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Ungleichheiten auf Arbeitsmarkt und bei Sorgearbeit beeinflussen sich wechselseitig: Interview

DIW Wochenbericht 9 / 2024, S. 131

Jonas Jessen, Erich Wittenberg

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Herr Jessen, wie groß ist der Gender Care Gap in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern? Im europäischen Vergleich ist der Gender Care Gap in Deutschland relativ groß. Insbesondere die skandinavischen Länder weisen einen deutlich niedrigeren Gender Care Gap aus. Deutschland liegt im Bereich der südeuropäischen Staaten, wo die Ungleichheit in der unbezahlten Sorgearbeit deutlich höher ist.

In welchen Altersgruppen ist der Gender Care Gap am stärksten? Wir sehen, dass insbesondere bei 30-Jährigen der Gender Care Gap ansteigt und danach auf einem höheren Niveau bleibt. Bei den 20-Jährigen hingegen ist er noch deutlich geringer ausgeprägt. Der Gender Care Gap hängt maßgeblich mit der Familiengründung zusammen – wenn ein Kind in den Haushalt kommt, steigt er stark an.

Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde befürchtet, dass die Kita- und Schulschließungen die Ungleichheit in der Sorgearbeit noch vergrößern könnten. Ist das so eingetroffen? Die Analysen zeigen, dass die Ungleichheiten zu Beginn der Pandemie im April, Mai und Juni 2020, als es sehr starke Einschränkungen gab, stärker geworden sind. In der Tat haben Mütter in dieser Zeit einen höheren Teil der Sorgearbeit übernommen. Die Daten für den weiteren Verlauf der Pandemie haben jedoch gezeigt, dass es letztlich keine starke Retraditionalisierung gab. Die zunehmend ungleiche Aufteilung der Sorgearbeit, die zunächst beobachtet wurde, ging wieder auf den Stand vor der Pandemie zurück.

Wie ist es zu erklären, dass die Ungleichheit erst gestiegen und dann wieder zurückgegangen ist? Was in den Haushalten wirklich vor sich geht, ist auch für uns Forscherinnen und Forscher eine Blackbox. Aber zu Beginn der Pandemie musste man sich an die neue Normalität mit Kita- und Schulschließungen gewöhnen. Die notwendige Flexibilität zur Bewältigung dieser zusätzlichen Arbeit haben Frauen, so scheint es, eher mitgebracht. Bereits weniger als ein Jahr nach der Pandemie ist dann jedoch ein neues Gleichgewicht entstanden und man ist relativ schnell wieder zu der alten Arbeitsteilung zurückgekehrt.

Inwieweit wirkt sich die ungleiche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit auch auf dem Arbeitsmarkt aus? Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt und in der Sorgearbeit beeinflussen sich wechselseitig. Wenn wir in Haushalten beobachten, dass Mütter für einen Großteil der Kinderbetreuung und der Hausarbeit zuständig sind, dann kann es für diese Mütter deutlich schwieriger sein, wieder voll ins Erwerbsleben zurückzukehren. Gleichzeitig bedingt aber auch die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt die Ungleichheit in der Sorgearbeit. Wenn der Vater in Vollzeit und die Mutter in Teilzeit oder gar nicht arbeitet, dann liegt es nahe, dass die Mutter einen höheren Teil der Sorgearbeit übernimmt.

Welche politischen Handlungsempfehlungen ergeben sich aus den Ergebnissen Ihrer Studie? Um die Ungleichheit in der Sorgearbeit zu reduzieren, muss man unserer Meinung nach auch die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt bekämpfen. Die vielleicht stärkste politische Stellschraube ist dabei die Elternzeit. In knapp der Hälfte der Haushalte nehmen mittlerweile auch Väter Elternzeit, allerdings oft nur das Minimum von zwei Partnermonaten. Eine Möglichkeit wären stärkere Anreize, dass die Elternzeit gleicher zwischen beiden Partnern aufgeteilt wird. Zum anderen könnte man auch steuerliche Anpassungen vornehmen. Wenn man zum Beispiel vom Ehegattensplitting zur Individualbesteuerung wechseln würde, würde sich eine Erwerbstätigkeit für die Person mit dem geringeren Einkommen mehr lohnen.

O-Ton von Jonas Jessen
Der Gender Care Gap ist genausogroß wie vor Corona - Interview mit Jonas Jessen

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