DIW Wochenbericht 13/14 / 2024, S. 215-222
Isabell Braunger, Philipp Herpich, Franziska Holz, Julia Rechlitz, Claudia Kemfert
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„Die klimafreundliche Umstellung der Wärmeversorgung stellt die Kommunen vor Probleme. Mit geringerer Erdgasnachfrage werden die Verteilnetze teilweise überflüssig. Kaufen die Kommunen diese zurück, steht die Kosteneffizienz den Klimaschutzzielen entgegen. Gleichzeitig müssen sie auch ihrer Anschlusspflicht nachkommen.“ Franziska Holz
Die bestehenden Verteilnetze für Erdgas werden aufgrund der Dekarbonisierung der Wärmeversorgung in großen Teilen stillgelegt werden müssen. Für die Gasnetzbetreiber bestehen dazu weder regulatorische noch wirtschaftliche Anreize. Für die verbleibenden Kund*innen könnte eine verschleppte Stilllegung aber teuer werden. Dieser Wochenbericht untersucht, inwiefern die Kommunen durch die Rekommunalisierung des Gasgeschäftes und mit Hilfe der kommunalen Wärmeplanung die Erdgasinfrastruktur teilweise stilllegen können. Die Studie skizziert die mit beiden Instrumenten verbundenen Herausforderungen. Eine Rekommunalisierung führt demnach nicht unbedingt zu einer Beschleunigung der Stilllegung, und diese bleibt in den bisherigen Wärmeplänen unberücksichtigt. Außerdem erschwert der derzeitige, auf Kosteneffizienz und Anschlusspflicht ausgerichtete Regulierungsrahmen die Stilllegung. Die Kommunen haben zudem einen finanziellen Anreiz, aus dem Gasgeschäft weiterhin Einnahmen zu erzielen – auch weil alternative Einnahmequellen fehlen, um die öffentliche Daseinsvorsorge zu finanzieren. Notwendig sind daher Anpassungen in der Regulierung sowie weitere Unterstützung der Kommunen durch Bund und Länder, um die Teilstilllegung der Erdgasinfrastruktur zu organisieren.
Deutschland setzt in der Gebäudewärmeversorgung bisher auf die Nutzung von Erdgas. Im Jahr 2020 lag der Anteil von Erdgas bei 45 Prozent. Dafür werden Erdgasverteilnetze von rund 522000 Kilometern betrieben.Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt (2021): Monitoringbericht 2020. Report (online verfügbar, abgerufen am 5. März 2024. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht). In das Netz fließen jährlich hohe Investitionen für Ausbau und Instandhaltung: Im Jahr 2019 haben Verteilnetzbetreiber 1,5 Milliarden Euro in die Netze investiert.Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt (2021), a.a.O. Es gibt rund 700 Gasverteilnetzbetreiber in Deutschland.Bundesnetzagentur (2024): Eckpunktepapier Netze. Effizient. Sicher. Transformiert. Bundesnetzagentur (online verfügbar).
Die Wärmewendesoll durch das zum 1. Januar in Kraft getretene Gesetz für die Wärmeplanung und die Dekarbonisierung der Wärmenetze vorangetrieben werden. Dadurch wird die Erdgasnutzung durch Sanierungen, die zunehmende Elektrifizierung und den Ausbau der Fernwärme sukzessive zurückgehen. Auch die Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland prognostizieren – sogar in Szenarien mit hohem Anteil an synthetischen Gasen wie Wasserstoff – eine rückläufige Nutzung der Gasverteilnetze (Abbildung 1).Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2021): Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland 3 (online verfügbar). Teile der Netze werden daher nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können.Daniel Then et al. (2020): Impact of Natural Gas Distribution Network Structure and Operator Strategies on Grid Economy in Face of Decreasing Demand. Energies 13 (3), 664 (online verfügbar); Conor Hickey et al. (2019): Is There a Future for the Gas Network in a Low Carbon Energy System? Energy Policy 126, 480–493 (online verfügbar). Zentral für die kommunale Wärmewende wird die Koordinierung der StilllegungMit Stilllegung ist das Abschalten von Netzteilen oder ganzen Netzen gemeint. Das ist getrennt von einem möglichen Rückbau zu betrachten, bei dem die Rohre aus dem Boden entfernt werden. der Erdgasnetze und die Verzahnung mit den übrigen Energienetzen wie Strom und Fernwärme sein.
