DIW Wochenbericht 19 / 2024, S. 288
Claudia Kemfert, Jan Rosenow
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Seit einiger Zeit gibt es viel Aufregung darum, was mit den Gasnetzen passiert, wenn im Zuge der Energiewende der Gasbedarf immer weiter zurückgehen wird. Bis 2045 wird ein steiler Abfall in der Erdgasnutzung erwartet. In den wesentlichen Szenario-Studien wird schon bis zum Jahr 2035 eine Reduktion des Erdgasverbrauchs zwischen 28 Prozent und 63 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022 erreicht. Das bedeutet zwangsläufig einen schrittweisen Rückbau der Gasnetze, da sich diese nicht mehr wirtschaftlich betreiben lassen. Das Gasnetz ist in Deutschland über 500000 Kilometer lang. Etwa die Hälfte aller Haushalte in Deutschland heizt mit Gas. Der Anteil von Erdgas zur Stromerzeugung liegt derzeit bei etwa zehn Prozent.
Seit Jahrzehnten wirbt eine Gas-Lobby in Deutschland für Erdgas als sogenannte „Brückentechnologie“, ohne die es in Deutschland angeblich kalt würde und die Lichter ausgingen. Das stimmt natürlich nicht, da auch ohne Erdgas geheizt werden kann, beispielsweise mittels der sehr viel effizienteren Wärmepumpen oder mittels Fernwärme. Auch Strom kann ohne Erdgas hergestellt werden, vor allem aus erneuerbaren Energien. Dennoch war und ist die Strategie noch immer sehr erfolgreich, jüngst erkennbar an dem großen Aufschrei um die angebliche Vernichtung von „Volksvermögen“ bei Stilllegung der Erdgasnetze.
Netzentgelte für verbleibende Gaskund*innen werden steigen, je mehr Verbraucher*innen sich vom Gasnetz entkoppeln, indem sie beispielsweise auf eine Wärmepumpe umstellen. Dies wird besonders einkommensschwache Haushalte treffen. Wir sehen diese Entwicklung bereits in Frankreich, wo jüngst die Netzentgelte aufgrund der schrumpfenden Kundenzahl erhöht wurden. Analysen der britischen Energieregulierungsbehörde Ofgem zeigen, dass die Netzentgelte innerhalb von 20 Jahren um den Faktor 10 ansteigen könnten. Und je länger Kommunen warten und sich nicht vorbereiten, desto teurer kann es werden.
Daher wird die EU-Kommission zu Recht die Länder auffordern, wie im Gaspaket vereinbart, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Gasnetze schneller abzuschreiben und stillzulegen. Derzeit ist beides nicht möglich. Im Gegenteil, derzeit bestehen noch Anreize, Erweiterungen und Ersatzinvestitionen in das existierende Gasnetz zu tätigen, anstatt Stilllegungen vorzubereiten. Zu allem Überfluss werden Unsicherheiten geschürt durch das Versprechen, dass Gasnetze weiter betrieben werden könnten, wenn statt Erdgas Wasserstoff zum Einsatz kommt. Dies ist allerdings sowohl technisch als auch ökonomisch unsinnig. Der Einsatz von Wasserstoff im Wärmebereich ist ineffizient und zu teuer, wie mittlerweile mehr als 50 unabhängige Studien belegen.
Fehlende Planungen und Unsicherheiten über Wärmepläne können hohe individuelle und volkswirtschaftliche Kosten verursachen. Kommunen sollten schnellstmöglich Wärmepläne erarbeiten, die sicherstellen, dass eine geordnete Stilllegung der Gasnetze und Alternativen für Gaskund*innen ermöglicht werden. Insbesondere müssen Kommunen aufpassen, dass sie nicht dem Trugschluss erliegen, eine mögliche Rekommunalisierung sei die Lösung. Diese kann sehr teuer sein, zudem müssen die Kosten für die Stilllegung und Umstellung berücksichtigt werden.
Die effizienteste Form der Wärmegewinnung ist oftmals durch Wärmepumpen gegeben, aber auch Nah- und Fernwärmeangebote können attraktiv sein, wenn sie mittels erneuerbarer Energien sowie Großwärmepumpen gewonnen werden oder unvermeidbare Abwärme nutzen. Statt ins existierende Erdgasnetz sollte besser in die Umstellung investiert werden. Die Rahmenbedingungen müssen rasch angepasst werden. Der Bund hat mit dem Green-Paper und die Bundesnetzagentur hat mit der möglichen vorzeitigen Abschreibung der Gasnetze erste gute Vorschläge erarbeitet. Gaskund*innen sollte Unterstützung angeboten werden, sich umzuorientieren, statt Gasheizungen einzubauen. Es bleibt zu hoffen, dass die Verbraucher*innen im Fokus bleiben. Sonst wird es teuer – für die Gaskund*innen und die deutsche Volkswirtschaft.
Der Beitrag ist in einer längeren Fassung am 19. April 2024 bei Focus Online erschienen.
Themen: Ressourcenmärkte, Energiewirtschaft, Digitalisierung