Direkt zum Inhalt

Je größer die Lücke in der Erwerbsbeteiligung, desto größer ist auch der Gender Care Gap: Interview

DIW Wochenbericht 7 / 2024, S. 104

Mia Teschner, Erich Wittenberg

get_appDownload (PDF  89 KB)

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  3.45 MB - barrierefrei / universal access)

Frau Teschner, Sie haben untersucht, wie sich der Gender Care Gap in der Pflege in Deutschland von anderen europäischen Ländern unterscheidet. Wer leistet denn in Europa mehr Pflegearbeit – Frauen oder Männer? Wir haben uns in unserer Studie mit 17 europäischen Ländern beschäftigt und haben dabei festgestellt, dass in allen europäischen Ländern Frauen mehr pflegen als Männer.

Warum ist das so? Ein wichtiger Aspekt ist, dass Frauen oft diejenigen im Haushalt sind, die weniger Stunden arbeiten und weniger verdienen. Die Reduzierung des Haushaltseinkommens fällt also geringer aus, wenn die Frau und nicht der Mann seine Arbeitszeit verringert. Das ist der Grund, warum häufig die Frauen für die Pflege von Angehörigen ihre Arbeitszeit reduzieren oder die Erwerbstätigkeit ganz aufgeben. Ein weiterer Faktor sind sicherlich auch soziale Normen, nach denen Pflegearbeit Frauen zugeschrieben wird.

In welchen Ländern ist der Gender Care Gap in der Pflege am geringsten und wo ist er am größten? Es gibt sehr starke regionale Unterschiede in Europa. Wir sehen beispielsweise in Griechenland und Kroatien einen sehr hohen Gender Care Gap von 200 Prozent oder mehr. Das heißt, der Anteil der Frauen, die pflegen, ist rund dreimal so hoch wie der Anteil der Männer, die pflegen. In Ländern wie der Schweiz oder in Schweden hingegen pflegen Frauen weniger als doppelt so häufig wie Männer. Deutschland liegt im Mittelfeld.

Gibt es systematische regionale Unterschiede? Gerade in nordischen oder osteuropäischen Ländern wird insgesamt weniger informelle Pflege geleistet als in westeuropäischen oder südeuropäischen Ländern. Das liegt sicherlich auch daran, dass sich die Pflegesysteme in diesen Ländern unterscheiden. Auch die Finanzierung des Pflegesystems ist beispielsweise in Deutschland eine ganz andere als beispielsweise in Schweden. Wir beobachten auch, dass in den Ländern, in denen sehr viel informell gepflegt wird, häufig die Frauen diese Pflege übernehmen.

Inwieweit gibt es einen Zusammenhang zwischen den Ausgaben für die Pflege und dem Gender Care Gap? In den Ländern, in denen prozentual mehr für formelle, also stationäre Pflege ausgegeben wird, ist der Gender Care Gap geringer. Das lässt sich insbesondere dadurch erklären, dass in diesen Ländern ein stärkeres formelles Pflegesystem existiert, was pflegende Angehörige entlasten kann und das sind dann häufig Frauen.

Wie groß ist der Zusammenhang zwischen dem Gender Care Gap und einer unterschiedlichen Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern? Je größer die relative Lücke in der Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen ist, desto größer ist auch der Gender Care Gap in dem jeweiligen Land. Das deutet darauf hin, dass insbesondere in den Ländern, in denen Frauen eine geringere Erwerbsbeteiligung haben, sie auch deutlich stärker in die informelle Pflege von Angehörigen involviert sind.

Was müsste getan werden, um den Gender Care Gap in Deutschland zu verringern? Die Ergebnisse unserer Studie deuten darauf hin, dass insbesondere der formelle Pflegesektor ausgebaut werden müsste. Das könnte dazu beitragen, den Gender Care Gap zu reduzieren. Gleichzeitig deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass auch die Unterschiede zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt angegangen werden müssen. Das kann durch familien- oder steuerpolitische Reformen passieren, wie beispielsweise eine Reform des Ehegattensplittings oder Maßnahmen, um die Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen und Männern anzugleichen.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Mia Teschner
Je größer die Lücke in der Erwerbsbeteiligung, desto größer ist auch der Gender Care Gap - Interview mit Mia Teschner

Mia Teschner

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Staat

Themen: Gesundheit, Gender

keyboard_arrow_up