DIW Wochenbericht 48 / 2023, S. 671-679
get_appDownload (PDF 414 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 3.84 MB - barrierefrei / universal access)
„Die mit einer Erwerbstätigkeit verbundenen Vorteile verbessern die Stellung von Frauen. Sie sind dann nicht nur finanziell besser abgesichert, sondern auch mit Blick auf die Aufteilung der Haus- und Sorgearbeit gleichberechtigter.“ Miriam Gauer
Die Frage, wie sich Frauen und Männer in Partnerschaften die unbezahlte Sorgearbeit aufteilen, entscheidet mit über die Gleichberechtigung der Geschlechter. Eine große Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Erwerbstätigkeit von Frauen. Vor diesem Hintergrund analysiert dieser Bericht mit einem Fokus auf Paare, die in den Jahren 2013 bis 2020 – meist 2015 und 2016 – nach Deutschland geflüchtet sind, die Aufteilung von Tätigkeiten wie Hausarbeit und Kinderbetreuung in Abhängigkeit verschiedener Erwerbskonstellationen. Auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) werden geflüchtete Paare sowie solche mit und ohne Migrationshintergrund miteinander verglichen. Demnach verringert sich insbesondere bei geflüchteten Paaren der Gender Care Gap, wenn sowohl der Mann als auch die Frau erwerbstätig sind. Ist die Frau gleich viele Stunden erwerbstätig wie der Mann oder sogar mehr und hat sie eine höhere berufliche Positionierung, trägt dies ebenfalls dazu bei, den Gender Care Gap zu reduzieren. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung gezielter Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zur Integration geflüchteter Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Entsprechende Angebote sollte die Politik aufrechterhalten und weiterentwickeln.
Der Gender Care Gap beschreibt die Differenz in der Zeitverwendung von Männern und Frauen für unbezahlte SorgearbeitUnbezahlte Sorgearbeit umfasst vier Bereiche: Hausarbeit, zum Beispiel Kochen, Waschen und Putzen; Kinderbetreuung; Besorgungen, zum Beispiel Einkaufen oder Behördengänge; Reparaturen, zum Beispiel am Haus oder Auto, und Gartenarbeit., die innerhalb des eigenen Haushalts geleistet wird. In Deutschland liegt der Unterschied bei insgesamt 52,4 Prozent. Das bedeutet, dass Frauen im Durchschnitt an einem Tag 52,4 Prozent mehr Zeit beispielsweise für Hausarbeit und Kinderbetreuung aufbringen als Männer.Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2019): Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Eine Zusammenfassung (online verfügbar, abgerufen am 6. November 2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Die Diskrepanz in den geleisteten Stunden variiert je nach Aufgabe. Bei traditionell weiblich konnotierten Aufgaben wie Putzen, Waschen, Kochen, Einkaufen und Kinderbetreuung ist der Unterschied größer als bei traditionell männlich geprägten Aufgaben wie Reparaturen an Haus oder Auto und Gartenarbeit.Theresa Nutz, Lisa Schmid und Reinhard Pollak (2023): The Division of Routine and Non-Routine Housework Among Migrant and Native Couples in Germany. Comparative Population Studies 48, 369–394.
