Direkt zum Inhalt

Höheres Haushaltseinkommen geht bei Frauen und Männern mit höherer Lebenserwartung einher

DIW Wochenbericht 25 / 2024, S. 395-400

Johannes Geyer, Peter Haan, Julie Tréguier

get_appDownload (PDF  381 KB)

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  2.45 MB - barrierefrei / universal access)

  • Analyse aktueller Daten bestätigt, dass höhere Einkommen mit höherer Lebenserwartung und besserer psychischer und physischer Gesundheit einhergehen
  • Anders als bei Männern hängt bei Frauen individuelles Einkommen aber nicht mit Lebenserwartung zusammen
  • Da Frauen oft geringere individuelle Einkommen haben, aber nicht zwangsläufig auch ihr Haushaltseinkommen niedrig ist, berücksichtigt Studie auch dieses
  • Menschen mit höheren Haushaltseinkommen haben ein geringeres Sterberisiko und eine bessere Gesundheit; dies gilt für Männer wie für Frauen
  • Geringe Rentenanwartschaften aufzuwerten, widerspricht Äquivalenzprinzip der Rentenversicherung daher nicht

„Der Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenserwartung führt dazu, dass Menschen mit niedrigen Einkommen von ihrem Einkommen relativ viel in die Rente einzahlen, aber wenig rausbekommen. Bei den Reichen ist es umgekehrt. Wir haben bei der Rente sozusagen eine Umverteilung von unten nach oben.“ Johannes Geyer

Besser gebildete Menschen oder Menschen mit höherem Einkommen haben eine bessere Gesundheit und eine höhere Lebenserwartung. In diesem Wochenbericht werden anhand aktueller Daten frühere Studien zu diesem Thema aktualisiert und gezeigt, dass dieser Zusammenhang unter Männern besonders stark ausgeprägt ist. Da Frauen aufgrund von Sorgearbeit häufiger ihre Karriere unterbrechen oder in Teilzeit arbeiten, gibt es kein klares Muster zwischen ihrem individuellen Einkommen und ihrer Lebenserwartung. Dieser Wochenbericht berücksichtigt daher das Haushaltseinkommen. Er zeigt: Menschen mit höheren Haushaltseinkommen haben ein geringeres Sterberisiko im Alter von 55 und 76 Jahren. Dies gilt für Männer wie für Frauen. Auch das Risiko für eine psychische oder physische Erkrankung ist deutlich geringer, wenn das Haushaltseinkommen hoch ist. Wenn Menschen mit niedrigen Renten, diese kürzere Zeit beziehen, weil sie systematisch früher sterben, widerspricht dies dem Äquivalenzprinzip der Rentenversicherung. Es legt zudem eher mehr als weniger Umverteilung in der Rente nahe. Argumente gegen eine Aufwertung geringer Rentenansprüche gelten nur, wenn eine durchschnittliche Lebenserwartung angenommen wird, was hier empirisch widerlegt wird. Auch eine Reform bei der Kranken- und Pflegeversicherung könnte gesundheitsbezogene Einkommensungleichheit adressieren.

Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an. Zwar hat sich ihr Anstieg seit Beginn der 2000er Jahre etwas verlangsamt, trotzdem nimmt sie jährlich um etwa 0,1 Jahre zu. Am aktuellen Rand hat die Corona-Pandemie zu einem leichten Rückgang geführt, in der Zukunft wird aber mit einem weiteren Anstieg gerechnet. Die Lebenserwartung bei Geburt liegt aktuell, basierend auf der Sterbetafel 2020/22, bei 83,2 Jahren für Frauen und bei 78,3 Jahren für Männer.infoStatistisches Bundesamt (2023): Durchschnittliche Lebenserwartung (Periodensterbetafel) (online verfügbar, abgerufen am 29.05.2024. Das gilt auch für alle anderen Onlinequellen, sofern nicht anders vermerkt).

