tabelle 1: Deskription der Verteilung der IKT-Güterimporte über Länder im Datensatz

Mittelwert Standardabweichung unterste Dezil oberste Dezil
Anzahl der Länder, aus denen IKT-Güter bezogen werden 4,68 5,93 1 12
Anzahl der importierten IKT-Produkte 12,38 29,64 1 32
Anteil der importierten IKT-Güter aus dem Hauptbeschaffungsland, in Prozent 81 23 43 100
Shannon-Entropie-Index 0,51 0,6 0 1,44

Anmerkungen: Der Datensatz umfasst 3888 Beobachtungen. Die Standardabweichung ist ein Maß dafür, wie weit die Beobachtungen um den Mittelwert streuen. Das unterste Dezil bezeichnet das 10. Perzentil. Dieses gibt an, dass zehn Prozent der Beobachtungen einen gleichen oder kleineren Wert aufweisen wie die Beobachtung direkt am zehnten Perzentil. Das oberste Dezil wird auch als 90. Perzentil bezeichnet. Zehn Prozent der Beobachtungen haben hier einen identischen oder höheren Wert verglichen mit der Beobachtung am 90. Perzentil.

Quelle: FDZ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, AFiD-Panel Industrieunternehmen (online verfügbar); Außenhandelsdaten 2010 und 2014; eigene Berechnung.

Auch für die Anzahl der importierten IKT-Güter findet sich in den Unternehmensdaten eine erhebliche Variation. Mit Anzahl ist dabei nicht die Stückzahl eines bestimmten IKT-Gutes gemeint, sondern die Anzahl der unterschiedlichen IKT-Güter entsprechend der in den Handelsdaten üblichen internationalen Güterklassifikation.infoVgl. die Klassifikation auf der Seite der UNCTAD (online verfügbar). Mindestens zehn Prozent der Unternehmen, die im finalen Datensatz enthalten sind, importierten nur ein einzelnes Produkt (Tabelle 1, 2. Zeile). Das oberste Dezil zeigt zugleich, dass weitere zehn Prozent der Unternehmen mindestens 32 verschiedene Güter importierten.

Für die Interpretation dieser Werte ist zu beachten, dass sie statistisch separat erfasst werden und nicht im direkten Zusammenhang stehen müssen. Es ist also gut möglich, dass ein Unternehmen 32 oder mehr IKT-Güter aus einem einzigen Land bezieht, während ein anderes Unternehmen zwar nur eine Art von IKT-Gut importiert, dieses aber aus zwölf unterschiedlichen Ländern.

Die deskriptiven Daten zeigen deutlich, dass es eine erhebliche Streuung dahingehend gibt, wie diversifiziert die Beschaffung der Unternehmen ist. Um das Ausmaß dieser Diversifizierung adäquat zu erfassen, werden zwei Indikatoren verwendet: der Anteil der IKT-Importe aus dem Hauptbeschaffungsland an allen IKT-Importen eines Unternehmens sowie der Shannon-Entropie-Index (Kasten 2).

Es werden zwei Diversitätskennzahlen verwendet. Zum einen der Anteil des Hauptbeschaffungslandes für IKT-Güterimporte an allen IKT-Importen eines Unternehmens. Er ergibt sich wie folgt:

Anteilit=max(Sjit),

wobei der Anteil jedes Bezugslandes j an den gesamten IKT-Güterimporten des Unternehmens i zum Zeitpunkt t sich wie folgt ergibt: Sijt=Impijt/jImpijt als Importe von Unternehmen i aus Land j zum Zeitpunkt t. Die Variable kann maximal den Wert Eins annehmen. Das ist der Fall, wenn ein Unternehmen sämtliche IKT-Güter aus einem einzigen Land importiert.

Die zweite Diversitätskennzahl ist der Shannon-Entropie-Index.infoGianluca Teza, Michele Caraglio und Attilio L. Stella (2021): Entropic measure unveils country competitiveness and product specialization in the World trade web. Scientific reports 11(1), 1–11 (online verfügbar). Dieser berechnet sich wie folgt:

Shannonit=-jSjit·log(Sjit).

Der Wert des Shannon-Index liegt zwischen 0 und log(J), wobei der Wert von log(J) bei Gleichverteilung der Anteile über alle J IKT-Bezugsländer des Unternehmens vorliegt.

