DIW Wochenbericht 6 / 2024, S. 83-89
get_appDownload (PDF 0.58 MB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 3.05 MB - barrierefrei / universal access)
„Letztlich kommt es darauf an, den optimalen Zeitpunkt und die richtige Höhe für den Schuldenschnitt zu finden, um die Schuldenkrise schnell einzudämmen und damit die Gläubigerverluste zu begrenzen. Dabei können internationale Institutionen wie der Internationale Währungsfonds mit Schuldentragfähigkeitsanalysen helfen.“ Josefin Meyer
In den vergangenen 200 Jahren hat es weltweit viele Zahlungsausfälle von Staaten gegeben. Die Untersuchung von 321 Umschuldungsabkommen seit 1815 zeigt, dass Verluste von ausländischen privaten und institutionellen Investoren durchschnittlich 43 Prozent betrugen. Auffällig ist, dass es insbesondere seit den 1970er Jahren zunehmend mehrerer Umschuldungen bedurfte, um einen Zahlungsausfall nachhaltig beizulegen. Um diesem neuen Phänomen Rechnung zu tragen, werden die Gläubigerverluste über alle Umschuldungen während einer Zahlungsausfallperiode summiert, anstatt die Verluste der einzelnen Umschuldungen getrennt zu betrachten. Die Berechnung zeigt, dass Schuldenkrisen mit mehreren Umschuldungen den Gläubigern insgesamt größere Verluste bescherten als ein größerer einmaliger Schuldenschnitt. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass es für die Festlegung der Schuldenschnitthöhe sinnvoll ist, die Schuldentragfähigkeit rechtzeitig und unabhängig zu analysieren. Damit könnten Umschuldungen mit zu geringen Schuldenschnitten, die sich als nicht nachhaltig erweisen, reduziert werden.
Zahlungsausfälle können gleichermaßen schmerzhaft für Schuldner und Gläubiger sein. Im Falle eines staatlichen Zahlungsausfalls können einerseits die verschuldeten Staaten den Zugang zum internationalen Kapitalmarkt verlieren, in langwierige Rezessionen geraten sowie unter sozialen Verwerfungen leiden. Auf der anderen Seite müssen sich private und institutionelle Gläubiger in der Regel früher oder später darauf einstellen, Verluste in ihren Portfolios hinzunehmen.
Die Auswirkungen einer Schuldenkrise auf Schuldner oder Gläubiger sind nach wie vor vergleichsweise wenig erforscht. Im Gegensatz zu anderen Krisen wie Währungs-, Inflations- oder Bankenkrisen werden Schuldenkrisen in der Regel nur unter dem Aspekt betrachtet, ob es eine Schuldenkrise gegeben hat oder nicht, unabhängig davon, ob die Krise mit geringfügigen Verlusten oder Totalverlusten für Investoren beigelegt wurde.
In diesem Wochenbericht wird über eine einfache Charakterisierung von Staatsschuldenkrisen hinaus anhand eines umfassenden Datensatzes die Historie von Zahlungsausfällen seit dem Jahr 1815 untersucht.Dieser Wochenbericht basiert auf einem Papier für die 24. Jacques Polak Annual Research Conference des Internationalen Währungsfonds. Vgl. Clemens Graf von Luckner, Josefin Meyer, Carmen M. Reinhart und Christoph Trebesch (2023): Sovereign Debt: 200 years of creditor losses. Mimeo (online verfügbar), abgerufen am 22. Januar 2024. