DIW Wochenbericht 18 / 2024, S. 276
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ChatGPT und andere Modelle generativer künstlicher Intelligenz (KI) haben im vergangenen Jahr eine Welle der Faszination ausgelöst. Was in einigen Bereichen bereits ein großer Produktivitätsgewinn ist, birgt für viele Anwendungen dennoch die Gefahr hoher Fehlerquoten. Doch statt sich auf Diskussionen über die Chancen und Risiken neuer KI-Modelle zu beschränken, sollte ein weiterer Umstand beachtet werden: Die ohnehin schon wenigen großen Tech-Konzerne können mit generativer KI ihre Macht ausnutzen und sogar noch vergrößern.
Obwohl (generative) KI – angesichts der Fülle komplexer Aufgaben in der heutigen Arbeitswelt – noch nicht als in der Breite verlässliches Werkzeug angewendet werden kann, erscheint eine breite gesellschaftliche Akzeptanz bereits vorhanden zu sein: In US-Umfragen gaben über 30 Prozent der Befragten an, dass sie generative KI nutzen, um Rat für finanzielle Entscheidungen zu suchen. Dabei leiden diese Systeme nach wie vor unter hohen Fehlerquoten und produzieren mitunter unsinnige oder systematisch verzerrte Inhalte. Dies liegt maßgeblich daran, dass die bereitgestellten Sprachmodelle nicht für spezielle Zwecke entwickelt wurden. Sie taugen daher (noch) nicht als Finanzberater oder als Ersatz für den Arztbesuch. Für die aktuell bestehenden Sprachmodelle wurde undifferenziert die größte verfügbare Masse an digitalisierten Daten verwendet – und erst dann in begrenztem Maße durch menschliche Expertise angepasst und verifiziert. Die verwendeten Daten sind jedoch durchsetzt von Fehlern und Stereotypen, wie sie sich in der Gesellschaft, die ebendiese Daten generiert hat, manifestieren. Das ist auch deswegen ein Problem, da Algorithmen keine neutralen Wahrheits- oder Informationsmaschinen sind, sondern der Umgang mit solchen Fehlern nicht zuletzt interne Entwicklungs- und Marketingentscheidungen von Unternehmen wie Alphabet, Meta und Microsoft widerspiegelt.
Ökonomisch betrachtet können die generativen KI-Modelle die Dominanz weniger großer Tech-Unternehmen fortsetzen. Aufgrund ihrer bereits etablierten Position in Cloud-Infrastrukturen und Betriebssystemen scheinen Unternehmen wie Alphabet und Microsoft hierbei kaum einholbar zu sein, und auch die anderen drei Tech-Riesen Amazon, Apple und Meta haben in Milliardenhöhe in KI investiert. Dies sollte zum Nachdenken anregen, wenn über die Zukunft generativer KI spekuliert wird. Unternehmen, die KI entwickeln und vermarkten, können entscheiden, wie sie datenbasierte Software entwickeln. Als Gesellschaft können wir hierauf durch die Setzung von regulatorischen Rahmenbedingungen aber durchaus Einfluss nehmen.
Eine entscheidende Rolle spielt hierbei, dass die neuen EU-Verordnungen zu digitalen Diensten und Märkten effektiv umgesetzt werden. Sie zielen darauf ab, die Marktdominanz der großen Digitalkonzerne aufzubrechen und digitale Dienste transparenter und verlässlicher zu machen. Es geht darum, Risiken von KI, die sich nicht zuletzt durch die Interessen der machtvollen Tech-Konzerne ergeben, einzudämmen. Somit könnten die gesellschaftliche Akzeptanz von (generativer) KI nachhaltig gefördert und Produktivitätsgewinne durch Innovation ermöglicht werden. Die Europäische Kommission müsste stärker als bisher geplant in die notwendige technische und wettbewerbsinstitutionelle Expertise investieren. Durch unabhängige Expertise kann verhindert werden, dass die Tech-Konzerne dank ihrer beeindruckenden Ressourcen in den laufenden Stakeholder-Verfahren die implizite Kontrolle über die Umsetzung der Verordnungen übernehmen. Ein weiterer effektiver Weg, mehr Transparenz und ein besseres Verständnis für durch KI beeinflusste Marktergebnisse zu erhalten, wäre, im Digital Markets Act unabhängigen Wissenschaftler*innen den Zugang zu Daten der Gatekeeper zu ermöglichen.
Letztendlich wird es aber auch von der Höhe der Investitionen in Daten- und Recheninfrastrukturen sowie in die interdisziplinäre Grundlagenforschung abhängen, wenn es um die Qualität künftiger KI geht. Es reicht nicht, erfolgreiche und durchaus innovative Konzerne zu regulieren. Es müssen auch Potenziale für neue Innovationssprünge, die auch bestehende Marktkonstellationen überwinden können, gefördert werden.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 22. April 2024 bei Table.Media erschienen.