Diese Berechnungen gelten allerdings nur für den Durchschnitt der Bevölkerung und werden in der Regel nur nach Geschlecht, Region und Alter differenziert berichtet. Verschiedene Studien haben aber gezeigt, dass erhebliche Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen sozioökonomischen Gruppen existieren und sich auch der Anstieg der Lebenserwartung zwischen diesen Gruppen deutlich unterscheidet. Neben den Unterschieden bei Männern und Frauen zeigen sich beispielsweise große Unterschiede nach Einkommen und Bildung. In der Tendenz gehen jeweils höhere Bildung und höheres Einkommen mit einer höheren Lebenserwartung einher und die Zunahme der Lebenserwartung fiel für besser Gebildete und Besserverdienende höher aus.infoPeter Haan, Daniel Kemptner und Holger Lüthen (2019): Besserverdienende profitieren in der Rentenversicherung zunehmend von höherer Lebenserwartung. DIW Wochenbericht Nr. 23, 391–399 (online verfügbar); Mathias Huebener und Jan Marcus (2019): Menschen mit niedriger gebildeter Mutter haben geringere Lebenserwartung. DIW Wochenbericht Nr. 12 , 197–204 (online verfügbar); Tom Günther und Mathias Huebener (2018): Bildung und Lebenserwartung: Empirische Befunde für Deutschland und Europa. DIW Roundup: Politik im Fokus (online verfügbar); Martin Kroh et al. (2012): Menschen mit hohem Einkommen leben länger. DIW Wochenbericht Nr. 38, 3–15. Thomas Lampert et al. (2018): Soziale Ungleichheit und Gesundheit im höheren Lebensalter. Journal of Health Monitoring, 3 (S1), 1–26 (online verfügbar).

In diesem Wochenbericht wird die Analyse der Unterschiede in der Lebenserwartung anhand neuer Daten aktualisiert und auch die Bedeutung des Haushaltseinkommens berücksichtigt. Neben Unterschieden nach Bildung und individuellem Einkommen werden die Unterschiede in der Sterbewahrscheinlichkeit entlang des Haushaltseinkommens aufgezeigt. Das Haushaltseinkommen wird als Einkommensmaß genutzt, weil es ein guter Indikator des Lebensstandards, also der Konsummöglichkeiten der Haushaltsmitglieder, ist.infoAndere Studien verwenden das individuelle Erwerbseinkommen, was aber, gerade für Menschen in Mehrpersonenhaushalten, ein weniger geeignetes Maß ist. Insbesondere bei älteren Menschen ist zudem das individuelle Vermögen eine wichtige Ressource, um den Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Leider liegen Vermögensdaten erst seit jüngerer Zeit und nur für wenige Zeitpunkte vor, so dass dieser Aspekt in der Untersuchung nicht berücksichtigt wird. Eine weitere Frage betrifft die Eignung des laufenden Einkommens als Proxyvariable für das Lebenseinkommen. Da nur Personen ab 55 Jahren betrachtet werden, ist das laufende Einkommen ein hinreichend verlässlicher Indikator der dauerhaften Einkommensposition. Siehe dazu auch Martin Nybom und Jan Stuhler (2016): Heterogeneous Income Profiles and Lifecycle Bias in Intergenerational Mobility Estimation. The Journal of Human Resources 51 (1), 239–268 (online verfügbar). Die Analyse basiert auf Daten des am DIW Berlin erhobenen Haushaltssurveys Sozio-oekonomisches Panel (SOEP).infoDas SOEP ist eine seit 1984 durchgeführte repräsentative Befragung von Haushalten und Individuen in Deutschland. Mehr Informationen zur Befragung finden sich in Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 239 (2), 345–360 (online verfügbar). Betrachtet werden Personen im Alter zwischen 55 und 76 Jahren, da die Sterbewahrscheinlichkeit ab diesen Altersgruppen deutlich zunimmt (Kasten).infoDer Wochenbericht ist Teil des Forschungsprojektes PENSINEQ, das über die Joint Project Initiative „JPI: More Years Better Lives“ (JPI-MYBL) gefördert wird.

Diese Studie basiert auf Daten des SOEP für die Jahre 1984 bis 2021. Die Stichprobe wurde auf die Altersgruppe 55 bis 76 Jahre beschränkt. Ein lineares Wahrscheinlichkeitsmodell wurde verwendet, um die Sterbewahrscheinlichkeit zu schätzen.infoDie Sterbewahrscheinlichkeiten liegen in den Daten des SOEP etwas unter denen, die vom Statistischen Bundesamtes berichtet werden. Der Bildungsindikator wurde mithilfe der ISCED-2011-Klassifikationsvariable gebildet und wie folgt definiert: geringe Bildung bezieht sich auf Personen in der Schule, mit Primarbildung und mit unterer Sekundarbildung; mittlere Bildung bezieht sich auf Personen mit höherer Sekundarbildung und postsekundärer, nicht-tertiärer Bildung; und hohe Bildung bezieht sich auf Personen mit tertiärer Bildung, Bachelor-, Master- und Doktorabschluss oder äquivalentem Niveau. Das individuelle Einkommen bezieht sich auf das Bruttoerwerbseinkommen im Vorjahr der Umfrage. Das Haushaltseinkommen beinhaltet alle relevanten Einkommensquellen und Steuern sowie das Transfereinkommen. Das verfügbare Haushaltseinkommen wurde anhand der modifizierten OECD-Äquivalenzskala gewichtet. Bei allen Statistiken wurden Gewichtungsfaktoren berücksichtigt.

