DIW Wochenbericht 35 / 2024, S. 546
Jonas Hannane, Erich Wittenberg
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Herr Hannane, welche professionellen Dienstleistungen kann künstliche Intelligenz bereits heute übernehmen? Generative KI hat sehr vielseitige Anwendungsgebiete. Beispielsweise können große Sprachmodelle wie ChatGPT, auch bekannt als Large Language Models, Texte oder Computercodes generieren. Die können dann wiederum benutzt werden, um beispielsweise Werbetexte oder Produktbeschreibungen zu erstellen oder auch leichte Programmieraufgaben zu automatisieren. Gleichzeitig können Bilderstellungs-KI-Tools wie Dall-E 2 oder Midjourney gestalterische Tätigkeiten übernehmen, indem sie beispielsweise Logos oder Banner designen.
Sie haben in Ihrer Studie Freelance-Arbeit auf Online-Plattformen untersucht. Wie kann man sich diese Arbeit vorstellen und warum haben Sie genau diese Gruppe in den Fokus genommen? Online-Arbeitsmärkte sind Plattformen, auf denen Arbeitgeber*innen Aufträge veröffentlichen, auf die sich dann Freelancer*innen weltweit bewerben. Diese Arbeit ist räumlich vom Auftraggebenden getrennt und findet digital statt. Ein anderer wichtiger Aspekt ist auch, dass die Arbeit typischerweise aufgabenorientiert ist. Man kann sich hier beispielsweise ein kleineres Unternehmen oder Geschäft vorstellen, das gerne eine Website erstellt hätte. Diese Eigenschaften, also die digitale, aufgabenorientierte Natur der Arbeit und die flexiblen Einstellungsentscheidungen auf diesen Plattformen führen dazu, dass Online-Arbeitsmärkte ein geeignetes Setting darstellen, um erste Trends in der Arbeitswelt zu entdecken.
Wie stark hat sich das Aufkommen von KI-Tools auf die Auftragslage von Digital-Freelancer*innen ausgewirkt? Wir haben einerseits festgestellt, dass nach der Veröffentlichung von ChatGPT am 30. November 2022 die Auftragszahlen für gewisse automatisierungsanfällige Tätigkeiten relativ stark zurückgegangen sind. Wir schätzen hier einen Rückgang von circa 21 Prozent im Durchschnitt. Im Grafikdesignbereich finden wir ein ähnliches Muster. Hier schätzen wir, dass Bilderstellungs-KI-Tools wie Midjourney, Dall-E 2 oder Stable Diffusion, die allesamt im Sommer 2022 veröffentlicht wurden, zu einem durchschnittlichen Auftragsrückgang von circa 17 Prozent geführt haben.
Welche Tätigkeiten sind besonders von generativer KI betroffen? Unsere Untersuchung zeigt, dass Schreibarbeiten, zum Beispiel Ghostwriting oder Lektoratarbeit, mit einem Rückgang von schätzungsweise 30 Prozent am stärksten betroffen sind. Allerdings sind auch Software-, App- und Webentwicklung relativ stark betroffen mit einem geschätzten Rückgang von circa 20 Prozent und auch Grafikdesigntätigkeiten haben einen Rückgang von circa 18,5 Prozent erlebt.
Wo werden Freelancer*innen im Digitalbereich in Zukunft überhaupt noch gebraucht werden? Basierend auf unseren Ergebnissen lässt sich die Frage nur schwer beantworten. Wir haben aber festgestellt, dass zwar ein signifikanter Teil der automatisierungsanfälligen Aufträge weggefallen ist, jedoch die Aufträge in diesen Bereichen, die noch auf der Plattform erhalten sind, an Komplexität zugenommen haben und auch höher budgetiert sind. Ein anderes interessantes Ergebnis unserer Studie ist, dass in den Aufträgen die Nutzung von ChatGPT auch immer mehr als Anforderung auftritt. Das deutet darauf hin, dass mit dem Vorhandensein von generativer KI jetzt auch neue Tätigkeits- oder Berufsfelder entstehen könnten.
Sollte die Politik oder der Gesetzgeber in irgendeiner Form auf diese Entwicklung reagieren? Es ist wichtig, dass Weiterbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen getroffen werden werden und diese dann zum Beispiel an Schulen, Universitäten oder Weiterbildungseinrichtungen unterstützt und gefördert werden.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Digitalisierung, Arbeit und Beschäftigung