In diesem Wochenbericht werden verschiedene Möglichkeiten, mit den Herausforderungen der Wärmewende umzugehen, betrachtet, wie der Rückkauf der Erdgasnetze oder die nun geforderten kommunalen Wärmepläne. Dazu werden erste Wärmepläne, die es bereits in einigen baden-württembergischen Kommunen gibt, analysiert. Unterstützt wird die Analyse durch Interviews mit Akteur*innen der Wärmewende. Betrachtet werden zudem die wirtschaftlichen und regulatorischen Hürden der Wärmewende.
Eine Möglichkeit für die Kommunen, mit der Wärmewende umzugehen, ist, die Erdgasnetze zurückzukaufen. Aber auch dies ist kein unumstrittenes Unterfangen. Hamburg hat in den vergangenen Jahren die Energienetze zurückgekauft. Auch Berlin steht vor der Entscheidung, den lokalen Gasversorger zu kaufen.Philipp Herpich, Franziska Holz und Konstantin Löffler (2023): Wärmewende in Berlin: Versorgungssicherheit nach dem Erdgas mit erneuerbaren Energien gewährleisten. DIW Wochenbericht Nr. 49, 685–693 (online verfügbar)
Kommunen verbinden mit der Rekommunalisierung verschiedene Erwartungen, die in der Praxis möglicherweise nicht eintreten. Einerseits möchten sie die Energiewende vorantreiben und den Gasversorger dementsprechend beeinflussen. Dem steht andererseits der regulatorische Rahmen entgegen, der eine Anschlusspflicht zur Versorgung von Haushalten vorsieht und so die Verkleinerung der Netze einschränkt (Kasten 1). Zudem müssen die Kommunen ihre Investitionen amortisieren und werden ihre kommunalen Unternehmen ebenfalls möglichst gewinnorientiert betreiben. Je mehr und länger sie Erdgas vertreiben, desto höher sind die Gewinne. Die finanziellen Aussichten stehen daher oft der Motivation für mehr Klimaschutz entgegen.
Erdgasnetze sind, wie alle leitungsgebundenen Infrastrukturen, aus ökonomischer Sicht sogenannte natürliche Monopole. Das bedeutet, dass aufgrund ihrer hohen Fixkosten und relativ niedriger Betriebskosten der Aufbau und Betrieb eines einzigen Netzes effizienter ist als der Aufbau mehrerer Netze. Damit natürliche Monopole ihren Vorteil nicht zulasten der Verbraucher*innen mit hohen Preisen und geringen Investitionen ausnutzen, werden Erdgasnetze in der Europäischen Union reguliert.Die Umsetzung in Deutschland ist im Energiewirtschaftsgesetz geregelt: Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) (online verfügbar).
Die Regulierung beinhaltet drei grundlegende Prinzipien: den diskriminierungsfreien Zugang für Erdgasverkäufer zum Pipelinenetz, die Entflechtung der Netzunternehmen von den Erdgasverkäufern sowie die Netzentgelt- beziehungsweise die Gewinnregulierung. Eine Regulierungsbehörde wacht über die Einhaltung dieser Prinzipien; bei Verteilnetzbetreibern ist das entweder die Bundesnetzagentur oder die Landesregulierungsbehörde. Die Netzentgeltregulierung ist in Deutschland als Anreizregulierung vorgeschrieben. Das bedeutet, dass die Regulierung einen Anreiz liefern will, dass Netzbetreiber effizient wirtschaften.Vgl. Verordnung über die Anreizregulierung der Energieversorgungsnetze (ARegV) (online verfügbar); Astrid Cullmann et al. (2015): Keine Investitionshemmnisse in Elektrizitäts- und Gasverteilnetze durch Anreizregulierung. DIW Wochenbericht Nr. 6, 98–104 (online verfügbar). Dafür werden Effizienzvergleiche zwischen ähnlichen Firmen vorgenommen.Im Unterschied zur Anreizregulierung würde eine rein kostenbasierte Regulierung (cost-plus regulation) die Anrechnung aller Kosten vorsehen und damit einen Anreiz für unnötige Investitionen liefern. Die Ähnlichkeit wird anhand von Strukturparametern wie der Anzahl der Anschlusspunkte festgehalten.
