DIW Wochenbericht 5 / 2024, S. 77
Markus M. Grabka, Erich Wittenberg
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Herr Grabka, wie haben sich die Bruttostundenlöhne in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt? Es ist wichtig, dies nicht nur nominal zu analysieren, also in den jeweiligen Preisen. Gerade in den letzten zwei Jahren haben wir eine hohe Inflation und diese Preissteigerung haben wir herausgerechnet. Im Ergebnis sind die Stundenlöhne im Vergleich der Jahre 1995 bis 2021 im Durchschnitt real um 16,5 Prozent gestiegen. Dabei sehen wir je nach Lohndezil unterschiedliche Entwicklungen. Bis zum Jahr 2007 waren reale Einkommensverluste zu beobachten, doch mit dem Jahr 2013 setzt insbesondere für die untersten Lohnempfänger*innen eine Trendumkehr ein. Alle Arbeitnehmer*innen erhalten wieder reale Steigerungen in den Löhnen, die im Ergebnis sogar dazu führen, dass die Löhne insgesamt für alle Gruppen über dem Niveau von 1995 liegen. Offensichtlich ist es den Gewerkschaften gelungen reale Lohnsteigerungen durchzusetzen.
Welche Auswirkungen hat das auf den Niedriglohnsektor? Definitionsgemäß spricht man bei weniger als zwei Dritteln des vereinbarten mittleren Bruttostundenlohns vom Niedriglohn. Das war zum Beispiel im Jahr 2021 ein Wert von 13 Euro pro Stunde. Im Zeitraum von 1996 bis 2007 ist dieser Niedriglohnsektor stark ausgeweitet worden, bis zu einem Wert von etwa 23,5 Prozent aller abhängig Beschäftigten. Danach setzt langsam eine Trendumkehr ein. Vor allem die Anhebung des Mindestlohns im Oktober 2022 auf damals zwölf Euro hat dazu geführt, dass der Niedriglohnsektor im Vergleich der letzten 25 Jahre mit aktuell nur noch rund 15 Prozent einen historischen Tiefstand erreicht hat.
Wie hat sich die Lohnungleichheit entwickelt? Wir sehen zumindest im Vergleich zu den 2010er Jahren einen deutlichen Rückgang der Lohnungleichheit und liegen jetzt wieder auf einem Niveau wie zu Beginn der 2000er Jahre.
Wie wirkt sich die Entwicklung der Löhne auf die Haushaltsnettoeinkommen aus? Die Löhne sind zwar weiterhin die wichtigste Einkommensquelle der privaten Haushalte in Deutschland, aber es zählen hier natürlich auch andere Einkommensquellen wie zum Beispiel Alterseinkommen, staatliche Transfers und weitere Einkommenskomponenten. Im Vergleich der Jahre 1995 bis 2020 sehen wir bei allen Privathaushalten eine positive Entwicklung. Die Haushaltsnettoeinkommen haben sich im Durchschnitt real um 33 Prozent erhöht und damit sehr gut entwickelt.
Was bedeutet das für die Einkommensungleichheit? In den frühen 2000er Jahren hat die Einkommensungleichheit in Deutschland deutlich zugenommen, aber etwa seit dem Jahr 2005 gibt es keine größeren Veränderungen mehr. Aktuell hat der Gini-Koeffizient einen Wert von 0,3. Das ist im internationalen Vergleich immer noch unterdurchschnittlich.
Kann man mit der Situation, so wie sie jetzt ist, zufrieden sein oder müsste die Politik aktiv werden, um die Ungleichheit in Deutschland zu bekämpfen? Diese Thematik sollte man insgesamt differenziert betrachten, denn wie die Befunde zeigen, ist die Entwicklung bei den Löhnen ausgesprochen positiv. Die Menschen haben auch nach der Inflation mehr Geld in der Tasche und der Niedriglohnsektor, der zwischenzeitlich auch im internationalen Vergleich ausgesprochen groß war, hat vor allem aufgrund der Erhöhung des Mindestlohns einen Tiefstand erreicht. Trotzdem sehen wir am unteren Rand der Haushaltsnettoeinkommen einen 16 bis 17 Prozent großen Anteil von Menschen, die von niedrigen Einkommen betroffen sind. Dort muss die Politik nachsteuern und zum Beispiel wie Migrant*innen, die nicht in den Arbeitsmarkt integriert sind, oder junge Erwachsene ohne beruflichen Bildungsabschluss gezielter fördern.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: I31;J31
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-5-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/282330