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Politische Kommunikation zum Bürgergeld muss verbessert und die Debatte versachlicht werden: Interview

DIW Wochenbericht 17 / 2024, S. 260

Jürgen Schupp, Erich Wittenberg

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Herr Schupp, Sie haben in Kooperation mit Kollegen der Universität Bochum die Beschäftigten in sieben Jobcentern in Nordrhein-Westfalen nach ihren Erfahrungen mit dem neuen Bürgergeld befragt. Wie fällt die Gesamtbilanz aus? Die Jobcenterbeschäftigten beurteilen das Bürgergeldgesetz mehrheitlich skeptisch, insofern ermittelten wir eine eher negative Gesamtbilanz, und sie erkennen nur wenige Verbesserungen. Nur knapp jeder fünfte Beschäftigte in den von uns befragten Jobcentern sieht im Bürgergeld wirklich eine Verbesserung, ungefähr die Hälfte bewertet es eher als eine Verschlechterung.

Was wurde beispielsweise positiv beurteilt? Überwiegend Zustimmung finden beispielsweise die neuen Regelungen, um Langzeitarbeitslose mit Coaching-Angeboten den Weg in die Erwerbstätigkeit zu erleichtern. Auch die Erhöhung des Regelsatzes für Kinder in Form des Kinderzuschlags stößt auf hohe Zustimmung, genauso wie die Einführung einer Bagatellgrenze als Mittel zum Bürokratieabbau.

Welche Änderungen wurden überwiegend abgelehnt? Die neue Sanktionspraxis im Bürgergeldgesetz, mit der schrittweise die Leistungen gemindert werden können, ist bei unserer Befragung auf den höchsten Grad an Ablehnung gestoßen. Aber auch die Erhöhung des Regelsatzes für Erwachsene sowie die höheren Freibeträge beim Schonvermögen finden bei den Beschäftigten in Jobcentern mehrheitlich keine Zustimmung.

Inwieweit sorgt die Einführung des Bürgergeldes für kontroverse Diskussionen auch zwischen den verschiedenen Abteilungen der Jobcenter? Wir haben bei der Befragung zwei Gruppen berücksichtigt und unterschieden. Zum einen Beschäftigte der Leistungsgewährung, die vor allem die sozialrechtlichen Ansprüche des Bürgergeldbezugs prüfen und bewilligen, sowie Beschäftigte des Bereiches „Markt und Integration“, deren Tätigkeit vor allem in der regelmäßigen Integrationsarbeit mit den Leistungsberechtigten liegt. Im Saldo fallen die Bewertungen der Beschäftigten der Leistungsgewährung noch etwas skeptischer aus als bei den Mitarbeitenden im Bereich „Markt und Integration“.

Wie gut ist die organisatorische Umstellung gelungen? Die Mitarbeitenden gaben an, dass sie zu 83 Prozent mit den Neuerungen des Bürgergeldgesetzes gut vertraut sind und auch innerhalb der Jobcenter mehrheitlich die neuen Regelungen umfassend erläutert wurden. Seitens der Leistungsberechtigten gehen die Beschäftigten in den Jobcentern davon aus, dass mittlerweile auch eine Mehrheit der Kund*innen mit den neuen Regelungen vertraut ist.

Lassen die überwiegend negativen Antworten der Befragten den Rückschluss zu, dass das Bürgergeldgesetz nicht gut gelungen ist? Eine solche Bilanz wäre sehr voreilig, denn wir haben nur einen kleinen Puzzlestein an Erkenntnissen aus der Perspektive der Beschäftigten von Jobcentern. Das Ziel ist ja, die Erwerbsintegration von Leistungsberechtigten zu verbessern und sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ob das gelingt, müssen weitergehende Forschungen zeigen.

Wie sollte die Politik auf Ihre Ergebnisse reagieren? Wir sehen es als dringend geboten, die politische Kommunikation zu verbessern und die Debatte bezüglich des Bürgergeldgesetzes zu versachlichen. Vor allem sollten umfassende Forschungsergebnisse, die derzeit erarbeitet werden, abgewartet werden, bevor neue Reformen des Bürgergeldes oder gar neue Konzepte in die politische Debatte geworfen werden. Gefragt ist jetzt eher eine politische Kommunikation, die die Debatte versachlicht, pragmatisch über die Bedarfslagen der Betroffenen und deren Ansprüche aufklärt und den erst seit wenigen Monaten in Kraft getretenen Umbauprozess erklärt.

O-Ton von Jürgen Schupp
Politische Kommunikation zum Bürgergeld muss verbessert und die Debatte versachlicht werden - Interview mit Jürgen Schupp

Jürgen Schupp

Wissenschaftler in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

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