Die Konzessionsverträge für Gasverteilnetze werden als sogenannte Wegenutzungsverträge für das gesamte Gebiet einer Gemeinde für bis zu 20 Jahre vergeben.EnWG, a.a.O., § 46. Konzessionsnehmer müssen den sicheren Betrieb und die Erweiterung von Gasnetzen gewährleisten, sofern dies wirtschaftlich vertretbar ist. Insbesondere besteht die Pflicht, alle Anschlussbegehren innerhalb der Gemeinde zu erfüllen, also gegebenenfalls auch neue Leitungen und Anschlüsse zu bauen (Allgemeine Anschlusspflicht).EnWG, a.a.O., § 18. Die Gemeinden können in den Ausschreibungen für die Konzessionsverträge auch sogenannte Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft berücksichtigen. Allerdings haben die gesetzlichen Ziele der Versorgungssicherheit und der Kosteneffizienz Vorrang vor gemeindespezifischen Zielen wie dem Klimaschutz.
Für die Kommunen gibt es zwei Möglichkeiten, Energienetze zu rekommunalisieren. Zum einen kann sich die Kommune bei der Neuvergabe der Konzession mit einem eigenen Unternehmen bewerben. Bei der Neuvergabe einer Konzession gilt das Energiewirtschaftsgesetz für die Auswahl des zukünftigen Konzessionsnehmers (Kasten 1). Das Ausschreibungsverfahren muss diskriminierungsfrei ablaufen. Der Zuschlag für das kommunale Unternehmen ist in dem Ausschreibungsverfahren nicht garantiert. Bei Übertragung der Konzessionsrechte an ein anderes Unternehmen steht dem Altkonzessionär eine angemessene Vergütung für das Netz zu. Diese kann sich an den künftig zu erzielenden Erlösen orientieren.
Alternativ zum Übergang der Konzessionen vom privaten Altkonzessionär auf ein kommunales Unternehmen können Kommunen den Gasnetzbetreiber kaufen, der die Konzessionsrechte besitzt. Das Land Berlin beispielsweise prüft den Kauf von Anteilen am Gasversorger Gasag.CDU und SPD (2023): Koalitionsvertrag 2023–2026 . Das Beste für Berlin (online verfügbar). Der Vorteil bestünde in der Kontinuität im Betrieb, da das Gasversorgungsunternehmen intakt und das Wissen für den Betrieb des Netzes weiterhin erhalten blieben. Allerdings birgt die Beteiligung Risiken, da die Kommune die Verpflichtungen des Unternehmens übernehmen würde und zukünftige Gewinne in der Umbruchphase auf dem Wärme- und Energiemarkt nur schwer zu bestimmen sind. Um den Kaufpreis zu ermitteln, müssen Kommunen die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wie die zukünftige Gasnachfrage, die regional verfügbaren Wasserstoffmengen sowie die erwarteten Brennstoff- und CO2-Preise abschätzen.
Wünschenswert ist, dass die zentralen energiewirtschaftlichen Annahmen, die einem Kauf zu Grunde liegen, veröffentlicht werden. Denn es handelt sich um öffentliche Gelder, die an anderer Stelle für die Energiewende fehlen. Zu berücksichtigen ist, dass Wasserstoff in Zukunft nur einen Bruchteil des aktuellen Gasverbrauchs ersetzen wird (Abbildung 2). In der Wissenschaft besteht ein weitgehender Konsens, dass Wasserstoff ungeeignet für den Einsatz in Heizungssystemen ist, da er knapp, teuer und ineffizient sein wird.Jan Rosenow (2022): Is heating homes with hydrogen all but a pipe dream? An evidence review. Joule, 10 (6), 2225–2228 (online verfügbar). Die politische Anerkennung dieser Probleme zeigt sich in der Nationalen Wasserstoffstrategie, die zwar kein klares „Nein“ zu Wasserstoff in dezentralen Heizungen formuliert, aber erkennen lässt, dass der Einsatz von Wasserstoff in Gebäuden weitgehend abgelehnt und nur in wenigen Einzelfällen in Betracht gezogen wird.Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2023): Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (online verfügbar).
