DIW Wochenbericht 6 / 2024, S. 90
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Frau Meyer, Sie haben anhand von 321 Umschuldungsabkommen seit 1815 untersucht, wie sich in einer Staatsschuldenkrise die Anzahl der Schuldenschnitte auf die Beilegung eines Zahlungsausfalls auswirkt. Warum haben Sie einen historischen Blick auf diese Frage geworfen, anstatt einzelne Krisen zu untersuchen? Nehmen wir zum Beispiel Brasilien in den 1980er Jahren: Auf den ersten Zahlungsausfall 1982 folgten fünf weitere bis 1994. Nun kann man all diese Zahlungsausfälle einzeln betrachten oder sie zu einer Zahlungsausfallperiode zusammenfassen. Es ist aber sinnvoller, diese 13 Jahre als eine Schuldenkrise zu betrachten, anstatt jeden dieser Zahlungsausfälle einzeln zu analysieren und deren Schuldenschnitte gesondert zu betrachten.
Welche Muster zeigen sich? Wie hat sich die Anzahl der benötigten Schuldenschnitte im Laufe der Zeit verändert? Was die Höhe der Gläubigerverluste angeht, war zwischen einem Totalverlust und keinem Verlust alles dabei. Im Durchschnitt verloren Investoren pro Schuldenschnitt ungefähr 43 Prozent ihrer Forderungen. Man kann jedoch feststellen, dass die Schuldenschnitte früher etwas höher waren als heutzutage. Dafür aber bedarf es heute einer höheren Anzahl von Schuldenschnitten. Dieses Phänomen lässt sich seit den 1970er und 1980er Jahren vermehrt beobachten. Das heißt, wiederholte oder serielle Schuldenschnitte, wie im Beispiel Brasilien, sind eher ein modernes Phänomen.
Wie wirkt sich die Zahl der Umschuldungen innerhalb einer Zahlungsausfallperiode auf die Höhe der Gläubigerverluste aus? Wir können in unserer Studie keine Kausalität, sondern nur Korrelationen zeigen. Wir beobachten aber, dass beispielsweise Zahlungsausfälle, die mehr als drei Schuldenschnitte benötigen, um beigelegt zu werden, am Anfang einen durchschnittlichen Schuldenschnitt von unter 30 Prozent aufweisen, während Schuldenkrisen, die mit nur einem Schuldenschnitt beendet werden, Gläubigerverluste von über 40 Prozent verursachen. Wenn man jetzt aber die Verluste der mehrfachen Umschuldungen aufsummiert, stehen wir am Ende mit einem Gläubigerverlust von insgesamt 60 Prozent da. Ein einzelner und dafür etwas höherer Schuldenschnitt ist für den Gläubiger im Durchschnitt also besser als mehrere kleine Schuldenschnitte, da der aufsummierte Schuldenschnitt wesentlich höher ausfällt.
Also besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende? Wenn man so möchte, kann man das so sagen. Die Ergebnisse zeigen, dass in vielen Fällen die anfänglichen Umschuldungsbedingungen nicht ausreichen, um Schulden auf einen nachhaltigen Weg zu bringen. Tendenziell sind geringe Schuldenschnitte oft nicht tiefgreifend genug, um die Schuldenkrise zu beenden.
Wie ließe sich der optimale Schuldenschnitt im Vorhinein bestimmen? Das ist ein sehr schwieriges Unterfangen. Eine Möglichkeit wäre, die Schulden genau zu analysieren und diese auf potenzielle Risikoquellen zu untersuchen. Das könnte man zum Beispiel mittels einer Staatsschuldentragfähigkeitsanalyse machen, in der untersucht wird, wie das Schuldenprofil eines Staates aussieht. Das betrifft zum Beispiel die Laufzeit von Schulden oder auch die Frage, in welcher Währung die Schulden nominiert sind. So könnte es sein, dass es bestimmte Schulden gibt, die ein oder zwei Jahre nach der Schuldenkrise fällig werden. Wenn man das im Vorhinein weiß und zu dem Schluss kommt, dass diese Belastungen einen Staat von dem nachhaltigen Schuldenpfad abbringen können, wäre es eine Möglichkeit, diese Schulden umzustrukturieren. Man könnte sie in Anleihen mit längeren Laufzeiten umwandeln, um so die Zahlungsverpflichtung des betreffenden Staates zu strecken.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Öffentliche Finanzen
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-6-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/283941