DIW Wochenbericht 46 / 2023, S. 646
Lea Bernhardt, Tomaso Duso
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Das Strompreispaket der Ampel-Koalition soll Unternehmen in Deutschland entlasten, wird aber langfristig die Probleme der energieintensiven Industrie nicht lösen können. Zunächst ist es vor allem ein politischer Kompromiss, der die monatelangen Diskussionen innerhalb der Regierungskoalition befriedet.
Wirtschaftsminister Habeck hat zwar keinen breiten staatlich subventionierten Industriestrompreis durchsetzen können, aber immerhin ein Maßnahmenpaket für die Breite der deutschen Wirtschaft und eine starke Entlastung für wenige besonders energieintensive Unternehmen. Finanzminister Lindner kann für sich verbuchen, dass es statt Subvention eine Steuersenkung gibt, und Bundeskanzler Scholz sieht sich als Vermittler: So gesehen profitieren alle Ampel-Parteien von diesem Kompromiss.
Die breite Kritik aus der Wissenschaft gegen einen wettbewerbsverzerrenden Industriestrompreis ist offensichtlich nicht auf taube Ohren gestoßen. Denn insbesondere die Senkung der Stromsteuer von aktuell 1,537 Cent pro Kilowattstunde für die Unternehmen des produzierenden Gewerbes auf das europäische Mindestmaß von 0,05 ct/kWh kommt damit nicht mehr nur den großen Unternehmen, sondern auch dem Mittelstand zugute. Nur 350 besonders stark im internationalen Wettbewerb befindliche Unternehmen erhalten zusätzliche Hilfen bei der Strompreiskompensation, indem die Kosten für den Kauf von Emissionszertifikaten weitgehend erstattet werden.
Eine noch kleinere Gruppe von rund 90 besonders stromintensiven Unternehmen wird zusätzlich entlastet. Es ist sehr zu begrüßen, dass der Adressatenkreis kleiner ausfällt als beim ursprünglich diskutierten Industriestrompreis. Die Auswahl dieser Unternehmen erfolgt nicht von ungefähr, sondern ist strategisch angelegt: Entlastet werden diejenigen Unternehmen, die seit Jahren genehmigte Beihilfen von der EU-Kommission erhalten. Somit sind sowohl die Absenkung der Stromsteuer als auch die Strompreiskompensation mit dem EU-Wettbewerbsrecht voraussichtlich zulässig.
Allerdings bleiben einige große Kritikpunkte bestehen. Denn obwohl das Strompreispaket deutlich weniger wettbewerbsschädlich als ein Industriestrompreis ist, kostet es den Bundeshaushalt bis zu 28 Milliarden Euro bis zum Jahr 2028, allein für 2024 sollen es zwölf Milliarden Euro sein. Teilweise sollen die Ausgaben über den Klima- und Transformationsfonds geschultert werden, was in Sachen Zweckmäßigkeit zumindest fragwürdig erscheint. Denn die Senkung der Stromsteuer dient nicht zwangsläufig nur der klimaneutralen Transformation der Wirtschaft, was das Ziel des Klimafonds war.
Und trotz dieser hohen finanziellen Entlastung werden die Probleme der energieintensiven Industrie damit nicht zu lösen sein, denn auch mittel- bis langfristig werden die Strompreise in Deutschland höher bleiben als in anderen Ländern. Der aktuelle Zeithorizont von fünf Jahren für das Strompreispaket erscheint für langfristige Investitionen nicht ausreichend. Möglicherweise wird das Strompreispaket den nötigen Strukturwandel sogar eher noch verlangsamen. Und für Verbraucher*innen ändert sich zunächst direkt nichts. Vor allem Haushalte mit niedrigen Einkommen sind weiterhin überproportional von den hohen Kosten für Elektrizität betroffen.
So bleibt das Strompreispaket insgesamt ein teures Maßnahmenbündel. Die breite Mehrheit der Unternehmen im produzierenden Gewerbe wird zwar in der kurzen Frist entlastet. Eine Umsiedlung einiger besonders stromintensiver Unternehmen kann damit langfristig aber nicht verhindert werden, gerade auch innerhalb Europas. So dürfte die Diskussion über die Bedeutung strategischer Lieferketten und kritische Abhängigkeiten von Importen weitergehen. Und letztendlich sendet Deutschland damit keine allzu positive Botschaft an Europa. Dieser Vorstoß dürfte die in den letzten Jahren wiederholt geäußerte Kritik noch verstärken, dass Deutschland aufgrund seiner besseren Finanzlage Alleingänge machen könne, anstatt aktiver an europäischen Lösungen mitzuarbeiten.
Der Beitrag ist am 11. November 2023 bei Focus online erschienen.
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-46-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/280713