Der alleinige politische Wille für eine Rekommunalisierung reicht nicht aus. Ziehen Kommunen eine Rekommunalisierung in Betracht, ist die Höhe der Zahlung an den Altkonzessionär maßgeblich für die Bewertung der Kaufentscheidung. Der Kaufpreis bestimmt, wie viel Erdgas in Zukunft verkauft werden muss, um die Investition zu amortisieren. In Hamburg konnte zehn Jahre nach dem Kauf erst ein Drittel der Kosten erwirtschaftet werden.Andreas Dassel (2023): Zehn Jahre Rückkauf der Energienetze. Ein Gewinn für Hamburg und das Klima (online verfügbar).
Diese Zeit bleibt den Kommunen in Zukunft nicht für die Amortisation. Die Klimaziele sehen vor, dass der CO2-Ausstoß sinken muss. Erdgas kann deswegen nur höchstens bis zum Jahr 2045 geliefert werden, schon zuvor wird der Verbrauch stark sinken. Dies muss sich in Kaufentscheidung und -preis widerspiegeln, sonst geben Kommunen hohe Summen für fossile Infrastrukturen aus und das Geld fehlt an anderer Stelle für die Energiewende.
Die Entscheidung für die Rekommunalisierung sollte in jedem Fall in einen kommunalen Wärmeplan eingebettet sein, aus dem die verbleibenden Gasmengen nachvollziehbar hervorgehen und der so den Rahmen für den verbleibenden Netzbetrieb vorgibt. Der Wärmeplan sollte dabei die absehbar geringen Wasserstoffmengen und den Rückgang der Wärmenachfrage insgesamt berücksichtigen (Abbildung 3).
Kritisch zu bewerten bleibt der Interessenskonflikt der Kommunen, die zwischen Klimaschutz und Gewinnerwirtschaftung durch das Erdgasgeschäft nach einer Rekommunalisierung abwägen müssen. Zudem sorgt der Regulierungsrahmen mit vorgeschriebener Anschlusspflicht dafür, dass Gasnetzverkleinerungen kaum möglich sind. Das verhindert ebenfalls stärkeren Klimaschutz, selbst wenn ein kommunales Unternehmen die Gasnetze betreibt. Die Vorgaben kommen aus dem bundesdeutschen Energiewirtschaftsgesetz (Kasten 1) und sind daher nicht direkt von den Kommunen beeinflussbar.
Das Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze trat zum 1. Januar 2024 in Kraft.Wärmeplanungsgesetz (WPG) (online verfügbar). Die Bundesregierung will damit die Wärmeversorgung treibhausgasneutral umstellen und Klimaschutzziele bis 2045 stützen. Das Gesetz verpflichtet alle Kommunen in Deutschland mit mehr als 100000 Einwohner*innen zur Durchführung einer Wärmeplanung bis Mitte des Jahres 2026. Alle Kommunen mit weniger als 100000 Einwohner*innen haben dafür bis Mitte 2028 Zeit; eine vereinfachte Planungsvorgabe gilt für Kommunen mit weniger als 10000 Einwohner*innen. Der Planungsprozess umfasst sieben Schritte und muss spätestens alle fünf Jahre überprüft oder fortgeschrieben werden (Abbildung 4). Es ist vorgesehen, dass verschiedene Stakeholder, wie Erdgas- oder Wärmenetzbetreiber und alle Träger öffentlicher Belange, in den Prozess einbezogen werden.