Die logarithmierte Schätzgleichung für die multivariate Regressionsanalyse lautet wie folgt:

yit+1=α0+αllit+αkkit+βDivit+γXXit+uit,

wobei lit und kit den logarithmierten Arbeits- und Kapitaleinsatz von Unternehmen i zum Zeitpunkt t darstellen; Divit steht für die verwendete Diversitätskennzahl, also den Shannon-Entropie-Index oder die Anteilsvariable; uit bezeichnet den Fehlerterm und die Matrix Xit enthält zusätzliche Kontrollvariablen. Zu den letzteren zählen Dummyvariablen für die Jahre, die Bundesländer sowie für die zweistelligen Wirtschaftszweige entsprechend der Wirtschaftszweigklassifikation (WZ 2008). Ferner enthält die Matrix Xit Variablen für die Exportintensität der Unternehmen, für die Relevanz der IKT-Importe in der Produktion (gemessen als prozentualer Anteil der IKT-Güterimporte an den gesamten Vorleisten) und für den Anteil der IKT-Importe an allen Importen der Unternehmen. Die Variable yit+1 enthält je nach Schätzung entweder die logarithmierte Bruttowertschöpfung oder den logarithmierten Bruttobetriebsüberschuss des Folgejahres.

Die Schätzungen werden mit Hilfe der Methode der kleinsten Quadrate durchgeführt. Trotz der Tatsache, dass für eine Vielzahl von Einflussgrößen in den Schätzungen kontrolliert wird, lassen die Schätzergebnisse somit keinen Rückschluss auf die Kausalität des geschätzten Zusammenhangs zu.

Der Anteil des Hauptbeschaffungslandes gibt Auskunft darüber, wie stark ein Unternehmen auf ein einzelnes Bezugsland setzt, und ist somit direkt interpretierbar: Liegt der Wert bei 100 Prozent, bezieht ein Unternehmen seine IKT-Güterimporte komplett aus einem einzigen Land. Liegt der Wert hingegen bei 25, dann hat eines der Länder einen Anteil von einem Viertel an den IKT-Importen des betreffenden Unternehmens, und die anderen Länder, aus denen das Unternehmen die übrigen 75 Prozent seiner Importe bezieht, haben jeweils Anteile, die kleiner als 25 Prozent sind.

Der Mittelwert und die übrigen statistischen Kennzahlen der Anteilsvariable zeigen, dass die IKT-Güterimporte der Unternehmen deutlich konzentriert sind. Im Durchschnitt beziehen die Unternehmen 81 Prozent ihrer Importe aus einem (Haupt-)Importland. Mindestens zehn Prozent der Unternehmen importieren sogar nur aus einem einzigen Land.

Der einfache Anteilswert stellt allerdings nur auf das Hauptbezugsland ab. Somit bleibt unberücksichtigt, ob die übrigen IKT-Güterimporte über viele weitere Länder gestreut sind oder ebenfalls nur aus einigen wenigen Staaten kommen. Aus diesem Grund wird in der Analyse auch der Shannon-Entropie-Index genutzt (Kasten 2), der die Anteile der IKT-Importe aus den übrigen Ländern berücksichtigt. Vereinfacht ausgedrückt ist der Wert des Shannon-Entropie-Index umso höher, je ausgewogener und über mehr Länder die IKT-Importe verteilt sind. Auch der Shannon-Entropie-Index zeigt, dass der Großteil der Unternehmen ihre IKT-Güter aus wenigen Bezugsländern importieren. Allerdings machen der Mittelwert in Verbindung mit der Standardabweichung sowie das oberste Dezil des Shannon-Entropie-Index deutlich, dass die Konzentration nicht so stark ausgeprägt ist, wie es der einfache Anteilswert suggeriert.

Stärkere Diversifizierung geht einher mit größerem Unternehmenserfolg

Für die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Unternehmenserfolg und regionaler Diversifizierung der Importe von IKT-Gütern werden multivariate Regressionsanalysen durchgeführt (Kasten 2). Die Schätzung erfolgt hierbei separat für jede der beiden Diversifizierungskennzahlen. Zusätzlich werden in allen Schätzungen weitere Faktoren berücksichtigt, die einen Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben können. Dazu zählen sowohl der Kapital- als auch der Arbeitseinsatz, die Exportintensität der Unternehmen, die Relevanz der IKT-Importe in der Produktion und der Anteil der IKT-Importe an allen Importen eines Unternehmens. Ferner werden zeitinvariante Unterschiede zwischen Wirtschaftszweigen und Bundesländern sowie ökonomieweite zeitspezifische Effekte berücksichtigt. Zwei Variablen werden verwendet, um den Unternehmenserfolg zu erfassen: die Bruttowertschöpfung und der Bruttobetriebsüberschuss.infoDie Bruttowertschöpfung misst den Mehrwert der im Produktionsprozess erzeugten Güter. Sie berechnet sich als Summe aus Umsatz, Bestandsveränderungen an unfertigen und fertigen Erzeugnissen und selbsterstellten Anlagen abzüglich der eingesetzten Vorleistungen (inkl. Energie), aber ohne Kapital- und Arbeitskosten. Der Bruttobetriebsüberschuss bezeichnet die Einkünfte der Unternehmen, die diesen nach Abzug der mit der Herstellung und dem Vertrieb der Güter verbundenen direkten Kosten vom Umsatz verbleiben. Zu den berücksichtigten Kosten zählen insbesondere die Material-, Energie- und Lohnkosten, inklusive der Sozialbeiträge und die direkten Produktionssteuern. Zu beachten ist, dass die verwendete Methodik keine kausalen Aussagen erlaubt, obwohl der Einfluss vieler Faktoren berücksichtigt wird.

