DIW Wochenbericht 8 / 2024, S. 119
Sonali Chowdhry, Erich Wittenberg
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Frau Chowdhry, Sie haben anhand der Sanktionswelle von 2014 gegen Russland untersucht, wie sich multilaterale Kooperationen auf die Wirkung von Sanktionen auswirken. Wie groß war der Wohlfahrtsverlust in Russland durch die 2014 verhängten Sanktionen und wie groß hätte er unter optimalen Bedingungen sein können? Unsere Ergebnisse zeigen, dass die 2014 verhängten Sanktionen den realen Konsum in Russland um 1,4 Prozent reduziert haben. Das ist nur die Hälfte dessen, was eine Koalition mit ähnlichen Maßnahmen erreicht hätte, wenn sie global aufgestellt gewesen wäre. Und nur ein Sechstel dessen, was Russland verloren hätte, wenn die Koalition 2014 ein vollständiges Handelsembargo verhängt hätte. Die unzureichende Ausschöpfung des Sanktionspotenzials ist auch darauf zurückzuführen, dass die Maßnahmen von 2014 einen engeren Anwendungsbereich hatten, beispielsweise wurde Russland nicht wie heute vom SWIFT-Zahlungsverkehrssystem ausgeschlossen.
Die Staaten der EU haben 2014 gemeinsam Sanktionen gegen Russland verhängt. Welches Gewicht hatten die Sanktionen der EU im Vergleich zur Gesamtwirkung aller Sanktionen? Bei der Sanktionswelle von 2014 entfielen mehr als drei Viertel der russischen Wohlfahrtsverluste auf die koordinierten Sanktionen der EU-Mitgliedstaaten. Was die individuell ausgeübte Sanktionskraft betrifft, sticht Deutschland hervor, dessen Sanktionen im Jahr 2014 im Vergleich zu anderen Koalitionspartnern die größten wirtschaftlichen Verluste für Russland verursachten.
Sanktionen belasten auch die Wirtschaft der Staaten, die die Sanktionen verhängen. Wie groß sind diese Belastungen und welche Staaten waren durch die Sanktionen gegen Russland besonders stark belastet? Diese inländischen Kosten ergeben sich aus dem Verlust von Exportmöglichkeiten und höheren Kosten für importierte Vorleistungen, da die Unternehmen nach alternativen Käufern und Lieferanten suchen müssen. Bei den Sanktionen von 2014 trafen diese Kosten unverhältnismäßig stark kleinere Volkswirtschaften in der geografischen Nähe Russlands. Insbesondere die baltischen Staaten wie Litauen, Estland und Lettland waren mit einem Rückgang des realen Verbrauchs von bis zu einem Prozent besonders betroffen. Im Gegensatz dazu verzeichneten größere Volkswirtschaften wie die USA, das Vereinigte Königreich und Japan nur geringe Verluste.
Wie ließen sich diese Belastungen besser verteilen? Lastenteilungsmechanismen können je nach institutionellem und politischem Kontext auf unterschiedliche Weise gestaltet werden. Eine Idee ist die eines hypothetischen Anpassungsfonds, aus dem die Länder so lange Transfers senden und empfangen, bis alle Mitglieder der sanktionierenden Koalition die gleichen Kosten in Form eines Anteils am realen Verbrauch tragen. Für die Russland-Sanktionen 2014 hätte sich dieser Fonds auf 4,9 Milliarden Dollar belaufen, wobei die USA der größte Beitragszahler und die baltischen Staaten die größten Empfänger gewesen wären.
Russland kann die aktuellen Sanktionen gegen sich teilweise umgehen. Wie könnte man das einschränken? Unsere Analyse zeigt, dass eine Beteiligung von Schwellenländern wie China, Vietnam und Brasilien an der Sanktionskoalition den wirtschaftlichen Druck auf Russland erheblich verstärken würde. Auch wenn die formale Zusammenarbeit dieser Länder in der Sanktionskoalition politisch schwierig sein mag, könnte die derzeitige Koalition dennoch in ein stärkeres strategisches Engagement mit diesen Ländern investieren. In diesem Zusammenhang ist die Ernennung eines internationalen Sanktionsbeauftragten durch die EU ein Schritt in die richtige Richtung, um den Dialog mit Drittländern über die Umgehung von Sanktionen hochrangig zu führen.