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Gesundheit spielt auch für die Integration eine Schlüsselrolle: Interview

DIW Wochenbericht 12 / 2024, S. 208

Cornelia Kristen, Erich Wittenberg

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Frau Kristen, auf welchen Wegen kommen Geflüchtete nach Deutschland und welche dieser Routen ist am gefährlichsten? Man kann grob unterscheiden zwischen den Seerouten und den Landrouten. Die Seerouten sind die gefährlicheren, insbesondere die zentrale Mittelmeerroute von Nordafrika aus in Richtung Malta und Italien. Das ist auch weltweit die tödlichste Route überhaupt.

Wenn Geflüchtete in Deutschland ankommen, müssen Sie bislang über ein Jahr auf uneingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung warten. Geregelt ist das im Asylbewerberleistungsgesetz, das jetzt für 36 Monate nach Ankunft in Deutschland gelten soll, anstatt für 18 Monate. Welche Auswirkungen hat diese Verlängerung? Die Situation ist auf jeden Fall nachteilig für die gesundheitliche Lage der Geflüchteten. Auch mit Blick auf die Kosten muss das als Nachteil gewertet werten, denn wenn der Zugang zur uneingeschränkten Gesundheitsversorgung später erfolgt, werden Gesundheitsprobleme später erkannt, später behandelt und werden dann in der Regel auch teurer. Die Gesundheit spielt auch mit Blick auf die Integration eine Schlüsselrolle. Eine vorteilhafte gesundheitliche Lage hat Auswirkungen auf Teilhabe im Bildungssystem, auf die Integration in den Arbeitsmarkt und ist eine Stellgröße für weitere Integrationsprozesse. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass solch eine Erweiterung mit Blick auf die Gesundheit sozial selektiv wirkt. Gruppen, die generell mehr Gesundheitsprobleme haben, die schlechter gebildet sind und die geringere Sprachkenntnisse haben, sind davon besonders betroffen.

Wo liegen die Hürden für den Zugang Geflüchteter zu Gesundheitsleistungen? Ich denke, es ist ein undurchsichtiges System, nicht nur für die Geflüchteten, sondern auch auf Seiten der Ärzte, weil es keine einheitlichen Regelungen gibt. Die Verantwortung liegt bei den Kommunen und die Ausgestaltung erfolgt dann jeweils unterschiedlich.

Wäre es eine Lösung, die elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete (eGK) nicht nur, wie aktuell, in sechs Bundesländern und einzelnen Kommunen, sondern in ganz Deutschland anzubieten? Es wäre auf jeden Fall eine Möglichkeit, für etwas mehr Transparenz in dem System zu sorgen und für eine stärkere Einheitlichkeit. Das würde bedeuten, es gäbe eine Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen ohne einen Behandlungsschein. Man hätte eine Chipkarte, mit der medizinische Versorgung in Anspruch genommen werden kann und zwar im Rahmen eines klar definierten gesetzeskonformen Leistungsspektrums. Es wäre einheitlich und es wäre kostengünstiger, weil die Kommunen den Leistungskatalog der Krankenkassen nutzen könnten.

Schutzsuchende brauchen Hilfe und Beratung und diese steht ihnen laut Bundesinnenministerium auch zu. Das DIW Berlin hat untersucht, inwieweit dies auf Personen zutrifft, die zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland geflüchtet sind. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? In den Daten des SOEP wird erfasst, in welchen Bereichen Unterstützung benötigt wird und wer sie in Anspruch nimmt. Zu diesen Bereichen gehören das Erlernen der deutschen Sprache, Gesundheit und medizinische Versorgung, rechtliche Fragen zu Asyl, Arbeitssuche und der Bereich der Bildung. In all diesen Bereichen gibt es Bedarfe, aber es wird nicht alles in gleichem Ausmaß benötigt. Zudem sind die Bedarfe und die Inanspruchnahme nicht deckungsgleich. Es gibt in bestimmten Bereichen Bedarfe, die nicht gedeckt werden. Und der dritte wichtige Punkt ist, dass die Inanspruchnahme wiederum sozial selektiv ist. Das heißt, es gibt bestimmte Gruppen, die eher in der Lage sind, Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen als andere, und deshalb eher profitieren.

O-Ton von Cornelia Kristen
Gesundheit spielt auch für die Integration eine Schlüsselrolle - Interview mit Cornelia Kristen
Cornelia Kristen

DIW Fellow in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

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