Der Gender Care Gap unterscheidet sich außerdem zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen.Clara Schäper, Annekatrin Schrenker und Katharina Wrohlich (2023): Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an. DIW Wochenbericht Nr. 9, 83–88 (online verfügbar). Er ist unter Paaren mit Fluchthintergrund am größten, gefolgt von Paaren mit Migrationshintergrund und schließlich solchen ohne Migrationshintergrund.Cristina de Paiva Lareiro und Julia Schwarzmüller (2021): Geflüchtete Frauen in Deutschland – Freizeitverhalten und soziale Kontakte. BAMF-Kurzanalyse 02/2021 (online verfügbar). Paare mit Migrationshintergrund (anders ausgedrückt: Paare mit Zuwanderungsgeschichte) sind Paare, bei denen beide jeweils Migrantin beziehungsweise Migrant der ersten Generation sind. Migrantinnen beziehungsweise Migranten der zweiten Generation sind in der für diesen Bericht verwendeten Analysepopulation nicht enthalten. In Paaren mit Fluchterfahrung leisten Frauen im Durchschnitt jeden Tag 2,1 Stunden mehr Hausarbeit als Männer, in Paaren mit Migrationshintergrund 1,2 Stunden mehr und in Paaren ohne Zuwanderungsgeschichte 0,9 Stunden mehr.de Paiva Lareiro und Schwarzmüller (2021), a.a.O. Eine starke zeitliche Einbindung zu Hause geht oft zulasten der Beteiligung auf dem Arbeitsmarkt. Dies kann dazu führen, dass Frauen im Vergleich zu Männern über den Lebensverlauf ein niedrigeres Erwerbseinkommen erzielen und im Alter weniger Rente erhalten.Kai-Uwe Müller und Claire Samtleben (2022): Reduktion und partnerschaftliche Aufteilung unbezahlter Sorgearbeit erhöhen Erwerbsbeteiligung von Frauen. DIW Wochenbericht Nr. 9, 139–147 (online verfügbar). Erst kürzlich zugezogene Frauen, insbesondere Geflüchtete, erfahren durch eine ungleich verteilte unbezahlte Sorgearbeit zusätzlich Nachteile mit Blick auf ihre Integrationschancen in Deutschland.de Paiva Lareiro und Schwarzmüller (2021), a.a.O. Denn wenn sie zu Hause zeitlich stark eingebunden sind, bleibt nicht nur weniger Raum für Erwerbsarbeit, sondern auch für den Besuch von Sprachkursen oder anderen Bildungsangeboten. Dies verlangsamt die Integration.David Ribar (2012): Immigrants’ Time Use: A Survey of Methods and Evidence. IZA Discussion Paper Nr. 6931 (online verfügbar).
Für nach Deutschland geflüchtete Frauen aus Syrien und anderen Ländern, die vor allem in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind, konnte gezeigt werden, dass sie in der ersten Phase nach dem Zuzug einen größeren Anteil ihrer Zeit mit unbezahlter Sorgearbeit als mit Erwerbstätigkeit verbringen.Herbert Brücker, Lidwina Gundacker und Dorina Kalkum (2020): Geflüchtete Frauen und Familien: Der Weg nach Deutschland und ihre ökonomische und soziale Teilhabe nach Ankunft. IAB-Forschungsbericht 09/2020 (online verfügbar). Hintergrund sind neben Problemen beim Zugang zum Arbeitsmarkt und Sprachbarrieren auch ein durch die Herkunft geprägtes eher traditionelles Rollenbild, das der Frau die unbezahlte Sorgearbeit zuweist.Tanja Fendel und Yuliya Kosyakova (2023): Couples’ housework division among immigrants and natives – the role of women’s economic resources. Journal of Ethnic and Migration Studies 49 (17), 4288–4312. All dies erschwert es geflüchteten Frauen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und so ihre Aktivitäten weg vom Haushalt hin zu einer Erwerbsarbeit zu verlagern.Zerrin Salikutluk, Johannes Giesecke und Martin Kroh (2020): The Situation of Female Immigrants on the German Labour Market: A Multi-Perspective Approach. SOEP Papers on Multidisciplinary Panel Data Research Nr. 1072 (online verfügbar). Im Zeitverlauf ist die Zahl erwerbstätiger geflüchteter Frauen jedoch gestiegen. Etwa acht Jahre nach dem Zuzug nach Deutschland waren 39 Prozent der geflüchteten Frauen erwerbstätig, im Vergleich zu 23 Prozent nach sechs Jahren.Herbert Brücker et al. (2023): Entwicklung der Arbeitsmarktintegration seit Ankunft in Deutschland: Erwerbstätigkeit und Löhne von Geflüchteten steigen deutlich. IAB Kurzbericht 13/2023 (online verfügbar). Sind Frauen erwerbstätig, wenden sie weniger Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf. Gleichzeitig übernehmen Männer einen etwas größeren Anteil dieser Tätigkeiten.Mick Cunningham (2007): Influences of women’s employment on the gendered division of household labor over the life course: Evidence from a 31-year panel study. Journal of Family issues 28, 422–444. Die Erwerbskonstellation von Paaren kann deshalb als eine Stellgröße für das Ausmaß des Gender Care Gaps angesehen werden.Katy M. Pinto und Scott Coltrane (2009): Division of Labor in Mexican Origin and Anglo Families: Structure and Culture. Sex Roles 60, 482–495.
