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Einsamkeitsbarometer: Ein wertvolles Instrument mit Potenzial zur Weiterentwicklung: Kommentar

DIW Wochenbericht 24 / 2024, S. 392

Theresa Entringer

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Die Einsamkeit in Deutschland ist nach der Pandemie höher als vorher. Dieses Ergebnis des Einsamkeitsbarometers des Bundesfamilienministeriums, das Ende Mai veröffentlicht wurde, ist ebenso erschreckend wie die weiteren Ergebnisse: Mehr und mehr sind junge Menschen einsam. Betroffen sind zudem vor allem Frauen, Menschen mit wenig Einkommen und Menschen mit Migrationserfahrung.

Dass wir all dies wissen, ist erst einmal bemerkens- und begrüßenswert. Es zeigt, dass die Bundesregierung Einsamkeit als gesamtgesellschaftliche Herausforderung ernst nimmt und die Einsamkeitserfahrungen in der Bevölkerung systematisch analysieren lässt. Auf dieser Grundlage lassen sich sinnvolle, evidenzbasierte politische Entscheidungen treffen. Doch sollte das Barometer an mindestens zwei Stellschrauben noch weiterentwickelt werden, damit Maßnahmen zielgerichteter erfolgen können.

Die Stärke des Einsamkeitsmonitorings liegt in seiner methodischen Gründlichkeit und den zugrunde liegenden Daten, dem Sozio-oekonomischen Panel, einer seit 1984 laufenden, repräsentativen Haushaltsbefragung. Die Verwendung dieser Daten ermöglicht es, das Ausmaß von Einsamkeit in verschiedenen Personengruppen der in Deutschland lebenden Menschen systematisch zu erfassen und auch Änderungen im Zeitverlauf zu beschreiben. Zugleich verweist das Barometer mit der Benennung bisher unzureichend betrachteter Bevölkerungsgruppen (jüngere und hochaltrige Menschen, in Heimen lebende Menschen, LGBTIQ*, aber auch Sinti und Roma) auf einige notwendige Weiterentwicklungen.

Bei aller Anerkennung für die bisherigen Bemühungen sollte das Barometer zukünftig auch die Dimension der chronischen Einsamkeit stärker in den Fokus nehmen. Dies ist dringend notwendig, um die gesundheitlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen von Einsamkeit abschätzen zu können. Chronische Einsamkeit, also Einsamkeit, die über längere Zeiträume hinweg besteht, hat gravierende Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit. Sie erhöht das Risiko für Depressionen, Angststörungen und sogar für körperliche Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Probleme. Bisher basieren die Auswertungen auf einem Indikator, der Menschen als einsam definiert, die häufiger als manchmal von Einsamkeit betroffen sind. Sinnvoll wäre es, zusätzlich einen Einsamkeitsindikator aufzunehmen, der Menschen als einsam definiert, die oft oder gar sehr oft von Einsamkeit betroffen sind und dies auch über mehrere Befragungszeitpunkte berichten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der im Einsamkeitsbarometer zukünftig verstärkt berücksichtigt werden sollte, sind regionale Unterschiede. So zeigten bereits mehrere Studien, dass Einsamkeit in verschiedenen Regionen Deutschlands unterschiedlich ausgeprägt ist und unterschiedliche Ursachen hat, die nicht unbedingt mit der Urbanität oder Ländlichkeit zusammenhängen. Dazu zählen die unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedingungen in den Regionen wie Arbeitslosigkeit, aber auch kulturelle und demografische Unterschiede. Zudem kann der Zugang zu sozialen Dienstleistungen, Gesundheitsversorgung und Freizeitmöglichkeiten regional unterschiedlich sein.

Zwar sind präzise Schätzungen auf regionaler Ebene mithilfe des SOEPs nicht möglich. Doch wäre es hilfreich, in einer zukünftigen Version des Barometers einen Überblick über regionale Mittelwertverteilungen von Einsamkeit zu erhalten. Diese Analysen würden es politischen Entscheidungsträger*innen ermöglichen, noch zielgerichteter Maßnahmen zur Bekämpfung von Einsamkeit zu entwickeln und zu implementieren.

Durch die Ergänzungen um chronische Einsamkeit und regionale Unterschiede kann das Monitoring noch präzisere Einblicke bieten und zur Entwicklung von Maßnahmen beitragen, die langfristig und in verschiedenen Lebenskontexten wirksam sind. Letztlich ist die Bekämpfung von Einsamkeit nicht nur eine Frage der individuellen Lebensqualität, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Ein umfassendes und differenziertes Monitoring kann dabei helfen, die sozialen Strukturen zu stärken und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.

Theresa Entringer

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

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