Die Erwerbsbeteiligung von Frauen müsste langfristig gestärkt werden: Interview

DIW Wochenbericht 31/32 / 2024, S. 503

Annica Gehlen, Erich Wittenberg

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Frau Gehlen, bei Einführung der Mütterrente haben einige eine Überlastung des Rentensystems befürchtet. Jetzt wird wieder über eine Abschaffung der Mütterrente diskutiert. Warum? Die Frage kam Ende vergangenen Jahres im Kontext der Haushaltsdebatte auf. Der Zuschuss zur Rentenkasse ist ein großer Posten im Bundeshaushalt. Wenn über Engpässe diskutiert wird, wird natürlich auch geschaut, wo Einsparpotenziale sind. Bei der Gelegenheit kam die Mütterrente als ein solches Einsparpotenzial auf.

Was kostet die Mütterrente und wie viele Frauen bekommen sie? Die Mütterrente kostet 13 bis 14 Milliarden Euro pro Jahr. Davon profitieren ungefähr neun Millionen Frauen. Das sind ungefähr 87 Prozent der Frauen über 65. Die Mütterrente steht nur Frauen zu, die vor 1992 Kinder geboren haben.

Wie stark wirkt sich die Mütterrente auf den Gender Pension Gap, also den Abstand der Renten zwischen Männern und Frauen aus? Laut unserer Schätzung liegt der Gender Pension Gap in der gesetzlichen Rentenversicherung aktuell bei ungefähr 32 Prozent. Durch einen Wegfall der Mütterrente würde der Gender Pension Gap um sieben Prozentpunkte auf ungefähr 39 Prozent steigen. Das wäre ein Anstieg von mehr als 20 Prozent, also wirklich erheblich.

Welche Frauen profitieren besonders von der Mütterrente? Es profitieren insbesondere die Frauen, die viele Kinder bekommen haben, denn je mehr Kinder eine Frau vor 1992 geboren hat, desto höher ist der Zuschuss aus der Mütterrente. Bei anderen Merkmalen, wie beispielsweise dem Familienstand oder dem Haushaltseinkommen, sehen wir keine großen Unterschiede. Das liegt unter anderem auch daran, dass in der heutigen Rentnerinnengeneration der Großteil der Frauen auch Kinder bekommen hat.

Wie stark erhöht die Mütterrente die Bruttorente der Frauen und wie wirkt sich diese Erhöhung auf das verfügbare Haushaltseinkommen aus? Laut unserer Schätzung erhöht die Mütterrente im Jahr 2019 die Bruttorenten der betrachteten Frauen um ungefähr 85 Euro pro Monat. Das wäre mittlerweile etwas mehr, weil ja der Rentenwert jährlich steigt. Beim Haushaltseinkommen kommt es darauf an, wie die Haushaltskonstellation der Frauen aussieht. Im Durchschnitt steigt das verfügbare Haushaltseinkommen mit der Mütterrente um ungefähr 4,5 Prozent. Unterscheidet man aber nach Einkommensschichten, stellt man fest, dass die niedrigen Haushaltseinkommen anteilig besonders stark profitieren.

Inwieweit konnte die Altersarmut durch die Mütterrente gesenkt werden? Wir stellen in unserer Studie fest, dass die durchschnittliche Armutsrisikoquote bei den Rentnerinnen aktuell bei ungefähr 19,5 Prozent liegt. Rechnet man die Mütterrente raus, dann würde diese um ungefähr drei Prozentpunkte auf 22,3 Prozent ansteigen. Das wäre ein erheblicher Anstieg der Altersarmutsrisikoquote um knapp 15 Prozent.

Welche Alternativen wären denkbar, um Ungleichheiten entgegenzuwirken, die aufgrund von Kindererziehung während der Erwerbsphase entstanden sind? Grundsätzlich sind die Rentenansprüche von Menschen in Deutschland ein Spiegel ihrer Erwerbsbiografie. Dementsprechend müsste die Erwerbsbeteiligung von Frauen über den gesamten Lebenszyklus gestärkt werden, um Frauen in der Rente langfristig besserzustellen. Leider ist es auch immer noch so, dass Frauen einen Großteil der unbezahlten Sorgearbeit leisten. Ein politisches Instrument wäre hier beispielsweise der Kita-Ausbau. Auf jeden Fall muss mehr darüber nachgedacht werden, wie Frauen schon während der Erwerbsphase stärker in den Arbeitsmarkt eingegliedert und Familien in der Kindererziehung unterstützt werden können.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Annica Gehlen
Die Erwerbsbeteiligung von Frauen müsste langfristig gestärkt werden - Interview mit Annica Gehlen

Annica Gehlen

Doktorandin in der Abteilung Staat

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