DIW Wochenbericht 33 / 2024, S. 520
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Der Crash an den Aktienmärkten Anfang August hat große Verunsicherung ausgelöst: Was hat diesen Crash verursacht? Ist er Vorbote einer anstehenden Rezession? Ein gängiges Narrativ lautet: Die schlechten Arbeitsmarktzahlen in den USA seien ein klares Anzeichen für eine kommende Rezession in den USA. Die starke Korrektur an den Aktienmärkten spiegele nun diese neue Realität wider, denn eine schrumpfende Wirtschaft bedeute geringere Gewinne und Renditen und somit niedrigere Bewertungen der Unternehmen an den Aktienmärkten. Eine alternative Erklärung ist die des Nobelpreisgewinners Robert Shiller, der in seinen Studien gezeigt hat, dass Kapitalmärkte häufig nicht realwirtschaftlichen oder rationalen Entwicklungen folgen, sondern von den irrationalen Übertreibungen von Investor*innen bestimmt werden. John Maynard Keynes, einer der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, verglich deren Verhalten an Kapitalmärkten mit einem Schönheitswettbewerb: Was für die Bewertung an den Kapitalmärkten zählt, ist nicht die eigene Sicht der Welt, sondern die Sicht der anderen, vor allem die der einflussreichen Investor*innen. In anderen Worten: Der Crash an den Kapitalmärkten basiert nicht auf rationalen und realwirtschaftlichen Faktoren, sondern ist dem Herdenverhalten der Investor*innen geschuldet.
Drei starke Argumente sprechen für diese zweite Einordnung des Crashs und gegen die erste. Das erste Argument beruht auf der Tatsache, dass die Aktienmärkte in Japan und anderswo deutlich stärker eingebrochen sind als in den USA. Auch wenn die US-Wirtschaft hochrelevant ist für die gesamte Weltwirtschaft, so hätte eine Veränderung der Erwartung einer Rezession in den USA vor allem die US-Märkte treffen müssen. Das zweite Argument findet sich bei den Zentralbanken, von denen viele bereits angefangen haben, die Zinsen zu senken. Auch die Erwartungen an die US-Notenbank, im September mit Zinssenkungen zu beginnen, sind hoch. Zinssenkungen haben den gegenteiligen Effekt einer Rezession auf die Aktienkurse: Geringere Zinsen bedeuten niedrigere Kosten und höhere Erträge für die Unternehmen und führen daher, ceteris paribus, zu höheren Aktienkursen. Eine höhere Wahrscheinlichkeit einer Rezession muss also nicht zu geringeren Aktienkursen führen, sondern hängt stark von der Reaktion der Notenbanken ab.
Das dritte Argument beruht auf der Tatsache, dass Aktienkurse sich in den vergangenen Jahren deutlich von der realen Entwicklung der Weltwirtschaft abgekoppelt haben. Auch wenn Blasen und Überbewertungen schwer zu messen sind, deutet diese Abkopplung stark darauf hin, dass es sich bei diesem Crash um eine notwendige und wünschenswerte Korrektur handelt, die das Risikoverhalten und die Spekulation vieler Investor*innen wieder etwas reduziert hat. Zahlreiche Finanzmarktindikatoren deuten stark auf eine solche Korrektur hin, vor allem in den Technologiebranchen.
Mit Blick auf die Realwirtschaft muss man sich keine Sorgen machen. Ein Börsencrash kann zwar zu realwirtschaftlichen Verwerfungen und Rezessionen führen, siehe die Lehman-Pleite im September 2008. Große Korrekturen an Kapitalmärkten können sich negativ auf die Realwirtschaft auswirken, wenn sie die Finanzstabilität schwächen oder die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen verschlechtern. Für beides gibt es jedoch zurzeit keinerlei Anzeichen. Die Kapitaldecke der Finanzinstitute scheint ausreichend. Und auch die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen haben sich zuletzt nicht grundlegend verschlechtert. Vor allem durch die anvisierten Zinssenkungen der Zentralbanken ist zu erwarten, dass diese sich für die Mehrzahl der Unternehmen sogar verbessern und somit Investitionen und Wachstum zunehmen werden.
Der Crash an den Aktienmärkten ist eine notwendige und gute Korrektur von Überbewertungen und einer Blase im Technologiebereich. Die Aktienmärkte sind selbst nach dieser Korrektur wahrscheinlich noch immer deutlich überbewertet, weitere Korrekturen könnten in den kommenden Monaten und Jahren notwendig sein.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 12. August 2024 in der Tageszeitung Die Welt erschienen.
Themen: Konjunktur, Arbeit und Beschäftigung