DIW Wochenbericht 24 / 2024, S. 347-348
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Die deutsche Wirtschaft erholt sich – allerdings schleppender als erhofft. Im Laufe dieses Jahres wird die Entwicklung aber wohl endlich an Fahrt gewinnen, sodass die deutsche Wirtschaft im Jahresdurchschnitt um 0,3 Prozent wachsen dürfte. Für das kommende Jahr ist Stand jetzt ein Plus bei der Wirtschaftsleistung von 1,3 Prozent zu erwarten. Auch wenn die Enttäuschung über das Ausbleiben einer stärkeren wirtschaftlichen Dynamik bei vielen groß ist: Deutschland ist nicht der kranke Mann Europas. Die Hauptgründe für die wirtschaftliche Schwäche sind vor allem eine restriktive Finanz- und Geldpolitik, der bisher enttäuschend schwache private Konsum und der große Pessimismus bei Unternehmen und Verbraucher*innen.
Sechs Faktoren erklären die wirtschaftliche Schwäche und nur schleppende Erholung der europäischen und insbesondere der deutschen Volkswirtschaft. Eine der größten Bremsen ist die restriktive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Normalerweise senkt eine Zentralbank in wirtschaftlich schlechten Zeiten den Leitzins unter das Niveau des neutralen Zinses, sodass die Zinsen die Wirtschaft weder bremsen noch stimulieren. Dieser Zins dürfte im Euroraum derzeit zwischen zwei und drei Prozent liegen. Da die EZB jedoch mit einer hohen Inflation zu kämpfen hatte, blieb ihr in den vergangenen beiden Jahren keine andere Wahl, als die Zinsen stark zu erhöhen. Dies hat die Investitionen der Unternehmen deutlich gebremst. Vor allem die Baubranche hat wegen hoher Kosten und stark gestiegener Zinsen einen dramatischen Einbruch erlitten. Die EZB erreicht jedoch mittlerweile ihr Ziel der Preisstabilität annähernd wieder. Die aktuelle DIW-Konjunkturprognose, die wir Ihnen in dieser Ausgabe des DIW Wochenberichts vorstellen, sagt für dieses Jahr eine Inflationsrate von 2,3 Prozent voraus und für das Jahr 2025 von 2,0 Prozent. Die EZB dürfte nach der ersten Zinssenkung Anfang Juni in diesem Jahr noch zwei weitere kleinere Zinssenkungen vollziehen – doch auch dann wird die Geldpolitik für die nächsten beiden Jahre restriktiv ausgerichtet bleiben.
Der zweite Faktor sind die nach wie vor sehr schwachen Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen, die nicht nur auf schwierige Finanzierungbedingungen zurückzuführen sind, sondern auch auf eine ungewöhnlich hohe Unsicherheit über die künftige Nachfrage und die Rahmenbedingungen. Vor allem die energieintensive Industrie ist einem hohen Transformationsdruck ausgesetzt und leidet unter einer gesunkenen Nachfrage. Die Aussichten für die Industrie verbessern sich jedoch stetig, auch weil sich die Exporte seit kurzem dynamischer entwickeln als erwartet und die Weltwirtschaft weiter auf Erholungskurs ist.
Der dritte und mit der wichtigste Grund für die schwächelnde deutsche Wirtschaft ist die nach wie vor schwache private Konsumnachfrage. Die meisten Beschäftigten haben heute geringere reale Einkommen als noch vor drei Jahren, da die Preise stärker gestiegen sind als die Löhne. Vor allem Menschen mit mittleren und geringen Einkommen, die häufig kaum Ersparnisse haben, mussten ihren Konsum reduzieren. Seit Ende 2023 steigen die Reallöhne für viele jedoch wieder, sodass der private Konsum im Laufe des Jahres 2024 zur wichtigsten Stütze der deutschen Wirtschaft werden dürfte.