Das Wärmeplanungsgesetz schafft den Zugang zu bisher nicht öffentlichen Daten, zum Beispiel von Versorgern und Schornsteinfeger*innen über Gasnetzanschlüsse, Heizanlagen oder Verbrauchsdaten, und ermöglicht es Kommunen dadurch erst, eine leitende und koordinierende Rolle in der Wärmeplanung einzunehmen.
Die Wärmeplanung kann dazu beitragen, das Planungsdefizit der Wärmewende zu überwinden, Investitionssicherheit für erneuerbare Infrastrukturen zu schaffen und die Anpassungserwartungen von Konsument*innen zu erhöhen. Im Idealfall würden die Wärmepläne Aussagen über die mittel- und langfristige Versorgung eines Gebiets mit Erdgas enthalten. Erdgaskund*innen wüssten dann, bis wann sie ihre Gasheizung ersetzen müssten, und Erdgasnetzbetreiber könnten dort, wo die Netze länger betrieben werden müssen, ihre Investitionen vorausschauend tätigen und gezielt in die Instandhaltung investieren.Für die Planung der schrittweisen Stilllegung sollten risikobestimmende Faktoren herangezogen werden, wie Alter des Netzes, hohe anstehende Investitionen für die Instandhaltung, voraussichtlich sinkender Gasverbrauch durch Quartiersmodernisierung, fortgeschrittenes Alter der Gaskessel, Ankerkunden für die Fernwärme sowie anstehende Tiefbaumaßnahmen, die die Verlegung von Wärmenetzen begünstigen könnten. Eine solche planvolle Vorgehensweise für die Stilllegung der Verteilnetze wäre notwendig, wird jedoch im Wärmeplanungsgesetz nicht gefordert. Die folgende Analyse der kommunalen Wärmeplanung in einigen Kommunen in Baden-Württemberg zeigt, dass nicht damit gerechnet werden kann, dass die Kommunen eine solche Planung trotzdem vornehmen.
Baden-Württemberg ist Vorreiter bei der Umsetzung der kommunalen Wärmeplanung in Deutschland. Seit Dezember 2020 ist die Wärmeplanung für die größten Gemeinden verpflichtend. Die Kommunen mussten bis Ende 2023 die Wärmepläne vorlegen. Eine Auswertung dieser ersten Erfahrungen liefert Erkenntnisse für die Umsetzung in ganz Deutschland. Die Daten für die vorliegende Analyse stammen aus Interviews mit 20 Vertreter*innen der wichtigsten Interessengruppen der Wärmewende in Baden-Württemberg sowie fünf wissenschaftlichen Expert*innen.Die detaillierte Auswertung der Interviews ist verfügbar in Isabell Braunger (2023): Communal heat planning: Overcoming the path-dependency of natural gas in residential heating? Environmental Innovation and Societal Transitions. Volume 48. 100768 (online verfügbar). Interviewt wurden unter anderem Vertreter*innen von Stadtwerken, Netzbetreibern, Energieagenturen sowie vom Landeswirtschaftsministerium (Kasten 2). Zusätzlich wurden sechs veröffentlichte Wärmepläne aus baden-württembergischen Kommunen analysiert.
Die Daten für diese Analyse stammen aus Interviews mit 20 Vertreter*innen der wichtigsten Interessengruppen der Wärmewende in Baden-Württemberg sowie fünf wissenschaftlichen Expert*innen. Interviewt wurden unter anderem Vertreter*innen von Stadtwerken, Netzbetreibern, Energieagenturen, kommunale Akteure sowie vom Landeswirtschaftsministerium. Die semi-strukturierten Interviews wurden zwischen Oktober und Dezember 2021 geführt und anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.Jochen Gläser und Grit Laudel (2010): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse: als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. 4. Aufl., VS Verlag für Sozialwissenschaften (online verfügbar).