Ob dieser Sachverhalt auch auf die in diesem Wochenbericht betrachteten Geflüchteten zutrifft, wird im Folgenden untersucht. Betrachtet werden verschiedene Konstellationen der Erwerbstätigkeit und die in diesen Situationen vorliegenden Gender Care Gaps bei Paaren mit Fluchthintergrund im Vergleich zu Paaren mit und ohne Migrationshintergrund (Kasten). Bei den Konstellationen der Erwerbstätigkeit geht es erstens um das Ausmaß der Arbeitsmarktbeteiligung. Hierzu werden vier Szenarien unterschieden: Sowohl der Mann als auch die Frau sind nicht erwerbstätig, beide sind erwerbstätig, nur die Frau geht einer Erwerbstätigkeit nach oder nur der Mann. Zweitens werden für die Gruppe derjenigen Paare, in denen beide erwerbstätig sind, verschiedene Konstellationen an Arbeitsstunden betrachtet. Hier besteht die Möglichkeit, dass der Mann und die Frau gleich viele Stunden erwerbstätig sind, dass die Frau weniger Stunden erwerbstätig ist oder dass die Frau mehr Stunden erwerbstätig ist als ihr Partner. Und drittens werden – erneut nur für die erwerbstätigen Paare – verschiedene Konstellationen der beruflichen PositionierungVereinfachend wird die Positionierung in folgende Tätigkeiten unterteilt: Hilfskraft, Facharbeiterin/Facharbeiter und Expertin/Experte beziehungsweise Spezialistin/Spezialist. untersucht: Partner können die gleiche berufliche Stellung aufweisen, die Frau kann eine niedrigere berufliche Position einnehmen als ihr Partner oder sie hat eine höhere berufliche Stellung als ihr Partner.
Als Datengrundlage dieses Berichts dient das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), mit einem besonderen Fokus auf die IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten. Das SOEP ist eine repräsentative, jährlich stattfindende Längsschnittbefragung von Haushalten in Deutschland. Da das SOEP regelmäßig die an einem Wochentag übliche Zeitverwendung aller erwachsenen Haushaltsmitglieder abfragt, eignet es sich besonders gut, um die Zeitverwendung von Paaren zu untersuchen. Die Berechnungen dieses Berichts basieren auf den SOEP-Befragungswellen von 2013 bis 2020 (SOEP v37). Sie werden genutzt, um Geflüchtete, die seit 2013 – vor allem in den Jahren 2015 und 2016 – nach Deutschland gekommen sind, mit Personen mit und ohne Migrationshintergrund zu vergleichen.
Als Personen mit Zuwanderungsgeschichte werden in diesem Bericht Personen bezeichnet, die nicht in Deutschland geboren wurden. Sie sind im Laufe ihres Lebens nach Deutschland gezogen, haben aber keine Fluchterfahrung. Geflüchtete sind Personen, die seit 2013 nach Deutschland geflüchtet sind. Personen ohne Migrationshintergrund sind Personen, die in Deutschland geboren wurden und weder Migrations- noch Fluchterfahrung haben. Ausgeschlossen von den Analysen sind Personen, die sich der zweiten Generation zurechnen lassen, die also in Deutschland geboren sind, aber Eltern haben, die als Zugewanderte in die Bundesrepublik gekommen sind. Die Analysepopulation wurde auf Personen zwischen 18 und 65 Jahren beschränkt, die mit einem Partner beziehungsweise einer Partnerin in einem Privathaushalt zusammenwohnen. Die Analysen werden auf Paarebene durchgeführt. Es können nur heterosexuelle Paare berücksichtigt werden, bestehend aus einer Frau und einem Mann. Außerdem werden nur Paare berücksichtigt, die den gleichen Migrationshintergrund aufweisen.
Gegenstand der Analyse ist der Gender Care Gap in vier Haus- und Sorgearbeitsbereichen. Sie umfassen:
Der Gender Care Gap ergibt sich als durchschnittliche Differenz zwischen den Stunden, die die Frau an einem Wochentag mit der jeweiligen Aufgabe verbringt, und den Stunden, die der Mann an einem Wochentag mit der jeweiligen Aufgabe verbringt. Ein positiver Gender Care Gap bedeutet, dass die Frau mehr Zeit mit der jeweiligen Haus- und Sorgearbeit verbringt als ihr Partner. Ein negativer Gender Care Gap bedeutet, dass der Mann mit der jeweiligen Tätigkeit mehr Zeit verbringt als seine Partnerin.