Der vierte Grund sind die Exporte, die für eine offene Volkswirtschaft wie die deutsche besonders bedeutend sind, sich bis zum ersten Quartal dieses Jahres jedoch äußerst schleppend entwickelt haben. Mit der Erholung der Weltwirtschaft ist der Ausblick für die Exporte – und damit für viele Industrieunternehmen – aber in den kommenden beiden Jahren durchaus vielversprechend.
Der fünfte Grund ist die Finanzpolitik, die gerade in Deutschland zu wenig tut, um die von der Bundesregierung versprochene „Wirtschaftswende“ anzuschieben. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie diesen, in denen die deutsche Volkswirtschaft deutlich unter ihrem Potenzial bleibt, wäre eine expansive Finanzpolitik notwendig, um den wirtschaftlichen Aufschwung zu unterstützen und permanenten Schaden zu verhindern. Dies erfordert finanzielle Entlastungen für Bürger*innen und Unternehmen, genauso wie deutlich stärkere öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz und Innovation. Der Haushalt 2024 bremst die Wirtschaft jedoch. Die massiven Einsparungen im Bundeshaushalt 2025 dürften dies noch verstärken und damit die Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Unternehmen und den Wirtschaftsstandort Deutschland schwächen. Dies ist einmal mehr ein Beleg dafür, dass die Schuldenbremse zu einem erheblichen wirtschaftlichen Problem für Deutschland geworden ist. Dabei hätte die Bundesregierung mit dem Krieg in der Ukraine eine mehr als legitime Begründung für eine wirtschaftliche Notlage, die eine Ausnahme von der Schuldenbremse rechtfertigen würde. Ein weiterer Grund dafür wäre die Hochwasserkatastrophe im Süden Deutschlands, wo in Bayern und Baden-Württemberg große Schäden entstanden sind, die nur mithilfe öffentlicher Hilfsprogramme zu beheben sein dürften. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung finanzpolitisch endlich einen Kurswechsel vollzieht und von ihrem Austeritätskurs abrückt. Die vorliegende DIW-Konjunkturprognose geht jedoch erst einmal nicht davon aus.
Der sechste Grund für die wirtschaftliche Schwächephase ist das fehlende Vertrauen und die große Verunsicherung bei Unternehmen und Bürger*innen. Viele schauen pessimistisch in die Zukunft und haben wenig Vertrauen, dass sich die wirtschaftliche Lage nachhaltig bessern wird. Die Verantwortung dafür liegt jedoch nur zum Teil bei der Politik. Auch Wirtschaft und Unternehmen müssen mehr Verantwortung übernehmen, eigene Fehler eingestehen und die ökologische und technologische Transformation mit mehr Mut und Zuversicht angehen. Die Stimmungsindikatoren haben sich jüngst zwar deutlich verbessert. Es verbleiben jedoch signifikante Risiken, auf die Deutschland keinen Einfluss hat, wie geopolitische Konflikte. Eine Eskalation des Handelskonflikts zwischen China und den USA etwa würde die deutsche Wirtschaft hart treffen.
Ein Lichtblick ist der deutsche Arbeitsmarkt: Die Beschäftigung dürfte in diesem Jahr auf ein Rekordniveau von mehr als 46 Millionen Personen steigen – vor allem dank der Zuwanderung, ohne die die Beschäftigung in Deutschland bereits seit einigen Jahren fallen würde. Auch die Löhne dürften weiter zulegen und in den nächsten zwei Jahren den Kaufkraftverlust durch die hohe Inflation der vergangenen Jahre ausgleichen.
Verhaltener Optimismus – das ist kurz gefasst das Kernelement dieser aktuellen DIW-Konjunkturprognose. Die Probleme und Risiken für die Wirtschaft sollten nicht klein geredet werden. Aber die Chancen überwiegen und der Ausblick für eine graduelle, aber nachhaltige Erholung ist gut.
Themen: Konjunktur