Da die Diversitätsmaße unterschiedlich konstruiert sind, müssen sie bei gleicher Aussage gegensätzliche Vorzeichen aufweisen. Mit anderen Worten: Bei Unternehmen, die erfolgreicher sind und zugleich ihre IKT-Importe stärker diversifiziert haben, muss der Koeffizient der Anteilsvariable negativ sein. Der Grund hierfür ist, dass die Anteilsvariable mit zunehmender Diversifizierung sinkt, während sie bei starker Fokussierung auf wenige Länder zunimmt. Dagegen steigt der Shannon-Entropie-Index je ausgewogener die IKT-Güterimporte über die Bezugsländer hinweg verteilt sind. Daher muss das Vorzeichen des Koeffizienten dieser Variable positiv sein, wenn Unternehmen erfolgreicher sind und zugleich ihre IKT-Güterimporte stärker diversifiziert haben.

Die dargestellten Koeffizienten der beiden Diversitätsmaße geben den Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der regionalen Diversifizierung des Bezugs von IKT-Gütern und dem Unternehmenserfolg wieder (Tabelle 2). Die ersten beiden Spalten zeigen die Ergebnisse für den Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Diversität der IKT-Güterimporte und der Bruttowertschöpfung. In den übrigen beiden Spalten sind die Ergebnisse für den Zusammenhang mit dem Bruttobetriebsüberschuss dargestellt.

Tabelle 2: Zusammenhang zwischen Diversifizierungsgrad der IKT-Güterimporte und Unternehmenserfolg

Regressionskoeffizienten

Wertschöpfung Bruttobetriebsüberschuss
(1) (2) (3) (4)
Panel A: alle Unternehmen
Shannon-Index 0,0506*** 0,114***
Importanteil des Hauptimportlandes −0,109*** −0,240***
Panel B: Digitalisierungsgrad der Industrien
stark wenig stark wenig
Shannon-Index 0,0547*** 0,0222 0,123*** 0,0509
Importanteil des Hauptimportlandes −0,122*** −0,0399 −0,266*** −0,0978
Panel C: Unternehmensgrößen
KMU große Unternehmen KMU große Unternehmen
Shannon-Index 0,0590*** 0,0491*** 0,129*** 0,0965**
Importanteil des Hauptimportlandes −0,132*** −0,0983** −0,285*** −0,179*

Anmerkungen: Die Schätzungen basieren auf 3888 Beobachtungen. Die Sternchen zeigen das Signifikanzniveau an und sind ein Maß für die statistische Genauigkeit der geschätzten Koeffizienten: *, ** und *** stehen für die Signifikanz auf dem zehn-, fünf- und einprozentigem Niveau. Die vollständigen Ergebnistabellen, die die Koeffizienten aller Variablen enthalten, finden sich in Schiersch, Bertschek und Niebel (2023), a.a.O.

Quelle: FDZ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, AFiD-Panel Industrieunternehmen (online verfügbar); Außenhandelsdaten 2010 und 2014; eigene Berechnung.

Bei Panel A sind die Koeffizienten des Shannon-Entropie-Index positiv und signifikant, unabhängig davon, ob der Zusammenhang zur Bruttowertschöpfung oder zum Bruttobetriebsüberschuss untersucht wird. Daraus folgt ein positiver Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und einer stärkeren Diversifizierung der Importe. Schätzungen, die statt des Shannon-Index die Anteilsvariable der IKT-Importe verwenden, zeigen qualitativ das gleiche Ergebnis. Eine stärkere Streuung der IKT-Güterimporte über verschiedene Länder geht mit einem geringeren Anteil für das Hauptimportland und mit einer besseren Unternehmensperformance einher.