Zusätzlich wurden sechs Wärmepläne aus Baden-Württemberg analysiert, von den Gemeinden Lörrach, Freiburg, Giengen, Baden-Baden, Obersontheim und Kirchheim-Unterteck. In diesen Gemeinden waren die kommunalen Wärmepläne bis Ende 2023 bereits fertiggestellt und online verfügbar. Die Analyse basierte auf einer Matrix, die sich auf die zukünftige Entwicklung des Gasnetzes im Wärmeplan konzentrierte und verschiedene qualitative Dimensionen untersuchte. Diese Dimensionen umfassten die Festlegung klarer Rückzugsgebiete, die Identifizierung und Erläuterung von Risikofaktoren für eine Stilllegung des Gasnetzes und die Entwicklung konkreter Maßnahmen zur Stilllegung. Zudem wurde – falls vorhanden – die allgemeiner orientierte Diskussion der Problematik ausgewertet.
Die Auswertung von Wärmeplänen aus Baden-Württemberg zeigt, dass die Notwendigkeit der Stilllegung von Erdgasverteilnetzen bisher nicht ausreichend berücksichtigt wird. Eine konkrete Planung der Stilllegung, zum Beispiel durch die Einteilung von Vorranggebieten, findet in den ausgewerteten Plänen nicht statt. Selbst in Gebieten, die als Vorranggebiete für Fernwärmeversorgung ausgewiesen werden, wird nicht explizit gesagt, wann die Erdgasverteilnetze voraussichtlich stillgelegt werden. Begründet wird das damit, dass noch eine hohe Unsicherheit bezüglich der Entwicklung und Verfügbarkeit erneuerbarer Gase wie Wasserstoff bestünde.Siehe beispielsweise Kommunale Wärmeplanung des Landkreises Lörrach (online verfügbar). Als Folge bleibt es für Erdgaskund*innen trotz einer bestehenden Wärmeplanung weiter unklar, wie lange der Betrieb ihrer Gasheizung möglich ist.
Verunsicherung ist nur ein Grund, weshalb baden-württembergische Kommunen die Stilllegung der Erdgasverteilnetze nicht ausreichend berücksichtigen. Die Kommunen stoßen zudem bei der Planung und auch bei der späteren Umsetzung auf wirtschaftliche und regulatorische Hürden. Die gewonnenen Ergebnisse stammen aus den in Baden-Württemberg geführten Interviews, beziehen sich aber auf Rahmenbedingungen, die bundesweit gelten, und sind deshalb allgemein formuliert und übertragbar auf Kommunen in anderen Bundesländern.
Geschäftsmodelle von kommunalen Energie- und Wärmeversorgern basieren bisher stark auf dem Vertrieb von Erdgas.Isabel Schrems und Lorena Eulgem (2022): Die Rolle des Erdgasgeschäfts von Stadtwerken für die kommunale Daseinsvorsoge – Eine Fallstudienanalyse (online verfügbar). Im Jahr 2017 beschäftigen Stadtwerke im Gasbereich dreimal mehr Mitarbeiter*innen als im Fernwärmebereich.Thomas Bruckner et al. (2017): Kommunale Energieversorger: Gewinner oder Verlierer der Energiewende? Wiso Diskurs (online verfügbar). Es ist davon auszugehen, dass sich an diesem Verhältnis in den vergangenen Jahren kaum etwas geändert hat. Die Versorgungsunternehmen müssen für die Wärmewende neue Kompetenzen, Strategien und Geschäftsmodelle entwickeln. Die Anpassung der Geschäftsmodelle kann zu Zielkonflikten führen, insbesondere beim Ausbau der Fernwärme in Gebieten mit bestehendem Erdgasnetz, zeigen die Interviews.
Außerdem wurden in vielen Kommunen mit den Gewinnen der Stadtwerke aus dem Gasgeschäft andere Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge quer finanziert.Vgl. Bruckner et al. (2017) a.a.O. Ein Rückgang der Erlöse aus dem eigenen Erdgasgeschäft könnte für die Kommunen zu finanziellen Problemen führen.Schrems und Eulgem (2022), a.a.O.
