Blog Marcel Fratzscher vom 30. November 2023
Marcel Fratzscher glaubt, Deutschland braucht eine Investitionsoffensive in Verkehr, Energie, Bildung und Digitalisierung.
Selten in den letzten 30 Jahren war die wirtschaftliche Situation in Deutschland so schwierig wie aktuell. Das Problem ist nicht konjunktureller Natur – Deutschland ist nicht der kranke Mann Europas, wie gerne kolportiert wird –, sondern dass Deutschland nicht zukunftsfähig Richtung ökologische, digitale und wirtschaftliche Transformation ist. Eine Investitionsoffensive könnte einen entscheidenden Impuls setzen, um Deutschland aus seiner Depression herauszuholen und notwendige Veränderungen anzustoßen.
Dieser Gastbeitrag von Marcel Fratzscher erschien am 29. November 2023 im Tagesspiegel in der Reihe "Große Köpfe, große Fragen".
Deutschland ist in gewisser Weise Opfer seines eigenen Erfolgs. Die 2010er Jahre waren wirtschaftlich in erfolgreiches Jahrzehnt: mit einem starken Aufbau an Beschäftigung, dem Gewinn globaler Marktanteile, steigenden Löhnen und einem hohen Maß an Stabilität. In diesen fetten Jahren haben – allen voran deutsche Industrieunternehmen – wichtige Weichenstellungen verschlafen.
Die deutsche Automobilbranche hat am Verbrennungsmotor festgehalten, anstatt in Elektromobilität zu investieren; energieintensive Unternehmen haben weiter auf fossile Energieträger aus Russland gesetzt und fast die gesamte Exportwirtschaft hat sich viel zu sehr von China abhängig gemacht. Auch die Innovationsfähigkeit hat gelitten, digitale Plattformen und digitale Innovationen sind in den USA oder Asien entstanden.
80 Milliarden Euro zusätzliche Staatsinvestitionen jährlich wären zum Ausgleich bestehender Defizite realistisch.
Nun gilt es, einen radikalen Kurswechsel für die deutsche Wirtschaft vorzunehmen. Die Industrie jammert laut und ruft nach immer mehr staatlichen Subventionen. Die Bundesregierung sollte dem nicht nachgeben, so wie sie es jetzt beim Strompreis getan hat, sondern allen bessere Rahmenbedingungen für die Transformation bieten. Dies erfordert staatliche Investitionen, um die entstandenen entstandenen Defizite auszugleichen. Der Staat muss deutlich mehr in die Verkehrsinfrastruktur investieren, auch damit eine Verkehrswende gelingen kann, und in die Infrastruktur für Energie und Digitalisierung, die in Deutschland mit zu den schlechtesten in Europa zählt.
Im Bildungssystem hinkt Deutschland im internationalen Vergleich weit hinterher. Gut ausgebildete und qualifizierte Menschen sind jedoch die wichtigste Voraussetzung für Leistungsfähigkeit und Wohlstand. Und die Politik muss bessere Rahmenbedingungen für Innovation schaffen, beispielsweise durch die Förderung von Grundlagenforschung. All dies erfordert massive staatliche Investitionen. Auch wenn konkrete Zahlen schwer zu nennen sind, so wären jährlich 80 Milliarden Euro an zusätzlichen staatlichen Investitionen eine realistische Größenordnung, um die Defizite auszugleichen.
Nun wird sofort der Aufschrei folgen: Wie soll der Staat das finanzieren, können wir uns zusätzliche Schulden leisten? Dies ist die falsche Frage, die richtige
Frage ist: Können wir es uns leisten, dies nicht zu tun, und können wir es uns leisten, die Grundlage für unseren Wohlstand immer weiter zu schädigen? Denn die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, die Zukunft vieler guter Arbeitsplätze und Einkommen und letztlich die Attraktivität des Standorts stehen auf dem Spiel.
Die Finanzierung einer solchen Investitionsoffensive ist das kleinste Problem. Der deutsche Staat hat vergleichsweise geringe Schulden, kann sich noch immer günstig finanzieren. Dafür sollte die Bundesregierung die Schuldenbremse aussetzen und reformieren. Und die Bundesregierung muss über eine Steuerreform auch die großen Vermögen in Deutschland stärker belasten – gerade auch um Arbeit und vor allem Menschen mit geringen und mittleren Einkommen zu entlasten, so dass Arbeit sich wieder mehr lohnt. Dies mögen zwar viele nicht gerne hören, es ist aber der einzige Weg, um Deutschlands wieder zukunftsfähig zu machen.
Themen: Geldpolitik , Öffentliche Finanzen