Die Gesundheitsindikatoren zur physischen (PCS) und mentalen Gesundheit (MCS) stammen aus dem Kurzfragebogen SF-12 (Short Form Health Survey), der im SOEP seit dem Jahr 2002 alle zwei Jahre erhoben wird. Die Skalen sind normiert, das bedeutet, dass die durchschnittlich gesunde Person in der Stichprobe 50 Punkte erreicht, 100 ist der beste Wert, niedrige Werte entsprechend schlechter. Eine Standardabweichung ist auf zehn Punkte normiert.infoHanfried H. Andersen et al. (2007): Computation of Standard Values for Physical and Mental Health Scale Scores Using the SOEP Version of SF12v2. Schmollers Jahrbuch : Journal of Applied Social Science Studies/Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 127 (1), 171–182 (online verfügbar).

Besser gebildete Menschen leben länger, Unterschied bei Männern stärker als bei Frauen

Zwischen Bildung und der Sterbewahrscheinlichkeit besteht ein deutlicher Zusammenhang, sowohl für die gesamte Bevölkerung als auch getrennt für Frauen und Männer (Abbildung 1). Die Wahrscheinlichkeit, zwischen 55 und 76 Jahren zu sterben, liegt für Menschen mit niedriger Bildung bei etwa vierzehn Prozent. Für Menschen mit hoher Bildung ist die Wahrscheinlichkeit mit etwa neun Prozent deutlich geringer. Das Bild unterscheidet sich deutlich zwischen Frauen und Männern: Die Sterbewahrscheinlichkeit ist bei Frauen für alle Bildungsgruppen geringer als bei Männern. Gleichzeitig ist der Zusammenhang zwischen Bildung bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen. Der Unterschied zwischen Männern mit niedriger und hoher Bildung beträgt etwa sieben Prozentpunkte. Bei Frauen liegt die Differenz bei etwa fünf Prozentpunkten und ist vor allem zwischen Frauen mit niedriger und mittlerer Bildung groß.

Nur bei Männern geht höheres individuelles Einkommen mit niedrigerem Sterberisiko einher

Betrachtet man Männer und Frauen gemeinsam, zeigt sich zunächst ein klarer Zusammenhang zwischen Einkommen und Sterberisiko: Ein höheres individuelles Einkommen geht mit einer niedrigeren Sterbewahrscheinlichkeit einher (Abbildung 2). Allerdings bestehen deutliche Unterschiede, wenn man zwischen Männern und Frauen unterscheidet: Bei Frauen lässt sich kaum ein Unterschied nach der Höhe des individuellen Einkommens erkennen. Für alle Einkommensgruppen liegt die Wahrscheinlichkeit, im Alter zwischen 55 und 76 Jahren zu sterben, bei etwa neun Prozent. Bei Männern hingegen variiert die Sterbewahrscheinlichkeit deutlich mit dem Einkommen: Männer mit niedrigen Einkommen haben mit etwa 21 Prozent ein doppelt so hohes Risiko wie Männer mit den höchsten Einkommen (elf Prozent). Der wesentliche Grund für den Unterschied zwischen Männern und Frauen: Frauen mit Kindern unterbrechen unabhängig vom Bildungsstatuts häufiger und länger ihre Karriere. Ferner arbeiten sie im Durchschnitt weniger Stunden, in der Regel wegen der Sorgearbeit für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige, und haben dadurch ein geringeres Einkommen.infoDie Erwerbsunterbrechungen gehen zwar im Zeittrend zurück oder werden kürzer, die Quote der teilzeitbeschäftigten Frauen allerdings nicht. Siehe dazu auch Katharina Wrohlich (2024): Erwerbsbeteiligung von Frauen: Ursachen des hohen Teilzeitanteils und politische Handlungsoptionen. Aus Politik und Zeitgeschichte 74, 22 (online verfügbar). Sofern sie in Paarhaushalten leben, können sie jedoch in Zeiten, in denen sie nicht oder weniger arbeiten, auf die Ressourcen der anderen Haushaltsmitglieder zugreifen. Daher beschreibt das individuelle Einkommen den Lebensstandard von Frauen, der für ihre Lebenserwartung entscheidend ist, nur unzureichend.infoSiehe hierzu auch Nicole Brumm und Matthias Römer (2019): Gibt es einen Zusammenhang von Entgeltpunkten und Lebenserwartung? Anmerkungen zur differentiellen Sterblichkeit. RVaktuell Nr. 3, 72–79 (online verfügbar).