Gehört das Erdgasnetz einem privaten Betreiber, entgehen den kommunalen Haushalten Einnahmen aus Konzessionsabgaben.Auch kommunale Netzbetreiber bezahlen Konzessionsabgaben, allerdings geht das von den Gewinnen der kommunalen Unternehmen ab und verringert Gewinne, die für die Finanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge genutzt werden können. Konzessionsabgaben sind eine wichtige und konjunkturunabhängige Einnahmequelle, besonders für kleinere Gemeinden. Viele Kommunen hätten daher ein geringes Interesse am Ende des Erdgasgeschäfts, gab einer der Interviewten zu bedenken. Gleichzeitig haben die Kommunen die Möglichkeit, die kommunale Wärmeplanung aktiv mitzugestalten.
Die bestehende (Anreiz-)Regulierung der Erdgasverteilnetze ist auf den Ausbau und den Erhalt der Netze ausgelegt, während eine Verkleinerung der Netze bisher kaum möglich ist. Bestehende Netze müssen weiter betrieben werden, solange auch nur vereinzelt Anschlüsse bestehen.Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG), §§11, 17, 18 und 20 (online verfügbar).
Die Kosten für die Instandhaltung und den Betrieb der Netze werden auf die angeschlossenen Gaskund*innen umgelegt. Wenn in Zukunft Kund*innen sukzessive auf eine regenerative Wärmeversorgung umsteigen, werden die Netzentgelte für die immer weniger verbleibenden Gaskund*innen steigen.Agora Energiewende (2023): Ein neuer Ordnungsrahmen für die Erdgasverteilnetze (online verfügbar). Dies könnte die Akzeptanz der Wärmewende verringern, zum Beispiel bei Mieter*innen, die keinen Einfluss auf ihre Heizanlage haben, aber die steigenden Netzentgelte tragen müssen.
Die Konzessionsverträge zwischen Gemeinden und Gasnetzbetreibern geben den Rahmen vor, was mit dem Netz passiert. Allerdings können Kommunen nur in sehr begrenztem Umfang, im Sinne der kommunalen Wärmeplanung, Einfluss auf den Inhalt der Konzessionsverträge nehmen. Das Konzessionsgebiet umfasst grundsätzlich das gesamte Gemeindegebiet. Eine Verkleinerung des Konzessionsgebiets, zum Beispiel aufgrund des kommunalen Wärmeplans, ist nicht möglich. Die Konzessionsvergabe erfolgt ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien. Kriterien wie Klimaschutz sind bisher nicht zulässig.Julian Senders (2022): Wärmeplanung und Gaskonzessionen: Eine Untersuchung der bestehenden kommunalen Spielräume in der Wärmeplanung unter besonderer Berücksichtigung von Wärmenetzen. Würzburger Studien zum Umweltenergierecht Nr. 27 (online verfügbar).
Die Gasverteilnetzbetreiber müssen laut Gesetz die Netze innerhalb von 45 bis 55 Jahren abschreiben.EnWG , a.a.O., § 46. Eine vorzeitige Stilllegung führt zu nicht gedeckten Investitionskosten und erfordert Wertberichtigungen – die Unternehmen haben sogenannte Stranded Assets in der Bilanz.Veit Bürger et al. (2021): Agenda Wärmewende 2021. Studie im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität und Agora Energiewende (online verfügbar). In Deutschland wurden 55 Prozent der Leitungen zwischen 1990 und 2020 gebaut oder erneuert. Diese wären bis 2045 nur teilweise abgeschrieben.Ronny Lange, Agnes Schwigon und Michael Steiner (2021): Bestands- und Ereignisdatenerfassung Gas – Ergebnisse aus den Jahren 2011 bis 2020 (online verfügbar). Die Bundesnetzagentur hat die Notwendigkeit einer Anpassung der kalkulatorischen Nutzungsdauer und der Abschreibungsmodalitäten für die Wärmewende erkannt und zu diesem Zweck ein Konsultationsverfahren eröffnet.Bundesnetzagentur (2024): Eckpunkte zu den Abschreibungsmodalitäten für die Gasnetztransformation (online verfügbar). Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Stilllegung der Erdgasverteilnetze voranzubringen.
