Bei der Rente wird teilweise von unten nach oben umverteilt: Interview

DIW Wochenbericht 25 / 2024, S. 401

Johannes Geyer, Erich Wittenberg

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Herr Geyer, dass es in der Lebenserwartung Unterschiede zwischen verschiedenen sozioökonomischen Gruppen gibt, wurde bereits mehrfach gezeigt. Sie haben die Unterschiede in der Lebenserwartung neu analysiert. Welche neuen Daten haben Sie dazu verwendet? Wir haben genauer gesagt das Sterberisiko betrachtet und dazu aktuelle Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) mit einbezogen. Diese jüngeren Daten bestätigen im Prinzip die Ergebnisse früherer Studien.

Welche neuen Erkenntnisse bringt die Einbeziehung des Haushaltseinkommens? Wir haben noch einmal gezeigt, dass das verfügbare Haushaltseinkommen eine besondere Bedeutung hat, insbesondere für Frauen. Das ist eine Besonderheit, denn bei Frauen ist der Zusammenhang zwischen Sterberisiko und Einkommen nicht so sehr am individuellen Einkommen festzumachen, sondern am Haushaltseinkommen. Bei Männern ist das anders. Sowohl das individuelle Einkommen als auch das Haushaltseinkommen zeigen, dass ein höheres Einkommen mit einer besseren Gesundheit und einer höheren Lebenserwartung einhergehen.

Warum ist das individuelle Einkommen bei Frauen kein guter Indikator für die Lebenserwartung? Der Grund dafür liegt darin, dass das individuelle Einkommen abhängig ist von Entscheidungen im Lebensverlauf. Frauen unterbrechen häufig ihre Erwerbskarriere, arbeiten in Teilzeit und haben längere Ausfallzeiten. Das ist bei Männern anders. Deswegen hat das individuelle Einkommen für diese Personengruppe nur eine eingeschränkte Aussagekraft. Allerdings wohnen Frauen aus höheren sozioökonomischen Schichten tendenziell auch mit Männern zusammen, die ein höheres Einkommen haben und deswegen ist das Haushaltseinkommen für diese Gruppe besser dafür geeignet zu zeigen, dass dieser Lebensstandard mit einer höheren Lebenserwartung einhergeht.

Welche Bedeutung haben Ihre Ergebnisse für das deutsche Rentensystem, das ja für die Lebenserwartung einen Durchschnittswert zugrunde legt? Die Rente ist eine Versicherung gegen Langlebigkeit. Ich versichere mich damit eigentlich gegen eine Zeit, in der ich nicht mehr arbeiten kann, aber trotzdem auf Geld angewiesen bin. Jetzt ist es so, dass die Versicherung zwischen Menschen mit niedrigem und hohem Sterbealter umverteilt. Wenn ich früh sterbe, habe ich viel eingezahlt und kriege wenig raus. Wenn ich lange lebe, kriege ich mehr raus. Der Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenserwartung führt jetzt dazu, dass Menschen mit niedrigen Einkommen von ihrem Einkommen relativ viel in die Rente einzahlen, aber wenig rausbekommen. Bei den Reichen ist es umgekehrt. Das ist ein wichtiger Punkt, denn wenn die Lebenserwartung mit dem Einkommen korreliert, dann bedeutet das, dass wir hier eine Umverteilung haben, die am Einkommen ansetzt. Dann stellt sich natürlich die Frage, ob es gewünscht ist, dass wir bei der Rente sozusagen eine Umverteilung von unten nach oben haben.

Haben Ihre Ergebnisse auch Bedeutung für andere Sozialversicherungszweige? Wir wissen, dass Menschen mit niedrigem sozialen Status und niedrigem Einkommen, häufiger krank werden und häufiger Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung brauchen. Nun haben wir ein zweigeteiltes System und auf der einen Seite die gesetzliche und auf der anderen Seite die private Krankenversicherung. Genauso bei der Pflegeversicherung. Aber tendenziell sind Menschen mit höherem Einkommen eher in der privaten Krankenversicherung, und diese Menschen nehmen tendenziell weniger Gesundheitsleistungen in Anspruch. Die schlechten Risiken sammeln sich in der gesetzlichen Krankenversicherung und dadurch steigen dort natürlich die Beiträge. Dadurch fehlt hier sozusagen der solidarische Ausgleich.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Johannes Geyer
Bei der Rente wird teilweise von unten nach oben umverteilt - Interview mit Johannes Geyer

Johannes Geyer

Stellvertretender Abteilungsleiter in der Abteilung Staat

Themen: Verteilung, Gender

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