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht. Dabei liegt der Fokus auf der Höhe der Gläubigerverluste oder Schuldenschnitte, der sogenannten „Haircuts“.Die Daten basieren auf Arbeiten von Juan J. Cruces und Christoph Trebesch (2013): Sovereign Defaults: The Price of Haircuts. American Economic Journal: Macroeconomics, 5(3), 85–117; Josefin Meyer, Carmen M. Reinhart und Christoph Trebesch (2022): Sovereign Bonds Since Waterloo. The Quarterly Journal of Economics, 137(3), 1615–1680. Die Analyse folgt der Tradition von Carmen M. Reinhart und Kenneth Rogoff (2009): The Aftermath of Financial Crises. American Economic Review 99(2), 466–472. Zudem untersucht dieser Wochenbericht, wie sich der Umstand, dass häufig mehrere Umschuldungen benötigt wurden, um einen Zahlungsausfall beizulegen, auf die Höhe der Gläubigerverluste auswirkt.Die zugrundeliegende Studie untersucht auch, wie viel die Gläubiger bei Schuldenkrisen verlieren, die mit geopolitischen Erschütterungen (Kriege, Revolutionen und Länderauflösungen), hohen externen Schulden oder geringem Pro-Kopf-Einkommen von Schuldnerländern verknüpft sind, vgl. Graf von Luckner et al. (2023), a.a.O. Diese werden als serielle oder wiederholte Umschuldungen bezeichnet, die nicht mit wiederkehrenden Zahlungsausfällen verwechselt werden dürfen. In der Regel entstehen serielle Umschuldungen innerhalb einer einzigen Zahlungsausfallperiode, wenn die früheren Umschuldungsvereinbarungen nicht ausreichen, um eine belastbare Schuldenreduktion zu gewährleisten.Der Begriff serielle Umschuldung bezieht sich auf zwei oder mehr Umschuldungen innerhalb einer einzigen Zahlungsausfallperiode, vgl. Carmen M. Reinhart, Kenneth S. Rogoff und Miguel A. Savastano (2003): Debt Intolerance. Brookings Papers on Economic Activity Nr. 23/1 (online verfügbar). Eine Zahlungsausfallperiode gilt als abgeschlossen, wenn es innerhalb von zwei Jahren zu keinem weiteren Zahlungsausfall kommt.
Die Analyse erstreckt sich über einen Zeitraum von 1815 bis 2020 und umfasst 200 Zahlungsausfallperioden von Staaten mit insgesamt 321 Umschuldungen (Abbildung 1). Diese werden von privaten externen Gläubigern wie ausländischen Anleger*innen oder institutionellen Investoren wie Fonds, Versicherern und Geschäftsbanken (zum Beispiel die Londoner-Club-Gläubigerbanken, während der 1970er oder 1980er Jahre) gehalten.Der Londoner Club ist ein informeller Zusammenschluss von Banken, die in der Regel Gläubiger von Schwellenländern sind. Diese Banken koordinieren und vertreten ihre gemeinsamen Interessen und Anliegen in Bezug auf ihre Kredit- und Finanzbeziehungen zu diesen Ländern. Ausgeschlossen sind damit inländische Gläubiger oder Staaten.
Ein Zahlungsausfall tritt ein, wenn entweder der Staat Schuldenzahlungen über die Schonfrist hinaus versäumt oder wenn es Änderungen im Schuldenvertrag gibt, womit ein bestehendes Finanzinstrument, zum Beispiel eine Staatsanleihe oder ein Kredit, gegen ein neues mit für den Gläubiger ungünstigeren Bedingungen ausgetauscht wird. Diese Umschuldungen treten meist im Kontext von geo- oder innenpolitischen Krisen auf.
Die Berechnung von Schuldenschnitten beschränkt sich im Folgenden auf Zahlungsausfälle und Umschuldungen von mittel- und langfristigen Schuldtiteln. Geschäfte, die ausschließlich kurzfristige Schulden betreffen, wie beispielsweise kurzfristige Kreditlinien, 90-tägige Schuldenverlängerungen oder Fälle von kurzfristiger Laufzeitverlängerung von weniger als einem Jahr, sind ausgeschlossen.