Die gesetzliche Verpflichtung zur Wärmeplanung schafft bei den Kommunen eine Verantwortlichkeit, die Wärmewende zu koordinieren. In den Interviews haben verschiedene Akteur*innen jedoch darauf hingewiesen, dass die Personaldecke in den meisten Kommunen dünn und der Aufbau von zusätzlichen Kapazitäten bei niedrigen Ausgleichszahlungen für die Wärmeplanung nicht ausreichend gewährleistet ist. Dies kann zu mangelnder Kontinuität in der Wärmeplanung und -durchführung sowie zu Wissensasymmetrien gegenüber anderen Akteuren und damit zu einer unzureichenden Vertretung kommunaler Interessen führen.
Zudem ist in Baden-Württemberg die Einbindung zentraler Akteure und der Öffentlichkeit in den Planungsprozess nicht verpflichtend. Dementsprechend sind keine finanziellen Mittel dafür vorgesehen. Zivilgesellschaftliche Akteure haben in den Interviews den Prozess aufgrund der fehlenden Beteiligungsmöglichkeiten als intransparent bezeichnet. Dabei ist es ein großer Vorteil der kommunalen Wärmeplanung, dass sowohl eine Fachöffentlichkeit als auch die Bürger*innen einbezogen werden können und dadurch frühzeitig eine Akzeptanz für die Transformation geschaffen werden kann. Deshalb sollten Kommunen ermutigt und bestmöglich dabei unterstützt werden, diesen Vorteil der kommunalen Wärmeplanung zu nutzen.
Die Erdgasnachfrage für die Gebäudewärme wird in den nächsten Jahren zurückgehen. Damit für die wenigen verbleibenden Kund*innen die Netzentgelte nicht zu teuer werden, müssen die Erdgasverteilnetze schrittweise stillgelegt werden. Die kommunale Wärmeplanung ist ein erster wichtiger Schritt, um bei der Wärmewende Fahrt aufzunehmen, und wäre theoretisch ein gutes Instrument für die Planung der Stilllegung. Die Auswertung der ersten Wärmepläne zeigt aber, dass Kommunen die Zukunft der Gasnetze mit Verweis auf die großen Unsicherheiten ausklammern. Hinzu kommt, dass an der Stilllegung bisher weder die Eigner – ob kommunal oder privat – ein wirtschaftliches Interesse haben, noch diese bisher in der Regulierung vorgesehen ist. Kosteneffizienz und Anschlusspflicht gelten im Energiewirtschaftsgesetz und der Anreizregulierung bisher vorrangig. Klimaschutz sollte mit diesen Zielen gleichwertig gestellt werden, um die Stilllegung von Gasverteilnetzen zu ermöglichen. Die von der Bundesregierung im März 2024 gestartete Konsultation zur Zukunft der Erdgasverteilnetze und parallele Prozesse bei der Bundesnetzagentur gehen in die richtige Richtung.Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2024): Green Paper Transformation Gas-/Wasserstoff-Verteilernetze (online verfügbar); Bundesnetzagentur (2024), a.a.O.
Auch für kommunale Eigentümer gelten die Beschränkungen durch die Regulierung und die fehlenden ökonomischen Anreize, die die Stilllegung von Erdgasnetzen erschweren. Die Rekommunalisierung von Gasnetzen, die bisher im privaten Besitz sind, ist daher nicht unabdingbar, um die klimafreundliche Umstellung der Wärmeversorgung zu erreichen. Kommunen und Stadtwerke brauchen in Zukunft Unterstützungsangebote, um den Rückgang der Erdgasnachfrage adäquat aufzufangen. Dies kann zum Beispiel die Entwicklung neuer Finanzierungskonzepte für die Bereitstellung von Diensten der Daseinsvorsorge beinhalten. Zudem sollten die Kommunen ermutigt werden, einen klaren Fahrplan für die vorhandene Erdgasverteilnetzinfrastruktur zu entwickeln, auch wenn dies bisher nicht explizit im Wärmeplanungsgesetz gefordert wird.
JEL-Classification: L95;R53;Q48
Keywords: natural gas infrastructure, heat, infrastructure planning, stranded assets
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-13-1