Um zusätzliche Einblicke zu gewinnen, werden in einem nächsten Schritt Teilgruppen der Unternehmen untersucht. Zunächst werden die Unternehmen im Datensatz entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu stark und weniger stark digitalisierten Branchen aufgeteilt.infoFür die Zuordnung der Unternehmen wird das Vorgehen der OECD genutzt. Zur Vereinfachung werden die Wirtschaftszweige mit einer hohen und mittelhohen Digitalintensität zur einer Gruppe zusammengefasst. Gleiches geschieht mit den Wirtschaftszweigen die laut OECD eine mittel-niedrige bzw. niedrige Digitalintensität haben. Flavio Calvino et al. (2018): A taxonomy of digital intensive sectors. OECD Science, Technology and Industry Working Papers 2018/14 (online verfügbar). Auch hier entsprechen die Ergebnisse den Erwartungen. Es findet sich nur für die Untergruppe der hoch digitalisierten Branchen ein signifikant positiver Zusammenhang. Im Gegensatz dazu ist die Vielfalt der Länder für die IKT-Güterimporte statistisch irrelevant für den Unternehmenserfolg, wenn Unternehmen aus Branchen betrachtet werden, in denen der Digitalisierungsgrad gering ist.

Des Weiteren werden separate Schätzungen für große Unternehmen sowie kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) durchgeführt (Panel C).infoDie Zuordnung erfolgt anhand der Beschäftigtenzahlen. Unternehmen mit bis zu 249 Mitarbeiter*innen werden zu den KMU gezählt, während Unternehmen mit 250 und mehr Mitarbeiter*innen dem Teildatensatz der großen Unternehmen zugeordnet werden. Auch in den Schätzungen für die KMU haben die Koeffizienten des Shannon-Entropie-Index und der Anteilsvariablen das gleiche Vorzeichen wie in allen anderen Schätzungen. Die Zusammenhänge sind dabei statistisch hochsignifikant. Werden die Ergebnisse der Schätzungen für große Unternehmen und KMU verglichen, so zeigt sich sogar, dass die Koeffizienten der Diversitätskennzahlen im Falle der KMU etwas größer sind und dass der Koeffizient der Anteilsvariable im Falle des Bruttobetriebsüberschusses für große Unternehmen nur schwach signifikant ist. Daraus folgt, dass der positive Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und einer stärkeren Diversifizierung der IKT-Güterimporte kein statistisches Artefakt der großen Unternehmen im Datensatz ist.infoIn weiteren Robustheitsprüfungen wurde unter anderem auch der Einfluss des Rotterdam-Effekts auf die Ergebnisse untersucht und festgestellt, dass er die Ergebnisse nicht messbar beeinflusst.

Fazit: Höhere Resilienz durch diversifiziertere Beschaffung muss nicht zulasten der Unternehmen gehen

Die vorliegenden Ergebnisse für Unternehmen aus dem Verarbeitenden Gewerbe zeigen: Eine stärkere Diversifizierung der IKT-Importländer geht einher mit einer höheren Wertschöpfung und einem besseren Bruttobetriebsergebnis. Dies zeigt sich vor allem für Unternehmen in stark digitalisierten Branchen. Dagegen findet sich kein Beleg für einen solchen positiven Zusammenhang bei Unternehmen in Branchen mit einem geringen Digitalisierungsgrad, also dort, wo IKT-Güter im Allgemeinen eine geringere Bedeutung für Unternehmen haben.

Insgesamt weisen die Ergebnisse darauf hin, dass bei der Beschaffung von IKT-Gütern die positiven Aspekte einer stärkeren Streuung der Bezugsländer größer sein können als die negativen Aspekte.infoSo auch Chiara Criscuolo und Jonathan Timmis (2017): The relationship between global value chains and productivity. International Productivity Monitor 32, 61–83 (online verfügbar). Das übergeordnete politische Ziel, die digitale Souveränität zu stärken, geht somit nicht zwangsläufig zulasten der Unternehmen.

Die Wahl einer Importstrategie liegt bei den Unternehmen. Bei Krisen, die durch Störungen in den Wertschöpfungsketten gekennzeichnet sind, rufen Unternehmen jedoch immer wieder nach staatlicher Unterstützung, wenn sie sich nicht in der Lage sehen, selbstständig durch eine Krise zu navigieren. Um zu unterbinden, dass Unternehmen wirtschaftliche Risiken auf den Staat abwälzen, könnte die Regierung ihre Unterstützung zukünftig stärker an die Frage knüpfen, ob Unternehmen bereits vor der Krise angemessene Vorkehrungen zur Diversifizierung ihrer Lieferketten getroffen haben. Entsprechend aufgestellte Beschaffungsstrukturen tragen letztlich nicht nur zur Erreichung politischer Ziele und zur wirtschaftlichen Resilienz in Krisenzeiten bei, sondern können die Entwicklung von Unternehmen auch außerhalb von Krisen unterstützen.

Alexander Schiersch

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Unternehmen und Märkte



JEL-Classification: F14;F23;L14;L23;D24
Keywords: ICT goods imports, global sourcing, digital sovereignty, firm performance
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-46-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/280712

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