In Fällen, in denen es mehrere zeitlich nah aufeinander folgende Umschuldungen gibt, besteht die Notwendigkeit, diese zusammenzufassen, um das volle Ausmaß der Gläubigerverluste zwischen dem Beginn der Verschuldungssituation und der nachhaltigen Beilegung des Zahlungsausfalls zu quantifizieren. Dazu wird ein besonderes Verfahren angewendet, nämlich der Bulow-Rogoff-Haircut (BR), benannt nach Jeremy Bulow und Kenneth Rogoff (Kasten). Würden nur die einzelnen Schuldenschnitte betrachtet, könnte dies die Gläubigerverluste verzerren. Mit der BR-Berechnungsmethode werden die dynamischen Aspekte mehrerer Umschuldungen erfasst und damit die Gläubigerverluste einheitlich zusammengefasst. Beispielsweise konnte Brasilien in der Schuldenkrise in den 1980er Jahren sechs einzelne Schuldenschnitte (von neun Prozent im Jahr 1983 bis 29 Prozent im Jahr 1994) verzeichnen. Der kumulierte Schuldenschnitt nach der BR-Methode während der 13 Jahre dauernden Zahlungsausfallperiode betrug dabei 46,6 Prozent. Ähnlich verhält es sich auch für Polen. Der summierte BR-Schuldenschnitt belief sich auf 93 Prozent für den Zahlungsausfall von 1981 bis 1994 mit sechs Umschuldungen (Abbildung 2).
Den aus den Umschuldungen resultierenden Gläubigerverlust bezeichnet die Forschung als „Haircut“. Um den Netto-Gegenwartswert (NPV)-Haircut für die Umschuldung i zum Zeitpunkt t zu berechnen, wird der Netto-Gegenwartswert der vertraglichen Zahlungsströme der während der Umstrukturierung emittierten Schulden mit dem NPV der alten Schulden verglichen. Dabei werden Rückstände und Bargeldzahlungen berücksichtigt.
Gewöhnlich unterscheiden sich die neuen Finanzinstrumente wie Staatsanleihen oder Kredite von den alten in einer oder allen drei Dimensionen: dem Zinssatz, der Laufzeit und dem Nennwert der Verpflichtung. Die Kennzahl berücksichtigt die Eigenschaften sowohl der alten als auch der neuen Schulden, insbesondere etwaige Änderungen in Laufzeit und Zinsstruktur. Dabei vergleicht der berechnete Haircut den Gegenwartswert der neuen und alten Schulden in einem hypothetischen Szenario, in dem der Staat verbleibende „alte“ Schulden weiterhin so zurückzahlt, als ob kein Zahlungsausfall stattgefunden hätte, mit dem, was der Staat bei den neu ausgegebenen Schulden zu zahlen hat. Beide Zahlungsströme werden mit dem gleichen Zinssatz abgezinst.Die Daten zu den Umstrukturierungen und Schuldenschnitten stammen von Meyer, Reinhart und Trebesch (2022), a.a.O von 1815 bis 1970; Cruces und Trebesch (2013), a.a.O von 1970 bis 1998; Asonuma Toman und Christoph Trebesch (2016): Sovereign Debt Restructurings: Preemptive or Post-Default. Journal of the European Economic Association, 14(1), 175–214 sowie Chuck Fang, Julian Schumacher und Christoph Trebesch (2021): Restructuring Sovereign Bonds: Holdouts, Haircuts and the Effectiveness of CACs. IMF Economic Review 69, 155–196 von 1999 bis 2016 und Graf von Luckner et al. (2023), a.a.O. von 2017 bis 2022.
In Fällen, in denen es mehrere zeitlich nah aufeinander folgende Umschuldungen gibt, besteht die Notwendigkeit, Haircuts über die verschiedenen Umschuldungen hinweg zu aggregieren, um das volle Ausmaß der Gläubigerverluste zwischen dem Beginn der Verschuldungssituation und der nachhaltigen Beilegung des Zahlungsausfalls zu quantifizieren.
Um den kumulativen Gläubigerverlust mehrerer Umschuldungen während einer einzelnen Schuldenkrise oder Zahlungsausfallperiode zu schätzen, wird der Bulow-Rogoff-Haircut verwendet.Vgl. Jeremy Bulow und Kenneth Rogoff (1989): A constant recontracting model of sovereign debt. Journal of Political Economy 97(1), 155–178. Dieses kumulative Maß erfasst den Gesamtverlust, den ein passiver Investor erlebt, der ein Portfolio aller Wertpapiere oder Darlehen des Landes hält, einschließlich derer, die in vorherigen Umschuldungen getauscht wurden. Speziell für die letzte Umschuldung i kann der Bulow-Rogoff-Haircut wie folgt berechnet werden:
Dabei repräsentiert J−1 die Anzahl der Interimsumschuldungen, die vor der endgültigen Umschuldung i stattgefunden haben. bezeichnet die Rückzahlungsquote in der j-ten Umschuldung. Die Rückzahlungsquote ist definiert als 1 minus den effektiven geschätzten Schuldenschnitt für die jeweilige Umschuldung und wird aus Schuldendaten an private Gläubiger abgeleitet.
