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Höhere Sparzinsen: Längst nicht für alle ein Segen: Kommentar

DIW Wochenbericht 20 / 2024, S. 304

Marcel Fratzscher

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Viele Menschen haben jahrelang sehnsüchtig auf das Ende der Nullzinsen gewartet, in der Hoffnung, dass sich Sparen dann endlich wieder lohnt. Nun, da die Zinsen seit fast zwei Jahren wieder höher sind, realisieren viele, dass sie davon nicht nur nicht profitieren, sondern sie ihren Konsum und ihren Lebensstandard sogar reduzieren mussten. Eine aktuelle Studie der Bundesbank erklärt die Gründe und unterstreicht, wie dringend wir in Deutschland einen besseren öffentlichen Diskurs zu Sparen und Schulden benötigen.

Deutschland ist im globalen und im europäischen Vergleich ein sehr reiches Land mit viel privatem Nettovermögen. Insgesamt beläuft es sich auf die schier unvorstellbare Summe von etwa 17700 Milliarden Euro – das Vierfache der jährlichen deutschen Wirtschaftsleistung. Dieses Vermögen besteht natürlich bei weitem nicht nur aus Spareinlagen. Der größte Teil sind Immobilien und Betriebsvermögen. Aber auch größere Konsumgüter wie Autos gelten als Vermögen. Um daraus das Nettovermögen zu berechnen, werden Verbindlichkeiten wie Hypotheken oder Kredite abgezogen. Die neue Studie der Deutschen Bundesbank zeigt, dass das mittlere private Nettovermögen in den letzten 15 Jahren von 54000 Euro auf über 103000 Euro gestiegen ist. Deutschland hat jedoch die größte Ungleichheit bei privaten Vermögen im gesamten Euroraum. Das bestätigen auch nochmals die neuen Zahlen der Bundesbank: Die reichsten zehn Prozent besitzen mehr als 61 Prozent aller Nettovermögen, die unteren 50 Prozent lediglich 2,3 Prozent. Mit 40 Prozent hat zudem ein ungewöhnlich großer Anteil der Menschen in Deutschland gar kein nennenswertes Nettovermögen.

Wer profitiert also von höheren Zinsen? Natürlich sind es die Hochvermögenden, wohingegen die meisten Haushalte mit wenig oder ohne Nettovermögen und auch viele Haushalte mit mittleren Nettovermögen nicht profitieren. Sie alle werden unter dem Strich finanziell stärker belastet und müssen ihren Konsum reduzieren – aus zwei Gründen: Zum einen bedeuten höhere Zinsen eben nicht nur mehr Zinserträge auf die Ersparnisse, sondern auch eine stärkere Belastung durch Kredite. Viele Menschen mit mittleren und geringen Vermögen haben Kredite für den Konsum, als Hypothek auf das Eigenheim oder für den eigenen Betrieb. Sie müssen entsprechend bedeutend höhere Zinsen zahlen und daher eine höhere finanzielle Belastung schultern – somit haben sie weniger Geld für Konsum und den eigenen Lebensstandard.

Der zweite Grund sind die indirekten Effekte der Zinserhöhungen auf Arbeitseinkommen und andere Einkommen. So reduzieren Zinserhöhungen die Einkommen der ärmeren Hälfte der Bevölkerung durch geringere Arbeitseinkommen. Denn höhere Zinsen bedeuten, dass sich die Unternehmen mit Investitionen zurückhalten und sich mittelfristig auch die Nachfrage und damit die Rendite der Unternehmen reduziert. In der Folge entwickeln sich die Löhne und Einkommen der Beschäftigten schlechter. Auch Haushalte von Selbstständigen mit mittleren Vermögen sind häufig stark negativ von höheren Zinsen betroffen, weil ihre Betriebsvermögen weniger Einkommen schaffen.

Die Kehrseite dieser Effekte ist, dass höhere Zinsen ja per se kein Selbstzweck sind, sondern in der Regel angehoben werden, um die Inflation zu reduzieren und Preise stabil zu halten. Dies ist wichtig, um die Kaufkraft und damit den Lebensstandard vor allem von Menschen mit mittleren und geringen Einkommen zu schützen. Daher braucht es eine differenzierte Analyse der Effekte von Zinsveränderungen.

Vieles deutet heute darauf hin, dass die EZB nun die Zinsen senken könnte und sollte, da sie ihr Ziel der Preisstabilität wieder erreicht. Die Wirtschaft ist aber nach wie vor schwach, und die Zinsen werden nur nach und nach sinken. Für sehr viele Menschen in diesem Land werden daher die negativen Effekte der hohen Zinsen weiter überwiegen – nicht nur für die vielen Menschen mit wenigen oder keinen Ersparnissen, sondern auch für viele in der Mittelschicht.

Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 3. Mai 2024 im Rahmen von „Fratzschers Verteilungsfragen“ bei ZEIT Online erschienen.

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