Zur Untersuchung des Gender Care Gaps werden drei verschiedene Erwerbskonstellationen betrachtet. Bei der Erwerbstätigkeit wird erstens danach unterschieden, ob in einer Partnerschaft sowohl der Mann als auch die Frau erwerbstätig sind, niemand erwerbstätig ist oder entweder nur die Frau oder nur der Mann. Erwerbstätigkeit bedeutet, einer bezahlten Tätigkeit außerhalb des Haushalts nachzugehen. Dabei kann es sich um eine Ausbildung handeln, um eine Tätigkeit in Vollzeit oder Teilzeit oder um eine geringfügige Beschäftigung. Für die Teilgruppe der erwerbstätigen Paare werden zweitens die Arbeitsstunden betrachtet. In Partnerschaften können beide gleich viele Stunden erwerbstätig sein, die Frau kann mehr oder sie kann weniger erwerbstätig sein als der Mann. Als dritte Größe wird die berufliche Stellung auf dem Arbeitsmarkt betrachtet. Hier können beide die gleiche berufliche Stellung aufweisen, die Frau kann eine höhere oder sie kann eine niedrigere Positionierung haben als der Mann. Vereinfachend wird die Positionierung in folgende Tätigkeiten unterteilt: Hilfskraft, Facharbeiterin/Facharbeiter und Expertin/Experte beziehungsweise Spezialistin/Spezialist.Vgl. Bundesagentur für Arbeit (2010): Anforderungsniveau eines Berufs (online verfügbar).
Die Methode der Datenanalyse ist ein Mittelwertvergleich innerhalb und zwischen Gruppen. Betrachtet wird die durchschnittliche Differenz in Stunden in der Aufteilung von Haus- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern. Diese steht für den Gender Care Gap und kann für die verschiedenen Bereiche der unbezahlten Sorgearbeit ausgewiesen werden. Ebenso lassen sich hierüber Unterschiede zwischen Paaren mit Fluchthintergrund sowie Paaren mit und ohne Migrationshintergrund beschreiben. Die Analysen sind gewichtet. Die Signifikanzen der Gruppenmittelwertunterschiede werden durch den Kruskal-Wallis-Test mit anschließendem Dunn’s-Test für Mehrfachvergleiche ermittelt. Alle ausgewiesenen Mittelwertunterschiede sind entweder auf dem Ein- oder Fünf-Prozent-Niveau im statistischen Sinne signifikant.
Wenn in einer Partnerschaft beide einer Erwerbstätigkeit nachgehen, ist der Gender Gap in der Hausarbeit und Kinderbetreuung in allen hier betrachteten Gruppen geringer als bei Erwerbskonstellationen, in denen in einer Partnerschaft nicht beide erwerbstätig sind (Abbildung 1). Am deutlichsten zeigt sich dies bei geflüchteten Paaren: Bei ihnen ist die Geschlechterdifferenz in der Aufteilung von Hausarbeit, also bei Aufgaben wie Kochen, Waschen und Putzen, um 45 Minuten kleiner (beträgt aber immer noch mehr als eineinhalb Stunden), wenn in einer Partnerschaft beide erwerbstätig sind. Im Vergleich dazu ist der Gender Gap in der Hausarbeit bei Paaren ohne Migrationshintergrund nur um rund zehn Minuten geringer, wenn beide einer Erwerbstätigkeit nachgehen, als im Szenario, in dem nicht beide erwerbstätig sind.
Auch bei der Kinderbetreuung zeigt sich dieses Muster: Im Durchschnitt betreut die Frau in geflüchteten Paaren die Kinder täglich 39 Minuten länger als der Mann, wenn beide erwerbstätig sind, im Vergleich zu einer Zeitdifferenz von 114 Minuten und somit fast zwei Stunden, wenn nicht beide erwerbstätig sind. Bei Paaren ohne Migrationshintergrund geht eine Erwerbtätigkeit sowohl der Frau als auch des Mannes mit einem um 15 Minuten geringeren Gender Gap in der Kinderbetreuung (69 im Vergleich zu 84 Minuten) einher.