Der BR-Schuldenschnitt ermöglicht eine umfassende Bewertung der langfristigen kumulativen Gläubigerverluste mehrerer Umschuldungen. Er ist nützlich bei Vergleichen über verschiedene Epochen mit unterschiedlichen Umschuldungsmodalitäten. Der BR-Schuldenschnitt ist besonders relevant, wenn es zahlreiche Interimsumschuldungen mit geringen Schuldenschnitten gibt, denen Nachfolgevereinbarungen mit höheren Schuldenschnitten in derselben Krisenperiode folgen, wie es zum Beispiel in den 1980er Jahren in Brasilien und Polen der Fall war (Abbildung 1). Die Betrachtung einzelner Schuldenschnitte würde zu einer Verzerrung der Gläubigerverluste führen, da es Interimsumschuldungen mit niedrigen Schuldenschnitten überbewertet, bei denen der Anteil der durch den Austausch abgedeckten Schulden tendenziell viel niedriger ist. Es kann die Gläubigerverluste während einer Zeit, in der wiederholte Umschuldungen üblich waren, erheblich unterschätzen.
Im Durchschnitt verloren Investoren in den Schuldenkrisen seit 1815 rund 43 Prozent ihrer Forderungen pro Umschuldung. Je Zahlungsausfallperiode waren es nach der BR-Methode sogar 47 Prozent (Tabelle). Es gab in den vergangenen 200 Jahren etwa ein Dutzend Fälle, in denen die Schuldenschnitte negativ waren. In diesen Fällen war der Netto-Gegenwartswert nach dem Schuldenaustausch höher als vorher; die Gläubiger machten also sogar Gewinne. Dies passiert zum Beispiel, wenn Staaten, um eine Zahlungsunfähigkeit zu verhindern, im Vorhinein die Schuldenlaufzeiten verlängern und dafür höhere Zinsen als im vorherigen Vertrag in Kauf nehmen. Solche Umschuldungen sind selten und treten meist in den frühen Stadien einer Krise auf. Sie können kurzfristig vorteilhaft für den Staat sein, da eine Verlängerung der Laufzeiten die Rückzahlung glättet und akute Umschuldungsrisiken entschärft.
In Prozent
Gläubigerverluste | |||||
---|---|---|---|---|---|
Anzahl | Durchschnitt | Median | 25. Perzentil | 75. Perzentil | |
Gesamt | |||||
Einzelne Schuldenschnitte | 321 | 43 | 38 | 18 | 65 |
Zahlungsausfallperioden nach Bulow-Rogoff | 200 | 47 | 44 | 18 | 79 |
Nach Zeitperioden | |||||
Einzelne Schuldenschnitte | |||||
Staatsanleihen 1815–1970 | 136 | 51 | 48 | 25 | 81 |
Bankverbindlichkeiten 1970 –1997 | 138 | 34 | 30 | 16 | 46 |
Staatsanleihen 1998– 2020 | 47 | 45 | 42 | 15 | 69 |
Kumulierte Schuldenschnitte nach Bulow-Rogoff | |||||
Staatsanleihen 1815–1970 | 106 | 46 | 42 | 13 | 79 |
Bankverbindlichkeiten 1970–1997 | 55 | 47 | 45 | 22 | 75 |
Staatsanleihen 1998–2020 | 39 | 51 | 54 | 23 | 86 |
Anmerkungen: In den 1970er und 1980er Jahren war die dominante Form der Kreditaufnahme Konsortialkredite von Banken. Die Beilegung der lateinamerikanischen Schuldenkrise der 1980er Jahre markierte das Ende der Finanzierung durch Bankkredite und die Wiederaufnahme von Anleihen als eine bedeutende Quelle der staatlichen Finanzierung.
Quelle: Eigene Berechnungen basierend auf Graf von Luckner et al. (2023): Sovereign Debt: 200 years of creditor losses.