Mit höherem Haushaltseinkommen sinkt das Sterberisiko für Frauen und Männer

Da Frauen häufiger ihre Karriere unterbrechen, öfter in Teilzeit arbeiten und durchschnittlich weniger verdienen als Männer, haben Frauen ein niedrigeres individuelles Markteinkommen als Männer und sind häufiger auf das ergänzende Einkommen des Partners angewiesen als umgekehrt. Um die finanzielle Situation der Haushaltsmitglieder vollständig abzubilden, muss daher das Haushaltseinkommen betrachtet werden. Es berücksichtigt neben den eigenen Einkommen die weiteren Einkommen der Haushaltsmitglieder, sonstige Einkommen aus Vermögen und Verpachtung sowie Steuern und Transfers.infoDas Haushaltseinkommen wird mit der modifizierten OECD-Skala gewichtet, um Unterschiede in der Haushaltsgröße und Alterszusammensetzung zu berücksichtigen. Siehe dazu auch das DIW-Glossar zum Äquivalenzeinkommen (online verfügbar).

Für Frauen hängt das Haushaltseinkommen deutlich stärker mit der Sterbewahrscheinlichkeit zusammen als das individuelle Einkommen (Abbildung 3). Die Sterbewahrscheinlichkeit für Frauen mit den höchsten Haushaltseinkommen ist etwa vier Prozentpunkte geringer als für Frauen mit den geringsten Haushaltseinkommen. Bei Männern ist der Unterschied zwischen der Gruppe mit den höchsten und den niedrigsten Haushaltseinkommen immer noch stärker als bei Frauen, aber weniger ausgeprägt als bei den eigenen Einkommen. Entsprechend ist auch unabhängig vom Geschlecht die Sterbewahrscheinlichkeit für Menschen mit geringen Haushaltseinkommen höher als für Menschen mit hohen Haushaltseinkommen.

Höheres Haushaltseinkommen geht auch mit besserer Gesundheit einher

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum das Sterberisiko mit steigenden Haushaltseinkommen zurückgeht. Menschen mit höheren Einkommen haben in der Regel Berufe mit geringerer psychischer und physischer Belastung, können sich eher einen gesunden Lebensstil leisten und haben oft aufgrund von besserer Bildung und höherem Einkommen Zugang zu mehr und besserer medizinischer Vorsorge und Betreuung.infoSiehe dazu Günther und Huebener (2018), a.a.O. Alle diese Faktoren hängen eng miteinander zusammen und sind empirisch nur schwer zu trennen. Betrachtet man die psychische und physische Gesundheit der hier untersuchten Altersgruppe, so zeigt sich der erwartete Zusammenhang mit dem individuellen Einkommen (Abbildung 4) und dem Haushaltseinkommen (Abbildung 5) deutlich. Das gilt sowohl für Frauen als auch für Männer und wenn man beide Gruppen gemeinsam betrachtet. Allerdings gibt es auch Unterschiede: Männer haben tendenziell eine bessere physische und psychische Gesundheit als Frauen.

Fazit: Unterschiedliche Lebenserwartungen unterlaufen Äquivalenzprinzip

Das Sterberisiko in Deutschland unterscheidet sich deutlich nach Einkommen und Bildung. Der Zusammenhang ist besonders stark bei Männern, ist jedoch auch bei Frauen zu beobachten, wenn das Haushaltseinkommen betrachtet wird. Es wird deutlich, dass Einkommen nur eine Dimension von sozialer Ungleichheit erfasst. Weitere Ungleichheiten bestehen in der Lebenserwartung und der psychischen und physischen Gesundheit.

