Ausgang der EU-Wahl ist klimapolitisches Desaster: Kommentar

DIW Wochenbericht 29 / 2024, S. 476

Claudia Kemfert

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Der Ausgang der Europawahl ist klimapolitisch ein Desaster. Rechte Parteien konnten enorme Zugewinne verzeichnen. Sie sind eher wissenschaftsfeindlich und bestreiten oftmals die wissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel. Sie stellen sich aus ideologischen Gründen vehement gegen den Klimaschutz. Aber auch Konservative stehen oftmals nicht hinter dem europäischen Green Deal. In den kommenden Jahren dürfte es enorm schwer werden, neue Meilensteine auf dem Weg zur Klimaneutralität zu setzen. Es wird wohl eher darum gehen müssen, das bisher Geschaffte zu verteidigen.

Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Liberale und Konservative erneut eine Diskussion angezettelt haben, das Aus für den Verbrennungsmotor rückgängig zu machen. Das ist ein Signal dafür, dass selbst bereits beschlossene Fortschritte bei Klimaschutz und Verkehrswende nicht gesichert sind. Der Ruf nach mehr Technologieoffenheit ist nichts anderes als das Begehren, fossil genauso weiterzumachen wie bisher. Der Green Deal für einen klimagerechten Umbau der europäischen Wirtschaft dürfte deutlich abgeschwächt werden.

Der Green Deal soll Europa eigentlich bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Bis 2030 sollen die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent sinken. Das Klimapaket besteht aus zahlreichen Gesetzen und Initiativen, von der Reform des Europäischen Emissionshandels über das EU-Renaturierungsgesetz bis hin zum Recht auf Reparatur für Elektrogeräte. Studien zeigen, dass die Klimapolitik der EU durchaus bedeutsam ist. Zwar ist die Welt noch weit davon entfernt, das in Paris vereinbarte Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Doch ohne die seit 2019 beschlossenen und umgesetzten klimapolitischen Maßnahmen auf EU-Ebene könnte es global um ein zusätzliches Grad wärmer werden.

Die aktuelle Erderhitzung zeigt sich auch in Europa auf dramatische Art und Weise. In Süddeutschland hat ein weiteres „Jahrhunderthochwasser“ in mehreren Gemeinden enorme Schäden verursacht. Die Attributionsforschung belegt, dass der Klimawandel ein solches Extremereignis um bis zu zehn Prozent intensiver macht. Doch der Klimawandel wird kaum mehr als Bedrohung angesehen, da andere Krisen dringlicher erscheinen. Proteste gegen den Klimawandel werden auch aufgrund extremer Protestformen immer negativer wahrgenommen, zudem schafft die aktuelle Klimapolitik keine soziale Gerechtigkeit. Das eigentlich von der Bundesregierung versprochene Klimageld könnte Abhilfe schaffen. Die Klimakrise stellt schließlich sowohl die physische als auch die finanzielle Sicherheit in Frage. Die soziale Ignoranz der bisherigen Klimapolitik der Ampel und der EU untergräbt deren Akzeptanz.

Rechte Parteien werden künftig im Europaparlament voraussichtlich mehr Möglichkeiten haben, Klimagesetzgebung auszubremsen oder zu verzögern. Entscheidend werden die Mehrheiten im Parlament sein. Wenn die wohl auch künftige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eher mit rechten Parteien zusammenarbeitet, wird es für den Klimaschutz schwer. Untypisch für das rechte Spektrum hat sich die postfaschistische Partei Fratelli d’Italia der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni zwar bereits für Klimaschutz ausgesprochen. Die designierte EU-Kommissionspräsidentin dürfte sich von ökologischen Ambitionen dennoch weitgehend verabschieden müssen, wenn sie sich von eher rechten Abgeordneten wählen lassen will. Auch in Deutschland hat die AfD zugelegt, während die Grünen Stimmen verloren haben.

Um trotz des Bedeutungsverlusts Europas in der Welt zu bestehen, müssen wir jedoch dringend am Credo des europäischen Green Deal festhalten: Klimaschutz ist der Schlüssel für wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit. Massive Investitionen und die Industriepolitiken in China und den USA zeigen: Wir müssen mehr machen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es sind die grünen Sektoren, die das größte Wachstumspotenzial haben. Die Parteien sollten nicht den Fehler machen, das Wahlergebnis als Votum gegen den Green Deal zu interpretieren.

Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

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