Der Gender Care Gap hängt auch von der individuellen Paarkonstellation in Bezug auf die Erwerbstätigkeit ab: Wer wie viel unbezahlte Sorgearbeit übernimmt, wird mitunter darüber bestimmt, wie viel Zeit auf dem Arbeitsmarkt verbracht wird. Diese Zeit steht nicht für die Haus- und Sorgearbeit zur Verfügung. In der Folge übernimmt die Person, die mehr Stunden erwerbstätig ist, weniger dieser Arbeit als die andere Person.Sophia Fauser (2019): Time availability and housework: The effect of unemployment on couples’ hours of household labor. Social Science Research 83, 1–16. Für die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund wurde schon des Öfteren gezeigt, dass erwerbstätige Frauen weniger Zeit für unbezahlte Sorgearbeit aufwenden als nicht erwerbstätige Frauen, während Männer mehr davon übernehmen, wenn die Frau erwerbstätig ist.Oriel Sullivan (2018): The Gendered Division of Houshehold Labor. In: Handbook of the Sociology of Gender. Springer. Ist das auch bei Paaren mit Fluchthintergrund der Fall? Um das herauszufinden, wird im Folgenden der Gender Care Gap vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erwerbskonstellationen betrachtet.
Der Gender Care Gap ist in traditionell weiblich konnotierten Bereichen wie Hausarbeit und Kinderbetreuung am größten, wenn in Paaren nur der Mann erwerbstätig ist (Abbildung 2). Das trifft auf alle hier betrachteten Gruppen zu, also geflüchtete Paare sowie Paare mit und ohne Migrationshintergrund. Geflüchtete Frauen leisten in dieser Konstellation beispielsweise täglich drei Stunden mehr Hausarbeit und betreuen rund dreieinhalb Stunden länger die Kinder als ihr Partner. Auch Frauen ohne Migrationshintergrund verbringen zwei Stunden und 20 Minuten mehr Zeit mit Hausarbeit als ihr Partner, wenn nur dieser erwerbstätig ist. Dass Reparaturarbeiten eine klassische Männerdomäne sind, bei der sich der Gender Gap sogar umgekehrt, zeigt sich in allen Konstellationen und Gruppen – wenn auch am deutlichsten, wenn nur die Frau erwerbstätig ist.
Insgesamt deuten diese Analysen darauf hin, dass geschlechtstypische Muster in der unbezahlten Sorgearbeit immer dann besonders stark ausgeprägt sind, wenn in einer Partnerschaft nur eine Person erwerbstätig ist. Dies gilt für alle betrachteten Gruppen gleichermaßen. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass die Bereiche Hausarbeit und Kinderbetreuung mit der Erwerbssituation variieren, wohingegen Besorgungen und Reparaturen weniger von der spezifischen Erwerbskonstellation eines Paares abhängig sind.
Nach Deutschland geflüchtete Paare teilen sich Hausarbeit und Kinderbetreuung am egalitärsten auf, wenn beide erwerbstätig sind. Das unterscheidet sie von Paaren mit und ohne Migrationshintergrund, bei denen die Aufteilung von Hausarbeit und Kinderbetreuung am egalitärsten ist, wenn nur die Frau erwerbstätig ist. Dass sich eine alleinige Erwerbstätigkeit der Frau bei Geflüchteten nicht in gleicher Weise auf den Gender Gap in der Hausarbeit und Kinderbetreuung niederschlägt wie bei anderen Paaren, deutet darauf hin, dass geflüchtete Frauen die geschlechteruntypische Situation der alleinverdienenden Frau mit geschlechtstypischer Mehrarbeit im Haushalt ausgleichen.Michael Bittman et al. (2003): When Does Gender Trump Money? Bargaining and Time in Household Work. The American Journal of Sociology 109(1), 186–214.
