DIW Wochenbericht 27 / 2024, S. 440
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Faul und gierig – so verunglimpften Teile der deutschen Medienlandschaft die griechischen Beschäftigten vor allem während der Staatsschuldenkrise Griechenlands. Nun sorgt die griechische Politik mit einem neuen Gesetz für ganz andere Schlagzeilen in Deutschland. Seit Tagen wird aufgeregt diskutiert, dass Beschäftigte in Griechenland, die im Durchschnitt ohnehin rund fünf Stunden mehr in der Woche arbeiten als Beschäftigte hierzulande, eine Sechs-Tage-Woche einlegen können. Dafür sollen sie am Samstag einen Zuschlag von 40 Prozent und an Sonn- und Feiertagen einen Zuschlag von 115 Prozent erhalten. Bemerkenswert an all dem Getöse um die neue Regelung ist, dass einige derer, die sich noch vor ein paar Jahren für ein hartes Vorgehen gegenüber Griechenland aussprachen und Bilder wie die Hängematte kreierten, in der die angeblich „faulen Griechen“ lägen, diese plötzlich zum Vorbild für Mehrarbeit nehmen.
Ist dieser Vorschlag auf Deutschland übertragbar? Auch Griechenland beginnt trotz einer Arbeitslosenquote von rund zehn Prozent zunehmend unter einem Fachkräftemangel zu leiden. Das liegt jenseits der (ähnlich wie in Deutschland) ungünstigen demografischen Entwicklung vor allem daran, dass viele qualifizierte Fachkräfte während der Krise das Land verlassen haben. Ziel des Gesetzes ist es, die verbliebenen Fachkräfte im Land zu halten und zu Mehrarbeit zu motivieren. Die substanziellen Zuschläge können in Griechenland eine positive Wirkung entfalten, da das Lohnniveau dort im Vergleich zu Deutschland viel niedriger ist. Vor allem untere Lohngruppen haben unter den auch dort in den vergangenen beiden Jahren gestiegenen Teuerungsraten erheblich gelitten. Es ist zweitens auch ein Versuch, die an Wochenenden stärker ausgeprägte Schwarzarbeit etwa im Tourismussektor etwas einzudämmen. Mithin geht es also nicht nur um Mehrarbeit per se, sondern auch um den Versuch, bereits schwarz ausgeübte Mehrarbeit in legale Mehrarbeit umzuwandeln.
Die Herausforderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind offensichtlich anders gelagert als auf dem griechischen. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass es etwa in der Pflege möglich ist, durch Zahlung hoher Zuschläge zu Mehrarbeit zu motivieren und so den Fachkräftemangel in diesem Bereich etwas zu lindern. Aber auch hier ist das Problem durch die niedrigen tariflichen Eingruppierungen der Pflegekräfte eigentlich ein anderes, das kaum durch Zuschläge für Mehrarbeit gelöst werden kann. Stattdessen braucht es eine grundsätzlich höhere Eingruppierung, um im internationalen Wettbewerb um Pflegekräfte wettbewerbsfähiger zu werden.
Insgesamt bleibt festzuhalten: Der Fachkräftemangel ist in Deutschland viel substanzieller als in Griechenland. Durch Maßnahmen, wie sie in Griechenland angestrebt werden, wird Deutschland den Fachkräftemangel nicht in den Griff bekommen, ganz zu schweigen davon, dass hier in großen Teilen der Gesellschaft die Einführung einer Vier- statt einer Sechs-Tage-Woche diskutiert wird.
Insofern sollte die Diskussion eher dazu genutzt werden, Instrumente in Deutschland zu identifizieren, mit denen die Arbeitszeit wirkungsvoll erhöht werden kann. Das größte ungenutzte Arbeitspotenzial in Deutschland gibt es unter den vielen teilzeitbeschäftigten Frauen, die mehr arbeiten wollen, dies aber nicht können – zumeist, weil sie keine ausreichende Kinderbetreuung haben. Mithin muss die Zahl der Betreuungsplätze erhöht werden. Das lässt sich nicht durch die Einführung einer Sechs-Tage-Woche bewerkstelligen. In Deutschland gibt es bis heute kein ausreichendes Angebot an Kita-Plätzen, trotz Rechtsanspruch. Nach neuesten Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung fehlen bundesweit 430000 Plätze. Hier schlummert somit ein Potenzial, mit dem der Fachkräftebedarf in Deutschland zumindest zum Teil gedeckt werden könnte. Die Politik täte gut daran, endlich mehr für die Versorgung mit Kita-Plätzen zu tun, statt mit „Nebelkerzen“ wie dem griechischen Sechs-Tage-Arbeitsmodell von den eigenen Problemen abzulenken.
Themen: Europa, Arbeit und Beschäftigung