DIW Wochenbericht 18 / 2024, S. 275
Claudia Kemfert, Erich Wittenberg
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Frau Kemfert, wie haben sich die Erdgas- und Strompreise seit dem Krisenjahr 2022 entwickelt? Die Erdgas- und Strompreise sind seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zwar gestiegen, aber seit dem Herbst 2022 dann wieder gesunken. In der Gaskrise sind die Gaspreise zunächst stark gestiegen und damit zusammenhängend auch die Strompreise, weil diese an den Gaspreis gekoppelt sind. Beides ist mittlerweile gesunken.
Hat die Abschaltung der Kernkraftwerke die Strompreise nach oben getrieben, wie viele Kritiker sagen? Die Abschaltung der Atomkraftwerke hat die Strompreise nicht nach oben getrieben, weil wir nur noch drei Atomkraftwerke am Netz hatten, die am Ende nur noch vier bis sechs Prozent des Stroms produziert haben. Das ging im Rauschen des europäischen Strommarktes unter. Modellsimulationen zeigten, dass die Strompreise maximal sehr gering nach oben gehen könnten. In Wahrheit sind sie jetzt sogar gesunken.
Kernkraftwerke verursachen keine CO2-Emissionen und sind auch nicht wetterabhängig. Wären sie nicht doch eine Option für die Energiewende? Die Atomkraftwerke sind keine Option für die Energiewende. Sie sind teuer, risikoreich und auch nicht automatisch sicher. Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass die Atomkraftwerke aufgrund von Kühlwassermangel gerade im Zuge des Klimawandels oft abgeschaltet werden mussten. Das heißt, hier haben wir gar keine Versorgungssicherheit. Zudem passen sie nicht zur Energiewende, weil sie nicht so schnell hoch- und heruntergefahren werden können, wie wir es eigentlich bräuchten.
Im Jahr 2022 gab es in Deutschland große Angst vor Energieknappheit. Inwieweit war seitdem die Versorgungssicherheit auf dem deutschen Strommarkt gefährdet? Die Versorgungssicherheit auf dem deutschen Strommarkt war zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Wir hatten immer ausreichend Strom und sogar Überkapazitäten. Kohlekraftwerke sind in Reserve gegangen und wir hatten ausreichend erneuerbare Energien. Zudem ist die Stromnachfrage zurückgegangen, weil die Energiekrise leider auch zu einem konjunkturellen Einbruch geführt hat.
Im Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien wird gefordert, dass der Bruttostromverbrauch im Jahr 2030 zu mindestens 80 Prozent aus Erneuerbaren stammen soll. Wie realistisch ist das Erreichen dieses Ziels? Das Ziel, dass wir bis 2030 80 Prozent erneuerbare Energien haben, ist durchaus realistisch. Erneuerbare haben derzeit einen Anteil von über 50 Prozent an der Stromerzeugung. Wichtig ist, dass das Tempo des Ausbaus der erneuerbaren Energien nicht nachlässt. Insbesondere die Solarenergie hat an Tempo zugenommen, bei der Windenergie brauchen wir noch ein schnelleres Tempo und erleichterte Verfahren.
Wie lange brauchen wir noch Energie aus Kohle und Erdgas? Wir können den Anteil von Kohlestrom bis 2030 deutlich reduzieren, wenn wir einen Turbo beim Ausbau der erneuerbaren Energien einlegen. Der Erdgasausstieg muss nun eingeleitet werden. Wir wollen und müssen ja nach aktuellen Berechnungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen bis spätestens 2037 klimaneutral werden. Deswegen ist es wichtig, dass der Anteil von fossilen Energien möglichst schnell sinkt.
Ist die Netzstabilität gewährleistet, wenn 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien stammen? Wichtig ist, dass zeitgleich die Anteile von den fossilen Energien heruntergefahren werden. Zudem müssen wir auch die Netzertüchtigung im Blick haben und das vor allen Dingen auf der Verteilnetzebene. Wir sehen ja aktuell am Beispiel Oranienburg, dass es zu Problemen kommen kann, wenn man nicht rechtzeitig ertüchtigt. Dass das passiert, ist bundesweit wichtig. Dann kann man Netzstabilität auch mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien erreichen.
Themen: Ressourcenmärkte, Klimapolitik, Energiewirtschaft