In allen untersuchten Gruppen verbringen erwerbstätige Frauen beträchtlich weniger Zeit mit Hausarbeit und Kinderbetreuung als nicht erwerbstätige Frauen. Bei Paaren mit Fluchthintergrund reduziert sich der Gender Gap in der Hausarbeit um fast die Hälfte (von gut drei Stunden auf etwa eineinhalb), wenn nicht nur der Mann, sondern auch die Frau erwerbstätig ist. Die Geschlechterdifferenz in der für Kinderbetreuung aufgewendeten Zeit sinkt auf 40 Minuten, wenn beide einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Tut dies nur der Mann, liegt der Gender Gap in der Kinderbetreuung mit über dreieinhalb Stunden ungleich höher.
Bei Besorgungen – dazu zählen beispielsweise Einkäufe – gibt es die geringsten Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Wenn nur die Frau erwerbstätig ist, dann übernehmen Männer in allen Gruppen zu etwa gleichen Teilen die Besorgungen wie Frauen, dementsprechend liegt der entsprechende Gender Gap nahe null. Für Hausarbeit oder Kinderbetreuung ist die Frau in Paaren mit Fluchthintergrund aber eher zuständig, selbst wenn sie alleine erwerbstätig ist. Wenn der Mann ebenfalls arbeitet, also beide erwerbstätig sind, werden Hausarbeit und Kinderbetreuung mit Blick auf den Zeiteinsatz offenbar eher als gemeinsame Aufgabe verstanden als in der Konstellation, in der nur die Frau erwerbstätig ist.
Im nächsten Schritt richtet sich der Blick auf den Umfang der Arbeitszeit erwerbstätiger Paare. In allen Gruppen findet sich die größte Diskrepanz bei der Aufteilung von Hausarbeit und Kinderbetreuung dann, wenn die Frau weniger erwerbstätig ist als der Mann (Abbildung 3). In dieser Situation übernehmen geflüchtete Frauen zwei Stunden mehr Hausarbeit und eine Stunde mehr Kinderbetreuung als ihr Partner. Während in dieser Arbeitszeitkonstellation der Gender Gap in der Kinderbetreuung bei geflüchteten Paaren im Vergleich zu anderen Paaren am kleinsten ist, fällt der Gender Gap in der Hausarbeit bei geflüchteten Paaren am größten aus.
Frauen ohne Migrationshintergrund übernehmen, wenn sie weniger erwerbstätig sind als der Mann, 80 Minuten mehr Hausarbeit und 90 Minuten mehr Kinderbetreuung als ihr Partner. Bei Paaren mit und ohne Migrationshintergrund ist darüber hinaus die Aufteilung der Besorgungen ungleicher, wenn die Frau weniger Stunden erwerbstätig ist als der Mann. Bei Paaren mit Fluchthintergrund macht es mit Blick auf die Zeitaufteilung für Besorgungen keinen Unterschied, ob die Frau weniger arbeitet als der Mann oder ob beide gleich viel erwerbstätig sind.
Nach Deutschland geflüchtete Paare teilen Hausarbeit, Kinderbetreuung und Besorgungen am egalitärsten auf, wenn die Frau mehr Stunden erwerbstätig ist als der Mann. Besorgungen übernimmt der Mann dann sogar mehr als die Frau – der Gender Care Gap kehrt sich also um und liegt bei elf Minuten. Bei der Kinderbetreuung gibt es unter Geflüchteten keinen Gender Care Gap, wenn die Frau mehr erwerbstätig ist als der Mann, bei der Hausarbeit ist er mit rund einer viertel Stunde vergleichsweise klein. Sind beide gleich viele Stunden erwerbstätig, bleibt der Gender Gap in der Kinderbetreuung mit etwa 13 Minuten zwar vergleichsweise gering, der Zeitverwendungsunterschied mit Blick auf die Hausarbeit schnellt jedoch nach oben, auf 80 Minuten. Geflüchtete Frauen können ihre Zeit, die sie für Hausarbeit aufwenden, also eher reduzieren, wenn sie mehr Stunden erwerbstätig sind als der Mann.
Im Gegensatz dazu ist es bei Paaren mit Migrationshintergrund mit Blick auf die Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit offenbar am förderlichsten, wenn beide gleich viele Stunden einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Bei Paaren ohne Migrationshintergrund wirken sich beide Situationen – also sowohl eine stärkere Erwerbstätigkeit der Frau im Vergleich zum Mann als auch eine paritätische Aufteilung der Erwerbsarbeit – positiv im Sinne eines geringeren Gender Care Gaps aus.
