DIW Wochenbericht 10 / 2024, S. 157
Timm Bönke, Erich Wittenberg
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Herr Bönke, geht es der deutschen Wirtschaft tatsächlich so schlecht, wie derzeit überall zu hören ist? Der deutschen Wirtschaft geht es nicht gut. Das Problem ist struktureller Natur, aber zusätzlich ist die konjunkturelle Lage für die deutsche Wirtschaft schwer.
Wo liegen die strukturellen Probleme? Deutschland kämpft schon lange mit dem demografischen Wandel. Die Babyboomer gehen demnächst in Rente. Damit fehlen viele hochqualifizierte Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt. Dass die deutsche Wirtschaft nicht weiter wächst, liegt zum großen Teil daran, dass unser Erwerbspersonenpotenzial zu gering ist. Es fehlen uns also die Arbeitskräfte, um stärker zu wachsen.
Inwieweit sind die wirtschaftlichen Probleme vielleicht auch das Resultat einer dem Anschein nach zerstrittenen Regierung? Wir haben in Deutschland die Vision, dass wir eine sozial-ökologische Transformation voranbringen wollen. Dafür braucht es viele Investitionen und klare Vorgaben der Politik. Wir benötigen verlässliche wirtschaftspolitische Leitplanken, ob das nun Investitionszuschüsse sind oder Regulierungen. Wir haben im Moment das Problem, dass die Bundesregierung nicht mit einer Stimme spricht und sie sich auch mit den Landesregierungen auf keine Vision einigen kann. Das behindert Investitionen. Eine Investition wird man nur dann tätigen, wenn man an den Wirtschaftsstandort Deutschland glaubt.
Das Preisniveau ist enorm gestiegen, wie reagieren die Verbraucher*innen darauf? Die Verbraucher*innen reagieren verständlicherweise noch zurückhaltend. Wir haben in unseren vergangenen Prognosen immer geglaubt, dass der private Konsum stärker anziehen und wieder stärker zum Wirtschaftswachstum beitragen würde. Das ist aus zwei Gründen nicht geschehen: Zum einen liegt es an der unsicheren Reallohnentwicklung. Wie viel kann ich mir leisten? Auf der anderen Seite mussten sich die Verbraucher*innen auf dem neuen Preisniveau erst einmal zurechtfinden. Auf einmal waren einige Güter teurer, andere vielleicht weniger. Das heißt, der persönliche Warenkorb musste angepasst werden. Jetzt kommen wir langsam wieder in ruhigere Fahrwasser mit Inflationsraten um die 2,3 oder 2,5 Prozent und in eine Situation, in der wir durchatmen und schauen können, wo wir mit unserer Kaufkraft gelandet sind. Das schafft dann wieder Verbrauchervertrauen. Wir prognostizieren, dass der private Konsum insbesondere ab dem zweiten Quartal die Wirtschaft in Deutschland wieder nach vorne bringen wird.
Wie schätzen Sie angesichts dieser Gesamtlage das Wachstum der deutschen Wirtschaft für die Zukunft ein? Für das aktuelle Jahr 2024 gehen wir von einer roten Null aus. Das bedeutet, wir stagnieren und sind leicht negativ. Für das Jahr 2025 sieht es besser aus. Da gehen wir dann wieder von einer deutlichen Wachstumsrate von über einem Prozent aus.
Wie werden sich Ihrer Meinung nach die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen entwickeln? Die Weltwirtschaft hat sich trotz zahlreicher globaler Krisen erstaunlich robust entwickelt. Probleme gibt es weiterhin, wie zum Beispiel die Wirtschaft in China. Aber wir haben auch Lichtblicke, wie eine robuste Wirtschaft in den USA, die uns immer wieder überraschen. Für Deutschland ist bedenklich, dass die industrielle Auslandsnachfrage eingebrochen ist. Im letzten und auch Anfang dieses Jahres hat Deutschland deswegen noch nicht zu seiner alten Exportstärke gefunden. Wir prognostizieren aber, dass der Außenhandel im Laufe des Jahres 2024 wieder anziehen wird.
Themen: Konjunktur, Geldpolitik