Das andere Extrem sind vollständige Forderungsverluste von 100 Prozent. Zehn der hier behandelten Umschuldungen fallen in diese Kategorie. Meist gehen diese Extremfälle einher mit geopolitischen Turbulenzen oder Revolutionen, bei denen Schulden von legislativen oder exekutiven Organen als politisch illegitim erklärt werden, wie es bei dem russischen Zahlungsausfall 1917 oder dem chinesischen Zahlungsausfall 1949 der Fall war.
Zahlungsausfälle können oft mehrere Runden von Umschuldungen benötigen, bis sie beigelegt sind. Im Durchschnitt waren 1,6 Umschuldungen erforderlich, um einen Zahlungsausfall zu überwinden, wobei einige Fälle sogar bis zu sieben deutlich voneinander abgegrenzte Umschuldungen erforderten (Abbildung 2). Mehr als ein Drittel der 200 in dieser Studie behandelten Zahlungsausfallphasen erforderte zwei oder mehr Umschuldungen, um den Zahlungsausfall zu beheben.
Wird die vollständige Historie von Zahlungsausfällen und Umschuldungen betrachtet, zeigt sich, dass das Phänomen wiederholter Umschuldungen in derselben Zahlungsausfallperiode in den vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen hat (Abbildung 3). Das könnte daran liegen, dass sich die institutionellen und vertraglichen Rahmenbedingungen geändert haben. Beispielsweise kann die Einführung von sogenannten Collective Action Clauses die Koordination von Umschuldungen verbessert haben, wodurch die Einigung auf einen Schuldenschnitt einfacher geworden ist.Collective Action Clauses (CACs) sind vertragliche Bestimmungen in Anleihen (Schuldverschreibungen), die es einer Mehrheit von Gläubigern ermöglichen, Änderungen an den Bedingungen der Schuldverschreibungen vorzunehmen, auch wenn nicht alle Gläubiger zustimmen. CACs werden oft in Anleihen von Schwellenländern oder in internationalen Anleihen verwendet.
Die Zunahme von wiederholten Umschuldungen geht mit kürzeren Zahlungsausfallperioden einher (Abbildung 3 unten). Im 19. Jahrhundert, während des langen Prozesses des Nationalstaatenaufbaus in Lateinamerika und Europa, erstreckten sich Zahlungsausfälle häufig über Jahrzehnte, so zum Beispiel im Falle Griechenlands von 1824 bis 1879. Diese Zahlungsausfälle wurden unter anderem durch Grenzkriege sowie Revolutionen und Unruhen verzögert.Miguel Angel Centeno (2002): Blood and debt: War and the nation-state in Latin America. Penn State Press. Im späteren 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts stabilisierten sich die politischen Verhältnisse. Ebenso wurden Zahlungsausfallperioden kürzer.
Ab den 1970er Jahren verkürzten sich Zahlungsausfallperioden noch mehr. Gleichzeitig verstärkten multilaterale Institutionen in den Schwellen- und Entwicklungsländern ihr Engagement. Dafür sind die Zahlungsausfälle nun in der Regel mit mehreren Umschuldungen verbunden, die oft geringe Schuldenschnitte mit sich bringen (Abbildung 3).Für eine historische Betrachtung des sich wandelnden Auftrags des Internationalen Währungsfonds vgl. Carmen M. Reinhart und Christoph Trebesch (2016): Sovereign debt relief and its aftermath. Journal of the European Economic Association, 14(1), 215–251. Ob kürzere Zahlungsausfallperioden mit mehreren Umschuldungen für die Gläubiger mit weniger Verlusten einhergehen, wird im Folgenden untersucht.
Die 321 einzelnen Umschuldungen der 200 Ausfallperioden lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Umschuldungen, die einen Zahlungsausfall beheben konnten und dazu führten, dass das Land seinen Status als Schuldner in der Krise beendete (finale Umschuldung), und Umschuldungen, die die Zahlungsausfallperiode nicht beenden konnten (Interimsumschuldung). Interimsumschuldungen haben mit 30 Prozent nicht nur eine deutlich niedrigere Median-Schuldenschnitthöhe als die finalen Umschuldungen mit 50 Prozent (Abbildung 4). Ihre Verteilung konzentriert sich auch stark im unteren Bereich: Die Gläubigerverluste liegen bei Interimsumschuldungen mehrheitlich zwischen 20 bis 40 Prozent. Im Vergleich dazu zeigen die finalen Umschuldungen eine gleichmäßigere Verteilung der Schuldenschnitte über die gesamte Bandbreite der Gläubigerverluste.
