Der Schweinepreiszyklus oder wie die Konjunkturforschung den Landwirten hilft

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Der Schweinepreiszyklus oder wie die Konjunkturforschung den Landwirten hilft: 100 Jahre DIW Berlin

Schweine und Kartoffeln waren in den 1920er Jahren die beliebtesten Lebensmittel im Deutschen Reich. Landwirte bekamen gute Preise dafür – wenn nicht gerade Kartoffeln den Markt schwemmten oder zu viele Bauern ihre gemästeten Schweine geschlachtet hatten. Die Schweinpreise stiegen und fielen jedes Jahr und Agrarökonomen entwickelten Theorien zu den saisonalen Schwankungen. So sollte die große Nachfrage in den Ostseebädern die Preise im August in die Höhe treiben und der Rückgriff auf geräucherten Speck und andere Dauerwaren im März und April die Preise drücken. Auch das Ende der eingelagerten Kartoffeln im April und Mai für die Fütterung der Schweine sollte die Preise senken. Denn wenn es keine Kartoffeln gäbe, würden die Landwirte ihre Schweine zum Schlachter bringen und die Säue vom Eber trennen, damit sie nicht bald Ferkel füttern müssten.

„Die Schweinepreise bewegen sich in einer auffallenden regelmäßigen Wellenbewegung, in der Berge und Täler so aufeinander folgen, dass man von charakteristischen Schweinepreiszyklen sprechen kann.“ Arthur Hanau

Alles falsch, belegte der junge Agrarwissenschaftler Arthur Hanau in seiner Dissertation, die er 1928 im Vierteljahresheft zur Konjunkturforschung unter dem Titel „Die Prognose der Schweinepreise“ veröffentlichte. Hanau waren die extremen Schwankungen der Schweinpreise bekannt, aber als moderner Agrarökonom am Institut für Konjunkturforschung (heute DIW Berlin) wollte er mit den gerade aus den USA nach Deutschland eingeführten Methoden der Konjunkturforschung berechnen, warum es mal Schnitzel zu guten Preisen gab und dann das Eisbein unerschwinglich war. Mit den Preisstatistiken von 1896 bis 1914 und 1924 bis 1927 konnte Hanau nachweisen, dass die Schweinepreise konjunkturellen Zyklen unterlagen und nicht saisonal von Frühjahr bis Winter eines Jahres schwankten oder von den Essgewohnheiten der Deutschen beeinflusst waren. Mithilfe der Preise für Schlachtschweine und den Preisen für die Futtermittel Kartoffeln und Gerste ermittelte Hanau regelmäßige Zyklen von je drei bis vier Jahren von Preisanstieg und Niedergang.

Hanau folgerte, dass die Landwirte ihre Schweinebestände aufstocken, wenn das Verhältnis zwischen Futtermittelpreisen und Preisen für Jungschweine günstig ist. Die Bauern kauften also Ferkel und Futterkartoffeln, wenn sie billig waren - und überschwemmten 18 Monate später den Markt mit schlachtreifen Schweinen. Da alle anderen Landwirte auch die günstigen Kartoffeln zur Mast gekauft und Eber und Säue zusammengebracht hatten, mussten alle Bauern in einem ähnlichen Zeitraum die schlachtreifen Schweine verkaufen. Die Schlachtschweine überstiegen nun den Bedarf des Marktes, die Preise fielen, die Bauern reduzierten die Mast, das Angebot sank und die Preise stiegen wieder. Danach begann der der nächste Zyklus von zwei Jahren mit niedrigen Preisen und zwei Jahren mit hohen Preisen.

 

Bildliche Darstellung des Schweinezyklus, in: Reichsforschungsstelle für landwirtschaftliches Marktwesen (Hsg.), Schweinefibel. Was man vor dem Decken seiner Säue beachten muss, 1930. Zeichnung: Hermann Abeking.
© Herrmann Abeking

„Die Schweinepreise bewegen sich in einer auffallenden regelmäßigen Wellenbewegung, in der Berge und Täler so aufeinander folgen, dass man von charakteristischen Schweinepreiszyklen sprechen kann“, schrieb Hanau und brachte damit den Begriff der Schweinepreiszyklen in die Wirtschaftswissenschaften, der noch heute genutzt wird. Abgekürzt als Schweinezyklen verstehen Ökonominnen und Unternehmer darunter die unternehmerische Produktion, deren Produkte erst zeitverzögert auf den Markt kommen. Zwischen der unternehmerischen Investition und dem Marktgeschehen gibt es also eine Zeitspanne, die Unternehmer*innen zum Zeitpunkt ihrer Investition nicht übersehen können. Da das Auf und Ab der Preise grafisch dargestellt an ein Spinnennetz erinnert, wird der Schweinpreiszyklus auch als Cobweb-Theorem (Spinnenweb-Theorem) bezeichnet.

Dieser Zyklus tritt heute theoretisch in allen Branchen für Produkte und Angebote auf, die eine längere Vorlaufzeit haben, so dass die Produzentinnen und Produzenten die Auswirkungen auf den Markt nicht unmittelbar vorhersehen können. Klassische Beispiele sind die "Schweinezyklen" im Baugewerbe und in der Rohstoffindustrie, wo der Bau von Minen und Förderanlagen manchmal Jahre vom ersten Markteintritt entfernt ist. Als die Schweinepreiszyklen vor 100 Jahren entdeckt wurden, waren sie bahnbrechend und der Agrarökonom und Konjunkturforscher Arthur Hanau empfahl: „Die wissenschaftliche Preisprognose kann dem Landwirt bei der Kalkulation seiner Schweinmast einen Halt geben.“ Den Hinweis des IfK nahm die Reichsforschungsstelle für landwirtschaftliches Marktwesen auf: Sie brachte Hanaus Konjunkturforschung zum Schweinemarkt 1929 als allgemeinverständliche Schweinefibel heraus.

 

Konjunturforschung heute

Geraldine Dany-Knedlik
Geraldine Dany-Knedlik

Leitung Prognose und Konjunkturpolitik in der Abteilung Makroökonomie

100 JAHRE DIW BERLIN IN FÜNF EPOCHEN

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