Die Ungleichheit in der Sterbewahrscheinlichkeit, die mit dem Einkommen deutlich korreliert, hat einige Implikationen für das umlagefinanzierte deutsche Rentensystem. Grundsätzlich gilt das Äquivalenzprinzip: Vereinfacht ausgedrückt besagt dieses Prinzip, dass die erwarteten Rentenleistungen in einem proportionalen Verhältnis zu den gezahlten Beiträgen stehen sollen. Versicherte, die mehr und länger einzahlen, bekommen auch eine höhere Rente. Die Unterschiede in der Lebenserwartung gehen mit Verteilungswirkungen im Rentensystem einher. Die Rentenversicherung sichert das Risiko eines langen Lebens ohne Einkommen ab. Menschen für die der Versicherungsfall eintritt, erhalten also mehr Leistungen aus dem System als Menschen, die früh versterben. Deswegen wird im Prinzip in der Rentenversicherung immer zwischen Menschen mit hohem und niedrigem Sterbealter umverteilt. Das ist kein Fehler, sondern genau der Sinn einer Versicherung gegen das Langlebigkeitsrisiko. Problematisch ist, dass die Lebenserwartung so stark mit dem Einkommen – auf dem die Rente wesentlich basiert – zusammenhängt. Im Durchschnitt beziehen Menschen mit hohen Erwerbseinkommen länger Rente als Menschen mit geringen Erwerbseinkommen. Dadurch wird im Rentensystem von Versicherten mit geringen Einkommen zu Versicherten mit hohen Einkommen umverteilt. Dieser Zusammenhang ist bei Männern besonders stark, da die Unterschiede in den Erwerbseinkommen höher sind und Einkommen stark mit Bildung zusammenhängen. Auch bei Frauen gibt es diesen Zusammenhang. Dieser erfolgt jedoch nicht über ihre eigenen Rentenansprüche, da heutige Rentnerinnen unabhängig von ihrer Bildung oft ihre Erwerbskarriere, in der Regel für Kindererziehung, unterbrochen haben und auf die Einkommen ihrer Partner und damit auf das Haushaltseinkommen angewiesen sind. Frauen mit hohen Haushaltseinkommen haben aber in der Regel auch höhere Ansprüche an die Hinterbliebenenrente und profitieren darüber länger vom Rentensystem.

Auch in anderen Sozialversicherungszweigen wirken sich die Unterschiede in der Lebenserwartung und der Gesundheit aus. So führt das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Kranken- und Pflegeversicherung dazu, dass tendenziell Menschen mit hohen Einkommen und besserer Gesundheit privat versichert sind. Menschen mit niedrigen Einkommen sind eher gesetzlich abgesichert. Dadurch müssen die Beiträge in der gesetzlichen Versicherung höher liegen als etwa in einem Versicherungssystem, das die ganze Bevölkerung absichern würde.infoZum Zusammenhang der sozialen Stellung und dem Pflegerisiko, siehe beispielhaft Johannes Geyer et al. (2021): Pflegebedürftigkeit hängt von der sozialen Stellung ab. DIW Wochenbericht Nr. 44, 727–734 (online verfügbar); und zu den Möglichkeiten einer Bürgerversicherung, siehe Heinz Rothgang, Franziska Heinze und Thomas Kalwitzki (2021): Zur Notwendigkeit einer Finanzreform der Pflegeversicherung jenseits der ‚kleinen Pflegereform‘ des GVWG. Gesundheits- und Sozialpolitik Nr. 4/5, 19–28 (online verfügbar). Siehe auch Heinz Rothgang und Dominik Domhoff (2021): Beitragssatzeffekte und Verteilungswirkungen der Einführung einer „Solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung“ : Gutachten im Auftrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE (online verfügbar).

Aus diesen Ergebnissen lassen sich wichtige Schlussfolgerungen für künftige Rentenreformen ableiten. Die hier dokumentierten Unterschiede können sicher nicht direkt zur Konzeption einer Rentenreform dienen, die von der individuellen Lebenserwartung abhängt. Eine individuelle Risikoadjustierung nach dem Einkommen würde die Frage aufwerfen, welche weiteren individuellen Merkmale in die Berechnung einfließen sollten. Die Ergebnisse können aber dazu dienen die Diskussion über die Einhaltung des Äquivalenzprinzips besser zu fundieren. Denn häufig wird mit dem Äquivalenzprinzip gegen Umverteilungsmaßnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung argumentiert. Bezieht man die hier vorgestellten Zusammenhänge zwischen Einkommen und Lebenserwartung ein, relativieren sich diese Einwände. Argumente gegen die Aufwertung geringer Rentenanwartschaften, um Altersarmut zu bekämpfen oder Lebensleistungen anzuerkennen, sind somit wenig überzeugend.

Julie Tréguier

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Staat

Johannes Geyer

Stellvertretender Abteilungsleiter in der Abteilung Staat

Peter Haan

Abteilungsleiter in der Abteilung Staat

Themen: Verteilung, Gender



JEL-Classification: I14;J38
Keywords: life expectancy, gender, income distribution
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-25-1

keyboard_arrow_up