Unter dem Strich zeigt sich, dass der geringste Gender Care Gap bei nach Deutschland geflüchteten Paaren und solchen mit und ohne Migrationshintergrund jeweils in verschiedenen Arbeitszeitkonstellationen erreicht wird. Besonders für Geflüchtete scheinen die Arbeitsstunden eine wichtige Stellschraube für die Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit zu sein. Ist die Frau in solchen Paaren mehr Stunden erwerbstätig als der Mann, geht dies mit dem im Vergleich zu den anderen Gruppen größten Rückgang des Gender Care Gaps einher.
Geflüchtete Paare und Paare mit Migrationshintergrund dürften sich dabei in der Aufteilung der Hausarbeit hauptsächlich aus zwei Gründen unterscheiden: Erstens kommen sie aus verschiedenen Herkunftsländern mit unterschiedlichen Kulturen, die das Rollenbild von Mann und Frau prägen. Geflüchtete, die in diesem Bericht betrachtet werden, kommen im Vergleich vorrangig aus Ländern mit einer niedrigen Frauenerwerbsquote und einem traditionell geprägten Verständnis der Aufgaben von Mann und Frau. Zweitens ist die migrantische Bevölkerung im Vergleich zu den hier betrachteten Geflüchteten schon länger in Deutschland und konnte sich auch deshalb bereits stärker in den Arbeitsmarkt integrieren.
Die Erwerbssituation lässt sich auch über die berufliche Stellung charakterisieren. Wer eine im Vergleich zum Partner beziehungsweise zur Partnerin höhere Position einnimmt, könnte dies dazu nutzen, sich aus der unbezahlten Sorgearbeit ein Stück weit herauszuziehen.Claudia Geist und Leah Ruppanner (2018): Mission Impossible? New Housework Theories for Changing Families. Journal of Family Theory & Review 10, 242–262. Dies gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. Für Frauen bedeutet eine vorteilhaftere Positionierung jedoch eine Loslösung vom traditionellen Rollenverständnis. Dies kann dazu führen, dass Haus- und Sorgearbeit egalitärer aufgeteilt werden.
Wenn Frauen eine niedrigere berufliche Stellung als ihr Partner einnehmen, dann fällt der Geschlechterunterschied in der Übernahme von Hausarbeit durchgehend am deutlichsten aus – unabhängig davon, ob geflüchtete Paare oder solche mit und ohne Migrationshintergrund betrachtet werden (Abbildung 4). In dieser Situation kümmern sich geflüchtete Frauen und Frauen mit Migrationshintergrund etwa zwei Stunden mehr pro Tag um den Haushalt als ihr Partner. Bei Frauen ohne Migrationshintergrund ist der Gender Gap in der Hausarbeit mit 80 Minuten etwas geringer.
Besitzt die Frau jedoch eine höhere berufliche Stellung als ihr Partner, fällt der Gender Gap in der Hausarbeit in allen hier betrachteten Gruppen substanziell kleiner aus. Bei geflüchteten Paaren und Paaren mit Migrationshintergrund verringert sich die Differenz um jeweils rund 50 Minuten und bei Paaren ohne Migrationshintergrund um 40 Minuten. Ein ähnliches, wenn auch weniger stark ausgeprägtes Muster tritt bei der Kinderbetreuung bei Paaren mit und ohne Migrationshintergrund zu Tage. Lediglich bei nach Deutschland geflüchteten Paaren ist es für die Kinderbetreuung unbedeutend, ob die Frau eine höhere oder niedrigere berufliche Stellung hat als ihr Partner.
Bei den Besorgungen macht die berufliche Stellung, die Frauen und Männer einnehmen, keinen großen Unterschied. Mit Blick auf Reparaturen gibt es jedoch bei Paaren mit Fluchthintergrund und bei Paaren ohne Migrationshintergrund eine – wenngleich überschaubare – Veränderung der Zeitaufteilung, wenn die Frau eine höhere statt niedrigere Positionierung auf dem Arbeitsmarkt hat. In geflüchteten Paaren kümmert sich der Mann dann täglich 32 Minuten (statt zuvor acht Minuten) länger um Reparaturen als seine Partnerin, in Paaren ohne Migrationshintergrund sind es immerhin 21 Minuten (statt zuvor sieben Minuten) mehr. Auch hier könnte es jeweils sein, dass der Mann die geschlechteruntypische Situation, in der die Frau eine höhere berufliche Stellung hat als er selbst, dadurch ausgleicht, dass er mehr Zeit in traditionell männlich konnotierte Reparaturarbeiten steckt.