Jedoch zeigt die Analyse auch, dass je mehr Umschuldungen erforderlich sind, desto höher fallen die summierten Gläubigerverluste aus (Abbildung 5). Die ersten Umschuldungen weisen Schuldenschnitte mit Gläubigerverlusten von etwas mehr als 40 Prozent auf, während Zahlungsausfälle mit drei oder mehr Umschuldungen kumuliert den Gläubigern Verluste von durchschnittlich 60 Prozent bescheren. Auch fallen die kumulierten Gläubigerverluste nach dem Jahr 1998 im Schnitt höher aus (51 Prozent) als in den Jahrzehnten zuvor, wo der Schnitt bei 46 Prozent lag (Tabelle).
Bisher lag der Fokus in der Forschung oft auf den einzelnen Umschuldungen und den daraus resultierenden Schuldenschnitten, anstatt den gesamten Krisenzeitraum für die Berechnung der Gläubigerverluste bis zur nachhaltigen Beilegung des Zahlungsausfalls heranzuziehen. Wird der gesamte Zeitraum betrachtet, zeigt sich, dass die kumulierten Gläubigerverluste bei wiederholten Umschuldungen im Schnitt erheblich höher ausfallen. Trotz mehrfacher Umschuldungen gelingt es häufig nicht, die Schulden nachhaltig abzubauen, um so den Zahlungsausfall beizulegen. Ein möglicher Grund dafür ist, dass die Schuldenschnitte zu niedrig waren oder zu spät erfolgten und damit lediglich den Grundstein für eine Fortsetzung der Krise legten. Andere Gründe können aufkommende innen- wie außenpolitische Verwerfungen, Naturkatastrophen oder zu optimistische Prognosen der wirtschaftlichen Entwicklung eines Staates sein.Siehe für eine weitere Analyse der Gründe Christoph Trebesch et al. (2021): External sovereign debt restructurings: Delay and replay. VoxEU Column vom 30. März (online verfügbar). Da die Gründe für Zahlungsausfälle sehr vielfältig sind und oft auch mehrere Faktoren zusammenkommen, ist es schwierig, von der Zahl der Umschuldungen und der Höhe der Schuldenschnitte kausal auf die Beilegung eines Zahlungsausfalls zu schließen. Die Ergebnisse zeigen lediglich, dass in vielen Fällen die anfänglichen Umschuldungsbedingungen nicht ausreichen, um Schulden auf einen nachhaltigen Weg zu bringen.
Im Interesse aller Beteiligten sollten Schuldner nicht mit mehr Schulden und Gläubiger aufgrund falscher Annahmen zur Schuldentragfähigkeit nicht mit einem schlechteren Portfolio dastehen. Es kommt also darauf an, zum richtigen Zeitpunkt die richtige Schuldenschnitthöhe zu bestimmen, um die Gläubigerverluste zu begrenzen und die Zahlungsausfallperiode des Schuldnerstaats relativ kurz zu halten.
Internationale Institutionen können dabei helfen, die Wahrscheinlichkeit von nicht nachhaltigen Umschuldungen mit zu geringen Schuldenschnitten zu begrenzen, indem sie realistische Bewertungen in ihren Analysen zur Schuldentragfähigkeit bereitstellen. Diese sollten alle Arten von Schulden abdecken, die ein Risiko für die öffentlichen Finanzen eines Landes darstellen, um so zum Beispiel Ungleichgewichte bei Laufzeiten und verschiedenen Währungen von Anleihen zu erkennen. Darauf basierend könnten auch der Finanzierungsbedarf berechnet und potenzielle Finanzierungsquellen benannt werden.
Themen: Öffentliche Finanzen
JEL-Classification: E4;F3;F4;G1;N0
Keywords: Sovereign debt, Sovereign debt crises and defaults, haircuts
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-6-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/283939