Auch bei den seit 2013 nach Deutschland geflüchteten Paaren variiert die Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit mit bestimmten Konstellationen von Erwerbstätigkeit, Arbeitsstunden und beruflicher Stellung. Zwar sind bei Paaren ohne Migrationshintergrund die Gender Gaps in der unbezahlten Sorgearbeit im Durchschnitt über alle Bereiche hinweg am geringsten. Dennoch zeigen sich auch für Geflüchtete – abhängig von spezifischen Erwerbskonstellationen – ähnliche und teilweise sogar kleinere geschlechtsspezifische Unterschiede als bei Paaren ohne Migrationshintergrund. Ist die Frau vergleichsweise stark in den Arbeitsmarkt eingebunden, arbeitet sie also beispielsweise mehr Stunden als ihr Partner, geht dies bei Geflüchteten mit einem besonders starken Rückgang des Gender Gaps in der Hausarbeit und Kinderbetreuung einher. Im Gegensatz zu anderen Paaren scheint bei Geflüchteten ein größeres, noch nicht ausgeschöpftes Potenzial für eine egalitärere Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit zu bestehen. Eine höhere Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen, mehr Arbeitsstunden und eine höhere berufliche Stellung gehen insbesondere bei Geflüchteten mit einer ausgeglicheneren Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit in Partnerschaften einher.
Die mit einer Erwerbstätigkeit verbundenen potenziellen Vorteile – neben finanziellen Aspekten kann es dabei beispielsweise auch um soziale Kontakte gehen – verbessern die Stellung von Frauen. Eine Erwerbstätigkeit sichert Frauen nicht nur finanziell ab, sondern fördert auch die Gleichberechtigung mit Blick auf die Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit. Und dies gilt in besonderer Weise für Geflüchtete.
Vor diesem Hintergrund sollte die Politik weiterhin Maßnahmen verfolgen, die die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Frauen verbessern. Hierzu gehören Sprachkurse, Weiterbildungen und BerufsanerkennungenAdriana Silva Cardozo (2023): Erwerbschancen geflüchteter Frauen in Deutschland verbessern sich trotz ungünstiger Ausgangslage. DIW Wochenbericht Nr. 19, 218–225 (online verfügbar)., aber auch ausreichend Kita-Plätze und entsprechende Informationen zum Betreuungsangebot für geflüchtete Familien.Ludovica Gambaro, Guido Neidhöfer und C. Katharina Spieß (2019): Kita-Besuch von Kindern aus nach Deutschland geflüchteten Familien verbessert Integration ihrer Mütter. DIW Wochenbericht Nr. 44, 805–812 (online verfügbar). Auch eine Erwerbstätigkeit mit geringem Stundenumfang kann ein erster Schritt sein. Eine Förderung beruflicher Qualifizierungsmöglichkeiten und das Erlangen deutscher Berufsabschlüsse sind entscheidend, damit geflüchtete Frauen auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen und aufsteigen können.
Geflüchtete aus der Ukraine konnten in diesem Bericht nicht einbezogen werden. Sie unterscheiden sich deutlich von den nach Deutschland Geflüchteten, die in diesem Bericht betrachtet wurden, da sie aus einem Land mit hoher Frauenerwerbstätigkeit kommen.Statistisches Bundesamt (2023): Statistisches Länderprofil Ukraine. Ausgabe 7/2023 (online verfügbar). Angesichts der in diesem Bericht vorgestellten Befunde ist davon auszugehen, dass die Zeitaufteilung ukrainischer Paare vor dem Hintergrund ihrer Erwerbstätigkeit egalitärer geprägt ist. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass die meisten Ukrainerinnen – zumindest vorerst – ohne Partner nach Deutschland gekommen sind. Deshalb kann angenommen werden, dass in erster Linie Frauen die unbezahlte Sorgearbeit übernehmen.
Themen: Verteilung, Verkehr, Migration, Gender, Familie, Bildung, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: J15;J16;J22
Keywords: integration, refugees, gender care gap, employment
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-48-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/280719